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Nusspli für Sinatra (Lesungsstory Düsseldorf, 9.2.07)

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Nusspli für Sinatra (Lesungsstory Düsseldorf, 9.2.07)

Ich habe die perfekte Frau gefunden - Sie ist taubstumm, sexbesessen und betreibt einen Schnapsladen.
Frank Sinatra


Ich bin nun Vierzig, war aber früher jünger. Trotzdem war ich schon immer immun gegen Musik, wie sie von Dieter Bohlens Klonkriegern gemacht wird.
Ohnehin wähne ich mich eher in den Gefilden zeitloser Musik, selbst Klassik, obwohl ich mit Woody Allen konform gehe, der mal behauptete, er verspüre beim Genuss von Richard Wagners Kompositionen stets das Verlangen, in Polen einzumarschieren.

Mein Faible gilt dem größten Sänger, Trinker und Journalistenverprügler in der Geschichte der Musik: Francis Albert Sinatra, von Uneingeweihten wie Studiobossen, der Mafia und der eigenen Familie lediglich Frank genannt. Früh auf den Brettern amerikanischer Bars und Clubs zu finden, machte er bereits mit 19 seinen Weg, wurde Vorzeigesänger einen kleinen Bigband und erwuchs schließlich zum jungen Womanizer; in New York standen Schlangen von jungen Damen vor der Radio City Music Hall, und manche dieser Schlangen waren kilometerlang. Wenn er dann sang, die Stimme benutzend, als werfe er geschmolzene Schokolade in die ersten Sitzreihen, flog vereinzelt Unterwäsche. In den Dreißigerjahren war diese zumeist aus klobiger Wolle gefertigt, was ein gelegentliches Ausweichen Sinatras erforderlich machte, aber die Magie war da – und sie blieb sechs Jahrzehnte.

Meinen ersten bewussten Kontakt mit dem Werk Frank Sinatras hatte ich Mitte der Achtziger. Ich kaufte, von den Halligalli-Kapellen aus Großbritannien und Frank Farians X-ter Boney - M-Exhumierung genervt, eine Kassette, die lediglich SINATRA hieß und dessen Hülle den Mann höchstselbst zeigte, wie er nachdenklich vor einem Mikrophon hockte, das so antik wirkte, dass ich mich genötigt sehe, Mikrophon mit »ph« zu schreiben.
Das Band enthielt nur Coverversionen, also keine ausgewiesenen Sinatra-Songs, die wir automatisch mit ihm verbinden, wenn überhaupt.
Das besondere war allerdings, wie Sinatra die Songs intonierte: Wo Peggy March »Downtown« gezwitschert hatte, als würde ein Gang in die Unter-Stadt mit anschließendem Spaziergang am Hafen Hodenkrebs heilen, setzte Sinatra auf eine etwas andere Darbietung. Bei ihm klang Downtown nach »Ab in die Stadt, sauf dich zu oder rutsch mir den Buckel runter, du Saftsack«. Zudem fügte er eine Reihe vielsagender »Rrrrrrrrrrrrrrrrrrr`s« an.
So oder so: Ich wurde zum Fan. Ich kaufte alles, was mir in die Finger kam, inklusive einer Sinatra-Büste aus Holz, die aussah, als wäre sie aus angemaltem Styropor und einer Replik der Goldenen Schallplatte für MY WAY – die selbst als Nachbildung eine Fälschung war, denn Sinatra hat für diesen Song keine Goldene Schallplatte bekommen. Trotzdem ist MY WAY der beste Titel, um beispielsweise stilvoll dem Erdreich überantwortet zu werden. Zumindest ist es passender als I will survive.
Sinatra, der in den Sechzigern im Sands in Las Vegas mit einer Attitüde auftrat, als wäre das Publikum eigentlich nur Penner, die wie durch ein Wunder in sein Wohnzimmer gefunden hatten, begann in den Neunzigern mit einer ausgedehnten Tournee über den Planeten, in deren Verlauf er dann doch ein gewisses Interesse für zahlende Fans an den Tag legte. Im Dezember 1993, so die Plakate an der Litfasssäule meines Vertrauens, würde der Weg Sinatras nach Dortmund führen, und zwar im Alter von 78 Jahren.
Auf meiner To-Do-Liste des Lebens, also den Dingen, die es für einen Mann zu tun gibt, bevor er stirbt, standen viele, viele Punkte. Sinatra live zu sehen, koste es was es wolle, rangierte auf den oberen Rängen, eingepfercht zwischen »Haare wachsen lassen, dann beim Friseur eine Dauerwelle in Auftrag geben, die man direkt vor Ort abrasieren lässt, um die Angestellten zu schocken« und »ein Kind in die Welt setzen, wobei man einen Jungen Luke Skywalker und ein eventuelles Mädchen Barbarella nennt«.
Apropos Barbarella: Auf der Liste waren noch einige Punkte, zum Beispiel: »Mit Jane Fonda schlafen«, aber dieser Punkt stammte noch aus den Siebzigern und rutschte über die Jahre immer weiter nach unten, bis er noch hinter »öfter feuchtes Toilettenpapier benutzen« landete. Egal. Sinatra Live war ab sofort Platz 1.

Das Plakat noch auf der Netzhaut, rannte ich zum Kartenverkaufsschalter in der Innenstadt; vielleicht ein bisschen übertrieben, wenn man bedachte, dass wir Februar hatten, aber ich wollte kein Risiko eingehen. Der Schalter befand sich in einer wundervoll gestalteten Passage, die früher auch einen ehrwürdigen Buchladen beherbergt hatte, welcher allerdings mittlerweile von H&M verschlungen worden ist. Das leuchtet natürlich ein. Bücher gibt es sowieso auf jedem lausigen Flohmarkt, zumeist in gutem Zustand - aber Jeans, die aussehen, als kämen sie von einem lausigen Flohmarkt, bietet nur H&M mit einer Selbstverständlichkeit an, die neu und aufregend, wenngleich vollkommen für den Arsch ist.

