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Notare und anderes Getier
„Sie behaupten also, wenn ich eine Nacht in dem Haus verbringe, gehört es mir?“
„Ganz recht.“
„Und die ganze Sache hat keinen Haken, ja?“
„Genau.“
„Hm.“
„…“
„Nur eine Nacht also?“
„Stimmt.“
„…“
„Es ist Ihre Entscheidung.“
„Na schön. Kann ich meine eigene Bettwäsche mitbringen?“
„Ich denke, das wird gehen.“
„Dann los.“
„Moment, sie müssen noch hier, da, dort, und da unterschreiben.“
„Kugelschreiber?“
„Bitte.“
„Danke.“
Jürgen und der dicke Notar Klaus verließen das Büro und fuhren zum Haus. Es war ein erschreckend langer Weg. Das machte Jürgen aber nichts aus.
Klaus, der Notar, parkte vierhundert Meter vom Haus entfernt, in der Seitenstrasse einer Tellerwäscherei. Dort stand ein Schild: Vorsicht Wildschweine!
Jürgen betrachte das Schild einige Minuten lang, während sein rechtes Ohr wild zuckte.
„Stimmt etwas nicht?
„Das Schild. Es ist unheimlich.“
„Das sagen sie alle.“
„Wen meinen sie mit, Alle?
„Nicht wichtig. Können wir?
„Moment, meine Bettwäsche liegt ja noch daheim.“
„…“
„Na schön, es wird wohl auch ohne gehen.“
„Prima.“
Das Haus war unbeschreiblich schön. Weiß, drei Zimmer, Küche, Diele, Bad. Es gab auch einen Vorgarten. Der war auch schön. Ein Vogelbad gab es leider nicht. Das fand Jürgen schade, er hätte wirklich zu gern Vögel beobachtet. Er mochte Vögel, - aber auch Hunde und Katzen.
Der dicke Notar überreichte Jürgen die Schlüssel zum Haus und drückte ihm noch mal die Hand.
„Kommen sie denn nicht mit rein? Ich könnte Tee kochen.“
„Hm…vielleicht morgen…Muahahaha!“
„Was ist denn so komisch?“
„Ich musste an meine Frau denken.“
„Ach so. Na gut, dann also bis morgen.
„Muahahaha!“
„Tschö.“
Jürgen betrat das Haus und staunte nicht schlecht. Der gesamte Boden war mit Teppich ausgelegt. Möbel gab es keine. Aber einen Kamin, über dem ein ausgestopfter Kopf hing. Der Kopf eines Keilers. Jürgen fröstelte es. Er mochte keine Wildscheine, hatte sie nie gemocht, nie und nimmer. Jürgen war sehr froh, als er einen Stapel weiße Tücher fand, mit denen er den grusligen Kopf abdecken konnte. Er schaffte es sogar, ohne den Kopf zu berühren. Das machte Jürgen sehr glücklich. Eine Weile schaute er aus dem Fenster in der Küche und beobachtete die Nachbarn beim Fangen spielen. Es waren alte Leute. Jürgen freute sich darüber, so nette Menschen neben sich wohnen zu haben. Eine Nacht würde er schon überstehen. Es gab zwar kein Bett aber immerhin Tücher und Teppich. Es würde schon irgendwie gehen.
Während sich Jürgen im Haus umsah wurde es langsam Abend. Die Nachbarn bauten in ihrem Garten ein kleines Zelt auf, in dem sie kichernd, mit Taschenlampen in den Händen, verschwanden.
Inzwischen hatte sich Jürgen das ganze Haus angesehen. Er fand es wirklich toll. Richtig toll.
Am besten, gefielen ihm die toten Fliegen, die auf den Fensterbänken lagen. Es mussten hunderte sein, vielleicht sogar mehr. Jürgen fand, dass die Fliegen, dem Haus einen extravaganten Ton gaben. Er würde sie liegen lassen. Es sei denn die Dinger würden im Sommer Ungeziefer anlocken. Das wäre nicht schön. Aber bis dahin war ja noch etwas Zeit und solange würden sie bleiben. Basta!
Elektrisches Licht gab es keins aber das machte Jürgen nichts. Er entzündete einige Kerzen, die er stets bei sich trug und verteilte sie im Haus. Der Vollmond war leider von Wolken verdeckt, sonst hätte Jürgen sich die Kerzen für ein andermal aufheben können. Er war ein bisschen traurig, aber nicht sehr traurig. Das machte ihn dann auch fast schon wieder fröhlich.
Im Kamin prasselte ein schönes warmes flauschiges Feuer. Jürgen schlief, in Tücher gehüllt, ganz dicht am Kamin. Eine schwarze Spinne krabbelte auf ihn zu. Ihre Beine waren lang und unbeharrt. Auf ihrem Kopf wuchs dafür aber ein dichter Wuschelfilz, für den sie in der ganzen Gegend beneidet wurde. Ihre zahllosen Augen, acht Stück, glotzten den Mann gierig an. Sie krabbelte vorsichtig, und so leise wie nur möglich, zum Kopf des Menschen.
