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Nordwand

Seniors
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14.08.2012
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Nordwand

„Sie gestatten, Maestro?“
Michl hängt seine Stofftasche an den ausgestreckten Finger der Statue und entlockt Kathi damit endlich ein Grinsen. Er zieht sich das T-Shirt aus und legt sich ins Gras, die Musik kann er hier genauso gut hören. Es stört ihn nicht, dass sie die Filmleinwand nicht mehr sehen, und Kathi ist es erst recht egal, sie ist seinetwegen da, nicht wegen der Callas. Obendrein ist es kühler unter den Bäumen.
War sowieso eine Schnapsidee, sich auf die Tribüne zu setzen. Zu diesen eitlen Spießern, die so tun, als säßen sie nicht im Stadtpark, sondern wahrhaftig in der Staatsoper. Als er sich mit Kathi im Schlepptau und einer Bierdose in der Hand zu den letzten freien Stühlen zwängte, steinigten sie ihn zwar nicht, aber er spürte, was sie von einem wie ihm halten. Die abschätzigen Blicke auf seine Haare und seine Klamotten waren ihm herzlich egal, auch das lüsterne Schielen der Männer auf Kathis Beine. Aber dann beugte sich während der Ouvertüre so ein feiner Herr vor und regte sich auf. Verzeihen Sie, junger Mann, aber könnten Sie gefälligst Ihre Zigarette? … und sah ihn dabei nicht einmal an, sondern glotzte ungeniert auf Kathis Brüste. Als gäbe es da groß was zu sehen, fehlte nur, dass er sabberte. Das war Michl dann zu blöd und er starrte an dem Typen vorbei auf dessen Alte, mit Verlaub, Gnädigste, aber Ihr Parfum … schnappte nach Luft, schnitt eine fürchterliche Fratze und rutschte theatralisch vom Stuhl. Das hätte er sich natürlich sparen können, noch dazu, weil Kathi sich auch nicht gerade zimperlich zeigte. Kurzerhand hob sie für eine Sekunde ihr Top und streckte dem Alten die Zunge raus. Oh Mann, wie er dieses Mädchen liebte.
Prompt kamen zwei Ordner und zischten was von angemessenem Benehmen, höchstens zwanzigjährige Schnösel, nicht viel älter als er, die Bittschön, junger Herr! zu ihm sagten. Zum Schieflachen, die zwei Witzfiguren mit ihren Mozartperücken.
Doch den Zauber dieses Abends will sich Michl nicht vermasseln lassen. Zu Bellinis Musik streiten? Undenkbar.

Norma stimmt Casta Diva an. Michl stopft sich das T-Shirt unter den Kopf, schaut in den Abendhimmel und lauscht hingerissen.
„… und dann erzählt mir die Sabine, dass sie und der Martin jetzt auch mitfahren. Na großartig. Alle fahren sie nach Ios … echt, ich hab‘s so satt. Tolle Ferien werden das.“
„Mhh.“
„Gestern hat mich der Florian angerufen und gefragt, ob ich nicht doch mitkommen will. Halt ohne dich.“
„Mhh.“
„Michl! Hörst du mir überhaupt zu?“
„Kathi, bitte! Psst, einen Moment nur … Wahnsinn, diese Stimme!“
Wahnsinn, diese Stimme!“, äfft ihn Kathi nach. „Interessiert dich eigentlich sonst noch was? Außer Scheißklettern und Scheißopern? … Verdammt, Michl, schau mich an.“
Er schaut sie an und grinst. Er weiß, dass sie sein Grinsen liebt.
„Klar, Henry Rollins, Iggy Pop, Colin Jerwood, na ja, und eine gewisse Kathi Tostmann, also ein paar Sachen interessieren mich schon noch.“
„In dieser Reihenfolge, ich hab’s geahnt, du Schuft.“ Kathi boxt ihn in die Rippen, aber sie lächelt dabei. Ein bisschen. Er mag dieses Lächeln. Er streckt einen Arm nach ihr aus und zieht sie zu sich ins Gras.
„Wenn ich zurück bin, fahren wir irgendwo hin. Nur wir zwei. Versprochen.“
„Sehr witzig. Im September sind die Ferien vorbei, willst du mich verarschen?“ Sie rückt von ihm ab und setzt sich wieder auf. Sie schlingt die Arme um die Beine, legt das Kinn auf die Knie und schließt die Augen. Wiegt sich hin und her. Jetzt lächelt sie nicht mehr.
„Weißt du, Michl … irgendwie ... ach, vergiss es … so ein Scheißabend!“ Sie zupft am Boden herum, reißt Grasbüschel aus, als könne sie darunter was Tolles finden, vielleicht die richtigen Worte.
„Wirklich, Michl, manchmal denk ich mir … also wenn’s dich einmal wo runterhaut … so richtig mein ich, und … und du …“ Ihre Stimme wird leiser. „Ich glaub, dann wärst du auch nicht weiter weg.“
„Was soll denn das, Kathi, ich bin doch da.“
„Ja, toll. Und in drei Stunden sitzt du im Zug. Bist acht Wochen weg. Sag mal, machst du dich lustig über mich?“ Sie schnieft und fährt sich mit der Hand über die Augen.
„Kathi? Sag bloß, du weinst.“ Michl kniet sich vor sie hin und legt die Hände an ihre Wangen, so sanft, als wären sie zerbrechliches Porzellan. Er schaut ihr in die Augen.
„Kathi, du weißt, wie sehr ich dich mag … Kathi, das weißt du doch.“
„Ja, weiß ich eh …“, schluchzt sie. „Aber in Wirklichkeit ist dir dein blödes Klettern so viel wichtiger. Wichtiger als alles andere.“
Sie lässt den Kopf auf seine Schulter sinken und er nimmt sie in die Arme. Jetzt weint sie richtig. Sie klammert sich an ihn und er spürt, wie ihr Körper bebt und ihre Tränen seinen Rücken hinabrinnen. Michl starrt in den Park und weiß nicht, was er sagen soll. Sie weiß doch, dass er sie liebt. Er schaut in das steinerne Antlitz Anton Bruckners, als könne er darin die richtigen Worte finden. Ausgerechnet Bruckner, dieser unglückliche Tropf, denkt er, dieser gottbegnadete Trottel, wie ihn Gustav Mahler angeblich nannte, weil er gleichermaßen beeindruckt war von Bruckners musikalischem Genie und dessen Tölpelhaftigkeit im Umgang mit Frauen. Womöglich gäbe es gar keine herzzerreißenden Kunstwerke, denkt Michl, würden manche Künstler nicht so grausam leiden. Er streichelt Kathis Rücken und weiß noch immer nicht, was er sagen soll.
„Drei Wochen Griechenland, meine Güte. Als würde ich weiß Gott was verlangen. Die blöden Berge rennen dir doch nicht davon. Ich glaub’s einfach nicht.“ Kathi löst sich aus seinen Armen und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. „Du bist so ein Sturschädel, ein herzloser, wirklich.“
„Kathi, ich ...“
„Ein verdammter Egoist bist du.“
Sie steht auf und atmet tief durch.
„Kathi? Ich hab' noch zwei Stunden bis zum Zug, wir könnten ...“
„Vergiss es, Michl. Vergiss es einfach. Bitte. Ich geh jetzt nach Hause und ruf den Florian an. Passt auf euch auf … mach’s gut, Michl.“

Sie küsst ihn nicht einmal zum Abschied, dreht sich einfach um und geht davon und schaut kein einziges Mal zurück. Michl beißt sich auf die Lippe. Zieht Rotz die Nase hoch und blinzelt. Bei der Uraufführung von La Sonnambula sollen Publikum und Sänger von der Musik zu Tränen gerührt gewesen sein, hat er irgendwo einmal gelesen und daran muss er denken, während er Kathi nachblickt. Das muss man sich einmal vorstellen, ein ganzes Opernhaus, erfüllt von hundertstimmigem Schluchzen, verrückt. Er schluckt und fährt sich mit den Händen durch die Haare. Die geht wirklich! Von hinten sieht sie aus wie ein blonder, strubbelhaariger Junge. Oh Mann, sein Mädchen! Sein schlankes, wunderschönes Mädchen.
Er legt sich ins Gras und starrt in den Himmel. Die Luft ist drückend schwül, kein Windhauch regt sich. Das wird heute noch ein ordentliches Gewitter geben, denkt er, fast freut er sich darauf. Wünscht es sich herbei. Jetzt. Stellt sich vor, wie die feine Gesellschaft in Panik ausbricht. All die aufgetakelten Weiber, die dann auf ihren Stöckelschuhen herumtrippeln, kreischend und kichernd wie Schulmädchen. Und diese Arschlöcher werden ihre Sakkos ausziehen und über Frauenschultern legen, edelmütig, beflissen, und nach Taxis winken, diese Helden. Zum Kotzen.
Scheiß doch drauf. Scheiß auf diese Spießer. Übermorgen ist er in Chamonix und sobald das Wetter passt mit Sylvio in der Jorasses-Nordwand, also was soll’s. In der Cassin am Walkerpfeiler, wenn alles gut geht, oder gar in der Colton-McIntyre. Mit neunzehn, Wahnsinn. Ein aufregender Sommer liegt vor ihm, sein ganzes Leben liegt vor ihm. Er rollt sich auf den Bauch und schnappt sich das Bier. Wird er besser schlafen können im Zug.
Norma und Adalgisa beschwören ihre Freundschaft, Adalgisa verspricht, sich um die beiden Kinder Normas zu kümmern, ein wunderschönes Duett. Trotz der Hitze stellen sich die Härchen auf Michls Unterarmen auf. Wie heißen die zwei Kinder nochmal, haben die überhaupt Namen? Er kann sich nicht erinnern. Er streckt sich nach der Tasche und zieht sie von Bruckners Zeigefinger, müssten noch ein paar Bier drin sein, Kathi wollte ja keines. Das Bier ist mittlerweile lauwarm, aber das ist ihm egal. Vorsichtig reißt er eine Dose auf.
Was zum Teufel soll er auf Ios? Mit dieser Bande von Langeweilern. Tagelang am Strand herumliegen und Softball spielen? Mit Florian? Toll. Und bei der allabendlichen Strandparty gibt’s Musik von Modern Talking und ABBA.
Er verstand nie so recht, was Kathi an diesen Strebern findet, wirklich erklären konnte sie es ihm auch nicht. Sind halt meine Freunde, schon immer, seit der Volksschule, sagt sie. Die Sabine mit ihrem eigenen Scheißreitpferd in Altlengbach und der Florian mit seiner Föhnfrisur und den Cashmere-Pullovern und den handgenähten College-Schuhen. Dessen aufregendstes Abenteuer bisher war, hinter dem Magic im Volksgarten an einem Joint zu ziehen. Und dessen größte Heldentat im zukünftigen Leben darin bestehen wird, die Immobilien seines Vaters zu erben. Ein richtiger Held. Diese ganze Bande von Neunzehnjährigen, die sich benehmen wie Vierzigjährige, so vorhersehbar, so besonnen, so erbärmlich hedonistisch. Und alle studieren sie Jura oder Betriebswirtschaft, was sonst. Richtige kleine Scheißerwachsene. Richtige Arschlöcher.
Die passt doch gar nicht zu denen. Er kennt sie doch, er weiß, dass sie anders ist. Als er sie im Frühling auf den Sonnblick mitschleppte, war sie hingerissen, da fühlte sie doch diesen Zauber. Er öffnet die nächste Dose und die schäumt wie verrückt. Natürlich jammerte sie, weil es so anstrengend war. Aber es gefiel ihr, das spürte er, das bildete er sich doch nicht ein.
Ist er ein Scheißegoist? Oder einfach nur ein Idiot, der nicht erkennt, dass Kathi sein Wunder ist? Das wirkliche Abenteuer seines Lebens. Und der dieses Wunder nicht festhält und vorübergehen lässt? Sylvio hätte sicher eine passende Antwort parat. Kiss or kill. Irgendsowas.


