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Nichts als Sex und Träume auf LSD
Also bin ich einfach zu dir gefahren, ohne lange darüber nachzudenken, was es für mich bedeutet. Was ich empfinden werde, wenn ich den anfangs skizzenartigen Gedanken realisiere, war grundlegend prädestiniert. Doch nennt mich Verdrängungskünstlerin: Schreit mein Bauchgefühl, meine innere Stimme so laut, dass sich die kleinsten Härchen meines Armes aufrichten, hat der Verstand zu schweigen.
Meine Überzeugung war so immens, dass jegliche Skepsis von Euphorie überrannt wurde und ich mich an einem Wintermorgen im ICE nach Berlin wiederfand.
Ich musste daran denken, dass wir uns eine Nacht der vergangen Woche auf meinem Teppich bereits geliebt hatten, ohne einander richtig zu kennen. Ein abgekatert spontanes Spielchen bei dem ich unbemerkt über eine Wurzel meiner Wesenszüge stolperte. Kinder, die sich leicht verletzen, stehen immer wieder auf in der Begeisterung ihr neues Spielzeug weiter inspizieren zu müssen. Wer wann zum Spielzeug wird, bestimmt nicht der Schiedsrichter.
So suspekt mir dieses Arrangement erschien, genauso einen reizenden Einfluss wirkte es auf mich aus. Und ich hätte zuvor die Opportunität ausgeschlossen, dass so etwas überhaupt möglich sei, doch Wunder passieren immer wieder, sie sind nur von abstrakter und grotesker Natur und erfüllen nicht immer die positive Konnotation.
Vier Stunden Wartezeit. Ein niedliches Schoßhündchen im Tierheim; wie bestellt und nicht abgeholt mit der Sicherheit wieder aufgenommen zu werden, um dann von einem noch kleineren schnuckeligerem Exemplar ersetzt zu werden. Meine lieben Tierhalter:
Dreck machen sie alle.
Berlin...
Berlin...
Berlin Ostbahnhof!
Darauf hatte ich lang gewartet, ohne es zu wissen. Wankend stieg ich aus und fand dich nicht.
Lief auf dem schier endlosen Gleis umher, dieses riesigen Bahnhofs, der mich kleiner werden ließ. Als ich zur Ameise herangeschrumpft war, erblickte ich dich, erst mit Zweifeln erfüllt, ob du es nun bist oder nicht.
Du warst es.
Umarmungen und Küsse, so wie ich es mir gewünscht hatte, sogleich fühlte ich mich zurückversetzt in letzter Woche. Freudig erregt wie ein kleines Hündchen, dass für gute Taten belohnt wird und mit seinem Herrchen spielen darf. In deinen Armen wankte ich unter schüzenden Händen durch Kreuzberg und liebte dich in deinem Zimmer, liebte dich abermals und immer wieder voller Variation.
Meine Sehnsucht: grenzenlos. Mein Hunger: unersättlich.
Stelle man sich vor, wir spielten Clische-paar und du ludst mich zum essen ein, mit dir spielte ich gern das Clische-Spiel, da wir genau diesem nicht entsprachen, so durchbrachen wir es auch am nächsten Abend wieder.
In Friedrichshain schickte ich mich auf eine realitätsferne Reise, die grotesk schöner als jeder Traum war. Wir fanden einander auf der Regenbogenstraße LSD wieder und wurden eins, doch das Clische wuchs abstrahiert über unseren Köpfen zu einer Wolke. Diese Nacht bleibt mir im Gedächtnis wie ein Lichtstrahl, der sich ins verätzte Auge brennt, er schwebt wie eine Feder im Sturm durch meinen Kopf.
Laufen konnte ich nicht mehr, meine Beine streikten, also ließ ich mich abermals auf das Abenteuer ein, mich in deine Hände fallen zu lassen.
Ich fiel...
und schlug sanft auf, als wir einander in den Armen hielten und die Lichter der Skyline wie ein nicht enden wollendes Feuerwerk meinen Verstand berieselten; außer Kraft setzten.
So bunt, fluoriszierend, faszinierend.
Abgesehen von meinem durch Halluzinogenen erzeugten Zustand, bleibt mir auch dieser Straßenkuss in Erinnerung.
Gebrandmarkt wie reifes Schlachtvieh.
Friedrichshain, St. Tropez kleiner kaputter Bruder. In deinen armen schmolz ich dahin,
verbrannte zu Asche und zerfiel zu Staub.
Doch siehe da, du schufst mich neu. Deine Lippen auf meinen mit geschlossen Augen und das Gefühl schwindelnd in Gottes endlose Leere zu fallen, durchfluteten Körper und Geist.
Was zerbrochen ist, kannst du nicht wieder heilmachen.