Der Vorverkaufsschalter war ein viereckiges Loch und bot gerade eben Platz für eine Person, einen Locher und eine Handvoll Musical-Flyer.
Die Dame des Lochs war ganz gepuderte Gleichmut, vielleicht Mitte Fünfzig; sie strickte nicht, aber ihr Blick war verschleiert, so als würde sie gleich damit beginnen. Sie hob den Kopf.
»Westernhagen«, sagte sie mit Kennermiene.
»Blödsinn«, erwiderte ich.
Ihr Blick, nun weniger verschleiert, tastete in meinem Gesicht, um meine Mimik nach einer Band oder einem Solokünstler abzusuchen. Es schien eine Art Hobby zu sein; vielleicht hielt sie es auch für Menschenkenntnis.
Ich wartete, kam ihr aber dann zu Hilfe.
»Sinatra, zweimal. Gute Plätze.«
»Wer?«, fragte sie.
Ich legte den Kopf schräg und dachte: Sie veralbert dich, gefolgt von dem Gedanken, dass sie die letzten Vierzig Jahre etwas anderes getan haben könnte als Radio zu hören, Zeitschriften zu lesen, ins Kino zu gehen, TV zu schauen oder sonst irgendwie am Leben teilzunehmen. Gleichzeitig gestand ich ihr gütig zu, vielleicht nicht jeden japanischen Godzilla-Film gesehen zu haben oder Studio-Alben von Ostblocksuppenwürfelmachenkrebs zu sammeln. Ich gestattete ihr sogar in aller Stille, die meisten Miami Vice-Folgen nicht zu kennen, auch oder vor allem, da Sinatra in einer mitgespielt hatte, aber verdammt. Sie mochte Ricardo Tubbs nicht kennen, aber doch Corega Tabs und somit, zeitbedingt, wohl auch Frank Sinatra. Das war nicht zuviel verlangt.
Dann hörte ich bei ihr den Groschen fallen. Er schien direkt aus ihrem Temporallappen und auf einen Prospekt für ein Musical über Josephs unfassbar bunten Traumbademantel zu poltern.
»Frank Sinatra?«, fragte sie.
Nicht doch - Horst Sinatra, dachte ich. Panflötenspieler aus Wattenscheid.
»In der Tat. Frank Sinatra. Nebst Orchester. Westfalenhalle. Dortmund.«
Dann öffnete sie einen schmalen Katalog und fuhr mit dem Finger dicht geschriebene Zeilen ab.
»Da«, sagte sie desinteressiert. »Tatsache. Frank Sinatra und Band. Das sind aber noch ein paar Monate. Ende des Jahres.« Dann fügte sie gedankenverloren hinzu: »Erst im Winter. So lange noch. Winter. Sinatra ist doch ziemlich alt.«
»Dieses Risiko gehe ich ein«, entgegnete ich. »Wenn er vorher verstirbt, nehm` ich Karten für die Gipsy Kings, in Gottes Namen. Gibt es schon Tickets?«
»Noch nicht. Nein.«
Ich erkundigte mich nach dem Preis. Ihr Finger bereiste erneut die Zeilen.
»Die liegen so bei…« Ihre Augen verengten sich zu so verschlagenen Schlitzen, dass ich mir fast sicher war, dass sie sehr wohl jeden Godzilla-Film gesehen hatte. » …280 DM.«
»Und wenn er nicht bei mir zuhause singt?«
Sie ignorierte den kleinen Scherz.
»Damit geht’s erst los. Wenn sie vorn sitzen möchten, haben wir 310, 340 und 365 DM.«
»Wie bitte?«, sagte ich. »Sinatra ist der größte Entertainer des Jahrtausends, wenn wir Attila den Hunnenkönig mal außen vor lassen. Keine Frage. Ol`Man River, My Way, das Rat Pack, der Oscar für Verdammt in alle Ewigkeit, ein paar hundert Affären, 1800 Aufnahmen, der Auftritt bei Al Bundy…aber 365 Mark gehen einen Tick zu weit. Für das Geld kann ich wohl erwarten, dass er mir auf der Bühne seinen Arm um die Schultern legt. Schauen Sie noch mal nach. Vielleicht stimmt die Währung nicht.«
Die Währung stimmte. Ich musste mir etwas einfallen lassen.

Winter.
Nutella war gestrichen worden, und zwar nicht aufs Brötchen, sondern von meinem Speiseplan. Ich hatte mich bis tief in den Herbst mit einem Ersatzstoff beschieden, der weder so schmeckte wie das Original, noch dessen bestechende Optik aufwies, aber 45 Prozent günstiger war. Nusspli, der Daihatsu Cuore unter den Brotaufstrichen, verlangte mir wirklich einiges ab, aber ich tröstete mich mit dem Gedanken an das Konzert.