Er ist aufgekratzt und einigermaßen betrunken, als er zu Hause das notwendige Zeugs zusammensucht. Er wühlt in der Kiste mit dem ausgemusterten Kletterzeug, lauter altes Klumpert, aber er braucht ja nicht viel. Seil, Gurt, Abseilachter. Eine Steigklemme wäre nicht schlecht, aber seine ganze Ausrüstung ist längst bei Sylvio. Pfeif auf die Steigklemme, denkt er, geht sich locker aus bis runter, ist keine dreißig Meter hoch, die Hausmauer, und aus der Baugrube kommt er raus wie nix!
Er stopft die Lacksprühdosen und den Walkman in den Umhängebeutel. Und natürlich ein Dose Bier und Tabak. Die wirklich wichtigen Dinge eben. Dann durchsucht er seine Musikkassetten. So eine Aktion verlangt nach einem angemessen Soundtrack, denkt er in seinem Dusel und sieht dabei irgendeine Filmszene vor sich.
Black Flag ist perfekt beim Aufstieg auf den Baukran und beim Abseilen vom Kranausleger aufs Dach. Und dann, wenn er sich in die Hauswand seilt und sich ans Werk macht? Noch einmal Norma mit der Callas? Nein, die Tannhäuser-Ouvertüre, noch besser. So malt er sich das aus. Das ist sein Plan, alles andere wird sich schon ergeben, weil, ganz einfach, er ist neunzehn und unverwundbar und unsterblich, das ist sein Mantra. Das wird schon gehen irgendwie.


Das Material ging ihnen aus bei ihrem haarsträubenden Rückzug vom Crozpfeiler, runtergeflogen sei ihnen auch einiges, schon vorher, beim Herumgemurkse in dem verdammten Sturm, ja, das erzählten ihm Max und Sylvio, als sie ihm damals das ausgeborgte Zeug zurückbrachten, irgendwann im März war das. Und dass sie eben Stück für Stück von Michls Seil absäbelten, weil sie Schlingen für die Abseilstellen brauchten. Es war das ältere von den beiden, die sie mithatten, Pech gehabt. Hatten sie eine Wahl? Und ja, sie schafften es bis zum Wandfuß und im Schneesturm über den Gletscher rüber zur Leschauxhütte, alle Achtung, keine Gefangenen, keine Verletzten. Zurück in Wien war ihr Leben um eine schauerliche Legende reicher, auch wenn sie nach wenigen Wochen nicht mehr von den elendigen Strapazen sprachen, sondern nur noch vom grandiosen Scheitern, aber im nächsten Winter garantiert, wollen wir wetten? … Und Michls Seil ist seit damals eben ein bisschen kürzer. Tolle Geschichte.
Dass es mindestens zehn Meter sind, die fehlen, sagten sie ihm nicht, und Michl kam nie auf die Idee, nachzumessen, wozu auch, die zwei sind seine besten Kumpel und das Seil war sowieso zum Weghauen. Und jetzt hängt er da wie der allerletzte Idiot, in der Hitze der Nacht, an einer fensterlosen Nordwand mitten in der Stadt, was für ein Witz!

„He, Sie da oben! … Was machen Sie da?“
Michl zieht die Kopfhörer von den Ohren. Am Rande der Baugrube sieht er einen Mann mit einem Dackel an der Leine. Beide starren zu ihm hoch. Der Dackel kläfft.
„Ich, äh … alles in Ordnung … gehen Sie weg!“, ruft er in die Tiefe und wischt sich mit der freien Hand den Schweiß von der Stirne, aus den Augen, vom Nacken. Er hat noch nie so eine heiße Nacht in dieser Stadt erlebt.
Hau einfach ab. Bitte, bitte, flüstert er. Und renn um Himmelswillen nicht zur Polizei, du alter Zausel, tu einfach so, als hättest du mich nicht gesehen. Bitte. Ein paar Augenblicke noch sieht er den Alten zu ihm hochstarren, dann zeigt ihm der den Vogel, dreht sich kopfschüttelnd um und verschwindet.
Die schwarze Wolkenwand rückt näher. Erste Böen fegen über die Dächer, immer öfter zucken nun auch Blitze und Michl zählt die Sekunden bis zum Donner.
Er starrt hinab in die Baugrube. Und jetzt?
Irgendwo da unten, fünfzehn Meter unter ihm, pendeln die Enden des Seils, ein gutes Stück über dem Kellerfundament des Rohbaus, vier oder fünf Meter, so genau kann er das im Dunkeln nicht sehen. Ist auch egal, so oder so ist es zu kurz, das verfluchte Seil. Und die letzten Meter kann er unmöglich abspringen, der Boden gleicht einem Wald aus Betonrippenstahl. Erst letzte Woche stand was in der Zeitung von einem Typen, der auf einer Baustelle in die Bewehrungseisen flog, ein Obdachloser. Der wollte nur zu seinem gewohnten Schlafplatz. Lag dann die ganze Nacht da und konnte sich nicht rühren, war aufgespießt wie ein Käfer, gehört hat ihn niemand. Armes Schwein.
Michl spürt die ersten Regentropfen. Das Gewitter fehlt ihm jetzt gerade noch.
Die Vorstellung, die Nacht hier zu verbringen, ist grotesk. Er hängt schon viel zu lange im Sitzgurt und seine Beine kribbeln und fühlen sich taub an. Und noch mehr quält ihn die Vision des lächerlichen Bildes, das Kathi morgen Früh beim Blick aus ihrem Fenster sähe. Er darf gar nicht daran denken. Bliebe nicht viel übrig von seiner tollen Überraschung. Nur ein Versagen, ein peinlicher Witz. Jämmerlich. Schön langsam dämmert Michl, dass sein toller Plan gehörig schiefgeht.
Was würde Sylvio jetzt tun, fragt er sich. Wenn’s einem wo nicht taugt, muss man woanders hin, würde der sagen, wenn man nicht weiter raufkommt, muss man wieder runter, und wenn’s nicht mehr runter geht, muss man halt rauf. Keine halben Sachen, keine Gefangenen. So was würde Sylvio sagen und dabei lachen. Kiss or kill.
Runter kommt Michl nicht, also muss er zurück aufs Dach, ganz einfach. Scheiß auf die Sicherung, er hat schon wildere Sachen geliefert. Kurzentschlossen packt er die zwei Seilstränge, zieht sich hoch und entlastet so den Abseilachter. Mit der linken Hand greift er nach dem Karabiner und löst ihn vom Sitzgurt. Jetzt hängt er nur noch an den Armen und genau in diesem Augenblick öffnet der Himmel endgültig die Schleusen. Als hätte er darauf gewartet. Na und, sind höchstens acht Meter, ein Kinderspiel, zwanzig Klimmzüge und er ist oben. Er stellt sich Sylvio vor, wenn der an einer heiklen Stelle, weit über der letzten Sicherung, sich selber Mut macht und seinen Lieblingssong zu singen beginnt, atemlos und mit zusammengebissenen Zähnen:
It’s one thing to hold a hammer in your hand
But do you have it in you, can you pound that nail?
So many of you line up, but so few of you cross the line.
Talk is talk, kill is kill.

Das ist Sylvios Mantra.
Hand über Hand zieht sich Michl hoch. Er schrammt mit den Knien an der Hausmauer, haut sich am Verputz die Fingerknöchel blutig und auf der Stelle wäscht das herabstürzende Wasser das Blut wieder ab. Ein reinigendes Gewitter. So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt. Michl fühlt sich großartig. Dann ist er oben. Mittlerweile hagelt es.
„Sylvio, das glaubst mir nie!“, brüllt er in den Donner. Er streckt die rechte Hand zur Dachkante und findet an einem Blechfalz einen guten Griff. Dann schwingt er das rechte Bein hoch, hakt den Fuß über die Kante und lässt mit der Linken das Seil los, um nachzugreifen. Er tastet nach einem Halt, findet einen, will zupacken und rutscht ab.

