Nie ein Leben nur allein
Vorsichtig baumelnd hängen meine Beine über die Dachkante, zwei Spatzen zwitschern dreckig gegenüber. Ich starre eisern hinunter.
Der kühle Wind vergnügt sich in meinen Haaren, ich warte wohl nur.
Recht hoch hier und sicher schmerzhaft. Mir ist kalt.
Meine Mutter hat gesagt, ich solle mich warm anziehen, es könnte auch regnen. Meine Mutter sagt auch, ich solle mir die Schuhe zubinden, tat weh als ich stolperte. Ein Schnürsenkel hängt noch immer freundlich in den Tag am Schuh herunter.
Die Schuhe sind staubig, es hat noch nicht geregnet.
Glück ist wohl nur Illusion. Dann auch das Leben. Mein Arm schmerzt noch.
Ich starre hinunter.
Vorhin noch sind wir dumm spielend alter Zeit nachgelaufen, es hat nicht geholfen. Eben zu alt dafür.
Leben vorbei, nur noch atmen. Hin und wieder ein Sonnenstrahl, der mir böse ins Gesicht scheint, Augen zu kneifen, sonst nur atmen.
Ich öffne meine Jacke, sie hatte sie nie geschlossen. Doch, im Winter, nur im Winter, auch bei Regen, nicht bei Wind. Mochte keinen Regen, hatte auch heute Angst davor.
Es gibt bald Mittag, meine Mutter wird gleich rufen, ich sitze noch.
Die rostigen Balkone glitzern leicht im Sonnenlicht, der Plattenbau nimmt alles.
Ich lasse mich zurückfallen, es liegt sich gut.
Ein Wolke vor der Sonne, sie zieht vorbei. So geht alles, eine Wolke geht, eine neue kommt, ein Hund bellt, eine Katze rennt. Ob ein Schwarm schwarzer Kater auch Unglück bringt? Einer sehr wohl, ein Kater. Zwei dann nicht mehr.
Ich blinzele als die Wolke vorbei ist.
Mutter ruft. Ich bleibe. Keinen Hunger.
Der Wind frischt auf, ich schließe die Jacke. Richte mich auf, schaue nach unten.
Unheil und Glück verkünden nur Seltenheiten. Nun gut.
Die Spatzen sitzen noch immer, vielleicht fällt einer.
Füttert man sie nur lang genug hier auf dem Dach, würden sie fallen ohne noch fliegen zu können bei ihrem Gewicht. Armer Spatz.
Viele Menschen dort unten, dabei ist nur Sonntag.
Früher hatte ich ein kleines Fahrrad, heute ist die Klingel kaputt.
Wieder falle ich zurück.
Von Zeit zu Zeit denke ich an Früher, kann mich aber schlecht erinnern.
Im Frühling Radtouren mit den Eltern, auch Geschwister dabei. Zwanzig Kilometer, ein Eis und wieder zwanzig Kilometer, dazu noch Sonnenschein. Wir sind wohl leicht zu Alt.
Schön war es schon, doch hier in der Stadt ohne Fahrrad ist es auch wunderbar, keine Menschen die man kennt, nur Gesichter die man nicht einordnen kann. Kein Wort, nur Lärm und Spass dabei.
Wenn ich zur Schule gehe, komme ich zu spät, ein Umweg durch den Park, schön dort. Alter Springbrunnen ohne Wasser, grüne Beete ohne Blumen.
Ich will nicht allein zur Schule gehen.
Früher war das besser. Lustiger gemeinsam.
Irgendwie ist es kalt hier oben. Ich hebe meinen Kopf und sehe nach unten.
Noch immer viele Menschen, aus mir kann nichts werden.
Der andere Schnürsenkel ist auch aufgegangen. Konnte nie gut die Schleifen.
Früher hat sie mir Mutter gebunden, dann ich, oft gestolpert. Seit zwei Jahren macht sie es, in Zukunft wohl wieder öfter Gestolpere.
Irgendwas fehlt da. Bäume vielleicht. Wirkt zu steril, alles Leben heraus gesaugt, besonders da unten.
Ich habe keine Lust zu essen, atmen muss ich aber wohl.
Was nicht mehr selten ist, kann nicht Unheil bringen. Ein Schwarm fliegend schwarzer Kater ist dann nur lustig.
Ich lege mich zurück und schließe die Augen.
Weiß nicht, was ich vorhabe, noch sieben Tage bis zum Ende der Woche, wie immer.
Mich ärgert nicht alles, nur dass ich nichts weiß.
Ich öffne die Augen und blicke hinunter. Das Geld in meinen Taschen reicht für zwei Leben. Wenn wir das gewusst hätten. Menschen dort unten gibt es nicht mehr, auch sie liegt nicht mehr, Gehwegplatten schon immer rot, mein Arm schmerzt auch jetzt noch, war wohl zu schwer.
Habe es weit gebracht, doch nie gelebt, ich sehe auf meine Schuhe, Schnürsenkel offen, ich springe.
[ 08.07.2002, 19:43: Beitrag editiert von: epilog ]