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Nicki
Das erste Mal begegneten wir uns in der Übergangszeit. Die Zeit, in der ich morgens weiß, dass es einige Stunden heiß wie ein Sommertag sein wird, weil die Sonne bereits am wolkenlosen Himmel orangefarben aufgeht und ich das kurze Kleid anziehen will, bevor es für Monate im Schrank verschwindet. Es ist Herbst, aber ich will noch einmal in die offenen Schuhe schlüpfen, weil die Füße bald für lange Zeit in Stiefeln stecken. Und wenn ich früh draußen vor dem Haus stehe, bin ich froh, die dicke Jacke angezogen zu haben, auch wenn das nicht toll zusammen mit dem Kleid und den Sandalen aussieht und ich trotzdem friere. Mittags würde ich die Jacke dann am liebsten verschenken wollen, weil sie in der Hitze keinen Sinn macht und ich sie herumtragen muss. Es gibt Frauen, die wissen genau, was sie erwartet, und die haben für alles eine Lösung.
Nicki hockte im Hausflur vor ihrer Wohnungstür und wühlte in einer großen Tasche mit Pferdeaufdruck. Ihr Name stand handgeschrieben an der Klingel. Nicole Nickel in geschwungenen Buchstaben. Die ‚N’s erinnerten mich ein bisschen an offene Lassos, bereit ein Rindvieh einzufangen. Es muss weit nach zehn gewesen sein und ich kam vermutlich aus dem Kino. Nicki trug einen Mantel in einer Farbe, für die ich keinen Namen wüsste. Ein schmutziges, warmes Gelb hätte ich geantwortet, falls jemand überhaupt fragt. An den Füßen trug sie Sneakers in blassrosa und ich überlegte, ob die Farbkombination in Ordnung ging. Ich fror in dem Sommerkleid und den Sandalen. Die Jacke hatte ich versehentlich irgendwo liegenlassen. Der Platz um Nicki herum war versperrt, weil sie noch weitere Taschen abgestellt hatte. Ich blieb unschlüssig stehen und sagte wohl etwas wie ‘Entschuldige, bitte’, habe mich sicherlich auch geräuspert, vorbeigedrängelt habe ich mich aber nicht. Sie strich immer wieder eine Haarsträhne hinters Ohr, die nicht hielt, weil das Ohr zu klein war und das Haar zu dick. Als sie zu mir herumwirbelte, schien ihr Gesicht nur aus Augen und Zähnen zu bestehen. Die Augen blau, die Zähne schief. Es überraschte mich in einer Art, dass ich unvermittelt lachte, wie es mir manchmal während einer Kinovorstellung passiert, wenn sonst niemand lacht. Sie guckte nicht einmal irritiert, sondern lachte einfach auch und war so vertraut.
„Immer liegt der Schlüssel unten und alles andere oben drauf. Man sieht ihn nie“, sagte sie. „Es hängt ein dickes, schweres Herz aus Gold dran.“ Das war der Moment, in dem ich ihren Augenaufschlag zum ersten Mal sah.
Unbeschwertheit schüchtert mich ein. So zwinkerte ich wortlos und ungeübt zurück, als wäre mir ein Insekt ins Auge geflogen, kletterte über ihr Zeug und schleppte mich die Treppe hoch ins Dachgeschoss, wo sich seit kurzer Zeit meine Wohnung befand. Wir müssen ungefähr zur selben Zeit eingezogen sein. Ich hätte den Abend gerne im Bett verbracht und gehofft, früh einzuschlafen, aber bei allem Stress muss sich auch mal amüsiert werden, sagte meine Mutter. Ich würde viel zu wenig für mich selbst tun. So begleitete ich sie nach der Arbeit ins Kino, wie wir dann eben jedes Mal ins Kino gingen, wahlweise ins Theater oder in ein Musical, schon mal mit anschließendem Restaurantbesuch.