Michl öffnet die Augen und schaut in einen dunkelblauen Himmel. Er friert. Er fühlt sich wie ein Stein, eisig und erstarrt, wie ein Stück vom Berg. Ob Sylvio auch so kalt ist?
Der Morgen graut, es ist die Stunde vor dem Sonnenaufgang. Die kälteste und längste Stunde beim Biwakieren, die grausamste und die schönste. Michl ist müde, aber er zwingt sich, wach zu bleiben und die Augen offen zu halten. Er will dem Himmel zuschauen und keinen Moment versäumen. Er will dem magischen Farbenspiel zuschauen, dem Verschwinden der Sterne. Er will das Morgenlicht beobachten, wenn es im Osten über die Gratlinie hochschwebt. Mandarinenrot nennt Sylvio diese Himmelsfarbe, manchmal sagt er auch goldfischig dazu, oder flamingoarschrosa, dem fällt immer was ein.
Die Felswand über ihnen liegt noch im Dunkeln, aber lang kann es nicht mehr dauern und der Granit wird aufleuchten, angezündet von der Sonne, und er wird zusehen, wie das Licht und die Wärme den Fels herunterwandern. Glühende Goldfische, die ihm entgegenschwimmen. Die Eisrinnen werden Blitze schleudern und dann, wenn ihn die Sonnenstrahlen erreicht haben und seine tauben Finger warm geworden sind, wird er sich eine Zigarette drehen und den Walkman aus dem Rucksack kramen und dann …
Er reißt die Augen auf. Er schaut in ein Schneegestöber, er sieht keinen Meter weit. Ein Wettersturz, heilige Scheiße, das darf‘s doch nicht geben! Sylvio? Sylvio, wach auf …
Michl erwacht. Er hat von Schnee geträumt, aber der Himmel ist klar und viel heller als zuvor. Seine Augen fühlen sich seltsam an, irgendwas ist mit seinen Augen. Er bekommt sie kaum auf, als wären sie verklebt. Ist wahrscheinlich nur ... ach was, denkt er, das wird besser werden, wenn die Sonne da ist, gleich muss es so weit sein, so hoch oben wie sie sind, schon fast am Himmelsrand eigentlich … Sie sind weit rauf gekommen gestern, nur noch vier oder fünf Seillängen und sie sind auf dem Gipfel. Auf der Point Walker? Auf der Croz?… Sylvio, wir sind doch an der Jorasses, oder? Dann muss dieser Zacken da drüben der Dent du Géant sein, und gleich wird dahinter … bitte, Sonne, bring endlich deinen Arsch in die Höhe, mir ist so scheißkalt, bitte, Goldfisch, bitte! … das Zauberwort. Ein goldener Lichtfleck erstrahlt am Grat über ihnen, wird größer und rutscht schräg die Felswand herab, ganz langsam … mit zusammengekniffenen Augen sieht er dem Wunder entgegen, ihrem Feuer. Da oben, das müssen schon die Ausstiegsrisse sein, gleich über dieser Schrift. Wir habens wieder mal geschafft, Sylvio. Wir sind so gut wie oben, denkt er und starrt dabei auf große rote Buchstaben. Träumt er? Nein, da steht wirklich was geschrieben. Er verflucht seine Augen, zwingt sie von Buchstabe zu Buchstabe. CHAMONIX … KANN … WARTEN … was soll denn das heißen? Ist das irgendso eine Reklamescheiße? In der Grandes Jorasses-Nordwand? Das gibt’s ja nicht, ist diesen Arschlöchern denn gar nichts mehr heilig? Sylvio, wach auf, das musst dir anschauen, das ist total irre …

Die Sonnenstrahlen erreichen seine Stirne. Ein silbrig glitzernder Lachs, der ihm mitten ins Gesicht springt.
Michl schließt die Augen. Ihm ist kalt. Er ist schrecklich müde.
„Sylvio?“, flüstert er. „Kathi?“
Sein ganzes Leben liegt vor ihm.


(Songtext zitiert aus On the Day von Henry Rollins)

 
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Hallo ernst offshore,

die Rubrikwahl finde ich nicht gänzlich nachvollziehbar. Auf der anderen Seite behandelst du dein Kernthema mit Leidenschaft, und so gesehen auch teilweise romantisierend. Aber egal.

Ich finde deinen Text gut geschrieben, sehr dicht und sehr intensiv dran an der Passion deines Prots. Und so klettert dieser Michel, der den Kopf voll junger Auflehnung und Abenteuerlust hat, aus Übungszwecken in der Nacht mitten in der Stadt seinem dramatischen Ende entgegen.

Die Geschichte hat einen besonderen Inhalt, den du versiert darbietest, das macht sie interessant. Kathi bleibt als Figur ein wenig blass, sie ist irgendwie so ein Allerweltsmädchen ohne Ecken und Kanten, fast nur eine Stichwortgeberin für den Helden, der durch und irgendwie auch gegen sie seinen Individualismus verteidigen muss und will. In dem Gespräch erfährt man viel über Michel, und nicht so viel von Kathi.

Irgendwie ist aber klar, dass die beiden nicht zusammenpassen.

Sylvio ist die Leitfigur des Prots, ein Typ, der alles schafft und alles hinkriegt, das ist eine besonders starke Stelle der KG, wie die Freunde ihre Beinahe-Kletter-Katastrophe als nächste Kerbe für Mut betrachten, die nächste tolle Story, die man erlebt hat. Und irgendwie giert man doch nach diesen Abenteuern, auch, um sich von den Langweilern abzugrenzen. Die Langweiler beschreibst du etwas stereotyp, aber es gibt sie natürlich genau in dieser Form, und ich finde das okay so.

Irgendwo schreibst du mal Kassette. In welcher Zeit spielt das wohl? Es gab noch Kassetten?

Ich glaub, den einen oder anderen Fehler gesehen zu haben, aber es spricht für deine Geschichte, dass ich lieber weiterklettern ... ähm ... weiterlesen wollte.

Was mir aber gleich am Anfang auffiel:

Zitat: Es stört ihn nicht, dass sie die Filmleinwand nicht mehr sehen, und Kathi ist es erst recht egal, sie ist wegen ihm da, nicht wegen der Callas.

seinetwegen!

Ich ziehe mir z. Z. gerade das Hörbuch "In eisigen Höhen" von John Krakauer rein, da geht es um das ultimative Klettern. So war ich auch empfänglich für deine Geschichte, die das Klettern in einer überschaubareren Höhe darstellt, aber kaum weniger gefährlich.

Hat mir gefallen.

Rick

 

Hallo ernst,

warum auch immer, bisher bist du mir bisher durch die Lappen gegangen. Heute also zum ersten Mal eine Geschichte von dir gelesen. Ich war so begeistert von dem Teil, dass ich mir gleich deinen Erstling hinterher gegeben habe. Und ich muss sagen: Wow, mit dir haben wir hier auf kg.de einen richtig guten Schreiber dazugewonnen. :)
Normalerweise habe ich beim Lesen einer Geschichte immer zwei Fenster offen, einmal die Geschichte selbst und dann den Editor, in den ich mir dann gleich die Sachen reinkopiere, die ich im Anschluss besprechen möchte. In seltenen Fällen bleibt der Editor ungenutzt. Das passiert nur, wenn ich so von der Geschichte eingenommen werde, dass der Lesegenuss den Kritiker zum Schweigen bringt. Diese Geschichte war so ein Fall. Sehr spannend, sehr stark. Womöglich wirst du dir ein bisschen kritik einfahren wegen des sehr reflektierten Erzählers (so ähnlich hattest du den ja in deiner ersten Story auch angelegt), aber wenn es gut geschrieben ist, dann mag ich sowas sehr gerne. So wie hier.
Ein Pluspunkt auch dafür, dass du das Aufwachen nicht hast im Krankenhaus spielen lassen, am besten noch mit den Angehörigen oder/ und Kathi. Das wirkt hier in dieser angewahnten Einsamkeit viel heftiger.

Sehr gerne gelesen
grüßlichst
weltenläufer

 

Hallo, lieber ernst offshore
dass du schreiben kannst, das wusste ich ja schon immer (also äh, seit deiner ersten Geschichte, wo ich deiner Ansicht nach mit Quinn zusammen guter und böser cop gespielt habe. Aber wenn das dabei rauskommt, mach ich das gern nochmal.) Ein toller Plan heißt sie und ist eine tolle Geschichte. Ein großes Kompliment von mir. Meine Güte, was könnt ihr alle schreiben. Echt spannend und mitreißend. Da wird man ja richtig neidisch.
So, jetzt aber genug mit dem Gelobe, sonst wirst du noch schamrötlich und ich verlier die Tasten vor lauter Komplimentiererei.

Zur Geschichte:
Wie weltenläufer fand auch ich ganz besonders gut, dass du ihn im Freien hast aufwachen lassen und er da sein Zwiegespräch mit Silvio führen kann. Da hat man mitkriegen können, was ihn bewegt, wie er denkt und fühlt. und deine Beschreibungen von Licht und Sonne und dem Himmel, das mag ich schon sehr. Stellvertretend einfach mal diese Stelle:

Mandarinenrot nennt Sylvio diese Himmelsfarbe, manchmal sagt er auch goldfischig dazu, oder flamingoarschrosa, dem fällt immer was ein.
Die Felswand über ihnen liegt noch im Dunkeln, aber lang kann es nicht mehr dauern und der Granit wird aufleuchten, angezündet von der Sonne, und er wird zusehen, wie das Licht und die Wärme den Fels herunterwandern. Glühende Goldfische, die ihm entgegenschwimmen. Die Eisrinnen werden Blitze schleudern und dann, wenn ihn die Sonnenstrahlen erreicht haben und seine tauben Finger warm geworden sind, wird er sich eine Zigarette anstecken und den Walkman aus dem Rucksack kramen und dann …

Zwei Fragen hätte ich aber dennoch:
1. Es ist mir peinlich und es hat mich auch nicht weiter gestört, aber wo klettert er denn da runter? Er klettert auf einen Baukran hoch, lässt sich von dort auf ein Dach runter und dann klettert er von dort aus eine Hauswand runter. Oder? Und wo ist das dann hier?
Er lässt das Seilende los und sieht zu, wie es neben das andere Ende pendelt, irgendwo da unten, fünfzehn Meter unter ihm, aber gute sechs Meter über dem Kellerfundament des Rohbaus, oder nur vier oder fünf, so genau kann er das im Dunkeln nicht erkennen, ist auch egal, so oder so ist es zu kurz, das verfluchte Seil.
Er starrt hinab in die Baugrube. Ein Wald aus Betonrippenstahl ragt ihm entgegen.
Also ich krieg das nicht so ganz zurechtklamüsert. Aber vielleicht liegts ja auch an mir.
2. Der Stellenwert der Arientexte ist mir nicht so klar. Ich hab kein Problem damit, gibt ja echte Gegner davon, Liedtexte als Zitat voranzustellen oder einzubauen. Und im Prinzip leuchtet mir deren Argumentation auch ein, jedenfalls in den meisten Fällen, und wenn es sich mitten im Text befindet. Hier die Arientexte haben mich weder gestört noch einen informativen Zusatz gebracht, ich hab sie einfah überlesen. Sie machen so ein bisschen Atmosphäre, aber ich kann kein Italienisch, vielleicht hätte ich vom Spanischen her mir was erschließen können, aber hab ich gar nicht probiert.
Du hast die immerhin dreimal eingebaut. Sind das die Originaltexte oder stammt das von dir? Wie auch immer, bei dreimaligem Einbauen denkt man, das wär nicht nur die Atmosp., sondern hätte auch was mit der Geschichte zu tun. Aber wenn mans gar nicht versteht, hmm. Schwierig. Wie war das denn gemeint?