Ich war auch nicht mehr in reguläre, teure Theatervorstellungen gegangen, sondern lediglich in die preislich günstigere Generalprobe – was ich im Übrigen jedermann ans Herz legen möchte. My Fair Lady kommt noch mal so gut, wenn Doolittle mitten in »es grünt so grün« über einen nachlässig montierten Stuhl stürzt und »SCHEISSDRECK« brüllt. Dies wird dann in der Regel nur noch durch den darauf folgenden Auftritt eines Mannes mit Akkuschrauber gekrönt, der versucht, unsichtbar zu sein, während er in seinem Blaumann nach einer Schlitzschraube sucht.
Jedenfalls sparte ich an allen Ecken und Enden. Ich benötigte ohnehin nur eine Konzertkarte; die Fronten zwischen meiner Freundin und mir hatten sich über den Sommer soweit verhärtet, dass ich gezwungen war, mir in meiner eigenen Wohnung Simply Red und ihr Gemecker über minderwertigen Nussnougataufstrich anzuhören. Sie hätte mich vielleicht trotzdem zum Konzert begleitet, aber ein gemurmeltes »Dir zuliebe« mit Opfermiene für 365 Mark wollte ich nicht provozieren. Ich suchte den Schalter in der Passage erneut auf.
Statt der älteren Dame saß dort nun eine bedeutend Jüngere. Sie trug einen Rolli, der sie ebenso einengte wie ihr Arbeitsplatz und rauchte sich mit Mentholzigaretten eine Nebelbank zusammen. Ich wartete auf mein »Westernhagen«, wurde stattdessen aber wie ein Mensch begrüßt.
»Gibt es noch Karten für Sinatra?«
Einen entsetzlichen Moment lang dachte ich, sie würde verneinen. Tut mir Leid, die waren schon im März ausverkauft. Gestern gabs noch vierzig VIP-Tickets, aber die hat jetzt alle Westernhagen.
»Allerdings«, erwiderte sie jedoch. »Welche Kategorie?«
»Die Königsklasse«, sagte ich. »Den besten Platz, den Sie haben.«
Sie zog die Stirn in Falten.
»Ich habe etwa 400 gute Plätze.«
Das konnte unmöglich sein. Was lief hier für ein Kokolores?
»Wo ist eigentlich Ihre Kollegin?«
»Welche?«
»Die, die fast strickt.«
»Wer?«, fragte sie.
Ich produzierte eine wegwerfende Handbewegung.
»Ihre Kollegin. Etwas älter.«
»Ach so«, sagte sie. »Krankenhaus.«
Erzähl du mir noch mal einen von Winter, dachte ich und zählte das Geld ab.


Mein Kleiderschrank offenbarte Unerfreuliches. Eingedenk das Plakatmotivs, welches das Konzert ankündigte, konnte ich kaum in Jeans und Motto-T-Shirt aufkreuzen, nicht mal, wenn das Motto »Verzeihung, aber das Atelier meines Maßschneiders ist explodiert« gewesen hätte.
Denn Sinatra war der Stilgott: Überlebensgroß und sanft von hinten beleuchtet, zeigte er sich von seiner besten Seite: Graues Toupet über lächelnden Jackettkronen im Wert eines Hubschraubers, darunter verschränkte Arme, die in den Ärmeln eines Smokings steckten, der so gut saß, als handele es sich bei dem Kleidungsstück um eine Airbrush-Arbeit. Frank Sinatra, jenseits jeden menschlichen Rentenalters, sah nicht eben aus wie ein Mann, der in ausgeleierten Shorts vor einem Großbildfernseher mit Grünstich hockte, der guten alten Zeit nachtrauerte und von seinem Diät-Martini aufstieß. Auf diesem Poster wirkte er wie eine Mischung aus einem durch seine Auferstehung erheiterten Tut-Ench-Amun, dem Sechs-Millionen-Dollar-Mann und Gott, wenn der Himmel ein Puff gewesen wäre. Das Poster war riesig, und Sinatra wirkte darauf ebenso gigantisch. Man kam nicht umhin, ihn sich als vier Meter große Lichtgestalt vorzustellen, deren Schritte in Lackschuhen von Gucci den Bühnenboden erbeben lassen würden. Kurz gesagt: Mit seinen verschränkten Armen sah er aus wie ein Türsteher, und ich hörte förmlich sein »Vergiss die popeligen 365 Mark – mit der Hose kommst du hier nicht rein, Sportsfreund.« Ich würde in der ersten Reihe sitzen. Jeans waren definitiv gestorben.
Meine Freundin mied mich, während ich den Kleiderschrank durchwühlte. Der Schrank, 4 Meter breit, war in zwei Bereiche abgeteilt: Die drei Meter sechzig der linken Seite beherbergten den Fundus der Königin von Saba, für die meine Freundin sich offenbar hielt; sie bevorzugte witzlose Jeans von Esprit, von der eine der anderen aufs Haar glich, und Kostüme mit wuchtigen Schulterpolstern. Sie hatte ein Püppchengesicht, aber wenn sie im Kostüm einen Schatten warf, sah der aus als gehöre er zu George Foreman.
Die restlichen vierzig Zentimeter Schrank gehörten mir. Es war zum Haare raufen: Alles, was im Dunkel des Schranks schwarz wirkte, erwies sich bei Tageslicht als dunkelgrau oder ehemals weiß bzw. ecru, ein gebrochenes beige, in den Neunzigern schwer in Mode, für mich aber seit jeher die Geschlechtskrankheit unter den Farben.
Letztlich fand ich doch noch meinen guten Kord- Anzug. Er hatte im Laden schwarz gewirkt, auf der Straße graublau und in Neonlicht grünlich, aber da ich damit nicht in den Kernspintomographen wollte, würde es gehen.
Ich stand zu Sinatra, ich stand dazu, dieses Konzert der Konzerte zu besuchen, und schon der Gedanke an die ersten Takte des Orchesters beschleunigte meinen Puls. Trotzdem kam mir gelegen, meiner Freundin in dieser heißen Phase vor dem Event nicht vor die Flinte zu laufen: Ein Blick aus ihren Augen gab mir neuerdings das Gefühl, im Zeitraffer zu altern. Wir prallten in der Küche aufeinander.
»Na«, sagte ich.
»Na.«
Schweigen.
»Ich bin dann heute Abend nicht da.«
»Ich bin keineswegs so dement wie du. Hab ich behalten.«
»Ich bin nicht dement«, erwiderte ich. »Ich gehe auf ein Sinatra Konzert.«
»Das ist vermutlich erst der Anfang«, sagte sie düster, den Blick auf ihre Fingernägel geheftet. Sie unterzog sich mindestens einmal monatlich einer komplexen Behandlung, in deren Verlauf ihre Nägel mit Strasssteinen, Palmen und ganzen Planentensystemen bemalt wurden. »Erst gehst du zu diesem Sinatra, dann beginnst du, Hosenträger zu kaufen. Als nächstes trägst du aus Bequemlichkeit nur noch Slipper von BAMA.«
»Der Ersatzkasse?«, fragte ich.
»Siehst du, geht schon los. Du mutierst. Ich kann dich fast altern hören.«
Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. »Es reicht. Denkst du, du bist resistent gegen das Altern? Ich bin gerade mal sechs Jahre älter als du, verflucht. Ich trage Jeans. Mein Wortschatz ist über jeden Verdacht erhaben. Ich sage mitunter »verdammte Scheiße« und nicht »oh Weh« oder »Scheibenkleister«, wie beispielsweise dein Vater, der nebenbei bemerkt in der Tat wirklich alt ist, das aber durch Schallplatten von Pink Floyd übertünchen will. Dark Side of the Moon, was? Dein Vater ist auf der dunklen Seite des Mondes gut aufgehoben, und er genießt es.«
»Lass meinen Vater aus dem Spiel.«
»Lass du Sinatra aus dem Spiel. Wenn ich demnächst Bücher von Stephen Hawking lese – beantragst du dann Pflegestufe 2 für mich? Kokolores. Was sind das überhaupt für Gespräche? Eine Beziehung wie unsere sollte von Liebe und Zutrauen geprägt sein- sie sollte ein Manifest der Zärtlichkeit sein, eine marmorne Säule des gegenseitigen Respekts, du blöde Kuh.«
Sie verschränkte die Arme über ihrer pastellfarbenen Benetton-Strickjacke.
»Wenn du Vierzig bist, wirst du älter sein als jeder andere Vierzigjährige.«
»Unsinn. Wenn ich Vierzig bin, schreiben wir das Jahr 2006. Dann werden sie einem in der Fußgängerzone binnen zehn Minuten Haare implantieren können, während man mit seiner Armbanduhr seinem Haushalts-Androiden mitteilt, was man zum Abendessen wünscht.« Ich lächelte überlegen.
»Wie dem auch sei«, schloss ich den Beweisvortrag, »ich muss mich nun fertig machen.«
»Genau«, sagte sie. »Du machst dich jetzt fertig. Wir haben 13 Uhr 45. Das Konzert beginnt um Acht, oder? Setz dich doch einfach so lange mit deinem braunen Kordanzug auf die Couch und warte, bis es dunkel wird. Findest du nicht, das klingt nach Seniorenheim?«
Meine Erwiderung enthielt einige Worte, die ihr Vater nie benutzt hätte. Und was zum Teufel meinte sie mit braun?