Sie zahlt den Babysitter und auch alles andere. Das Gute daran ist, ich kann sitzen und muss mich nicht unterhalten oder werde nicht angewiesen, nach diesem oder jenem Mann zu sehen. Manchmal nicke ich sogar kurz im Dunkeln ein. Sport würde ich auch zu wenig treiben. Ich wäre nicht mehr jung genug, um nichts für meinen Körper zu tun. Das letzte Mal war ich im wellyou, um den Vertrag zu unterschreiben.
An besagtem Abend, als ich Nicki zum ersten Mal traf, schlief ich schon, noch bevor mein Kopf die Matratze meines Bettes berührte und dachte am nächsten Morgen nicht mehr an sie. Stattdessen zog ich ungeschminkt und mit nassen Haaren die Reißverschlüsse an den Jacken meiner beiden Kinder zu, ohne Zipfel vom Pullover oder Haut am Kinn einzuklemmen, bevor wir gemeinsam die Wohnung verließen. Kosmetik betrieb ich dann später am Autospiegel vor dem Verlag, in dem ich arbeitete.
Das zweite Mal traf ich sie am darauffolgenden Samstag in der Kassenschlange vom Drogeriemarkt. Dabei stellten wir fest, dass unsere Töchter im selben Alter waren. Ihre rotblond gelockt, meine tat sich schwer mit dem Haarwuchs. Den Rückweg gingen wir gemeinsam und die Mädchen in ihren Wagen nahmen sich währenddessen die Holztierchen gegenseitig aus den Händen und ließen sie unermüdlich zu Boden fallen. Die meiste Zeit hob ich sie auf, denn Nicki war damit beschäftigt, zu erzählen. Sie sei frisch geschieden und habe einen Job in einer Werbeagentur angenommen. Sie könne ja heilfroh sein, mit der Kleinen überhaupt eine Stelle gekriegt zu haben. Aber na ja, ich wisse ja, wie das wäre: Alltag mit Kleinkind. Dann redete sie die gesamte Strecke weiter und ich hörte zu. Im Hausflur angekommen war ich informiert: Einzel- und Scheidungskind, schockverliebt in einen Architektensohn, schwanger, Studium abgebrochen. Zu diesem Zeitpunkt parkten wir die Briefkästen mit den Kinderwagen zu, nahmen die Einkäufe und die Krabbelkinder heraus. Vor ihrer Wohnungstür im Parterre übergab sie mir ihr Baby und suchte wieder nach dem Schlüssel und das Baby etwas in meinen Haaren.
„Suri scheint dich zu mögen. Sollen die Kleinen vielleicht ein bisschen zusammen spielen? Ich komm dann gleich dazu und bringe ein paar süße Teilchen mit. Wir feiern auf gute Nachbarschaft.“ Ich muss nicht erwähnen, dass eines ihrer Augenlider langsam herabfiel und ihr Lächeln wie eine freundliche Waffe war, die sie einzusetzen wusste.
In meiner Wohnung setzte ich die beiden Kleinen in das Laufgitter und bereitete für meinen Sohn eine Mahlzeit zu. Ich erwartete ihn von einem Ausflug mit seinem Vater zurück. Erfahrungsgemäß haben die beiden Männer vor lauter Kumpelspaß keine Zeit, sich mit Nahrung zu versorgen. Belustigung plus Übernachtung mit Verpflegung ist eine seltene Kombination. Unsere Tochter wird dann meist hier vor Ort noch ein Stündchen bespaßt. Er hätte ‚da so noch keine Bindung aufgebaut‘. Dafür ist der kleine Bursche immer mächtig aufgedreht von Eiscreme und Kletterpark.
„Ah, du hast gekocht, Cara mia.“ Carlos Nase hing bereits im Topf, noch bevor ich ‚Hallo‘ gesagt hatte.
