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Nun lächelt er

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Nun lächelt er

Bei einem Konzert sehen sie sich wieder. In einer grölenden, verschwitzten Menge von bewegungsfreudigen Fans stehen sich er und Mareike gegenüber. Sie reißt die Augen auf. Er schaut zurück. Nicht viel Abstand ist zwischen den beiden. Gelegentlich laufen Leute an ihnen vorbei und verschwinden wieder. Dies sind die einzigen Momente, in denen ihre Blicke voneinander ablassen. Er erkennt sie. Ein Lächeln schmiegt sich um seine Lippen. Seit der Gerichtsverhandlung hat sie die gleichen Dreadlocks. Bei ihm sieht auch fast alles wie damals aus. Seine Augen lächeln durch eine kreisrunde Brille mit weißem dicken Plastikrahmen mit. Sie amüsiert Mareike gar nicht. Keiner steht bei ihm. Er ist allein. Mareike sieht, wie er angeregt dem Anwalt zuflüstert. Beide lachen. Beide erinnern sich daran, dass sie der Richter, die Zeugen und die Angehörigen beobachten. Mareike sieht wieder seinen Mund an und unterdrückt den nächsten Atemzug. Seine Mundwinkel zeigen nach oben. Fältchen legen sich um seine Augen. Aus den Boxen dröhnt das nächste Lied. Die Menge singt im Chor und hält ihre Getränke hoch. Die Leute scheinen aus aller Herren Länder zu stammen, wie seine Opfer, die weinten, während er lächelte. Mareike schaut ihm fest ins Gesicht. Nun grinst er ihr zu, tut weiter nichts. So stehen sie sich gegenüber, auf einem Konzert gegen Rechts.

 

Dies sind die einzigen Momente, in denen ihre Blicke voneinander ablassen. Er erkennt sie.

Moin,

müsste ja andersherum sein, sie müssten sich ja zuerst mal erkennen, dann schauen sie sich unablässig an, das ist übrigens eher ein anstarren. Wie das in einer grölenden Menge bei einm Konzert gehen soll, bleibt mir rätselhaft.

weißem dicken Plastikrahmen mit.
Das ist Acetat, also ein Kunststoff.

Sie amüsiert Mareike gar nicht.
Die Brille amüsiert Mareike nicht. Warum sollte sie das?
Mareike sieht wieder seinen Mund an und unterdrückt den nächsten Atemzug.
Moment, hier hat sie, was: Angst? Sie unterdrückt einen Atemzug? Warum? Ist sie aufgeregt? Vorher wird aber noch im Text behauptet, dass sie sich unentwegt anstarren. Wenn mich eine Person so irritiert bzw ich eine solche emotionale Erfahrung habe, gehe ich dann nicht weg, suche Schutz etc?
Die Leute scheinen aus aller Herren Länder zu stammen, wie seine Opfer, die weinten, während er lächelte.
Das ist alles etwas konfus. Bei Flash ist ja die Kunst, zwar wenig Volumen an Worten zu benutzen, aber dennoch eine komplette Geschichte zu erzählen. Wenn du einen Sachverhalt in 10 anstatt 20 Worten beschreiben kannst, sind diese 10 Worte natürlich Worte mit mehr Inhalt, mehr Kraft. Hier fasert aber alles auseinander, weil es keinen Kontext gibt.
Nun grinst er ihr zu, tut weiter nichts.
Beide erinnern sich daran, dass sie der Richter, die Zeugen und die Angehörigen beobachten.
Woher weiß der Erzähler das? Beide erinnern sich daran. Und müsste es nicht heißen: beobachtet haben. Liegt ja in der Vergangenheit.

In diesem kurzen Text wird viel gelächelt, gegrinst und so weiter. Aber alles ohne jeden Zusammenhang.

So stehen sie sich gegenüber, auf einem Konzert gegen Rechts.
Das muss natürlich irgendwie noch mit rein. Warum ist das wichtig? Weil der Grinser bzw Lächler eine bürgerliche Fassade hat, aber eigentlich ein moralisch verkommenes Schwein ist? Das ist erraten, aber vielleicht sollte das wirklich die Aussage deines Textes sein. Das ist so ein wenig 70er Jahre Chabrol-mässig.

Im Grunde gibt sich dieser Text geheimnistuerisch, wo ihm aber Klarheit und Stringenz besser stehen würde, denke ich. Hier wird vernebelt, weil es nichts Konkretes gibt, fürchte ich.