Also sehr, sehr gerne gelesen. Ich krieg direkt Lust, genau wie Rick mal wieder die alten Schinken von jener unseligen Everest-Expedition zu lesen. Besonders spannend fand ich die unterschiedliche Perspektive von dem Krakauer Buch und dem Buch von Anatoli Boukreev. Aber auch das Buch von Beck Weathers, nicht so ein Ankommer war, fand ich gut. Aber ich schweife ab.
Du siehst, du bringst einen auf Ideen.
Noch einen leckeren kleinen Sonntag ...
Liebe Grüße
Novak

 

Lieber Rick, lieber weltenläufer, liebe Novak

sonst wirst du noch schamrötlich

befürchtetest du, liebe Novak. Nicht zu Unrecht, kann ich nur sagen. Momentan glühen meine Wangen goldfischig, flamingoarschrosa, was weiß ich, kannst dir’s aussuchen …
Nein im Ernst: euer geballtes Lob macht mich momentan ein bisschen sprachlos. Aber sobald ich ein wenig Muße hab, werde ich auf eure Kommentare näher eingehen, vor allem zu Novaks Fragen bezüglich der Abseilszene und der Arienzitate gibt‘s ja wirklich einiges zu erklären.
Aber jetzt geh ich erst mal ins Eckbeisl auf ein Bier (oder zwei) und das könnt ihr sicher verstehen.

Vielen Dank euch allen und einen lieben Gruß aus Wien
offshore

 
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Servas Rick,

Ich glaub, den einen oder anderen Fehler gesehen zu haben, aber es spricht für deine Geschichte, dass ich lieber weiterklettern ... ähm ... weiterlesen wollte.

Dafür vielen Dank und damit gleich mal zu dem kapitalen Bock, den ich in der dritten Zeile geschossen habe:
Das grammatikalisch korrekte seinetwegen hast du natürlich zu Recht urgiert und ich hab’s schon ausgebessert. (Da ist wohl Michls, respektive mein Wienerischer Jargon mit mir durchgegangen.)

Und zur Rubrikwahl: gibt’s was Romantischeres, als einen Typen, der für eine (zugegeben ziemlich durchgeknallte) Liebesbekundung sein Leben aufs Spiel setzt?

Kathi bleibt als Figur ein wenig blass, sie ist irgendwie so ein Allerweltsmädchen

Das tut mir mehr weh als dir, glaub mir. Ich hab mich nämlich beim Schreiben richtiggehend verliebt in das Mädchen (du müsstest sie mal sehen, mit ihren braungebrannten Beinen und dem gelben Sommerkleid. Alter!…und erst ihre blonden Strubbelhaare …)
Ich hatte ursprünglich auch mehr vor mit Kathi, hab mich dann ordentlich zu verzetteln begonnen, mit Rückblenden und so, und letztendlich ganz viel wieder rausgehaut aus der Geschichte, weil sie mir über den Kopf zu wachsen drohte. (aber zum Glück bleibt sie ja am Leben, bleibt mir sozusagen erhalten für eventuelle zukünftige Geschichten, wer weiß?)

Irgendwo schreibst du mal Kassette. In welcher Zeit spielt das wohl? Es gab noch Kassetten?

Aus deinem Profil kann ich leider nicht ersehen, wie alt du bist, und es wäre mir jetzt furchtbar peinlich, würde ich einem, was weiß ich, z.B. Fünfzigjährigen davon erzählen, dass es mal finstere Zeiten gab, in denen das Handy ein beinahe unerschwingliches Nischenprodukt und der MP3-Player noch gar nicht erfunden waren und das winzige tragbare Kassettenabspielgerät, der Walkman, bei uns jungen Bergsteigern als das genialste Ding seit der Erfindung der Steigeisen galt. Darum lass ich’s besser bleiben …
Aber jetzt im Ernst: die Geschichte von Michl und Kathi könnte natürlich zu jedem beliebigen Zeitpunkt spielen. Dass ich sie Mitte der 1980er ansiedelte und das durch Details anzudeuten versuchte, liegt wohl daran, dass extremes Alpinklettern damals noch keine Trendsportart, sondern ein echtes Minderheitenprogramm für ein paar Verrückte war, und unter diesen Verrückten gab‘s halt ein paar, die nicht nur von den Bergen, sondern gleichzeitig von Punkrock besessen waren, die radikale Antithese zu Luis Trenker gewissermaßen. Dieses elitäre Außenseitertum hatte ich im Kopf, ob ich‘s dem Leser vermitteln konnte, weiß ich nicht, ich hatte beim Schreiben ohnehin die ganze Zeit das Gefühl, mich furchtbar zu überheben an der Geschichte. (Scheiß drauf, würde Michl wohl sagen)

Ich freu mich ehrlich, dass es dir gefallen hat.


Servas weltenläufer,

du bekommst nur eine kurze Antwort, aber:

Ich war so begeistert von dem Teil, dass ich mir gleich deinen Erstling hinterher gegeben habe. Und ich muss sagen: Wow, mit dir haben wir hier auf kg.de einen richtig guten Schreiber dazugewonnen.

was sagt man, wenn man als blutiger Anfänger so einen Kommentar bekommt? Da kann man sich doch nur sprachlos aufs Sofa setzen, dämlich grinsen und sich denken: Wahnsinn, und wenn er der einzige ist, genau für ihn hab ich die Geschichte geschrieben, wow! Und dass du dir dann auch noch Störks Ende reingezogen hast, hat mich umso mehr gefreut.


Liebe Novak,

vor allem dir möchte ich gerne noch einiges erzählen und mir wirklich Zeit nehmen dafür, aber in den letzten Tagen war ich dermaßen verstrickt in meine Geschichte, dass ich daneben ein paar Sachen, na sagen wir mal, etwas vernachlässigt habe (im wirklichen Leben), und die gilt es jetzt erst mal aufzuarbeiten.
Du bist mir nicht böse, wenn du auf die Antwort noch ein wenig warten musst?

Vielleicht kommt ohnehin noch der eine oder andere Kommentar, der eure Urteile relativiert, mir den Kopf wieder zurechtrückt und mich die Geschichte etwas nüchterner betrachten lässt. Dann kann ich auch versuchen halbwegs seriös zu antworten.

Ganz lieben Gruß
offshore

 

Hey ernst offshore,

ich mag den Kern deiner Geschichte, den Stil nur vereinzelt. Diese Stelle hier zum Beispiel:

Diese ganze Bande von Neunzehnjährigen, die sich benehmen wie Vierzigjährige, so vorhersehbar, so besonnen, so erbärmlich hedonistisch.
Solche Sätze in deiner Geschichte mag ich, und das sagt sie dann auch irgendwie, deine Erzählung. Einen riesigen Kontrast erzeugst du zwischen dem Mädchen, ihren "griechischen" Freunden und deinem Protagonist. Du zeichnest ihn, den Rest lässt du als bloße Skizze stehen.

Die Szene mit dem Mädchen gefällt mir am besten, die Szene, wo er am Kran hängt (?) ist ja eher so eine metaphorische Stelle auch. Das hast du gut gemacht, finde ich, man kann da viel hineinlesen, und so was mag ich eigentlich auch, aber so schlüssig ist das Ganze für mich am Ende nicht. Ein toller Plan ... der Plan scheint sich gegen alle zu richten. Gegen diese Scheißhelden. So lese ich diese Geschichte und der Michl kommt mir vor, wie einer, die von Klippen springen, weil sie ohne Risiko nicht leben können, weil sie den Tod spüren müssen, um das Leben zu fühlen. So krass thematisiert du das zwar nicht, aber ich lese es ein bisschen so. Michl kämpft und man weiß nicht, ob er den Kampf verliert oder gewinnt, vielleicht auch beides.

Interessant fand ich, dass er sich auch nicht helfen lassen will. Die Einwürfe und Erinnerungen an Sylvio haben mir auch gefallen. Wobei mir das etwas zu künstlerisch wirkt, zu viel Appell.

Ein paar Anmerkungen noch:

Er stopft zu den Lacksprühdosen den Walkman in den Umhängebeutel.
Er stopft den Walkman zu den Lacksprühdosen in den Umhängebeutel.

So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt.
Ein ausgesprochen schönes Bild, das zwar ein bisschen wackelt, mir trotzdem sehr gut gefällt. Die Fülle an Fischvergleichen verstehe ich allerdings nicht.

Er fühlt sich wie ein Stein, eisig und erstarrt, wie ein Stück vom Berg.
Wie ein Stein? Ich weiß nicht. Der Vergleich geht unter, wenn du schreibst, der Ich-Erzähler fühlt sich wie ein Stück vom Berg, das ist richtig gut!

Die eingeschobenen Liedtexte helfen mir auch nicht groß weiter, weil ich sie nicht verstehe. Vielleicht erschließe sich da noch etwas viel Größeres. Wäre nett, wenn du dazu etwas sagen könntest.

Ich habe überlegt, was mich an deinem Stil stören könnte. Zu einem großen Teil ist es Geschmacksache, aber du schreibst sehr wie man spricht.

Die schwarze Wolkenwand rückt näher. Bedrohlich und schön. Immer öfter zucken Blitze und Michl zählt die Sekunden bis zum Donner. Erste Böen fegen über die Dächer und Wind kann er jetzt am allerwenigsten brauchen. Er lässt das Zippo aufschnappen und hält die Flamme ans Seil, wieder und wieder. Es will ums Verrecken nicht anbrennen, bevor er ein Stück ab hätte, wäre längst das Gewitter da, das ahnt er und dann kann er auch das Feuerzeug vergessen. Und dann? Soll er die drei Meter für eine Trittschlinge abnagen, oder was? Allmählich gehen ihm die Ideen aus.
Hier sieht man gut, wie du das mischt. Bis zu "Es will ums Verrecken nicht anbrennen" ... gefällt mir das ganz gut, dann schlägt es um. Ich hoffe, du kannst zumindest nachvollziehen, was ich meine. Auf der anderen Seite würde man die unterschwellige Aggression, die den Protagonisten bewegt, überlesen.

Ich hab deine Geschichte gern gelesen, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, etwas übersehen zu haben.

Beste Grüße
markus.

