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Nur Erde und Gras

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16.04.2022
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Anmerkungen zum Text

Hey community, ich habe eine Kurzgeschichte geschrieben und wäre ziemlich dankbar über euer Feedback :) Bitte lest und sagt mir, was eure Gedanken dazu sind!

Nur Erde und Gras

»Lass endlich die Feuerleiter hochsteigen!«, rufst du und schüttelst mich, dass ich zu dir hochschauen muss. Du machst übertrieben große Augen. Wir liegen faul im Gras herum, zwei Halbstarke. Gerade war ich noch damit beschäftigt einzelne Halme aus dem Boden zu rupfen, nach Leben zu suchen. Gefunden habe ich nichts weiter, nur Erde und Gras; nicht mal eine Ameise weit und breit. Und jetzt deine großen aufgeregten Augen. Was soll’s, denke ich und hebe mich träge aus dem Gras, Widerstand ist zwecklos. Wenn du einmal eine Idee hast, kann man nicht anders, als dir zu folgen.

Die Feuerleiter führt hinauf auf das Dach einer leerstehenden Fabrik. Wir haben sie einmal zufällig entdeckt, hinten am alten Bahnhofsgelände. Immer wenn wir schon unter der Leiter standen, haben wir die Sache wieder abgeblasen, zu windig, zu rutschig oder weil wir ein Geräusch gehört haben und sicher waren, Zeugen wären in der Nähe. Oder schlimmer noch, Polizei. Die Fabrik steht schon etliche Jahre da und zerfällt langsam, die Scheiben der meisten Fenster eingeschlagen, die Fassade verwittert, schmutzig, bewachsen. An einigen Stellen um die Fabrik herum sieht man, dass Gelage stattgefunden haben; Lagerfeuerreste, leere Bierflaschen, Kippenstummel. Einmal lag eine Matratze direkt unter einem der großen ausgeschlagenen Fenster und wir haben uns Geschichten ausgemalt, was wohl damit passiert war. Jedenfalls, immer wenn wir da sind, ist der Platz wie ausgestorben. Wir schauen hoch auf die Feuerleiter und die glühende Mittagssonne brennt uns dabei in den Augen. Die Leiter hängt gar nicht weit oben, ich könnte sie wahrscheinlich auch alleine herunterziehen, wenn ich mich danach ausstrecken würde. »Nach Plan?«, fragst du dann aber schlicht und ich nicke bloß, während du dich direkt in Position begibst. Wir haben das alles schon lange geplant, schon unzählige Male durchgesprochen. Zur Stabilität lehnst du deinen Fuß an der Fassade ab, gehst leicht in die Knie und verschränkst die Hände vor dir, sodass ich meinen Fuß darin abstoßen kann. Du zählst von drei runter - 3, 2, 1 - und dann stemme ich mich hoch. Im selben Moment greife ich nach oben, packe das Ende der Feuerleiter und ziehe sie mit einem lauten Knattern nach unten. Und dann stehen wir erst mal nur ziemlich dumm da, schauen uns an, schauen die Leiter an. »Na los!«, sagst du, der ewige Antreiber und zeigst mit dem Kopf nach oben, und dann steigen wir die Leiter hinauf, trotzdem irgendwie träge, irgendwie unaufgeregt, als hätten wir unsere Kindheit schon vor Jahren verloren. Wahrscheinlich haben wir das auch. Ich muss daran denken, dass ich dich in den letzten Monaten immer seltener gesehen habe, du immer seltener da warst und da kommt der Groll in mir hoch und irgendwie auch dumpfe Trauer, weil ich einfach nicht mehr weiß, wie ich dich noch dazu bringen soll, mit mir zu sprechen. Wir waren mal beste Freunde, zwei verknotete Gehirne, quasi eins.

Am Dach angekommen, sehe ich dich bereits an der Kante sitzen. Du lässt die Beine baumeln und schaust hinab, gefährlich weit nach vorne gebeugt. Du suchst den Nervenkitzel, findest ihn im Abgrund, starrst mit einer Faszination hinab, die mir Angst macht, das war schon immer so.

»Ich muss dir was gestehen«, sagst du. Doch ich weiß bereits, was du mir sagen willst. Du warst schon einmal hier auf dem Dach, ohne mich, hast unseren Pakt gebrochen, bist alleine hier hoch, saßt wahrscheinlich genau an der Kante und hast werweißworan gedacht. Aber ich weiß genau, woran du gedacht hast, dass wusste ich früher immer.