20 Uhr.
Ich hätte vom Management der Westfalenhalle erwartet, dass alles in bunte Lichter getaucht ist. Mindestens war ich auf einen roten Teppich, oder einfach nur einen Teppich in irgendeiner Farbe gefasst gewesen. Fehlanzeige. Immerhin hatten sie gestreut. Als der Parkplatzwächter mir mitteilte, ich zitiere, »Wenn du deine Omma abholen willst bist du zu früh dran, Bursche – aber parken kostet trotzdem einen Fünfer«, ahnte ich bereits, was auf mich zukam.
Die Schlange vor der Kasse war recht kurz, verglichen mit anderen Musikevents; ich sah ein Meer aus weißem Haar, viele Anzüge, Perlenketten. In dieser Schlange war ich der Jüngste.
Ich kaufte mir ein Glas Sekt, nachdem ich durch war. Im Foyer, wenn man die etwas industriell wirkende Vorhalle so nennen wollte, war ich ebenfalls der Jüngste. Der Piccolo, preislich eher zur Gruppe der Jahrgangsweine zu zählen, die der Graf von Monte Christo zu sammeln pflegte, lockerte mich etwas. Natürlich waren die Leute meines Alters bereits auf ihren Plätzen; Nur die Alten und Schwachen, nicht in der Lage, in Trab zu verfallen, dümpelten noch in der Halle. Die Halle lag im Halbdunkel, sah ich kurz darauf. Aber es war nicht halbdunkel genug, um zwei Sachverhalte zu verschleiern.
Erstens:
Die Halle war lediglich zur Hälfte gefüllt.
Zweitens: »Zur Hälfte« bedeutete etwa 3000 Besucher, und von denen war ich augenscheinlich noch immer der Jüngste.