Die vorhandene Angst die Augen wieder zu öffnen und festzustellen, wie schmutzig das Viertel ist, wurde vom Januarwind davongetragen, als er die Hitze meiner Stirn, erzeugt vom künstlichen Fiber, milderte. Das Bild ,welches sich mir bot, sobald die Lichter ein weiteres mal meine Iris streiften war noch unglaublicher, ein Meisterwerk der Moderne! Selbst Dix hätte alles mit kindergleichen großen Augen bestaunt: So schön, dass ich einen Stich in der Brust verspürte; es mir die Kehle angenehm zuschnürte, zärtlich und leicht,
wie deine Aufmerksamkeiten.
"Ein Man(n) ist seiner nächsten Frau nur einen Fehler vorraus"
Sagtest du...
Den Fehler überhöhrte ich, obwohl schon die Nacht viele kleine Fehler bot, die sie doch erst so atemberaubend machten.
Schlimmer: Ich übersah diesen "Fehler" die Tage später; wollte es vielmehr, denn wenn die innere Stimme vor Glückseeligkeit schreit, hat der Verstand zu schweigen.
Die Erinnerung existiert nicht nur in meinem kopf, wir haben sie versucht zu bannen auf schwarz-weißfe Automatenfotos, die uns ungewohnt glücklich zeigen; lachend und küssend mit schwarzer Träne auf der Backe, die wir uns zuvor berauscht auf die Wangen gemalt hatten. Mit Edding, damit sie zumindest zwei Tage halten auf der empfindlich dünnen Haut.
Wenn ich jetzt die Fotos betrachte erscheint es mir schicksalhaft verwerflich, dass sie in schwarz-weiß-Tönen gehalten sind.
Momente kann man versuchen festzuhalten, so wie wir es wollten, unsere Aufnahmen können weder den unendlichen Facettenreichtum der Gefühle und Empfindungen wieder aufleben lassen, noch ihn überhaupt ansatzweise wiederspiegeln.
Wie oft hat man nicht davon geträumt Zeit bannen zu können? Nun auch mit LSD ist eine Nacht nicht endlos, denn die Zeit nimmt keine Rücksicht auf Einzelschicksale, aber wir müssen Rücksicht auf sie nehmen. So wollte sie alsbald meine Rückfahrt einleiten.
Eine letzte Nacht blieb in deinem Zimmer; mit dir in einem Bett, doch Stunde um Stunde verstrich in der ich wach neben deinem nackten Antilz lag und zum Fenster hinausschaute, welches von Wolldecken behangen den Blick nach draußen versperrte. Der Wind, der mir wenige Stunden zuvor noch die kranke Stirn gekühlt hatte, ließ die Deckenenden vor meinen Augen tanzen und verschwand wieder, nachdem er mir zum Abschied nocheinmal über die Lider gefahren war.
An der Decke huschten die Lichter der Straße, die es schafften ins Zimmer zu drängen, hin und her. Ein wundervolles Schauspiel, was sich mir in dieser schlaflosen Nacht dabot. Ich hätte dich gern geweckt, um dich teilhaben zu lassen, aber manches muss allein entdeckt und erlebet werden. Dich zu wecken, wäre eine Sünde gewesen, so lagst du neben mir, engelsgleich und gleichsam tot.
Wäre ich eingeschlafen in dieser Nacht, hätte ich mir gewünscht nicht mehr zu erwachen. Was kann man sich mehr wünschen als in bittersüßer Seeligkeit dahin zu scheiden?
Der Himmel ist grau, genau wie wir: schwarz-weiß. Ein unangenehmes Getummel um uns herum am Gleis, doch mein Kopf ist leer und alles läuft neben mir ab, wie ein drittklassiger Super8-Film. Und dann gibt es da Worte, die man nicht aussprechen sollte. Worte, die vorzüglich munden können, oder einem die Supper versalzen.
Dies ist ein Stummfilm.
Vergessen, dass wir noch am selben Tag ein letztes mal miteinander geschlafen haben mit dem grausamen Bewusstsein, dass es das letzte Mal sein würde. Süßer Schmerz, als du mir ins Gesicht schlugst, ich dir mit meinen Nägeln über den Rücken fuhr, in den Hals biss.
Eine Narbe wirst du davon tragen, sieh sie als Erinnerung, wenn du sie nicht willst, nimm sie als Mahnung.
Wie ich gekommen bin, so gehe ich wieder.
Unverändert.
Nur ein Chaos in mir hast du hinterlassen, ganz klein und unscheinbar, aber so wirrsch, dass ich es nicht mehr richten mag. Deine schwarze Träne ist fort, meine wurde ersetzt. Wir haben einander nichts mehr zu sagen, oder hast du mir nichts mehr zu sagen?
Der Nacht ist nichts hinzuzufügen.
Nichts als Sex und Träume auf LSD
Bereicherung und Verlust. Mit dem Wissen, dass jeder Moment ein Ort ist, an dem man zuvor noch nie war, an den man nie wieder zurükkehren kann.
Eben war ich noch da, nun bin ich weg.