»Du hättest es nicht aufhalten können!«, sagst du dann. Ich zucke zusammen; wahrscheinlich nicht. Wieder kommt Groll in mir hoch, vermischt sich mit Trauer, wird zu Verzweiflung. Tränen steigen mir in die Augen und durch diesen nebligen Schleier schaue ich in die Ferne, sehe verschwommen die Häuserdächer unserer Stadt, sehe unseren Park, den Friedhof, den Wald; sehe uns beide zusammen, überall. Die erste Zigarette, der erste Suff; die erste Prügelei, unsere gleichzeitig gebrochenen Nasen, doch wir haben uns gegenseitig verteidigt, immer. Das war mal unsere Stadt; das ist längst nicht mehr so. Während ich mir über die Augen wische, um wieder klar zu sehen, muss ich erkennen, dass ich alleine auf dem Dach stehe. Du bist gar nicht da. Früher hätte ich dich blind am Klang deiner Schritte erkannt und ein bisschen wünsche ich mir, deine schlurfenden Schritte jetzt zu hören, dich noch ein bisschen länger für mich zu haben. Doch es passiert nichts weiter und ich steige schließlich ohne dich die Leiter des alten Fabrikgebäudes wieder hinab. Jetzt war ich also auch mal hier.

Ich liege im Gras und zupfe einzelne Halme aus dem Boden, suche nach Leben, finde nur Erde und Gras. Da spüre ich ein leichtes Kribbeln auf dem Handrücken und sehe eine Ameise, die über meine Haut krabbelt, dann sehe ich eine zweite und noch eine. Der ganze Boden voller Leben.

 

Hallo @Marys_Bücherwald,

ich schreibe mit was mir auffällt.