Gute Sitze in Reihe Eins; es roch nach Kölnisch Wasser und Festiger; Seide, oder Material das sich zumindest wie Seide anhörte, raschelte hinter mir.
Direkt links blickdichte Strumpfhosen, rechts ein haariger Arm mit Hemdmanschetten und goldener Uhr mit Bergmannsmotiv. Ein Aufwallen von Sodbrennen erfasste mich. Ich mutmaßte, dass das am Sekt lag, aber es konnte auch eine physische Reaktion auf das Gefühl sein, gleich zwangsadoptiert zu werden.
Vereinzeltes Husten. Ich war starr wie eine Porzellanvase. Hier, in der ersten Reihe, herrschte die angespannte Atmosphäre einer Versteigerung.
»Jetzt Kopulierender Gratulant, ein vierjähriges Rennpferd aus dem Gestüt Pawlowski. Ja, fünftausend vom Herrn mit der Bergmannsuhr… sechs, ja, sechsfünf von der Dame in … Seide? Sieben, ich höre sieben, wer bietet acht? Sekunde - Wir brauchen hier ein Kehrblech.«
Dann ging alles Schlag auf Schlag. Das Licht erlosch.
Das Orchester stimmte »I’ve Got The World On A String « an, Lichter flammten auf, hinter mir Stöhnen, als würde reihenweise erblindet.
Der Meister, Francis Albert, The Voice, Ol`Blue Eyes, Leader of the Pack betrat die Bühne. Er grinste von einem sonnenbraunen Ohr zum anderen; sein Toupet wirkte, als wäre es verchromt; alt, ja, aber voller Würde - im Großen und Ganzen ließ er die Rolling Stones wie dieses singende Sperma von Tokio Hotel aussehen. Er griff zum Mikro, sagte »good Evening«, und addierte sechs Millionen Jahre Ruhrgebiets-Geldadel applaudierten. Die Druckwelle tausender Hände presste eine Killerwoge von Tosca von den Oberrängen in die ersten Reihen, eine Art Geruchs-La Ola, die mir noch wochenlang im Nackenbereich anhaftete.
Ich war wie vom Donner gerührt.
Die Stimme, die überall auf der Welt berühmt war, schallte aus den Lautsprechern eines unbedeutenden Gebäudes in Dortmund, Nordrheinwestfalen. Ich bekam eine Gänsehaut wie eine Ritterrüstung, stand auf, applaudierte, schrie irgendetwas, und es geschah: Sinatra persönlich sah mich an. Er zog eine Augenbraue hoch, die »Thats Right Boy«, aber auch »hinsetzen, Provinz-Blödmann« bedeuten mochte, aber ich konnte nicht, auch dann nicht, als sich meine Uhr in einem Nest aus Haar und Haarspray verfing, was die Dame links von mir heftig zum Nicken brachte.
»FRANK«, brüllte ich.
Er lächelte.
Ich bellte irgendetwas und riss meinen Arm los. Mein Uhrenarmband sah neuerdings so aus, als trüge es ebenfalls ein Toupet.
Die Frau neben mir kreischte und hielt sich den Kopf, und sie hatte natürlich recht: Was für ein Konzert.
Es wurde ein Triumph, den zu Papier zubringen mangels Wortschatz unmöglich ist; Nur soviel: Es war als hätte ein egozentrisches Regime mit Swing gefüllte Marschflugkörper auf die Teilnehmer einer Butterfahrt abgefeuert. Ich war neben Sinatra der einzige, der was unternahm, um den Stimmungspegel zu halten.

00 Uhr.
»Ich bin wieder jung«, erklärte ich meiner Freundin, als ich nach Hause kam. »Du kannst jetzt gerne wieder Coco Jambo oder Ole`Ole` oder was du sonst so hörst laufen lassen. Ich bin gesegnet.«
»Bist du bescheuert ?«, fragte sie.
»Sinatra hat mich gesehen. Ich habe Sinatra gesehen.«
Ich unterschlug die kleine Geschichte mit den Saalordnern, die mich zurück in den Sitz gepresst hatten ebenso wie eine Bemerkung über meinen tränenreichen Zusammenbruch, als Sinatra am Schluss sichtlich erleichtert »My Way« intoniert hatte. Sinatra gab keine Zugabe; ich auch nicht.
»Geh jetzt ins Bett«, sagte sie mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete.
»Ich kann jetzt nicht«, erwiderte ich. Ich war noch immer aufgeregt. Außerdem schmerzten meine Schultern.
»Ah ja«, sagte sie. »Alte Leute brauchen ja nicht soviel Schlaf. Du riechst übrigens wie meine Uroma.«
Das ließ mich kalt. Völlig.
Ich hatte Sinatra Live erlebt. Auf der »To Do« Liste meines Lebens war ein Punkt abgehakt, und die Position »Mach dich vor ein paar tausend Leuten zum Vollidioten« konnte ich gleich mitstreichen.
So saß ich des Nachts in unserer Küche; Sinatra selbst mochte zeitgleich an irgendeiner Bar sitzen, während er mit den Fingern nach einem Radiergummi schnippte, um Dortmund von der Landkarte zu tilgen. Ich schnappte mir etwas Briefpapier meiner Freundin, malte der Diddlmaus darauf eine Augenklappe und begann meine To-Do-Liste auf den neuesten Stand zu bringen.
Punkt 1: »Nutella, bis Elvis wieder aufersteht.«

 
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Hallo Jack Torrance,

als großer Sinatra-Fan ist deine Geschichte für mich natürlich Pflichtlektüre gewesen. Ich habe mir die CD everything happens to me eingelegt und mich von deinem Text bestens unterhalten lassen. Wirklich klasse geschrieben, deine Sprache swingt mit angemessener Lässigkeit und sorgt dafür, dass die doch etwas längere Geschichte sehr kurzweilig und witzig rüberkommt.

Hat mir wirklich sehr gut gefallen.

Nur eins ist aus meiner Sicht anzumerken: Da du deine Story im Dezember 1993 ansiedelst (was ja seinen Grund in dem damaligen Konzert hat), kann dein Prot nicht im damaligen Empfinden während des Konzerts den (zugegeben sehr lustigen) Vergleich Rolling Stones/Tokio Hotel ziehen.

Meines Erachtens war die zweitgenannte Gruppe damals noch nicht existent. Irgendwie passt es dann nicht so richtig.

Diese Geschichte kann man auch jenen empfehlen, die nicht unbedingt Sinatra-Fans sind.