„Ich bin soo hoch geklettert, Mama“, rief der Bub zeitgleich. Er stand noch im Hausflur und reckte seine Arme über den Kopf, hüpfte dann an mir vorbei ins Wohnzimmer und stieg zu den Mädchen in den Laufstall, rief seine Frage, wer denn die Rothaarige da neben seiner Schwester sei, ob Papa mitessen würde und ich sparte mir sämtliche Antworten. Immer haushalte ich mit meinen Kräften an Gesprächen. Ich bin die, die den Weg kehrt, wenn die anderen noch darüber reden, wie der Dreck da überhaupt hingekommen ist. So deckte ich den Tisch für drei und drückte den Kleinen einen Keks in die Hand. Carlo und ich tranken anschließend noch einen Kaffee. Süße Teilchen gab es nicht dazu, dafür eine Sprachnachricht; Nicki würde im Stau stehen, sie wäre noch schnell zu ihrem Pferd in den Stall gefahren. Da müsse ich unbedingt mal mitkommen. Kindern gefiele es dort so gut zwischen all den Tieren. Es folgte eine Salve lobender Worte über meine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft und noch etwas über Nachbarschaftshilfe, dann hupte es und die Aufnahme war beendet.
„Wow, die ist ganz schön am Rotieren“, sagte der Ex. „Das ist doch die Blonde, die unten eingezogen ist?“ Die Bewunderung war ihm anzusehen, weil seine Augen kreisrund erschienen und der Mund Katzenbabies in einem Stück hätte verschlucken können, so breit lächelte er. Ich fragte, wo er denn heute noch so rotieren müsste und begleitete ihn zur Tür, wohlwissend, dass außer Spaß nichts auf dem Tagesplan stehen würde. Einem Kuss konnte ich gerade noch ausweichen, und er streifte mit seinen Lippen mein Kinn, aber sein Lachen hallte im Treppenhaus eine Weile nach.
Meine Stirn lehnt an der kühlen Autoscheibe und ich denke an die Fahrten damals im Schulbus, wenn ich unglücklich verliebt war. In ihrer Wohnung brennt kein Licht. Bevor ich aussteige, schreibe ich ihr eine Nachricht, in der ich sie bitte, heute Abend hochzukommen. Ich muss das klären. So geht’s nicht weiter. Mittlerweile ist Winter und mein Atem gefriert an der Frontscheibe meines alten Wagens. Sie will eine ‚Flasche guten Weines‘ mitbringen, die Kunden in der Agentur seien großzügig und dann würden wir uns einen gemütlichen Mädelsabend auf der Couch machen.
Alles, was ich denke, hat mit Nicki zu tun. Es gibt keine Zeit, die ich nicht zuvor mit ihr abspreche. Ich bringe ihr etwas vom Einkauf mit oder aus der Apotheke, fahre einen Umweg, um ihre Kleine nachmittags aus der Krippe abzuholen, wenn sie aufgehalten wird, und behalte sie dann bei mir, bis es Nicki möglich ist, sie abzuholen. Bis dahin hab ich das Kind bereits drei Mal getröstet, fünf Mal mit Nahrung versorgt, sie umgezogen, weil ich nicht rechtzeitig die Windel gewechselt habe oder sie etwas verschüttet hat, auf die Beule am Kopf gepustet und „Heile heile Segen …“ gesungen, mehrmals die Geschichte von Mama-Bär vorgelesen und sie manchmal einfach für eine kurze Zeit ignoriert. Es verging im vergangenen halben Jahr keine Woche, in der ich nicht wenigstens einmal nachts an Nickis Bett saß, das Babyfon auf dem Schoß, ihre Hand in meiner. Ich erinnere mich, als sie sagte, es wäre nicht die Angst vor dem Schlaf, sondern vor dem Aufwachen. Weil sie, noch bevor sie die Augen öffnet, genau in dem Moment, der sie vom Schlaf ins Wachsein trägt, an das denkt, was sie vergessen wollte, als sie einschlief. Danach haben wir beide geweint. In vielen anderen Nächten liegen Männer in ihrem Bett. Im Job ist sie kreativ, es gibt keine festen Arbeitszeiten und manchmal ist sie erst spät zurück. Dann nimmt sie ihre Kleine bettfertig und schlafend von mir in Empfang, schlägt eines ihrer wimpernschweren Lider langsam zu und wieder auf, haucht mir einen Kuss auf die Wange. Strong and independent woman nennt sie sich im Spaß. Es sei alles eine Frage der Organisation.
