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Panische Angst
Panische Angst
Es war vier Uhr in der Nacht, als Kathrin erschrocken in ihrem Bett hochfuhr, geweckt vom Donner eines tobenden Sturmes, der draußen in der kalten Herbstnacht an den Wänden des alten Hauses rüttelte. Das flackernde Streulicht einer Laterne vor dem Fenster legte das Schlafzimmer in Halbdunkel. Eine Zeit lag Kathrin mit hinter dem Kopf verschränkten Armen auf dem Bett und starrte gegen die Decke. Sie dachte an ihre Schwester, die vor drei Monaten bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war. Sie hatte zwei Kinder, die bei dem Absturz nicht an Board waren und momentan bei Kathrin lebten. Sie waren wundervoll, und sie taten ihr leid. Es hatte sie schwer getroffen zu erfahren, dass ihre Mutter gestorben war, doch sie hatten es erstaunlich gut verkraftet und versuchten alles zu vergessen. Kathrin wollte auf keinen Fall, dass die Kinder ins Heim kommen und hatte sich gestern mit ihrem Mann, nach langen Überlegungen, bereit erklärt Alex und Céline bei ihnen wohnen zu lassen und sie wie ihre eigenen Kinder aufzuziehen. Doch mussten sich alle erst einmal an die neue Situation gewöhnen, in die sie von jetzt auf gleich geworfen wurden.
Erschöpft fielen Kathrin langsam die Augen wieder zu. Sie freute sich auf einen langen, erholsamen Schlaf, doch plötzlich fuhr sie erneut hoch. Diesmal war nicht der Sturm schuld an ihrem Aufschrecken, sondern ein Geräusch ächzenden Holzes. Kathrin spähte durch die gegenüberliegende Tür. Da! Jemand kam die Treppe hinauf.
„Paul!“, flüsterte sie zu ihrem Mann und stupste ihn an, ließ den Blick aber nicht von der Gestalt ab. Paul rührte sich nicht.
Langsam hob sich der Umriss eines Menschen aus der Dunkelheit hervor. Kathrin bekam es mit der Angst zu tun. Panik stieg in ihr auf.
„Paul!“, flüstert sie erneut. Doch sie bekam keine Antwort.
Die dunkle Gestalt betrat das Schlafzimmer. Angst, Todesangst machte sich in ihr breit.
„Paul!“, schrie sie verzweifelt, doch wieder gab ihr Mann kein Lebenszeichen von sich, er schien wie tot.
Die Gestalt kam um das Bett herum, näher, immer näher. Trotz der Kälte setzten sich kleine Schweißperlen auf Kathrins Stirn ab. Die Haare klebten an ihrer Haut. Sie hatte sich die Decke bis unter die Augen gezogen und war so weit zurückgewichen, bis die Rückenwand des Bettes ihr den Weg versperrte. Mit angezogenen Beinen machte sie sich so klein wie möglich. Zitternd starrte sie auf die Gestalt, die jetzt so nah war, dass sie sie hätte greifen können. Durch das schwache Licht sah sie nur ein faltiges Gesicht, das von einer Kapuze halb verdeckt wurde. Mit tränengefüllten Augen presste sie die Lippen aufeinander. Kein Wort brachte sie in ihrer Angst heraus, als sich die Gestalt über sie beugte. Ihre Augen weiteten sich. Für einen Bruchteil einer Sekunde war sie wie erstarrt, bis sie schnell die Decke über ihren Kopf zog. Doch wusste sie genau, und das beängstigte sie am meisten, dass die Decke ihr nicht wirklich einen Schutz bot. Sie hatte den Kopf zwischen die Schultern gezogen und bereitete sich auf ein schreckliches, schmerzhaftes Ende vor, als plötzlich das Licht anging. Es drang durch die weiße Decke und zerriss die angsterfüllte Dunkelheit. Verwundert hob Kathrin ihr Kinn von ihren zitternden Knien und nahm langsam die Decke vom Kopf.
Als erstes blinzelte sie über den Deckenrand zu der Stelle, an der die Gestalt auf sie herabgesehen hatte, doch da stand nur ihr Neffe mit erhobener rechter Hand, in der er eine Halloweenmaske hielt. Er trug den schwarzen, viel zu langen Mantel ihres Mannes und grinste schelmisch. Im Türrahmen, neben dem Lichtschalter, lehnte ihre Nichte mit vor der Brust verschränkten Armen, ebenfalls grinsend. Und zu ihrer größten Verwunderung sah auch ihr Mann sie mit breitem Grinsen an.
Kathrin saß eingeengt, zitternd und schweißnass in dem Ehebett. Mit offenem Mund wanderte ihr Blick von ihrem Mann, über ihre Nichte, bis zu ihrem Neffen und wieder zurück.
Kathrin konnte es nicht glauben. Mit einem Mal fiel all die Angst von ihr ab. Eine wohltuende Erleichterung überkam sie.
„Ist das eure Art sich dankbar zu zeigen?“, fragte sie und lächelte. Plötzlich fing sie an zu lachen. Immer lauter wurde sie, bis alle mit großem Gelächter mit einstimmten.