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Oliver und der Schneemann Bo-Lie
Oliver und der Schneemann Bo-Lie
Oliver schimpfte leise vor sich hin, während er durch den frisch gefallenen Schnee schlenderte.
Ständig nörgelten die Eltern an ihm herum. Er konnte ihnen aber auch rein gar nichts recht machen. Oliver seufzte, nahm eine Hand voll Schnee, pappte ihn zusammen und warf den Ball.
„Aua“, tönte eine helle Stimme.
Oliver schaute verdutzt. Sein Schneeball hatte doch nur den Bauch des Schneemannes getroffen, den er mit Vater im Garten gebaut hatte. Zögernd ging er auf den Schneemann zu.
„Was schaust du denn so blöd daher?“ Wieder war es die gleiche helle Stimme, und kein Mensch war zu sehen.
Der Junge ging einmal ganz um den Schneemann herum und flüsterte ihm zu: „Hast du etwa gesprochen?“ Er kam sich ziemlich lächerlich und dumm vor, und hörte schon das Gelächter des Vaters in seinen Ohren.
„Natürlich“, erklärte der Schneemann gereizt, „oder siehst du hier sonst noch jemanden?“ „Aber Schneemänner können nicht sprechen.“ Oliver war jetzt sehr verwirrt.
„Ich weiß nicht, ob andere Schneemänner sprechen können. Ich weiß nur, dass ich Bo-Lie heiße und sprechen kann.“
Oliver versuchte noch einmal, Klarheit zu bekommen. „Aber wir haben dich doch aus ganz normalem Schnee gebaut, mein Vater und ich.“
„Oh, ich bin entzückt,“ sagte der Schneemann freudig und Oliver meinte sogar, ein Lächeln zu sehen. „Sogar sehr entzückt, meinen Erbauer, meinen Erschaffer zu treffen. Das war sehr freundlich von dir, mich so schön, so wunderbar, so hübsch zu gestalten. Und so klug,“ fügte er noch hinzu.
„Bo-Lie, sei nicht so eingebildet,“ mahnte Oliver, „Sobald es wärmer wird, ist es vorbei mit deiner Schönheit. Du wirst dahin schmelzen, wie jeder gewöhnliche Schneemann.“
Darauf gab es keine Antwort. Es blieb still. Oliver überlegte schon, ob er nicht doch alles nur geträumt hatte, da vernahm er ganz leise: „Ich will aber nicht schmelzen.“
Oliver interessierte sich plötzlich brennend für die Wetterberichte im Fernsehen und im Radio. Jeden Morgen stürzte er zuerst ans Fenster, um zu sehen, ob der Schneemann noch stand. Argwöhnisch beobachtete er die Schneehöhe auf den Wiesen und auf den Zweigen der Bäume. Am liebsten hätte er mit einem Zentimetermaß nachgemessen, aber er wollte sich nicht dem Spott der Eltern aussetzen. Die wunderten sich sowieso schon über seine unerwarteten Neigungen.
„Ich will nicht tauen, ich will nicht wegschmelzen und ich werde den Winter überstehen. Ich werde einfach in die Welt hineinspazieren, hinein in die Sonne. Ich möchte doch so gerne die Sonne spüren.“ So sprach Bo-Lie täglich zu Oliver, der überhaupt nicht wußte, was er erwidern sollte. Es wußte doch jedes Kind, dass Schnee schmilzt, und somit auch Schneemänner.
„Müssen wirklich alle Schneemänner schmelzen oder bleibt schon mal einer übrig?“ fragte Oliver sicherheitshalber seine Mutter.
„Hast du Angst um deinen Schneemann im Garten?“ Oliver nickte nur. „Wenn die Lufttemperatur auf über null Grad ansteigt, wird aus allen Schneemännern der Welt eine Wasserpfütze.“
„Es soll übrigens schon bald wärmer werden“, fügte die Mutter noch hinzu.
Oliver rannte in den Garten. Ein dicker Klos saß ihm im Hals und er hätte am liebsten geweint.
„Was ist denn los?“ fragte Bo-Lie seinen Freund. Da erzählte Oliver von Temperatur, Wärme und Wasserpfützen. „Mach dir keine Sorgen um mich“, antwortete Bo-Lie nach einer Weile, „ich bin guten Mutes und voller Hoffnung.“
Es kam, wie es kommen mußte. Der Schnee wurde weniger und bald war nichts Weißes mehr zu sehen. Oliver hatte nach dem letzten Gespräch mit Bo-Lie den Garten nicht mehr betreten. Er wollte den Schneemann so ganz und froh in Erinnerung behalten.
Bald kamen die ersten Frühlingsblumen heraus, der Winter war vorbei.
„Du hast heute eine Postkarte bekommen,“ erzählte Olivers Mutter, „die ist höchst seltsam. Es steht nur ein einziges Wort darauf.“
Oliver betrachtete die Karte. Eine Wiese voller Sonnenblumen, die im Sonnenlicht leuchteten. Er drehte die Karte um.
Darauf stand nur ein Wort:
BO-LIE