Die Kinder übernachten heute bei meiner Mutter, deswegen bin ich noch spät unterwegs, konnte ordentlich was wegarbeiten. Morgen vor dem Frühstück werde ich die beiden wieder abholen, setze meine Mutter bei der Gelegenheit am Tennisclub ab. Schließlich zahlt sie die Autoversicherung.
Doch jetzt ist Feierabend, ich habe sturmfreie Bude, liege endlich in der Badewanne. Ich spreche mir den Text laut vor, den ich später vor Nicki aufsagen werde und lasse immer wieder heißes Wasser nachlaufen, denn ich will auf keinen Fall wieder aus der Wanne steigen. Nicht, weil ich so gerne bade, sondern weil ich sonst etwas anderes tun müsste. Gar nicht mal etwas wie Wäsche zusammenlegen oder Spielzeug aufräumen, Nägel schneiden oder Geschirr spülen. Ich müsste irgendetwas tun, wie auf dem Sofa sitzen und überlegen, ob ich Musik einschalte oder den Fernseher. Ich könnte auch nur im Zimmer stehen und auf die Straße sehen. Ich müsste etwas tun. Meine melancholische Stimmung wird von den Songs The Hics weiter gedämpft und ich habe so viele Kerzen auf den Badewannenrand gestellt, dass ich mir wie aufgebahrt vorkomme. Als ich nach dem Weinglas greife, fällt der aufziehbare Schwimmer ins Wasser und bewegt mit letzter Antriebskraft die Beine. Die Zugschnur schleppt er hinter sich her. Er paddelt schwach, vorwärts kommt er nicht, geht aber auch nicht unter. Ich drücke ihn mit dem Fuß auf den Grund der Wanne, bis er sich nicht mehr rührt und leere das Glas mit dem Rotwein in einem Zug.
Um zehn ist Nicki immer noch nicht da, aber mein Telefon voll von Sprachnachrichten. Eine davon lautet: ‚Hallo Süße. Stell dir vor, wen ich getroffen habe: Deinen Ex. Und du kennst ihn ja. Da sind wir eben versackt. Is ja jetzt schon spät. Du kommst dann besser morgen zum Frühstück runter. Die Kinder spielen und wir quatschen. Ciao, mach dir ’n schönen Abend mal so ganz in Ruhe. Nur für dich.‘ Im Hintergrund ist eindeutig Carlos Lachen aus den üblichen Bargeräuschen herauszuhören und sie schmatzt mit ihren feuchten Lippen einen Kuss in das Telefon, bevor es in meinen Ohren still wird.
Am nächsten Morgen öffnet sie mir verschlafen die Tür. Ich bin schon einmal durch die halbe Stadt geschlittert, eingefroren und wieder aufgetaut, habe mir Lebensweisheiten meiner Mutter angehört, den hungrigen Kindern auf dem Rücksitz „Bis nach Toulouse“ vorgesungen, hab an der Stelle „… als gäb’s kein Morgen mehr“ vor lauter Gefühl meine Stimme verloren, der Bub hat ein anderes Lied gefordert und ich hab dann „Halb so wild“ angestimmt, weil mit Anfang dreißig eben alles nur noch halb so wild ist.
„Komm rein. Bin gleich so weit“, murmelt sie. Im Schlafshirt mit zerwühlten Haaren sieht sie aus wie ein Mädchen. Sie schlurft vor mir her ins Bad, ich biege mit der Brötchentüte in die Küche ab. Meine Kinder flitzen durch die Wohnung und suchen Suri. Die ist bei ihrem Vater. Ich räume den Tisch frei von Papieren, Zeitschriften und Spielzeug und frage vorsichtshalber, ob wir das Frühstück nicht verschieben sollten. Vertrocknete Blütenblätter fallen aus der Vase auf den Tisch. Auf meinem stehen nicht mal Blumen.
„Das ist eine Superidee. Ich komme hoch, wenn die Kleine zurück ist. Er will sie gegen elf bringen. Dann machen wir es uns schön“, sagt sie und es klingt, als würde sie den Text vom Blatt ablesen. Ich hebe an, etwas zu erwidern, doch Musik übertönt meinen Versuch und sie verschwindet hinter dem Duschvorhang wie in einer Film noir-Szene.
