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Nicht jeder Tag läuft wie der andere

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18.04.2007
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Nicht jeder Tag läuft wie der andere

Feddersen lebte ein ausgesprochen wohl geordnetes Leben. Er lebte nach der Uhr. Er stand jeden Morgen um die gleiche Zeit auf, kam um die gleiche Zeit in sein Büro, aß um die gleiche Zeit zu Mittag und ging um die gleiche Zeit schlafen ...


An einem Donnerstag im November verließ Feddersen sein Büro pünktlich um 17:30 Uhr. Der Pförtner in der Eingangshalle sagte: „Pünktlich wie immer, Herr Feddersen.“

„Stimmt genau“, sagte Feddersen. „Auf Wiedersehen.“

Wie üblich wartete Feddersen an der Haltestelle, bis sein Bus – die Linie 60 – kam. Normalerweise würde er wie immer drei Minuten warten. Dann stiege er in den Bus, um ein paar Worte mit dem Busfahrer Willy Otremba zu wechseln, der diesen Bus schon immer fuhr, sich dann seinen Platz zu suchen um die Zeitung zu lesen, bis der Bus seine Haltestelle erreicht hätte. Hier würde er aussteigen, um den gewohnten Weg zu seinem Haus zu laufen.

Eine Minute war bereits vergangen. Blieben noch zwei, bis der Bus eintreffen würde. Die Haltestelle war leer und es war dunkel. Das Rauschen der vorbeifahrenden Autos klang zischend in seinen Ohren. Vor lauter Kälte wippte er mit den Füßen auf und ab, sein Atem verwandelte sich in eine graue Wolke.

Plötzlich riss ihm jemand seinen Koffer aus der Hand. Feddersen fuhr herum. Er sah eine Faust auf sich zu schnellen, konnte ihr aber nicht mehr ausweichen. Der Schlag traf ihn direkt auf die Nase, die sofort unaufhörlich zu bluten begann. Gelächter drang an seine Ohren. Es klang wie das Lachen einiger Halbwüchsiger. Sein Blick trübte sich, Tränen füllten vor lauter Schmerz seine Augen. Ein weiterer Schlag – diesmal in den Magen – brachte ihn ins Taumeln. Er spürte eine Hand in seiner rechten hinteren Hosentasche. Meine Geldbörse, dachte er und griff nach hinten. Aber die andere Hand war schneller gewesen, die Tasche leer. Feddersen blinzelte.

Vor ihm öffneten zwei von ihnen seinen Koffer mit Gewalt, denn er war mit einem Zahlencode gesichert. Den Inhalt schütteten sie auf den Gehweg - es war nichts besonderes darin. Nur den Taschenrechner und den Kugelschreiber seiner Firma nahmen sie sich. Die Mappe mit den Unterlagen zerstreuten sie belustigt. Das waren fünf Tage Arbeit gewesen.

Feddersen wollte auf die Jungs zugehen, da bekam er einen Tritt in die Kniekehlen. Er sackte zusammen, schlug mit den Knien auf dem Asphalt auf. Wieder das Gelächter der Halbwüchsigen.

Jemand zerrte an seinem Jacket. Verbissen wehrte er sich dagegen, es sich ausziehen zu lassen. Da bekam er einen Schlag in den Nacken. Es wurde dunkel, das Gelächter entfernte sich.

„Hey, Sie da!“, hörte er von weitem jemanden rufen. „Wollen Sie nun mitfahren oder nicht?“ Der Mann klang gereizt und gleichgültig.

Feddersen stand umständlich auf und drehte sich zu der Stimme um. Der Bus war da. Aber am Steuer saß nicht Willy Otremba, sondern ein griesgrämiger, dicker Mann mit schütterem fettigem Haar. Verwirrt schaute sich Feddersen um, es war die Linie 60. Er sah sich nach seinem Koffer um, fand ihn wenige Meter neben sich, zertreten, ausgeräumt. Taumelnd suchte er die Akten zusammen, die überall herum lagen, mit Fußabdrücken drauf.

Der Busfahrer trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem Lenkrad herum und wollte gerade die Türen schließen, als Feddersen noch hinein huschte. Er schlug mit der bloßen Zehe gegen die Erhöhung der Sitze und hüpfte mit schmerzverzerrtem Gesicht zu seinem Platz. Doch da saß schon jemand. Schnell machte er kehrt und setzte sich woanders hin, noch mehr Probleme konnte er jetzt nicht gebrauchen.

Mürrisch sortierte er seine Akten, bis alles wieder da war, wo es hingehörte. Das Zeitungslesen vergaß er völlig. Er hätte sogar beinahe seine Haltestelle verpasst.

