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Papa

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16.07.2007
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Papa

Papa

Es war einer von diesen Tagen, die nicht richtig warm werden. Zwischen Sommer und Herbst. Mir war es egal, denn seit dem ich aufgestanden war, war es zu kalt. Ich trug nur T-Shirt und Boxershorts und hatte Kristin liegen lassen. Ich schritt durch den kahlen Flur und öffnete die Haustür. Ich fror.
Ob der Wind von Norden, Süden, Osten oder Westen kam wusste ich nicht. Zudem wusste ich auch nicht, ob es nun bedeutete, dass der Tag schön, warm, kalt, bedeckt, regnerisch oder aschfahl würde, wenn der Wind nun aus Westen käme, was ich vermutete. Es war zu früh für mich und die Welt, wir beschnupperten uns ein wenig und wussten, dass wir etwas Besseres als den, der uns da gegenüberstand verdienten.

Vater hätte gewusst, aus welcher Richtung der Wind kam. Er hätte gewusst, ob es schön oder regnerisch werden würde. Er sah schließlich immer den Wetterdienst und hasste es, wenn man währenddessen zu laut war. Er hätte auch gewusst, welche Uhrzeit war. Seine innere Uhr stellte sich nach dem Tag und ich bewunderte ihn dafür. Ob er mich liebte? Ich kann es nicht richtig sagen, da er einfach zuwenig sprach. Er war kein Mann großer Worte.

Kristin stand plötzlich hinter mir und schlang ihre schlanken Arme um mich und ich spürte den Rest Bettwärme an dem wenig Stoff und ihrer weichen Haut.
„Alles klar bei dir, Schatz?“, fragte sie.
Obwohl natürlich nicht alles klar war, antworte ich knapp: „Ja, alles klar.“
„Kannst nicht mehr schlafen, ne?“
Ich nahm es ihr nicht für übel, dass sie nicht wirklich wusste, was sie sagen sollte, es reichte an diesem Tag, dass sie mich liebte und für mich da war. Ich schaute auf meine Armbanduhr, bemerkte, dass ich sie mal wieder nicht vor dem zu Bett gehen abgelegt hatte und sah, dass es 8 Uhr war. Vater hätte sich um höchstens fünfzehn Minuten vertan, wenn man ihn gefragt hätte. Ich hätte ihn gerne gefragt.

Wir frühstückten. Wie immer war mein Appetit nicht besonders und mein Redebedarf genauso groß wie meine Lust auf Kaffee. Ich hasse Kaffee. Kristin versuchte mich aufzuheitern. Erzählte zu viel und ich hörte nicht zu, streute hier und da ein „ja“ ein und versuchte gequält zu lächeln.
„Hast du Angst vor heute?“
Ich hatte keine Angst vor dem Heute, ich hatte vor Nichts Angst. Ich war ein Lügner. Ich hatte verschissene Angst.
„Du schaffst das...ich bin bei dir!“, flüsterte sie fast.
So schön diese Worte sein mögen und so sehr ich auch weiß, dass mir selbst nichts Besseres und Schlaueres einfallen würde, sind sie doch nur ein verwehender Rauch im Nichts.
Wenn man in der fehlenden Orientierung nach sich selbst sucht, findet man meist nur das, was man am ehesten verstecken möchte. Man kehrt sein Leben lang so viele seiner Sehnsüchte, Gedanken und Ängste unter den Hautteppich, dass dieser brennt, juckt und rot auf sich aufmerksam macht und gebieterisch befiehlt, sich zu häuten. Leider können wir uns nicht häuten, das abgetragene alte Ding in die Ecke des Zimmers legen und sich Draußen neue und frische Wunden einfangen. Mit Anlauf, versteht sich.

Duschen ging zu schnell und die Uhr vertickte die Zeit wie falsche Armani-Hemden. Es war zu schnell Mittag, es gab weniger Appetit als am Morgen und noch spärlichere Worte. Vielleicht war ich meinem Vater doch näher als ich dachte. Seine Gene. Sein Sohn. Seine Fußstapfen. Ich ertrank in der Vorstellung so zu sein und doch wünschte ich mir insgeheim ein bisschen mehr von ihm zu haben.

Als wir losfuhren und ich die Krawatte wieder mal nicht binden konnte, war er da. Plötzlich und doch nicht wirklich unerwartet traf er ein und setzte sich zu mir, ganz nah. Er sah mir fest in die Augen und packte mich fest am Arm. Er flüsterte eindringlich in seiner Art Sprache die uns die Tränen in die Augen treibt.
Als wir ausstiegen, klammerte er sich an mich und ich spürte seinen Atem in meinem Genick. Als ich saß und auf Vater blickte, kam er immer kurz an mein Ohr und flüsterte schnell. Als ich Vater folgte, folgte er mir. Als ich Vater in den Boden versinken sah, da brach er wie nach einem Dammbruch über mich hinein: Der Schmerz.

Schmerz braucht keine großen Worte. Mein Papa brauchte keine großen Worte. Jetzt wo ich vor seinem Grab stehe, fallen mir tausend Worte ein, die ich in allen den Jahren ungesagt vorbeiziehen ließ.

 

Hi Danko,

natürlich brauchst du die letzten Wendungen, um die Geschichte zu erzählen, auch wenn bei der ersten Erinnerung klar ist, dass es der Tag der Beerdigung ist.
Macht nichts, ich fand die Geschichte in ihrer Beschreibung gut, einige Details sind mir aufgefallen, die ich nicht notiert habe. Das schaffe ich vielleicht morgen.
Allgemein finde ich, lässt die Eindringlichkeit zum Ende hin ein bisschen nach, ändert aber nichts daran, dass die Geschichte gut rüberbringt, wie noch alles vom Vater und der Erinnerung an ihn bestimmt ist. Von der An/Abwesenheit des toten Vaters.