Gegen Mittag treffen sie alle bei mir ein. Fröhlich, hungrig und teilweise wie verliebt.
„Ich wollte Nicki überraschen, aber sie meint, sie will grad hoch zu dir und wir können ja alle zusammen frühstücken.“ Carlo zieht die Schultern zu den Ohren und strahlt wie die Sonne Italiens im Hochsommer. Und ich meine, er hat sie vor elf unter der Dusche überrascht. Nickis Suri auf seinem Arm vergräbt die Hände in seinen braunen Locken, während er wohl mehr intuitiv ihr Pausbäckchen küsst. Nicki selbst trägt nur einen Kaschmirpullover in ihrer Augenfarbe und eine enge Jeans. Der Bub springt lachend an seinem Vater hoch, meine Kleine weint und klebt mit einer Hand an meiner Jogginghose. Meinem Naturell entsprechend lasse ich die kleine Gruppe ohne Gesprächsbeteiligung stehen, ziehe überstürzt Mantel und Stiefel an und flüchte aus dem Irrenhaus.
So irre ich durch die Straßen und formuliere eine Ansprache, bis meine Lippen vor Kälte nicht mehr formbar sind und mir der Magen knurrt. Außerdem könnten meine Selbstgespräche auf Passanten unheimlich wirken.
Es könnte schöner nicht sein. Eine fröhlichere Familie hab ich nie gesehen: Ein dunkelhaariger Mann, eine blonde Frau und drei reizende Kinder. Das schießt mir durch den Kopf, als ich zurückkomme. Die Kinder kauern allerdings vor dem Fernseher, vor ihnen eine Tüte Gummibärchen. Carlo versucht Nicki eine Haarsträhne hinters Ohr zu klemmen. Ich weiß, dass die nicht halten wird. Selbstverständlich werde ich erst bemerkt, als ich das angetrocknete Geschirr abräume und nachfrage, was denn heute noch anstehen würde. Vermutlich haben sie nicht einmal bemerkt, dass ich zwischenzeitlich die Wohnung verlassen hatte. Nicki wirft einen Blick aufs Telefon.
„Ach du liebes bisschen. Ich muss los. Florian wartet mit dem Makler. Wir gucken uns doch heute das kleine Reihenhaus an. Er hat mir sogar einen Heiratsantrag gemacht.“ Sie hält das ganz sicher für eine wunderbare Idee und uns den funkelnden Verlobungsring unter die Nase, während Carlo Tränen in die Augen steigen. Wir haben offenbar beide nie zuvor von Florian gehört.
„Ach“, sagt sie und sieht wunderschön aus mit dem gelockten Kind auf ihrer Hüfte, „das wollte ich dir übrigens geben.“
Mit einer Hand kramt sie ihr Schlüsselbund aus der Tasche und hält es mir entgegen. Natürlich zögere ich. Der Haustürschlüssel ist dann doch zu viel des Guten.
„Nur den Anhänger.“ Sie wirkt ungeduldig, aber sie lächelt und Carlo eilt zu Hilfe, fummelt ihn vom Schlüsselbund. Das dicke goldene Herz füllt seine Handfläche aus und er bestaunt es wie einen soeben ausgehobenen Schatz, wissend, dass er ihm nicht zusteht.
„Wenn jemand das haben sollte, dann ja wohl du“, sagt sie mit Pathos in der Stimme und das
Augenlid klappt schnell auf und zu. Sie ist in Eile.
„Bis später dann, ihr beiden Süßen!“ Lautlos geht sie aus der Tür. Carlo legt den Kopf schief, presst die Lippen aufeinander. Schließlich überreicht er mir feierlich das Herz aus Gold. An einer Stelle blättert der Belag.
„So, dann muss ich auch mal los“, sagt er, schlägt sich auf die Schenkel und küsst seine Kinder zum Abschied auf die Köpfe.
Morgen mache ich Schluss. Mit beiden. Aber erst einmal schalte ich den Fernseher aus und weine eine Weile oder besser noch, ich singe laut.