Gerade war ich noch damit beschäftigt(Komma) einzelne Halme aus dem Boden zu rupfen
Wenn du einmal eine Idee hast
"Einmal" benutzt du im Text inflationär. Meistens kannst du es verlustfrei streichen.
Hier vllt.: wenn du dir etwas in den Kopf gesetzt hast?
Die Feuerleiter führt hinauf auf das Dach einer (der) leerstehenden Fabrik.
Sie waren schon dort, also ist es nicht eine Fabrik, sondern die Fabrik.
Wir haben sie einmal zufällig entdeckt, hinten am alten Bahnhofsgelände. Immer wenn wir schon unter (Am Fuß) der Leiter standen, haben wir die Sache wieder abgeblasen, zu windig, zu rutschig oder weil wir ein Geräusch gehört haben und sicher waren, Zeugen wären in der Nähe. Oder schlimmer noch, Polizei.
Ugs. und Füllwörter möglichst vermeiden, dafür schärfer und präziser formulieren.
Die Fabrik steht schon etliche Jahre da und zerfällt langsam,
Die Fabrik verfällt seit Jahren.
die Scheiben der meisten Fenster eingeschlagen
Was tut das dazu? Was nimmst du wahr? Knirschen die Scherben unter den Stiefeln? Malt die Sonne helle Flecken auf den Boden?
An einigen Stellen um die Fabrik herum (sind) sieht man, dass Gelage stattgefunden haben; Lagerfeuerreste, leere Bierflaschen, Kippenstummel (verstreut)
brauchst du nicht zu erklären, das kann sich der Leser aus deiner Beschreibung erschließen.
Einmal lag eine Matratze direkt unter einem der großen ausgeschlagenen Fenster und wir haben uns Geschichten ausgemalt, was wohl damit passiert war. Jedenfalls, immer wenn wir da sind, ist der Platz wie ausgestorben.
Du beschreibst den Weg zur Feuerleiter und schweifst ab in Erzählungen, was alles schon einmal irgendwo rumlag. Was tut das dazu? Besser konkrete Beschreibungen, was Prota wahrnimmt, jetzt in dieser Situation.
Wir schauen hoch auf die (zur) Feuerleiter und die glühende Mittagssonne brennt uns dabei in den Augen.
Die Leiter hängt gar nicht weit oben, ich könnte sie wahrscheinlich auch alleine herunterziehen, wenn ich mich danach ausstrecken würde.
Füllwörter, die blähen den Text auf. Absätze wären extrem hilfreich beim optischen Aufschlüsseln dieses massiven Textblocks. Z.B. vor:
Die Fabrik ...
Wir schauen hoch ...
"Nach Plan?" ...
"Na los" ...
Ich muss daran denken ...
fragst du dann aber schlicht und ich nicke bloß, während du dich direkt in Position begibst.
Fehlt was, wenn du das streichst?
Wir haben das alles schon lange geplant, schon unzählige Male durchgesprochen.
Zur Stabilität lehnst du deinen Fuß an der Fassade ab
Präzision! Stabilität wohnt Dingen inne, was du meinst ist Stabilisierung, ablehnen ist der falsche Ausdruck, was du meinst ist abstützen.
sodass ich meinen Fuß darin abstoßen kann.
Vor dem Abstoßen kommt erstmal das Hineinstellen?
Du zählst von drei runter - 3, 2, 1 - und dann stemme ich mich hoch.
So ist das orthographisch falsch. Gibt mehrere Möglichkeiten, wie es mMn geht:
Du zählst von drei runter, "Drei, zwei, eins", und dann stemme ich mich hoch.
Du zählst von drei runter ‒ drei, zwei, eins ‒ und dann stemme ich mich hoch.
und dann stemme ich mich hoch. (,) Im selben Moment greife ich nach oben, packe das Ende der Feuerleiter
Und dann stehen wir erst mal nur ziemlich dumm da, schauen uns an, schauen die (zur) Leiter an.
vor »Na los!« unbedingt einen Absatz.
irgendwie unaufgeregt, als hätten wir unsere Kindheit schon vor Jahren verloren.
Wie steigt man eine Feuerleiter hoch, als hätte man seine Kindheit schon vor Jahren verloren? Das soll gut klingen, lost generation, sagt aber konkret nichts.
Ich muss daran denken, dass ich dich in den letzten Monaten immer seltener gesehen habe, du immer seltener da warst und da kommt der Groll in mir hoch und irgendwie auch dumpfe Trauer, weil ich einfach nicht mehr weiß, wie ich dich noch dazu bringen soll, mit mir zu sprechen. Wir waren mal beste Freunde, zwei verknotete Gehirne, quasi eins.
Was genau trieb sie auseinander? Woran äußert sich das? Da schreibst du was zu, gehst aber nicht in die Tiefe. Genau das jedoch ist dein Thema, das Aus-den-Augen-verlieren und die Folgen dessen. Das kann noch Fleisch an die Knochen. Was genau machte dieses Verhältnis aus? Du schreibst dazu:
"Die erste Zigarette, der erste Suff; die erste Prügelei, unsere gleichzeitig gebrochenen Nasen, doch wir haben uns gegenseitig verteidigt, immer. Das war mal unsere Stadt"
Das klingt für mich mehr wie Kumpels von der Dorffeuerwehr. Stereotyp.
Frage: Was ist das Besondere, vllt. Einzigartige dieser Freundschaft? Was haben sie in sich gesehen? Wenn man ein Lebensgefühl teilt, lässt sich das an Ereignissen aufzeigen, im besten Fall in Form einer Entwicklung.
Am Dach angekommen, sehe ich dich bereits an der Kante sitzen
Man kann am Bahnhof ankommen, aber nicht am Dach. Hier würde ich vorschlagen: Oben auf dem Dach sehe ich dich ...
Du suchst den Nervenkitzel, findest ihn im Abgrund, starrst mit einer Faszination hinab, die mir Angst macht, das war schon immer so.
Braucht es nicht.
Du warst schon (vorher hier) einmal hier auf dem Dach, ohne mich, hast unseren Pakt gebrochen, bist alleine hier hoch, saßt wahrscheinlich(und hast) genau an der Kante (gesessen) und hast werweißworan gedacht. Aber ich (Ich) weiß genau, woran du gedacht hast, dass wusste ich früher immer.
Tränen steigen mir in die Augen und durch diesen nebligen Schleier
Tränen bilden keinen Nebel.
Das war mal unsere Stadt; das ist längst nicht mehr so. Während ich mir über die Augen wische, um wieder klar zu sehen, muss ich erkennen, dass ich alleine auf dem Dach stehe.
Absatz hinter "nicht mehr so". Du wechselst aus der Rückschau in die Gegenwart.
Prota erkennt also beim Augenwischen, dass er alleine ist? Nee, du, er weiß, dass er alleine ist, dafür braucht es keinen Erkenntnisprozess. Er glaubt ja nicht wirklich, dass der andere dort ist. Seine Gedanken sind einen Moment in die Vergangenheit abgeschweift, jetzt kehrt er zurück. So würde ich auch diese Stelle lösen, das beschreiben, was fehlt und nicht mehr da ist, das reicht. Das ist ja der Schlüsselmoment, wo du auflöst, dass der Freund gesprungen ist. Dementsprechend präzise und behutsam würde ich formulieren.