Barfuß und mit zertretenem Koffer lief er die Goetheallee entlang, so wie er es immer tat. Der eiskalte Asphalt ließ seine Füße fast gefrieren. Sein ganzer Körper zitterte. Er wollte sein Jacket enger um seinen Oberkörper ziehen, griff aber ins Leere. Verdutzt blickte er an sich herab. Das Jacket fehlte, die Hose war zerrissen und das weiße Hemd verdreckt. Verzweifelt schaute er in den Himmel, die Arme schlapp nach unten hängend und fragte sich: „wieso?“.

Dann bog er in die Nord-Allee ein, blieb abrupt stehen. Ein höllischer Lärm wehte ihm entgegen. Die Nacht brannte lichterloh. Feuerwehr, Krankenwagen und eine Menge Schaulustiger tummelten sich vor einem großen Haus, in dem die Flammen wie ein unbändiger Teufel tanzten. Die Straße war abgesperrt, kein Durchkommen.

Feddersen blieb wie angewurzelt stehen und starrte in das wütende Flammenmeer. Schönes Feuer, dachte er. Es sah verlockend aus.

Dann unterbrach er seine Gedanken und machte sich auf Weg. Er musste die nächste Straße nehmen, denn hier würde man ihn nicht durchlassen und so schon gar nicht: abgewetztes Hemd, zerrissene Hose, zerstörter Aktenkoffer, wirres Haar und blutige Nase. Man könnte ihn für verdächtig halten.

Nach einer Weile bog er endlich in die Lindenstraße zu seinem Haus ein, Lindenstraße 22. Erschöpft kämpfte er sich die Treppen empor und stolperte in seine Wohnung. Es klopfte. Er öffnete. Vor ihm stand seine Nachbarin und hielt einen großen Kochtopf in Händen. Ohne ein Wort trat sie einfach ein und bahnte sich den Weg zur Küche. Feddersen stand einfach nur da.

„Ihnen muss ja Schreckliches widerfahren sein, Herr Feddersen. Sie waren heute nicht pünktlich zu hause, da hab ich mir Sorgen gemacht und gleich etwas mehr gekocht. Gott, Sie sehen ja furchtbar aus. Sie sollten erstmal duschen gehen.“, sagte die Nachbarin, denn sie wusste, dass er gewöhnlich sein Essen selbst zubereitete, anschließend den Abwasch spühlte und dann im Wohnzimmer verschwand, um bis 23.00 Uhr fernzusehen - aber diesmal nicht.

 

Hallo,
finde die Geschichte gut und vor allem stilsicher geschrieben. Was folgt, ist nur als Anregung und nicht als negative Kritik zu verstehen:

Der Kern scheint mir zu sein:

„Ihnen muss ja Schreckliches widerfahren sein, Herr Feddersen. Sie waren heute nicht pünktlich zu hause, da hab ich mir Sorgen gemacht [...]"

Deswegen würde ich den letzten Absatz evtl. weglassen. Er bringt keine wichtigen Infos mehr.

Ansonsten kommt mir das Wort "Halbwüchsige" zu oft vor. Würde ich etwas variieren: "Junge", "Gruppe", "Meute"...

Zum Satz "Man könnte ihn für verdächtig halten"
Um die Zeit einzuhalten müsste es heißen: Man hätte ihn für verdächtig halten können.
Sind alles Kleinigkeiten. Wie schon gesagt, ich mag die Geschichte.
Gruss
K.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kasimir,

vielen Dank für die netten Anmerkungen und die tolle Kritik. Hab´ ich seit langem keine mehr bekommen. Die Geschichte ist für mein Schreibstudium und deswegen auch auf eine gewisse Zeilenzahl getrimmt. Das macht es mir nicht immer leicht, alles so herauszuarbeiten, wie ich es gerne hätte.

"Deswegen würde ich den letzten Absatz evtl. weglassen. Er bringt keine wichtigen Infos mehr."
--> Das war eines der Dinge, die vorgegeben wurden, weil er Tag für Tag alles genau so macht, als hätte er einen Tagesplan, der unbedingt einzuhalten ist.
Findest du, ich sollte es trotzdem weg lassen?

Deine Anmerkungen werde ich berücksichtigen und ein bisschen was ändern.
Danke nochmal!

Liebe Grüße
Feanaro

 

Hallo Feanaro,
habe die Geschichte nochmal gelesen. Lässt man den letzten Absatz weg, endet sie zu abbrupt. Lässt man ihn stehen, ist es ein Tick zuviel.
Vielleicht ist es aber auch der letzte Satz nur, der für mich komisch klingt. Doch lieber statt "Aber diesmal nicht" einfach nur "Heute nicht"? Hm....
Vielleicht hörst du dir auch noch ein paar andere Meinungen an. Vergiss aber nicht, du bist der Gott deiner Geschichtenwelt! :D

Gruss
K.

 

Hallo Kasimir,

vielen Dank, dass du dich geopfert hast, die Geschichte noch einmal zu lesen. :Pfeif:

Also richtig gefällt mir das Ende auch noch nicht. Mal sehen, wie ich das ändern kann, ohne die Geschichte zu ändern.