 

Servas Markus,

vielen Dank fürs Lesen und deinen ausführlichen Kommentar.

Wäre nett, wenn du dazu etwas sagen könntest.

Du hast so viele und so interessante Fragen gestellt, dass ich sie am liebsten sofort beantworten würde. Geht leider nicht, momentan schleudert‘s mich furchtbar (zeitmäßig). Fürs erste will ich dich auf meine Antwort zu den anderen Kommentaren verweisen (Mit der ich dich übrigens nur um wenige Sekunden geschlagen habe, hähä)
Sobald ich ein bisschen zum Luftholen komme, werde ich dir umfassend antworten, versprochen.

Lieben Gruß
offshore

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Novak, lieber Markus,

meine Antwort geht an euch beide, im Grunde habt ihr ja dieselben Fragen gestellt.

Der Stellenwert der Arientexte ist mir nicht so klar.

Die eingeschobenen Liedtexte helfen mir auch nicht groß weiter, weil ich sie nicht verstehe. Vielleicht erschließe sich da noch etwas viel Größeres. Wäre nett, wenn du dazu etwas sagen könntest.

Unter Mothman’s toller Geschichte Raum der Stille gibt es eine interessante Diskussion. Es geht um die Frage, ob es legitim und angebracht sei, in Geschichten auf reale Musiktitel, Songtexte, Bandnamen und solche Sachen zu verweisen, sozusagen referenzielles Namedropping zu betreiben.

Unter anderem schrieb Quinn:

Ich find ja, wenn man schon ein Lied zitiert, dann auch eins, dass die Leute kennen. Weil irgendwie, wenn ich da nur Textzeile lese und irgendein Wort, komm ich mir als Leser immer blöd vor. So als schließt man mich aus einem Insidergag aus.(…) Weil du den Kontext dazu gar nicht hast, den das Lied ausmacht.
Und grade Liedtext ist, ohne dass man das Lied dazu hört, ein bisschen blöd, find ich.
Also Feirefiz sagt: Keine Lieder zitieren, die jeder kennt, um Atmosphäre zu schaffen.
Und ich denke: Unbekannte Lieder zitieren ist noch blöder.
(…) Also ich hab bei der Stelle im Text einfach vorgespult, wenn ich das nicht kenne, fühle ich mich persönlich beleidigt und spul vor.
Diese "Gags" und so ... "wenn jetzt einer googelt, dann freut er sich" - das hab ich früher auch immer gedacht, das sollte man wirklich abwägen, wieviele das wirklich sind, die dann googeln, und wieviele es eher noch störend finden, solche kleinen Gags.

Hätte ich das nur aufmerksamer gelesen!
Die Librettozitate aus Bellinis Oper Norma - jeweils zu Michls Stimmung, bzw. zum Gespräch mit Kathi passend - einzufügen, hielt ich in meiner Hybris für einen pfiffigen Kunstgriff. Erst jetzt erkenne ich, wie verdammt manieristisch das wirkt. Ich war verblendet von der Annahme, jedem fühlenden Menschen müsse es allein bei der Erwähnung der Arie „Casta Diva“, wenn schon nicht die Härchen aufstellen, doch zumindest ein Leuchten in die Augen zaubern. Das war natürlich vollkommener Quatsch, da bin ich wohl in eine klassische Anfängerfalle getappt, die eigene Verfasstheit auch beim Leser vorauszusetzen.
Die Zitate werden wohl demnächst wieder rausfliegen, ich werde mich bemühen, Michls Berührtheit von der Musik den Lesern auf andere Weise nahezubringen.

Tja, und die Abseilszene:

Er klettert auf einen Baukran hoch, lässt sich von dort auf ein Dach runter und dann (…) Also ich krieg das nicht so ganz zurechtklamüsert.

Mit dieser Stelle bin ich selber auch nicht wirklich zufrieden, liebe Novak, die machte mir beim Schreiben auch die größte Mühe.
Natürlich ging ich davon aus, dass, wenn überhaupt, höchstens eine Handvoll Leser Bezug zum Klettern hat, ich konnte mich also nicht des einschlägigen Jargons und der Fachtermini bedienen. Andererseits wollte ich mich nicht verzetteln in langatmigen Beschreibungen von Abläufen, über die Michl nicht einmal nachdenken muss. (Ja, ich weiß, über das Thema „Erzählperspektiven“ sollte ich mich auch einmal schlau machen …)
Also: Michl klettert auf den Kran, seilt sich von dem auf ein Hausdach, zieht das Seil ab und seilt sich dann weiter ab in die Hauswand neben der Baustelle. Tja, und dort hängt er dann. So hab ich mir das vorgestellt. Und was da alles zwischen den Zeilen steht, ist wohl nur für mich sichtbar, verdammt.
Werde ich auch noch einmal überarbeiten!

Er stopft den Walkman zu den Lacksprühdosen in den Umhängebeutel.

Das hab ich jetzt umgedreht. Mir schien bei meiner Stellung der Satzobjekte die Betonung stärker auf Walkman zu liegen, worauf es mir ja ankam, aber so klingt‘s wohl besser, hast Recht, Markus.

So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt.

Ein ausgesprochen schönes Bild, das zwar ein bisschen wackelt, mir trotzdem sehr gut gefällt.

Danke Markus, da hast du einen meiner Lieblingssätze rausgeangelt.

Die Fülle an Fischvergleichen verstehe ich allerdings nicht.

Versteckt sich auch keinerlei Botschaft dahinter, sind nur Wortspiele, ehrlich.

Ich habe überlegt, was mich an deinem Stil stören könnte. Zu einem großen Teil ist es Geschmacksache, aber du schreibst sehr wie man spricht.

Da fällt mir jetzt nichts Gescheites drauf ein, höchstens, dass ich mich mit dem Erzählton eben möglich nahe an Michls Jargon halten wollte. Dass ich mich ein bisschen mit der „Theorie der Erzählperspektive“ auseinandersetzen sollte, hab ich eh schon angedeutet …

Ist halt ein Handwerk wie jedes andere auch, das Geschichtenschreiben, wo man auch lernen muss, damit was Ordentliches rausschaut.
Aber jetzt mach ich lieber Schluss, bevor meine Erläuterungen umfangreicher werden als die eigentliche Geschichte. (Mit wahrscheinlich geringerem Aufwand an Worten hätte DavidPrice mittlerweile das gesamte Terrorregime eines geknechteten Drittweltlandes niedergerungen)

Nochmal vielen Dank euch beiden und liebe Grüße

offshore

edit: Die Textzitate aus Norma sind jetzt zur Gänze rausgeflogen.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ernst,

erst mal vorneweg: Eine schöne Geschichte, gut geschrieben, macht Spaß beim Lesen.

Einige Sachen stören mich, aber da es Privatmacken sein könnten, mußt Du sie nicht allzu ernst nehmen. Ist nur ein Außenblick.

1) Ein Mädchen in Berlin (ich weiß, in Wien tickt man da ein bißchen anders), die ohne zu zucken Ausdrücke wie "so ein Scheißabend" und "Arschloch" in den Mund nimmt, würde wohl nicht "Du Schuft!" sagen, denn das klingt bei uns nach Heinz Rühmann und Hans Albers. Aber vielleicht ist das bei Euch gebräuchlicher ;)

2) Ich würde grundsätzlich Zurückhaltung empfehlen, wenn es um die Verwendung von Begrifflichkeiten aus Spezialdisziplinen, in Deinem Fall Klettern, geht. Da ich hin und wieder in der Kletterhalle rumkraxle sind mir Abseilachter, Trittschlingen, Sicherungen nicht ganz fremd. Das dürfte aber nicht jedem Leser so gehen. So wie es jetzt ist, finde ich es okay, mehr sollte es aber nicht werden.

In meinen Thrillertexten habe ich Freunde auch hin und wieder mit Mündungsbremse und Blutrille irritiert. Als Autor sollte man sich immer fragen, wie wichtig es ist, daß der Leser ein bestimmtes Wort auch versteht.

3) Stereotype Äußerungen über Spießer sind spießig ;) Aber das hast Du sicher bedacht.

Gruß nach Wien
Achillus

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus Achillus,

vielen Dank fürs Lesen und dein Lob.

Ein Mädchen in Berlin (ich weiß, in Wien tickt man da ein bißchen anders), die ohne zu zucken Ausdrücke wie "so ein Scheißabend" und "Arschloch" in den Mund nimmt, würde wohl nicht "Du Schuft!" sagen, denn das klingt bei uns nach Heinz Rühmann und Hans Albers. Aber vielleicht ist das bei Euch gebräuchlicher.
Ist es in der Tat. Obendrein lächelt Kathi dabei.

Ich würde grundsätzlich Zurückhaltung empfehlen, wenn es um die Verwendung von Begrifflichkeiten aus Spezialdisziplinen, in Deinem Fall Klettern, geht.
Dazu möchte ich dich auf meine Antwort an Novak und Markus hinweisen.

So wie es jetzt ist, finde ich es okay, mehr sollte es aber nicht werden.
Mehr wird es sicherlich nicht, die Geschichte ist ja fertig. ;)

Stereotype Äußerungen über Spießer sind spießig. Aber das hast Du sicher bedacht.
Ich empfand die als durchaus legitime Ansichten des neunzehnjährigen Michl.

Gruß nach Berlin
offshore

 

Ein reinigendes Gewitter. So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt. Michl fühlt sich großartig,
wusst ich’s doch,

lieber ernst -

und selbst wenn ich mich wiederholte -

dass Du schreiben kannst. Und erzählen eh! Alles schon gesagt, außer vielleicht

nochmal -
wird IMMER auseinander geschrieben, da die Verkürzung von „noch [ein]mal",
„nochmals“ hingegen wäre (besser: ist) immer zusammen …
Gleiches gilt dann auch für
eigentlich „so [et]was“, womit auch das Schicksal der schönen Konstruktion
irgendsowas
durch die grammatischen Nornen bestimmt ist und der Spaltung unterliegt. Nunja, Jugendsprache halt, wenn einer aber mit 19 Opern hört (ich hab in dem Alter an Opern nur "Arthur ort he Decline and Fall of the British Empire“ und hernach noch "Tommy“ und die weitaus besser gelungene "Quadrophonia“ - sofern ein klassischer Opernverehrer sich gegen die Bezeichnung sträuben wird) gekannt, wiewohl ich Be[a]thoven, Bach und Mozart durchaus kannte), wer also Opern hört, der könnte auch wunderschöne Konstruktionen im Konjunktiv irrealis zustande bringen, wie hier etwa
Jetzt. Stellt sich vor, wie die feine Gesellschaft in Panik ausbricht. All die aufgetakelten Weiber, die dann auf ihren Stöckelschuhen herumtrippeln, kreischend und kichernd wie Schulmädchen. Und diese Arschlöcher werden ihre Sakkos ausziehen und über Frauenschultern legen, edelmütig, beflissen, und nach Taxis winken, diese Helden, zum Kotzen –
Aber das mag nur eine Anregung zur Verbesserung Mitteleuropas sein – und da bin ich Extremist! Wäre das nicht Musik in den Augen des Lesers und in den Ohren des Zuhörers
„ausbräche“, statt „ausbricht“ –
das betonte „bräch“ verweigerte sich dem schon akustisch gebrochenen und bellenden „brich“.