Jürgen drehte sich murmelnd herum. Die Spinne verharrte angespannt und legte den Kopf schief; lauschte auf das Gebrabbel und schlich dann weiter ihres Weges; natürlich erst als sie völlig sicher war, dass der Mann noch schlief.
Es war völlig klar, dass die Spinne nichts gutes im Schilde führte. Und Jürgen, noch nicht ahnend welch schreckliche Bestie da auf ihn zu kroch, schlummerte den Schlaf der Gerechten.
Im Badezimmer schlüpfte derweil die Ziege Berta aus ihrem Versteck und schnupperte die Luft. Aha, das verdammte Biest war also wieder mal auf der Jagd. Berta hasste dieses kleine lächerliche Ding, aber immer wieder und wieder, war es ihr entkommen. Aber diesmal nicht, dass schwor Berta sich bei den Zitzen ihrer Mutter, Gott hab sie selig!
So leise wie möglich öffnete Berta die Tür und robbte auf dem Bauch Richtung Wohnzimmer. Der Teppich machte es nicht unbedingt leicht zu robben, aber es war eben unbedingt erforderlich, möglichst lautlos zu sein.
Die Spinne hatte schon das halbe Ohr eingewebt, als sie sich erschrocken umdrehte. Sie hatte ein Geräusch gehört, oder nicht? War es etwa die abgemagerte Berta, die versuchte sich heranzupirschen? Nein, unmöglich. Die Glocke um Bertas Hals, hatte die Spinne jedes Mal rechtzeitig gewarnt. Unmöglich das Gebimmel zu überhören. Was, also, war es gewesen?
Berta rührte sich keinen Millimeter. Die Glocke zwischen den gelben Zähnen, lag sie scheinbar eine Ewigkeit im Schatten des Flures. Wieso verdammt noch mal, gibt es auch keine Möbel, in diesem verdammten Haus, dachte Berta wütend. Sie beobachtete den riesigen Schatten, den die Spinne an die Wohnzimmerdecke warf. Das verhasste Miststück hatte sich in Bertas Richtung gedreht, ganz sicher. Berta spannte alle Muskeln an. Es musste beim ersten Versuch klappen…es musste ganz einfach!
Jürgen erwachte durch zwei Dinge; erstens, ein lästiges Kitzeln an seinem Ohr, das durch ein kräftiges drüberwischen verschwand; zweitens, ein Höllenlärm, verursacht durch eine dünne Ziege, die in wilden Sprüngen auf ihn zustürmte. Eine silberne Glocke reflektierte das rotgoldene Licht des Kaminfeuers, und blendete Jürgen, der auf allen Vieren zurückwich und dabei gegen den Kamin stieß. Die weißen Tücher, mit denen der Kopf des Keilers verdeckt war, rutschten herunter und landeten auf Jürgens Kopf. Die Ziege schnaubte vor Wut als die verhasste Spinne, - die jetzt verletzt an einem seidenen Faden hing -, aus ihrem Blickfeld verschwand. Ein verdammtes Tuch, schien ihr tatsächlich, in letzter Sekunde einen Strich durch die Rechnung machen zu wollen. Berta kannte jetzt kein Pardon mehr. Um zu siegen, war sie jetzt bereit alles auf eine Karte zu setzen. Sogar ihr Leben!
Jürgen kam auf die Beine und versuchte das Tuch loszuwerden, was aber nicht ganz einfach war. Berta rammte mit dem Kopf voran in Jürgen hinein, der pfeifend alle Luft entweichen ließ. Aus alter Gewohnheit biss Berta kräftig zu. Sie war aber auch sehr hungrig. Jürgen schrie gepeinigt auf und geriet aus dem Gleichgewicht, stürzte rückwärts in den Kamin, worauf die Tücher lodernd Feuer fingen. Durch die Hitze, schmolz der Faden, an dem immer noch die Spinne hing. Sie stürzte nicht sehr tief, war aber schwer verwundet. Drei ihrer Beine klebten immer noch am Ohr des brennenden Mannes, der vergeblich versuchte, die ebenfalls brennende Berta abzuschütteln.
Das Haus brannte bis auf die Grundmauern nieder. Jürgen, dessen letzter Gedanke seinen toten Fliegen galt, würde nie in das Haus einziehen. Berta überlebte den Brand, war aber nach dieser Sache, nie wieder dieselbe. Die Spinne zog ins Nachbarhaus und lebte dort für den Rest ihrer Tage. Notar Klaus, hatte der örtlichen Polizei, einige sehr sehr unangenehme Fragen zu beantworten. Letzten Endes, war es aber wieder mal der Notar, der als letztes lachte.
Muhahahaha…!