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Ob du willst oder nicht
Die alte Holztür öffnete sich knarzend – Gepolter. Jemand stolperte die morsche Treppe hinunter - noch ein lautes Zuschlagen der Haustür war zu hören – dann kehrte die Stille wieder zurück.
Plötzlich wachte sie auf. Anna stieg aus dem Bett und eilte aus ihrer Kammer. Es war fünf Uhr morgens – höchste Zeit aufzustehen. Nach dem Tod ihrer Mutter vor 4 Jahren, kümmerte sie sich um den Haushalt und ihre 5 kleineren Geschwister. Rasch zog Anna ihre blaue Latzhose über ihr abgewetztes Hemd und eilte in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten. Kaffee machen, Brot schneiden, Butter und die selbstgemachte Marmelade auf den Tisch stellen. Mehr gab es nicht zu essen. Die Vorräte reichten gerade so aus, dass keiner in der Familie hungern muss. Schon betrat der Vater die Küche. „Bereit für morgen?“ fragte der Vater. Anna legte Holzscheite in den Ofen, um Milch darauf warm zu machen und der Frage des Vaters auszuweichen. „Heinrich ist der richtige. Du wirst es schon noch begreifen!“ sprach er harsch aus. Daraufhin schritt er mit einem geschmierten Brot hinaus, um Annas Geschwister zu wecken. Diese hatte keine Zeit, sich länger den Worten des Vaters zu widmen, denn sie musste eine Hose des Bruders flicken, welche ein Loch hatte. Eine Weile später und die Hose war wieder ganz – Anna hatte viel von ihrer Mutter gelernt. „Wann gibt’s Essen?“ ertönte es auf dem Gang und Heinrich betrat die Kammer. Er war ein gut gebauter, junger Mann mit blonden Haaren. Seine kräftigen Arme und Hände zeigten Spuren harter Arbeit. „Freust du dich auf die Hochzeit morgen?“ „Ich werde dich nicht heiraten“ kam prompt die Antwort von Anna. „Nicht in diesem Ton Fräulein, wir werden heiraten, ob du willst oder nicht!“ „Hau ab“ Anna war nicht gut aufgelegt und blickte abschätzend auf den für sie fremden Mann. „Unsere Väter haben so entschieden, und ich brauche eine Frau, die sich um den Haushalt kümmert.“ „Such dir eine andere“ war das einzige was Anna noch herausbrachte. Die Tränen stiegen ihr in die Augen und sie drehte sich beschämt von Heinrich weg. „Du bist ein nichts, sieh dich doch an. Ab morgen gehörst du mir und dass du mir bloß nicht zum heulen anfängst, wenn du meine Frau bist.“ Abwertend blickte Heinrich auf die aufgelöste junge Frau vor ihr, welche ihre Abneigung gegenüber ihm nicht mehr zurückhalten konnte. „Du liebst mich nicht, wieso sollte ich dich Heiraten? Um für dich Narren den Haushalt zu machen, weil du selber zu blöd bist?“ Heinrich holte aus, und erteilte Anna eine Backpfeife. Anna taumelte zurück und flog auf den Boden. Heinrich blickte wutentbrannt auf das zusammengekauerte Mädchen am Boden und schrie „Du wirst mich lieben, ob du willst oder nicht!“, packte Anna an den Armen und zog sie mit seiner ganzen Kraft hoch um ihr eine weitere Backpfeife zu verpassen. Anna schrie mit Leibeskräften um Hilfe und versuchte wie wild sich aus den kräftigen Griff Heinrichs zu befreien. „Lass mich los, du Schwein“ schrie sie ihm mit hochrotem Kopf ins Gesicht. Heinrich ließ seinen Griff nicht locker und brüllte „Du dummes Weib, wir werden heiraten bevor ich in den Krieg ziehe - ob du willst oder nicht“ „Niemals“ kreischte Anna während sie verzweifelt versuchte, sich von Heinrich zu lösen. Während Anna und Heinrich wie wild gegen einander ankämpften, trat der Vater in die Kammer und brüllte Anna an, sie solle aufhören so rumzuschreien. „Anna! Hör auf mit diesem Theater“ Heinrich ließ Anna los, welche sofort kraftlos auf den Boden sank und heulend ihren Kopf in ihren Händen vergrub. „Sieh dir deine Tochter an, sie sträubt sich immer noch mich zu heiraten.“ Heinrich blickte wütend dem Vater in die Augen. „Du wirst morgen heiraten, ob du willst oder nicht! Und hör endlich auf zu heulen. Das dir dass nicht peinlich ist, pah“ sprach er scharf an die völlig aufgelöste Tochter. „Komm Heinrich, ich brauch dich, wir müssen Holz machen.“ Mit schnellen Schritten verließen die beiden Männer die Kammer, während Anna wütend und zugleich traurig dem Vater nachschaute. Sie war völlig verzweifelt und packte im Eifer ihrer Wut das Brautkleid welches der Vater besorgte. Zornig lief Anna mit dem Kleid zum Dorfladen, um es zurückzugeben. Sie würdigte die Verkäuferin keines Blickes, sondern sprach nur unter Tränen „Brauch ich nicht mehr“. Danach stürzte sie heulend aus dem Laden und drehte sich im Weglaufen noch einmal um. Im Schaufenster hing bereits das Brautkleid, davor ein Schild mit der Aufschrift: „Brautkleid zu verkaufen. Ungetragen.“