Aber gut is'!

Gruß & schönen Restsonntag wünscht der

Friedel

 

Servus Friedel,

Der Zufall begünstigt den vorbereiteten Geist. (Louis Pasteur)

nochmal

wird IMMER auseinander geschrieben, da die Verkürzung von „noch [ein]mal"

führtest du zu Recht gestern an und:

nunmal

das schreibt man getrennt (hab ich von Friedrichhard gelernt)

schrieb ich vorgestern unter eine Geschichte von albisrieden.

Sieht ganz so aus, als stünde ich jetzt etwas blöd da …

Nunja, Jugendsprache halt, wenn einer aber mit 19 Opern hört, (…) könnte (er) auch wunderschöne Konstruktionen im Konjunktiv irrealis zustande bringen,

In diesem speziellen Fall war ich mir nicht sicher, ob der von dir angemahnte Konjunktiv, obschon durchaus zu Michls Opernleidenschaft passend, sich mit dessen zerrissenen Jeans und dem Black Flag-Shirt vertrüge.

(Ich erlaube mir einen kurzen offtopic-Einschub:
Gerade solche augenzwinkernden Beanstandungen, von dir selbst gerne Kleinkrämerei genannt, sind es, die mich all deine Kommentare so schätzen lassen und zu einem nicht geringen Teil zu meinem Entschluss beitrugen, mich überhaupt anzumelden und mitzumachen hier im Forum.
Das wollte ich dir schon lang einmal sagen, lieber Friedel, und hiermit tu ich’s einfach, sintemalen du mittlerweile beide meiner Geschichten so wohlwollend zur Kenntnis genommen hast, ich also nicht mehr Gefahr laufe, mit diesem Kompliment anbiedernd zu erscheinen.)

Ein reinigendes Gewitter. So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt. Michl fühlt sich großartig.

Das am Beginn deines Kommentares zu sehen, hat mich am allermeisten gefreut.

Gruß
offshore

 

Zitat:
Ein reinigendes Gewitter. So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt. Michl fühlt sich großartig.
Als alte Wasserratte (oder doch alter Fischotter?) rutschte das Zitat wie von Geisterhand geführt nach vorne,

lieber ernst,

aber was meinstu, wie meine Jeans, T-shirts und vor allem die Parkas (zwo hab ich heut noch, hab halt seitdem keinen Schwangerschaftsbauch getragen) oder Kampfjacken aussahen? Ich trag die Sachen heut noch, bis sie von mir freiwillig abfallen. Bin halt kein guter Konsument. Aber auf einer inzwischen ausrangierten Paraka stand auf der angemessenen Höhe ein Reim vom ollen Franze Villon: "Werd ich am Galgen hochgezogen / weiß ich, wie schwer mein Arsdch gewogen." Hätt' dem Michl sicherlich gefallen - so kann man auch noch dergleichen von mir altem Sack (noch ohne Asche) annehmen.
Aber das ist doch ein gelungener Konjunktiv

Sieht ganz so aus, als stünde ich jetzt etwas blöd da …
denn es hätte ja auch ein "ä" statt des "ü" stehen können, als Symbol. dass alles seine Zeit habe.

WIR erlauben uns

einen kurzen offtopic-Einschub:
Solches les ich gerne & die Obrigkeit vllt. auch. Dabei halt ich gar nix von Marketing (hastu bestimmt schon gemerkt), umso mehr, als dass ein Hauptfach während des BWL-Studiums war. Propaganda, wie sie Goebbels nicht besser hätte betreiben können ...

Aber gern gelesen vom

Friedel
(auch ich bin uneitel eitel!, ohne deshalb zu Eitelfriedrich zu werden)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ernst,

Verzeihen Sie, junger Mann, aber könnten Sie gefälligst Ihre Zigarette, hüstel … und sah ihn dabei nicht einmal an, sondern glotzte ungeniert auf Kathis Brüste. Als gäbe es da groß was zu sehen, fehlte nur, dass er sabberte. Das war Michl dann zu blöd und er starrte an dem Typen vorbei auf dessen Alte, mit Verlaub, Gnädigste, aber Ihr Parfum …, schnappte nach Luft, schnitt eine fürchterliche Fratze und rutschte theatralisch vom Stuhl.
Diese Szene finde ich etwas übertrieben, das macht mir Michl leider etwas unsymphatisch, obwohl ich flippige Typen eigentlich mag.

Norma stimmt ihr Casta Diva an.
Insiderwissen.


„In dieser Reihenfolge, ich hab’s geahnt, du Schuft.“ Kathi boxt ihn in die Rippen, aber sie lächelt dabei, ein bisschen.
Das ist wie in dem Satz bei ein paar Schreibern auf kg.de etwas Mode geworden: das Nachstellen von einzelnen Worten. In Kommentaren mag das ja noch als Umgangssprache gehen, aber in der KG empfinde ich das als Fehler. Oder hinter dem "ein bisschen" muss noch ein jedenfalls.

Er mag dieses Lächeln. Er streckt einen Arm nach ihr und zieht sie zu sich ins Gras.
Er streckt einen Arm zu ihr hin oder er streckt einen Arm nach ihr aus

Wiegt sich hin und her. Ohne zu lächeln.
Ich würde das zusammenziehen, so ist es sehr abgehakt.
Wiegt sich hin und her, ohne zu lächeln.

„Weißt du, Michl, … irgendwie, ... ach vergiss es. … So ein Scheißabend!“ Sie zupft am Boden herum, reißt Grasbüschel aus, als könne sie darunter was Tolles finden, vielleicht die richtigen Worte.

Kathi ist doch sauer auf Michl. Ich fände es logischer, wenn die Grasbüschel für Michl herhalten müssen, denn am liebsten würde sie ihn doch rupfen, oder ;) ?

„Wirklich, Michl, manchmal denk ich mir, … also wenn’s dich einmal wo runterhaut, … so richtig mein ich, und … und du …“ Ihre Stimme wird leiser. „Ich glaub, dann wärst du auch nicht weiter weg.“

Sehr schön.

Sie lässt den Kopf auf seine Schulter sinken und er nimmt sie in die Arme. Jetzt weint sie richtig. Sie klammert sich an ihn und er spürt, wie ihr Körper bebt und ihre Tränen seinen Rücken hinabrinnen. Michl starrt in den Park und weiß nicht, was er sagen soll. Sie muss doch wissen, dass er sie liebt.

Hier ist der Kern der Geschichte. Michl kann es nicht fassen, dass Kathi denkt, er liebe sie nicht. Es ist eine Selbstverständlichkeit für ihn, dass man mehrere Dinge gleich gerne macht, egal ob das Klettern ist oder Zeit mit jemandem verbringen, den man liebt. Kathi setzt das "jemanden lieben" mit "Zeit mit jemanden verbringen" gleich. Wenn Michl lieber klettern geht, kann er sie doch nicht richtig lieben.
Die zwei haben somit jeweils einen ganz anderen Ansatz und Vorstellungen, was "Liebe" bedeutet.
In der vorherigen Szene wird Michl dieses Dilemma ansatzweise bewusst.

Und dann bringst du mit Bruckner und Mahler ein herbes Abschweifen von dieser intensiven Situation:

Er Er schaut in das steinerne Antlitz Anton Bruckners, als könne er darin die richtigen Worte finden. Ausgerechnet. E habe es aus einem Mädchenauge gelesen, soll Bruckner über das Adagio seiner Achten Sinfonie gesagt haben, dieser unglückliche Tropf, der gottbegnadete Trottel, wie ihn Gustav Mahler angeblich nannte, weil er gleichermaßen beeindruckt war von Bruckners musikalischem Genie und dessen Tölpelhaftigkeit im Umgang mit Frauen.

Der Satzaufbau ist sowieso sehr kompliziert und man ist mit dem Kopf dann völlig bei Bruckner/Mahler und nicht mehr bei Kathi und Michl; grade in der doch so wichtigen Situation - also es verwäscht die Wirkung für mich.

Sie küsst ihn nicht einmal zum Abschied, dreht sich einfach um und geht davon in ihrem sonnengelben Kleid und schaut kein einziges Mal zurück.

Ohne und fände ich es geschmeidiger.

Sie küsst ihn nicht einmal zum Abschied, dreht sich einfach um, geht davon in ihrem sonnengelben Kleid und schaut kein einziges Mal zurück.

Und diese Arschlöcher werden ihre Sakkos ausziehen und über Frauenschultern legen, edelmütig, beflissen, und nach Taxis winken, diese Helden, zum Kotzen.

Und diese Arschlöcher werden ihre Sakkos ausziehen und über Frauenschultern legen, edelmütig, beflissen, und nach Taxis winken, diese Helden. Zum Kotzen.
(oder ; )

Wird er besser schlafen können im Zug.
Für mich kein Satz, auch nicht umgangssprachlich. Eigentlich ist es ja ein Fragesatz ohne Fragezeichen ;). Ein Dann vorangestellt und ich bin d'accord damit.


Als er seinen Kram zusammensucht, ist er sternhagelvoll.
Ich habe es durch den Text so verstanden, dass er drei Dosen Bier à 0,33 Liter getrunken hat. Also wenn ein Typ diesen Kalibers von einem Liter Bier sternhagelvoll ist, stimmt was nicht :D

Dass es mindestens zehn Meter sind, die fehlen, sagten sie ihm nicht, und Michl kam nie auf die Idee, nachzumessen, wozu auch, die zwei sind seine Kumpel und das Seil war sowieso zum Weghauen. Und jetzt hängt er da wie der allerletzte Idiot, in der Hitze der Nacht, an einer fensterlosen Südwand mitten in der Stadt, was für ein Witz!
Das Malheur ist von den Verkettungen her sehr schön aufgebaut.