Schön die Klammer mit der Suche nach Leben im Gras.

Soweit meine Lesart, das sind alles persönliche Einschätzungen, nichts davon musst du umsetzen. Meiner Erfahrung nach bringt eine ehrliche Kritik mehr als das Honig-um-den-Bart-schmieren. Nichts davon ist persönlich gemeint, es geht rein um Textarbeit.

Peace, l2f

 

Hallo @linktofink

danke, dass du dir die Zeit genommen hast meine Geschichte zu lesen und so genau zu bewerten :) Ich habe diese Geschichte ein wenig aus den Augen verloren, weil ich mich mit meiner anderen Geschichte beschäftigt habe und da habe ich die Kommentare gar nicht mehr gesehen. Deswegen meine späte Antwort.

Ugs. und Füllwörter möglichst vermeiden, dafür schärfer und präziser formulieren.
Präzision! Stabilität wohnt Dingen inne, was du meinst ist Stabilisierung, ablehnen ist der falsche Ausdruck, was du meinst ist abstützen.
Ja, den Einwand verstehe ich. Füllwörter habe ich wohl immer benutzt um die Gefühlslage / Unsicherheit von meinen Protas zu zeigen, aber du hast Recht, dass ist kein guter Stil und muss auch anders gehen.
Präzision muss ich lernen/üben. Ich schweife irgendwie immer total ab, ohne es zu merken... falls du da einen Tipp hast, gerne her damit :read:

Was tut das dazu? Was nimmst du wahr? Knirschen die Scherben unter den Stiefeln? Malt die Sonne helle Flecken auf den Boden?
Du beschreibst den Weg zur Feuerleiter und schweifst ab in Erzählungen, was alles schon einmal irgendwo rumlag. Was tut das dazu? Besser konkrete Beschreibungen, was Prota wahrnimmt, jetzt in dieser Situation.
Weniger erzählen, mehr erleben - got it.

Wie steigt man eine Feuerleiter hoch, als hätte man seine Kindheit schon vor Jahren verloren? Das soll gut klingen, lost generation, sagt aber konkret nichts.
Naja, Kinder / Jugendliche würden irgendwie albern die Leiter hochsteigen, laut, kichernd, schnell - ich wollte hier einfach einen Kontrast aufzeigen.

Tränen bilden keinen Nebel.
Habe ich mir frecher Weise von Daniel Kehlmann geklaut. Aber er hat es eindeutig besser gemacht ("Er gähnte, Tränen traten in seine Augen, und das Zimmer zerfloß in hellem Nebel" aus der Kurzgeschichte "Töten").

Soweit meine Lesart, das sind alles persönliche Einschätzungen, nichts davon musst du umsetzen. Meiner Erfahrung nach bringt eine ehrliche Kritik mehr als das Honig-um-den-Bart-schmieren. Nichts davon ist persönlich gemeint, es geht rein um Textarbeit.
Danke dafür. Ich sehe das genauso und stelle meine Texte nicht hier rein um dafür gefeiert zu werden, sondern um ehrliches Feedback zu kriegen, an mir zu arbeiten und besser zu werden. Von daher, alles gut.
Ich bin mit dieser Geschichte jedenfalls durch. Hab sie noch in einer sehr frühen Version zu einem Wettbewerb geschickt und tatsächlich gewonnen (was nicht heißt, dass die angebrachte Kritik nicht vollkommen angemessen ist). Ich werde mir deine Punkte sehr zu Herzen nehmen und für künftige Texte versuchen das dann umzusetzen :thumbsup:
Ich bin halt noch work-in-progress :schiel:

Grüße,

Mary

Hey @Ronnie

schön, dass du meinen Text gerne gelesen hast :) Das freut mich! Und ja, mehr Handlung, weniger Erzählen - habe ich schon öfter gehört :bonk: und ich versuche es künftig umzusetzen...

Hab noch ein schönes Restwochenende!

Grüße

Mary

 

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