Grüße von Rick

 
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Rick schrieb:
Nur eins ist aus meiner Sicht anzumerken: Da du deine Story im Dezember 1993 ansiedelst (was ja seinen Grund in dem damaligen Konzert hat), kann dein Prot nicht im damaligen Empfinden während des Konzerts den (zugegeben sehr lustigen) Vergleich Rolling Stones/Tokio Hotel ziehen.
Das passt schon, weil der Vergleich rückwirkend gezogen wird. Der Protagonist erzählt aus der heutigen Zeit das damalige Erlebnis und zieht deswegen den aktuellen Vergleich.

Aber du bist Sinatra-Fan, das entschuldigt fast alles. ;) In diesem Zusammenhang ist fast schade, dass Jacks Horrorstory "Strangers in the night" nicht mehr online zu lesen ist, sondern in "Postkarten aus der Dunkelheit" steht, die wäre für dich garantiert hochinteressant. Nur mal so als Tipp. :Pfeif:

P.S.: Freitag hab ich mich nicht getraut, es zuzugeben - ich glaub, ich schmecke den Unterschied zwischen Nusspli und Nutella gar nicht ...

 

Hallo Jack Torrance,

absolut (wieder) der ALTE! *aufatme*

Hab mich wunderbar amüsiert und unterhalten gefühlt und nein, ich werde jetzt nicht alles zitieren, was mir gefällt bis auf dies hier:

»Wenn du Vierzig bist, wirst du älter sein als jeder andere Vierzigjährige.«

Ich hab nix zu meckern und wenn es nicht bald ein anderer tut, hiev ich diese Story in die Empfehlungen.

Lieben Gruß
dein Fan

 

Hi, Rick und lakita (und Ginny, natürlich!)
Danke sehr. danke sehr! Ausdrücklich: DANKE!
Sinatra ist mein Herzblut, auch wenn ich das Konzert von Mai 93 in den Dezember verschoben habe:-) Bin gespannt auf Xadhooms Mitschnitt.

Wir lesen uns! Sagte ich schon danke?

 

fand die Geschichte recht amüsant. Ich bin auch sonen Listenführer und da steht auch recht weit oben: Bob Dylan live sehen.

Die Stelle mit dem Nutella am ende wirkte ein wenig krampfhaft eingebaut, um die Pointe reinzukriegen... aber doch schon okay.

Gern gelesen.
E.

 
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Hi Jack Torrance,

bin auch Sinatra-Fan und bedaure zutiefst nie auf einem Konzert gewesen zu sein, aber Deine Geschichte entschädigt zu einem gewissen Teil. Amüsant, witzig und mit der nötigen Distanz zum eigenen Fanatismus geschrieben. Der Erzähler sieht sich selbst beim Fan-Sein zu, das fand ich sympathisch.

Aber ein paar Sachen habe ich anzumerken:

Textkram:

MAY WAY
???

"Downtown" - hat Peggy March das auch gesungen? Oder meintest du Petula Clark, die es definitiv gesungen hat?:klug:

Tokio Hotel aka singendes Sperma - hört sich zwar lustig an, aber Sperma bewirkt im günstigsten/schlimmsten Fall eine Vermehrung, was wir doch im Falle von Tokio Hotel nicht hoffen wollen ...

bis Elvis wieder aufersteht

Das müsste natürlich heißen "auftaucht" oder "zurückkommt" oder "ein Comeback hat", denn wie wir alle wissen, lebt Elvis unerkannt irgendwo zwischen Nashville und Seattle noch immer ... ;)

Grüße vom Platoniker

 
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Hallo Jack Torrance,

ich bin kein Sinatra-Fan, war nie einer und werde nie einer sein. Egal. Trotzdem hatte ich großen Spaß beim Lesen. Obwohl mich der erste Satz fast abgeschreckt hätte, weil er arg klamaukhaft rüberkommt (für meinen Geschmack). Alles in allem: ich habe mich sehr gut unterhalten.

Trotzdem ist MAY WAY der beste Titel, um beispielsweise stilvoll dem Erdreich überantwortet zu werden. Zumindest ist es passender als I will survive.

May Way oder My Way - Mein lieber Scholli, das solltest Du aber mal gaaaanz schnell ändern (oder steckt da ein Gag dahinter, der sich mir nicht erschließt?)


Bücher gibt es sowieso auf jedem lausigen Flohmarkt, zumeist in gutem Zustand - aber Jeans, die aussehen, als kämen sie von einem lausigen Flohmarkt, bietet nur H&M mit einer Selbstverständlichkeit an, die neu und aufregend, wenngleich vollkommen für den Arsch ist.
"...bietet nur H&M an." Punkt und Schluss. Fast genial. Der Kalauer danach wirkt auf mich eher fade und überflüssig und macht den netten Gag davor kaputt.

»Die liegen so bei…« Ihre Augen verengten sich zu so verschlagenen Schlitzen, dass ich mir fast sicher war, dass sie sehr wohl jeden Godzilla-Film gesehen hatte. » …280 DM.«
»Und wenn er nicht bei mir zuhause singt?«
Im Text würde ich "Mark" schreiben. kein Mensch sagt "DM". Ansonsten Paradebeispiel für eine Stelle, die ich sehr witzig finde.

My Fair Lady kommt noch mal so gut, wenn Doolittle mitten in »es grünt so grün« über einen nachlässig montierten Stuhl stürzt und »SCHEISSDRECK« brüllt. Dies wird dann in der Regel nur noch durch den darauf folgenden Auftritt eines Mannes mit Akkuschrauber gekrönt, der versucht, unsichtbar zu sein, während er in seinem Blaumann nach einer Schlitzschraube sucht.
"...SCHEISSDRECK brüllt." Und Schluss. was danach kommt, toppt diese wunderbare Pointe leider nicht im Geringsten.

der Daihatsu Cuore unter den Brotaufstrichen
Ja , das ist wohl eine nicht besonders berühmte Automarke, die ich bildlich auch nicht im Kopf habe. Das nimmt ein wenig die Wirkung dieser Aussage (bei mir jedenfalls).