"Gott meiner Geschichtenwelt"

Uh!!! Klingt krass gut. :D

Danke noch mal!

Liebe Grüße
Feanaro

 

Hallo, Feanaro,

ich schließ mich buchstäblich Kasimirs Auffassung an und erweitre sie gleich, nicht ohne vorher zu fragen, was es für ein „Schreibstudium“ ist, das Du erwähnst.

Meine Anmerkung gilt besonders der Verwendung des Konjunktivs: die fällt allemal schwer. Du folgst, - wenn auch inkonsequent,- der englischen Grammatik, die den Konjunktiv i. d. R. mit „would“ bildet, - wobei das „would“ mehr Bedeutungen hat als unser „würde“, - und Du verhedderst Dich dazu, verwendest häufig unnötigerweise „dann“, dass ich vorschlag, den Satz zu zerlegen und die deutsche Grammatik anzuwenden, vielleicht wie folgt:

„Normalerweise würde er wie immer drei Minuten warten. Dann stiege er in den Bus, um ein paar Worte mit dem Busfahrer … zu wechseln, der diesen Bus schon immer gefahren hatte. Nun suchte er seinen Platz auf, um die Zeitung zu lesen bis der Bus seine Haltestelle erreicht hätte. Hier würde er aussteigen, um den gewohnten Weg zu seinem Haus zu laufen.“

Natürlich gibt’s auch hierzu Alternativen. Es kann nur ein Vorschlag sein.

Nur nebenbei: so gern ich das „ß“ sehe, im Griesgram ist es üblicherweise nicht zu finden (wahrscheinlich wegen des Dehnungs-„e“s).

Und einmal will ich den Dativ vorm Akkusativ retten beim „dicken Mann mit schütterem, fettem Haar“ (D. folgt immer auf Präposition „mit“).

Und letztlich fällt mir noch ein „wo“ auf. Den Sprachgebrauch eignet man sich nicht erst seit Klinsi immer mehr an und ist doch eine eher südwestdeutsche Sprechweise. Mein Vorschlag: Schaulustige tummelten sich „vor einem großen Haus, aus dem die Flammen … tanzten.“ (Richtiger wär sogar die Beschreibung „auf dem die Flammen tanzten“, als wär’s ein Tanzboden.)

Vorschlag zum Schluss (im doppelten Sinn): schieb die letzten Absätze zu einem zusammen! Vielleicht in der Weise "... Sie sollten erstmal duschen gehen.', denn die Nachbarin wusste, dass er gewöhnlich sein Essen selber zubereitete, danach spülte um schließlich ins Wohnzimmer zu gehen, um bis 23 Uhr fernzusehen. - Aber diesmal nicht."

Gruß
Friedrichard

 

Hallo Friedrichard,

danke für deinen Beitrag. Da ist man gleich froh, jemanden zu kennen, der sich wie ein Wiesel in der deutschen Grammatik auskennt.

Ich werde deine Anmerkungen berücksichtigen und verbessern.

Das Schreibstudium absolviere ich an der HAF Hamburger Akademie für Fernstudien an der Schule des Schreibens im Kurs 'Belletristik'.
Dort muss man als Einsendeaufgabe immer eine vorgegebene Zeilenanzahl einhalten, was nicht immer leicht ist, zumal ich eher Romane schreibe.
Dennoch muss ich zugeben, dass es mir viel Spaß macht, dort dabei zu sein und ich habe bereits viel gelernt. Wenn ich mir heute meine Texte ansehe und die von vor einem halben Jahr, bemerke ich viele Unterschiede - positive.
Außerdem habe ich jetzt einen neuen Studienleiter. Der ist Romanautor, Filmdrehbuchautor und schreibt Theaterstücke und andere Sachen.
Ich darf ihm durchaus in die literarischen Karten schauen, hat er gesagt.
Und das nehme ich sehr gerne an - wann bekommt man schon einmal die Chance einen richtigen Autor als 'Lehrer' zu haben.

Also, liebe Grüße
Feanaro

 

Hallo, Feanaro,

ganz kurz: spülen wird ohne Dehnungs-"h" geschrieben.

Und ich wünsch Dir viel Glück mit dem Studium!

Gruß

Friedrichard

 

Hallo Friedrichard,

danke für die kleine Aufmerksamkeit dieses unscheinbaren Wörtchens.
Das passiert mir irgendwie immer wieder. Vor allem bei Wörtern, die sich so anhören, als könnten sie ein h vertragen. :Pfeif:

Naja, ich hab´s für dich geändert. ;)

Gruß
Feanaro

 

Hi, Feanaro,

nem alten Mann schmeicheln, na so was! Aber ist doch besser so, statt sich beim Abwasch im H zu verheddern.

Bis bald x!

Friedrichard

 

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