Konstruktiv: Ich denke, bei so kurzen Texten wirklich fokalisieren, wer erzählt was und warum? Man muss auch einen Resonanzraum aufmachen, das ist schwer, zu beschreiben: nicht GENAU alles auserzählen, aber ein narratives Bruchstück aus der Vergangenheit in die Gegenwart hineinragen lassen, ich muss eher spüren, fühlen, es emotional nachvollziehen können, ein Gespür für das Geschehen, das Drama bekommen, sonst lässt mich ein Text ja kalt. Hier wird ja mit Fassaden gespielt oder soll, mit einer gewissen banalen Alltäglichkeit, hinter der aber ein individueller Mikrokosmos stattfindet, Täter, Opfer, man weiß es nicht. Dafür fehlt aber der Resonanzraum, das klingt hier steif, unzusammenhängend, eher trivial und auch etwas zu brav. Ich würd da noch mal ran, lohnt sich.

Gruss, Jimmy

 

Hallo XVIII,

ich habe deinen Text gerne gelesen. Beim ersten Lesen bin ich sehr über einige Stellen in der Mitte gestolpert und habe den Faden nicht wiedergefunden. Beim zweiten Lesen hat der Text besser funktioniert und es hat sich ein bisschen angefühlt, wie ein kleines Rätsel zu lösen. Ich bin nicht sicher, ob es so beabsichtigt ist, aber ich verstehe die Geschichte so:

In der Vergangenheit: Mareike und ein Mann waren gemeinsam in einer Gerichtssituation. Sie war Opfer seines Verbrechens geworden.
Jetzt: Mareike und der Mann begegnen sich auf dem Konzert. Sie: den Atem anhaltend und (nehme ich an) entsetzt, aber standfest. Er: erst abwartend/lauernd, dann lächelnd.

Die Sätze, über die ich am stärksten gestolpert bin, sind folgende:

Mareike sieht, wie er angeregt dem Anwalt zuflüstert. Beide lachen. Beide erinnern sich daran, dass sie der Richter, die Zeugen und die Angehörigen beobachten.

Beim ersten Lesen habe ich "Beide lachen" als "Mareike und der Erzähler lachen" verstanden, aber es sind der Erzähler und der Anwalt gemeint, oder? Aber "beide erinnern sich" bezieht sich auf Mareike und den Erzähler? Wenn es so gemeint ist, wäre es gut, das hier klarer machen. Auch den Satzbau des letzteren Satzes finde ich etwas schwer verständlich, für mich wäre leichter zu verdauen: "Mareike und er erinnern sich, dass der Richter, die Zeugen ... sie beobachteten" oder "erinnern sich, dass sie vom Richter ... beobachtet wurden". Wenn es in der Gegenwart stehen soll, weil ihnen die Situation von damals so lebhaft in den Sinn kommt, als würden sie es quasi noch einmal erleben, würde es für mich mit "Sie erinnern sich, wie..." besser funktionieren als mit "dass", oder vielleicht "Sie sehen vor sich, wie..."?

Im Gegensatz dazu finde ich die folgende Stelle auch irritierend, aber auf eine gute Weise:

Keiner steht bei ihm. Er ist allein. Mareike sieht, wie er angeregt dem Anwalt zuflüstert.
Ich lese es so, dass wir hier zwischen Jetzt und Vergangenheit hin und her springen. Beides steht aber im Präsens, sodass es auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint. Aber es lässt sich auflösen, wenn man es so liest, dass zwei unterschiedliche Momente miteinander vermengt werden. Könnte man das ausbauen und den Kontrast hier noch stärker machen, durch eine ganze Reihe von solche Satzpaaren, die noch klarer clashen?
Er ist allein. Sein Anwalt steht neben ihm.
Die Menge ignoriert Mareike. Der Richter, die Zeugen, die Angehörigen, alle beobachten sie.

So in die Richtung. Ich bin nicht sicher, ob es ganz aufgeht. Ich denke es ist gewollt, dass man hier beim Lesen stolpert, aber es ist wahrscheinlich eine Gratwanderung, dass man nicht ganz aus der Geschichte fliegt.

Was mit meiner Lesart nicht so richtig zusammenpasst, ist der Titel. "Nun lächelt er" – aber hat er nicht schon seinen Opfern gegenüber und auch vor Gericht gelächelt? Für mich würde "Jetzt lächelt er wieder" mehr Sinn ergeben. Vielleicht liege ich hier aber auch ganz daneben.

Viele Grüße,
labaava

 

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