»Wo ist eigentlich Ihre Kollegin?«
»Welche?«
»Die, die fast strickt?«
Klasse! Empfehlung: statt des Fragezeichens einen Punkt setzen.

Eine Beziehung wie unsere sollte von Liebe und Zutrauen geprägt sein- sie sollte ein Manifest der Zärtlichkeit sein, eine marmorne Säule des gegenseitigen Respekts, du blöde Kuh.«
Herrlich!


Besten Gruß, nic

 

Hallo Jack Torrance,
die Geschichte, so wie sie ist, gehört absolut zu den besen, die ich hier gelesen habe. Bitte nicht groß was ändern, einfach SPITZE!!! Ich habe mich köstlich amüsiert, obwohl ich wirklich kein Sinatra-Fan bin. GRATULATION!

Gruß Zauberfee

 

Ah, Wahnsinn...Meinen Vorrednern ist eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Auf ganzer Linie überzeugend. Ich liebe Geschichten die "Musik" im weitesten Sinne als übergeordnetes Thema haben. Auch, wenn ich jetzt nicht grad der eingefleischteste Fan von Frankie-Boy bin...

 

Guten morgen, Herrschaften!

So….vielen Dank fürs lesen!

Vielen Dank, Sternensegler. Solange du das lesen der Story nicht als völlige Zeitverschwendung abhakst, bin ich schon zufrieden. Sehr sogar. Humor ist einfach zu subjektiv, oder? Danke.

Platoniker: Danke dir… jetzt kommen die Sinatra-Fans hervor. Ha! Wundervoll. Es gibt übrigens Fehler, die akzeptabel sind…und dann gibt’s Dinger wie MAY WAY, bei denen ich mich am Boden wälze. Danke. Die Petula Clark Sache erwähnen wir gar nicht erst, hm?

Nictita: Mit Lesungssachen ist das so eine Sache: Formulierungen, die auf dem Papier zu lang, zu schroff oder zu unelegant rüberkommen, funktionieren gelesen (und entsprechend in Tempo und Betonung variiert) erstaunlich gut. Andere wieder nicht. Der erste Satz » Ich bin jetzt vierzig, war aber früher jünger«, im Nachrichtensprecherton gelesen, steht für sich und funktioniert. Ich hab die Story Samstag erneut gelesen, und da fluppte auch die Daihatsu-Sache. Was nicht funktionierte, war die Aufzählung mit TV, Kino etc- bis zu Ricardo Tubbs. Dann gings wieder. Ein Brüller war die Sache mit Jane Fonda und der Schlusssatz. KEIN Brüller die Beschreibung Sinatras auf dem Plakat. Ich habe mich entschlossen, die Story als das stehen zu lassen, was sie ist: Eine simple Lesungsgeschichte, wo ich durch Betonung zu flache Gags veredeln kann, wenn ich am Ball bleibe. Danke dir.

Zauberfee:
Danke. Klingt immer so schlicht, kommt aber direkt von Herzen.


Schwarzenbach: Auch dir ein fast gewinseltes Dankeschön. Natürlich ist nicht jeder Sinatra-Fan, aber versuchs mal: Regnerischer Abend, du trinkst Bier und bist allein, noch vier Kippen…und dann »Fly me to the Moon«. Kleiner Anspieltipp für die Seele. Ich höre übrigens auch gern Rammstein. Meine CD-Compilations, die ich mir brenne, fasst in meinem Auto keiner an- Angst, denke ich. Sinatra, Manowar, Sinatra, Harry Connick jr. Billy Joel, Billy Bragg, Morrisey, Kiss, Tony Bennet, die Goldberg Variationen, schon wieder Sinatra, diesmal mit Dean Martin…

Alles liebe

Torsten/Jack

 

Hallo Jack,

bei dem Text hatte ich das Gefühl, er pendle zwischen Jürgen von der Lippe Stand-Up, Popliteratur und richtig guten Phasen.
Auf jeden Fall liest er sich sehr professionell, aber vielleicht auch schon einen Tick zu „berechnend“. Diese Themen, Alter, Musik, Geschlechtskonflikt, die sind schon stark abgefrühstückt. Man könnte das ganze auch mit der Begeisterung für einen Western machen, den die Frau nicht nachvollziehen kann, oder mit Spielzeugeisenbahnen, usw. Dein Text gewinnt die Pointen auf sehr bekanntem Terrain.
Aber immer wenn dein Text mich so ein bisschen eingelullt hatte, kamen dann richtige Kracher:

»Genau«, sagte sie. »Du machst dich jetzt fertig. Wir haben 13 Uhr 45. Das Konzert beginnt um Acht, oder? Setz dich doch einfach so lange mit deinem braunen Kordanzug auf die Couch und warte, bis es dunkel wird. Findest du nicht, das klingt nach Seniorenheim?«
Meine Erwiderung enthielt einige Worte, die ihr Vater nie benutzt hätte. Und was zum Teufel meinte sie mit braun?
Das fand ich saukomisch, z.B.

Also schon ein sehr guter, unterhaltsamer Text mit einigen Glanzlichtern, keine Frage.