Michl zieht sich Hand über Hand hoch. Er schrammt mit den Knien an die Hausmauer und haut sich die Fingerknöchel blutig am Verputz und auf der Stelle wäscht das herabstürzende Wasser das Blut wieder ab. Ein reinigendes Gewitter. So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt. Michl fühlt sich großartig. Dann ist er oben.
Also da war er mir fast zu schnell oben. Das muss doch ein Wahnsinnskraftakt gewesen sein.

Er schwingt das rechte Bein hoch, hakt die Fußspitze über die Kante und lässt mit der Linken das Seil los um nachzugreifen. Er will sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischen und rutscht ab.
Das verstehe ich nicht richtig. Wo ist da welche Hand? Die rechte schon oben über der Kante? - mit welcher will er die Haarsträhne aus dem Gesicht wischen? Soll das als Reflexhandlung gesehen werden oder dachte Michl, das kann er auch noch gleichzeitig? An dem wichtigen Punkt ist mir das nicht klar genug, wie er aus der Situation "am Seil halten" in die rettende kommen will.

Was dann noch an Text kommt, finde ich genial. Das hat so etwas Tröstliches, die Vorstellung, wenn im Niemandsland zwischen Leben und Tod tatsächlich so ein Trip abgehen könnte. Und dabei kein Schmerz, nur Verwunderung.

Interessant finde ich auch, dass Michl immer nur an Sylvio denkt. Klar, er ist ja in der Materie Klettern mit ihm verbündet - aber als es dann bedenklich wird und er ahnt, es könnte nicht so gut ausgehen, taucht Kathi auch nicht auf.

Nachdem ich die Geschichte schon kannte, wusste ich ja, wieso Michl die Mauer runter wollte. Als jemanden, der die KG zum ersten Mal liest, kann das schon auch etwas undurchsichtig bis zu dem Punkt: Noch mehr quält ihn die Vision des lächerlichen Bildes, das Kathi morgen Früh beim Blick aus ihrem Fenster sähe.
sein, und der ist ja schon etwas spät.


Fatal war natürlich, so ungewissenhaft mit seinem Klettermaterial umzugehen, da gehört den Kumpels noch eine über die Rübe, das verkürzte Seil nicht ersetzt zu haben. Kommt dann Alkohol ins Spiel, geht die Vernunft flöten - das gibt dann die richtig beschissene Nummer. Analog habe ich so etwas mal mit einem Pyrotechniker erlebt, der seine Sorgfaltspflicht auch weggesoffen hat; der hatte aber bedeutend mehr als einen Liter Bier intus - dafür war das Malheur auch größer.

Mir hat die KG jedenfalls sehr gut gefallen -abgesehen von einigen unstimmigen Details, die ich aufgezeigt habe - besonders der letzte Teil.

Liebe Grüße
bernadette

 
Zuletzt bearbeitet:

Was dann noch an Text kommt, finde ich genial. Das hat so etwas Tröstliches, die Vorstellung, wenn im Niemandsland zwischen Leben und Tod tatsächlich so ein Trip abgehen könnte. Und dabei kein Schmerz, nur Verwunderung.

Das schreibst du am Ende deines Kommentares, liebe bernadette,

trotzdem stelle ich das Zitat an den Anfang meiner Antwort (meines Rechtfertigungsversuches?). Weil: Nicht nur lobst du damit explizit das Ende meiner Geschichte, sondern gleichzeitig öffnest du mir die Augen für die ganzen Schwächen davor. (Die ich jetzt einfach einmal mit meiner Unerfahrenheit entschuldigen will.)

Zitat Fliege: Steht manchmal auch in Lehrbüchern, schreiben sie drauflos und denken sie nicht.

schrieb Fliege unter meine erste Geschichte, als Antwort auf meine Antwort:

Zitat offshore (zu Störks Ende): Und zur Handlung, tja, was soll ich dazu sagen? Vielleicht, dass ich zu naiv und planlos an die Geschichte herangegangen bin, unbeschwert von theoretischem Rüstzeug, einfach so vor mich hinfabulierend, aufs Geratewohl da und dort abbiegend und neugierig, was wohl hinter der nächsten Ecke auf mich warten würde? Ich nehme an, das ist nicht unbedingt die lehrbuchgemäße Herangehensweise.

Bei meiner zweiten Geschichte nun wollte ich es ein bisschen planvoller angehen:
Bevor ich zu schreiben begann, hatte ich den Prot und die Handlung fertig im Kopf.
Ich hatte Michl, den impulsiven, jungen Held und seine leidenschaftliche Besessenheit von Bergsteigen, Punkrock und romantischen Opern, ich hatte den blöden Unfall und die Grandes Jorasses Nordwand und der Schluss war als das eigentliche Herzstück der Geschichte gedacht: der sterbende Michl deliriert sich in seine geliebten Berge.
Tja, ursprünglich sollte es eine Art Gegenentwurf zum Klischee der herkömmlichen Berggeschichten werden, ich wollte sozusagen einen Geisterfahrer auf die Autobahn der klassischen Bergsteigerliteratur stellen, und dachte dabei sogar: blöd, dass es keine Rubrik Abenteuer oder so im Forum gibt, weil, dass es letztendlich auf eine Romanze hinauslaufen würde, war zu dem Zeitpunkt nicht abzusehen.
Doch dann drängte sich Kathi immer mehr in den Vordergrund und die Story lief mir schlicht aus dem Ruder …
Der Schwerpunkt verschob sich immer mehr in diese Richtung:

Sie lässt den Kopf auf seine Schulter sinken und er nimmt sie in die Arme. Jetzt weint sie richtig. Sie klammert sich an ihn und er spürt, wie ihr Körper bebt und ihre Tränen seinen Rücken hinabrinnen. Michl starrt in den Park und weiß nicht, was er sagen soll. Sie muss doch wissen, dass er sie liebt.

Hier ist der Kern der Geschichte. Michl kann es nicht fassen, dass Kathi denkt, er liebe sie nicht. Es ist eine Selbstverständlichkeit für ihn, dass man mehrere Dinge gleich gerne macht, egal ob das Klettern ist oder Zeit mit jemandem verbringen, den man liebt. Kathi setzt das "jemanden lieben" mit "Zeit mit jemanden verbringen" gleich. Wenn Michl lieber klettern geht, kann er sie doch nicht richtig lieben.
Die zwei haben somit jeweils einen ganz anderen Ansatz und Vorstellungen, was "Liebe" bedeutet.
In der vorherigen Szene wird Michl dieses Dilemma ansatzweise bewusst.

Diese Stadtparkszene war es, wo ich mir beim Schreiben gedacht habe: Hilfe! Wo bin ich? Da wollte ich doch gar nicht her! Ich krieg das alles nicht unter einen Hut! Verdammt, mein toller Plan scheint gehörig schiefzugehen, das wird schon wieder eine Geschichte, die sich selber schreibt …

Als er seinen Kram zusammensucht, ist er sternhagelvoll.

Ich habe es durch den Text so verstanden, dass er drei Dosen Bier à 0,33 Liter getrunken hat. Also wenn ein Typ diesen Kalibers von einem Liter Bier sternhagelvoll ist, stimmt was nicht.

Also, in Österreich versteht man unter der klassischen Bierdose allemal 0,5l, aber du hast natürlich recht, bernadette, auch das reichte nicht aus um sternhagelvoll zu sein, da ließ ich mich von dem hübschen Wort verführen. Richtig besoffen sollte Michl ohnehin nicht sein, angeduselt halt und euphorisiert. Das werde ich überarbeiten.

Michl zieht sich Hand über Hand hoch. Er schrammt mit den Knien an die Hausmauer und haut sich die Fingerknöchel blutig am Verputz und auf der Stelle wäscht das herabstürzende Wasser das Blut wieder ab. Ein reinigendes Gewitter. So muss sich ein Lachs fühlen, der einen Wasserfall erklimmt. Michl fühlt sich großartig. Dann ist er oben.

Also da war er mir fast zu schnell oben. Das muss doch ein Wahnsinnskraftakt gewesen sein.

Nein, sowas geht schon, kannst mir glauben. Außerdem ist Michl ein wilder Hund, ein Neunzehnjähriger halt …

Er schwingt das rechte Bein hoch, hakt die Fußspitze über die Kante und lässt mit der Linken das Seil los um nachzugreifen. Er will sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht wischen und rutscht ab.

Das verstehe ich nicht richtig. Wo ist da welche Hand? Die rechte schon oben über der Kante? - mit welcher will er die Haarsträhne aus dem Gesicht wischen? Soll das als Reflexhandlung gesehen werden oder dachte Michl, das kann er auch noch gleichzeitig?

Da hast du wohl einen Satz überlesen:

Er streckt die rechte Hand zur Dachkante, mit den Fingerspitzen ertastet er einen Eisenwinkel und packt zu. Er schwingt das rechte Bein hoch, hakt die Fußspitze über die Kante und lässt mit der Linken das Seil los um nachzugreifen.

Und ja, wahrscheinlich eine Reflexhandlung, Michl hat die falsche Frisur für das Scheißwetter.

Als jemanden, der die KG zum ersten Mal liest, kann das schon auch etwas undurchsichtig bis zu dem Punkt: Noch mehr quält ihn die Vision des lächerlichen Bildes, das Kathi morgen Früh beim Blick aus ihrem Fenster sähe.
sein, und der ist ja schon etwas spät.

Das kommt zu spät, meinst du? Ich weiß nicht recht …

Diese Szene finde ich etwas übertrieben, das macht mir Michl leider etwas unsymphatisch, obwohl ich flippige Typen eigentlich mag.

Darüber will ich noch ein wenig nachdenken, ebenso über die beanstandeten Bezüge auf die klassische Musik.

Und danke auch für deine vielen stilistischen Anmerkungen, da werde ich wohl das meiste übernehmen.
Pff.

Jedenfalls freut es mich, dass die Geschichte trotz unstimmiger Details Anklang findet. Und das bestärkt mich darin, an meiner dritten KG weiter zu basteln. (Den Titel und den ersten Absatz hab ich schon ;))

Vielen Dank, bernadette, für deinen ausführlichen Kommentar und dein Lob.

offshore

PS
Ein bisschen verwundert mich, dass kein Kommentar auf die verwendeten Zeitformen eingegangen ist. Also Präsens für das, was gerade geschieht, und für alles, das wie lang oder kurz auch immer zurückliegt, konsequent das Präteritum, was meines Wissens nicht ganz korrekt ist, oder? Müsste da nicht das Perfekt verwendet werden? (Da geistert eine Erinnerung aus Schulzeiten in meinem Kopf herum: Präsens/Perfekt, Präteritum/Plusquamperfekt?)
Vielleicht will sich dazu ja noch jemand äußern, ich bin nämlich durchaus lernbegierig.