Gruß
Quinn

 

Hallo, Jack (falls das überhaupt Ihr richtiger Name ist ... oder irgendein richtiger)!
Ich bin kein Mann großer Worte ... nee, halt. Das habe ich falsch formuliert! Ich bin kein Mann kleiner Torten, aber mit Worten habe ich keine Probleme. Und wenn doch, dann einzig deshalb, weil ich vor Ehrfurcht erstarre wie Oliver Kahn beim Blick in den Spiegel.
Obwohl diese Story für mich kein Highlight deines Oeuvres darstellt, schwebt sie in der Hierarchie der besten Geschichten dieser Seite in lichten Höhen, weit über dem Unrat, den wir Unwürdigen am Fuße des Berges absondern.
Da passt einfach alles: Variantenreiche Wortwahl, witzige Dialoge, unzählige popkulturelle Verweise. Was Satiren und Humor anbelangt, bist du meiner Ansicht nach mit Respektabstand die Nummer Heinz dieser Seite. Und du weißt, wie sehr ich Heinz liebe!
Wäre dies hier ein Wettbewerb, müsste man für dich eine eigene Kategorie erfinden und aus dem regulären Bewerb rausnehmen.
Der einzige Nachteil deiner Geschichten: Nachdem ich sie gelesen habe kommt mir mein Wunsch selber Geschichten zu schreiben ungefähr so lapidar vor, als würde man unbegabten Nachwuchskickern als Motivationsspritze ein Best-of-Video der genialsten Balltricks von Ronaldo und Maradona zeigen und danach verlangen, sie mögen es ihnen gleichtun.

Mit neidvollen, aber respektierlichen Grüßen,
Rainer

 

Hi!

Quinn:
Das halte ich für eine gute Einschätzung der Sachlage. Danke dir!
:Pfeif:
Rainer:
1. Duzen. Ja?:dozey:
2. Nicht übertreiben.Selbst wenn dein Posting ironisch gemeint war, schreibt hier niemand Unrat. Humor ist eine ernste Sache. Mein Humor ist gelegentlich etwas kompatibler mit dem Humor mancher (manchmal sogar vieler), aber dafür ist er flach. Gelegentlich. Humor= Geschmackssache, die auch dann den Geschmack nicht treffen kann, wenn alle Sätze an der richtigen Stelle sind. Dein Lob schmeichelt mir trotzdem. Ich überleg jetzt mal ne Stunde, ob ich mich selbst dafür verachten soll:D

 

JackTorrance schrieb:
Humor= Geschmackssache, die auch dann den Geschmack nicht treffen kann, wenn alle Sätze an der richtigen Stelle sind. Dein Lob schmeichelt mir trotzdem.

Deshalb schrieb ich ja auch "meiner Ansicht nach".
Gut, andere lachen bereits, wenn jemand schreibt: "Dieter Bohlen ist doof". Zu diesem Humor bin ich nicht kompatibel. Deiner ist zwar auch mitunter flach, aber dennoch in Augenhöhe des Lesers.
Nee, versuch es erst gar nicht zu dementieren: Du bist ein Profi und ich bin unwürdig, auch nur auf der selben Website wie du zu posten.

Ich überleg jetzt mal ne Stunde, ob ich mich selbst dafür verachten soll:D

Verdient hättest du es dir ja...

 

Sage mal Rainer. Was ist denn mit dir los?

Du bist ein Profi und ich bin unwürdig, auch nur auf der selben Website wie du zu posten.

Boah...hat dich da die "IchbineinbeschissenerAutor-Depri" erwischt?

Siehs doch mal positiv. Wenn es dich und deine Werke nicht gäbe, würde man solche eines JackTorrance nicht so hochloben können, nich? :lol:

P.S. Keine Sorge, ich schreibe dem armen Österreicher gleich ne aufmunternde PN und biete ihm meine hilfreiche mentale Unterstützung an. Looser unter sich weinen ergreifender. :D

 

Toll!!! ... ich hoffe irgendwann einmal in meinem Diesseits so schreiben zu können. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und von daher ...

Klasse, ich bin beeindruckt.
LG KaLima

 

Okay, die Geschichte ist schon sehr gut, aber so gut, daß man davor in Ehrfurcht erstarren müßte, auch wieder nicht. Ehrlich gesagt habe ich bis zu der Episode mit der fast strickenden Verkäuferin daran gezweifelt, ob der Text überhaupt eine Geschichte ist, denn bis dahin gab es keine Handlung, sondern nur ein Schwadronieren über dies und jenes, natürlich geistreich und witzig und mit viel Hintergrundwissen angereichert, aber eben in jenem Plauderton gehalten, den vielleicht ein Märchenonkel sein eigen nennt, oder in einen Nachruf auf Sinatra gut paßte.

Aber danach, also mit der Verkäuferin und dann vor allem mit der verständnislosen Freundin, die übrigens genauso spricht und zur gleicher Ironie fähig scheint wie der Icherzähler, nimmt die Geschichte richtig Fahrt auf. Okay, der Prot mogelt sich um die Erlebnisse beim Konzert ein bißchen, aber sei’s drum, lustig und humorvoll und (selbst)ironisch war’s trotzdem sehr, ja man, oder vielmehr ich wollte noch mehr davon haben, allerdings wurde ich am Ende etwas enttäuscht, will sagen, das mit der Liste sah so gewollt und ordentlich deutsch aus – ich hätte mit dem Satz Das ließ mich kalt. Völlig. geendet, das wäre eines echten Fans würdig.

Nichtsdestotrotz ist diese Geschichte mehr als einer Empfehlung wert, wenn Lakita es nicht getan hätte, ich wäre zur Stelle gewesen – das wäre von mir wohl die zweite Empfehlung geworden.

Dion

 

hi, Kalima und Dion.

Danke für eure Anmerkungen. Und danke Dion, dass du dich für eine Empfehlung hättest erweichen können:-) und DANKE, Kalima:-)


Und nu, da ich weiß, dass Rainer RAINER INNREITER ist, weiss ich auch die seltsame Kritik zu werten...sie ist in Ironie eingelegt wie saure Grurken.
Ist schon reizend: Der Mann, der meine erste Kritik ever schrieb, hält mir mit bizzaren Statements die Treue.


Danke.

 

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