PPS

Analog habe ich so etwas mal mit einem Pyrotechniker erlebt, der seine Sorgfaltspflicht auch weggesoffen hat; der hatte aber bedeutend mehr als einen Liter Bier intus - dafür war das Malheur auch größer.

Zwölf Tote, keine Verletzten?

 

Hallo ernst offshore,

sehr gerne gelesen. Lässige Schreibe, gute Bilder, der Stil ist so ein wenig rotzig, ich mag so etwas. Die erste Szene ist auch sehr konsequent durchgezogen, sie verlässt ihn, und er ist hin und hergerissen, lässt sich dann doch zu so einer Aktion verleiten. Die Liebe! Und dann bei Black Flag Berge erklimmen, ich hatte da immer Rollins: GIMME GIMME GIMME! im Ohr, und dachte so: WTF? Ich kenne mich da nicht aus, mit Bergen und so, aber das klingt echt originell.

Also, im Kern ist dein Prot ja ein Romantiker: er ist angefixt von dieser seltsamen Stunde morgens beim Biwakieren, also diesem Natur erleben Ding, das hat fast was von Brautigan oder Kerouac, dieses meditative Element, dieses Entgrenzte, wo einem die eigene Bedeutungslosigkeit so gewahr wird, und andererseits will er sie aber auch so nicht mit dieser 08/15 Meute gehen lassen, will sie im Sturm zurückerobern. Finde ich gut. Ist nicht abgeklärt, nicht so aufgesetzt, wie diese ganzen Romantypen, die man so neuerdings immer liest. Das klingt ehrlich, und zwar nach beiden Richtungen hin.

Das Ende ist ein Kracher, hat mich erstmal verstört. Wusste nicht so recht, was da geht, und dann: Bumm! Also, das setzt dem Ganzen die Krone auf, da drückst du mächtig auf die Tube, sehr dunkel, düster, aber auch unglaublich schön. So ein "schönes Scheitern", wie bei dem englischen Dichter Thompson, Nachtstadt und so, ganz grosses Kino, auch diese Einflechtungen was die Naturbeobachtung angeht, das hat schon etwas Transzendentes.

Hat mir sehr, sehr gut gefallen.

Gruss, Jimmy

 

Servas Jimmy,

ich habe mich schon über die bisherigen Kommentare gefreut, die waren ja alle ausgesprochen wohlwollend, aber deiner schießt gewissermaßen den Vogel ab.

… sehr dunkel, düster, aber auch unglaublich schön.

Dir schien die Geschichte all die Gefühle vermitteln zu können, die ich beim Schreiben hineinzustecken versuchte, du hast sie offenbar so gelesen, wie ich mir insgeheim wünschte, dass sie gelesen wird, was Besseres kann einem Autor ja wirklich nicht passieren …

… das hat fast was von Brautigan oder Kerouac,

Ein schöneres Kompliment konntest du mir kaum machen, ehrlich, danke.

Gruß, offshore

 

Hallo offshore,

nachdem du dich dankenswerterweise um meine Einstiegsgeschichte so bemüht hast (obwohl ich dich dann letztendlich nicht wirklich glücklich machen konnte), bin ich nun endlich dazugekommen, mir auch eine Geschichte von dir zu Gemüte zu führen. Und da bin ich, als Gebirglerin, natürlich sofort an der Nordwand hängen geblieben.

Tja, was soll ich sagen? Auch auf die Gefahr hin, dass es langweilig wird, wenn ich mich nun auch noch den Lobeshymnen anschließe, mache ich es trotzdem: Mir hat deine Geschichte sehr, sehr gut gefallen und ich konnte mich einfach so richtig gut hineinversetzen in diese Leidenschaft. Mir sind da aus dem Stegreif auch gleich zwei, drei Typen eingefallen, die fast ident mit deinem Michl sind. Nur sind die schon lange keine neunzehn Jahre mehr jung.

Die Sabine mit ihrem eigenen Scheißreitpferd in Altlengbach und der Florian mit seiner Föhnfrisur und den Cashmere-Pullovern und den handgenähten College-Schuhen. Dessen aufregendstes Abenteuer bisher war, hinter dem Magic im Volksgarten an einem Joint zu ziehen. Und dessen größte Heldentat im zukünftigen Leben darin bestehen wird, die Immobilien seines Vaters zu erben. Ein richtiger Held. Diese ganze Bande von Neunzehnjährigen, die sich benehmen wie Vierzigjährige, so vorhersehbar, so besonnen, so erbärmlich hedonistisch. Und alle wollen sie Jura studieren, was sonst. Richtige kleine Scheißerwachsene. Richtige Arschlöcher.

Das hier finde ich herrlich. Ich weiß, es wirft vielleicht nicht das beste Licht auf mich, aber ich mag diese ganzen Scheißwörter. Genauso stelle ich mir einen jungen, abenteuerlustigen Kletterer vor, dass er so über andere denkt.

Für mich gehört deine Geschichte definitiv in die Rubrik Romantik. Ha, und das aber nicht wegen der Liebe zwischen Michl und Kathi, sondern wegen seiner Leidenschaft für die Berge. Ich wette, der Michl ließe seine Kathi, wenn die ihn irgendwann nicht mehr hätte ziehen lassen, einfach sitzen. Ich finde ja auch seinen Liebesbeweis so genial und doch so krank. Er kriecht nicht auf allen vieren daher und beteuert seine Zuneigung, nein, er hängt waghalsig in den Seilen, um damit so quasi auszudrücken: Siehst du Kathi, ich liebe dich, aber ich werde meine Leidenschaft, das Klettern, nie und nimmer aufgeben. Entweder du nimmst beides oder nichts.

Und dann auch noch der Schluss:

„Sylvio, das glaubst mir nie!“, brüllt er in den Donner.

Ob Sylvio auch so kalt ist?

Sylvio, wach auf, das musst dir anschauen, das ist total irre …

Sylvio, sein Kamerad, für mich die Vermenschlichung seiner Leidenschaft zu den Bergen. Nix Kathi.

Ich hoffe, ich habe nicht zu viel hineininterpretiert. Aber Geschichten sind ja immerhin dazu da, von jedem mit anderen Augen gesehen zu werden.

Vielen Dank für das Lesevergnügen.

Grüße aus dem weißen Westen,
rehla

 
Zuletzt bearbeitet:

Servus rehla,

rehla schrieb:
Auch auf die Gefahr hin, dass es langweilig wird, wenn ich mich nun auch noch den Lobeshymnen anschließe …
Ja, verdammt, ich kann‘s echt schon nicht mehr hören! „Tolle Geschichte, offshore, so schön, blabla …“ Ist richtig langweilig.

Im Ernst jetzt, rehla, ich könnte dich küssen, ehrlich.
Du hast ja keine Ahnung, was für eine riesengroße Freude du mir damit machst, die Nordwand noch einmal ins Tageslicht zu rücken, sie sozusagen vom magischen Licht der aufgehenden Sonne anstrahlen und sie in wunderbarem, flamingoarschrosigen Licht aufleuchten zu lassen. Mit großem Abstand vor all meinen anderen ist es nämlich dieser Text, an dem mein Herz am allerstärksten hängt.
Erst im Juli, als die Geschichte schon längst auf dem Weg war, in den Tiefen des Archivs zu verschwinden wie zigtausende Texte vor ihr, bildete ich mir plötzlich ein, ihr den falschen Titel gegeben zu haben. Obwohl ich den ursprünglichen Titel („Ein toller Plan“) recht gut fand, geisterte mir plötzlich ein viel besserer und passenderer durch den Kopf. Eigentlich ist’s ja scheißegal, wie eine Geschichte heißt, wenn sie da in den hintersten virtuellen Regalen vor sich hin modert, aber, ich weiß nicht recht, ich stellte mir das damals wohl so ähnlich vor, wie einem aufgebahrten Leichnam ein letztes Mal die Krawatte zurechtzurücken, bevor der Sargdeckel geschlossen wird. Und so ließ ich den Titel eben ändern.
Und gut war’s:

Und da bin ich, als Gebirglerin, natürlich sofort an der Nordwand hängen geblieben.
Bingo!

Für mich gehört deine Geschichte definitiv in die Rubrik Romantik. Ha, und das aber nicht wegen der Liebe zwischen Michl und Kathi, sondern wegen seiner Leidenschaft für die Berge. Ich wette, der Michl ließe seine Kathi, wenn die ihn irgendwann nicht mehr hätte ziehen lassen, einfach sitzen. Ich finde ja auch seinen Liebesbeweis so genial und doch so krank. Er kriecht nicht auf allen vieren daher und beteuert seine Zuneigung, nein, er hängt waghalsig in den Seilen, um damit so quasi auszudrücken: Siehst du Kathi, ich liebe dich, aber ich werde meine Leidenschaft, das Klettern, nie und nimmer aufgeben. Entweder du nimmst beides oder nichts.
[…]
Ich hoffe, ich habe nicht zu viel hineininterpretiert.
Im Gegenteil, rehla, Ich finde alle deine Gedanken zur Geschichte ausgesprochen folgerichtig. Möglicherweise ist es ja wirklich deine alpine Lebenswelt, die dich derart offenherzig und einfühlsam auf die Geschichte reagieren ließ.

Und dann auch noch der Schluss:
„Sylvio, das glaubst mir nie!“, brüllt er in den Donner.
Ob Sylvio auch so kalt ist?
Sylvio, wach auf, das musst dir anschauen, das ist total irre …
Sylvio, sein Kamerad, für mich die Vermenschlichung seiner Leidenschaft zu den Bergen. Nix Kathi.
Das hast du gut erkannt und formulierst es auch sehr schön. Allerdings muss man Michl zugutehalten, dass sein letzter Gedanke dann doch seiner Kathi gilt:

Michl schließt die Augen. Ihm ist kalt. Er ist schrecklich müde.
„Sylvio?“, flüstert er, „Kathi?“

Noch einmal rehla, du hast mir mit deinem tollen Kommentar eine wirklich große Freude gemacht.
Vielen lieben Dank.

offshore

 

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