Lieben Gruß
sim

 

Hallo DanKo,

die Geschichte hat was und mir fällt auch kein bezeichnenderes Wort als "eindringlich" ein. Das ganze wirkt in seiner "Komposition" sehr echt, wenn du verstehst, was ich meine. Das leicht Zerissene an solchen schrecklichen Tagen, dieses zweigeteilte Wesen, zu dem man wird, das sich zeitweise selbst beim Schmerzverdrängen beobachtet, bis einem schließlich bei der Beerdigungszermonie die unveränderbare Erkenntnis, einen wichtigen Menschen für immer verloren zu haben, den letzten Rest von Selbstbeherrschung raubt und man für einen Moment glaubt, dass es einen zerreißt.

Das hast du gut beschrieben. Auch die etwas hölzerne Hilflosigkeit der Partnerin und das milde Verständnis des Prots, dem es eigentlich reicht, dass sie da ist.

Ich bin sehr dicht dran, an solchen Themen. Vielleicht zu dicht, und deshalb schneller angesprochen. Egal. Ich fands (be)rührend.

Grüße von Rick

 

Hallo Danko

auch von mir ein Lob für diese Geschichte.
Eindringlich hat Rick kommentiert, und dies trifft auch mein Empfinden.
Deine Worte sind angenehm weich gewählt, zeichnen starke Bilder, tragen Emotionen und verleihen dem Text eine spürbare Tiefe. Eben jene eindringliche Tiefe, die mich hat Anteil nehmen lassen.
Schön wie du die Fetzen der Erinnerungen einwebst. Es sind keine großen Momente, die deinem Prot durch den Kopf gehen, in meiner Lesart nicht mal sonderlich schöne Momente, ambivalenter Natur, wie das Verhältnis zum Vater generell zu sein scheint - doch sie spiegeln das wieder, was die Werte des Vaters ausmachen: Sicherheit und Stabilität, Dinge, die sich dein Prot in diesem Moment selbst am sehnlichsten wünscht, um nicht in dieser seltsamen Befangenheit zerrissen zu sein.

sehr gerne gelesen

grüßlichst
weltenläufer

 

Salü Danko,

eine Geschichte, die mir recht unter die Haut geht. Während ich bei den ersten Abschnitten noch etwas 'aussen vor' blieb, nur einfach las, was Du geschrieben hast, wurde ich dann ab

Als wir losfuhren und ich die Krawatte wieder mal nicht binden konnte, war er da. Plötzlich ...
völlig in den Text hineingezogen. Hier wird auch die Sprache - Deine - dicht und eindringlich.

Jetzt fällt mir der Kommentar schwer: Ich kann mich so gut erinnern, wie das war, am Grab zu stehen ...

Es sind noch ein paar Stellen 'reparaturbedürftig' - aber sim kann das viel besser.

Herzlich, sehr bewegt,
Gisanne

 

Hallo DanKo

Ob es nun daran liegt, dass ich diese Abfolge der Gefühle bereits kenne, treffender hättest du es jedenfalls für mich nicht erzählen können.
Es war nicht Vater, aber ich sollte ihn vielleicht mal wieder anrufen ...

Texmex? Äh, ja, sim macht das dann.
;)

Hat mich berührt, nachhaltig, danke!
Lieben Gruss .dot

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo DanKo,

ich schließe mich dem Lob der Vorredner an, auch mich hat der Text sehr angesprochen. Noch besser hätte mir der Text im Gesamten gefallen, wenn nicht so oft an Papa erinnert worden wäre, wenn diese Szenen etwas dezenter ausgefallen wären. So führt mich die Geschichte zu sehr schon auf das Ende hin, wo ich diese Auflösung erwarte - ich wäre gerne noch einen Hauch mehr in dieser Stimmung des Prots versunken. Aber das ist nur die I-Düpfele-Kritik, die Geschichte ist auch so schon passend.

Damit sim nicht alles alleine machen muss :D, hier noch ein paar Anmerkungen von mir:

Ich trug nur T-Shirt und Boxershorts und hatte Kristin liegen lassen.
In dem Zusammenhang liest sich das komisch, so, als könnte man Kristin auch tragen. Wie wäre es mit: und ließ Kristin weiterdösen/weiterschlafen ?

Ich schritt durch den kahlen Flur und öffnete die Haustür. Ich fror.
Zweimal ich.
Ob der Wind von Norden, Süden, Osten oder Westen kam wusste ich nicht.
kam, wusste

Es war zu früh für mich und die Welt, wir beschnupperten uns ein wenig und wussten, dass wir etwas Besseres als den, der uns da gegenüberstand verdienten.
gegenüberstand, verdienten

Ich schaute auf meine Armbanduhr, bemerkte, dass ich sie mal wieder nicht vor dem zu Bett gehen abgelegt hatte und sah, dass es 8 Uhr war.
acht

Wir frühstückten. Wie immer war mein Appetit nicht besonders und mein Redebedarf genauso groß wie meine Lust auf Kaffee. Ich hasse Kaffee.
Diese zwei Sätze verstehe ich nicht. Dann soll er doch was anderes trinken, denke ich mir. Oder ist Kristin so engstirnig und stellt ihm immer wieder Kaffee vor die Nase, obwohl er nicht will?

Ich hatte keine Angst vor dem Heute, ich hatte vor Nichts Angst.
nichts
Man kehrt sein Leben lang so viele seiner Sehnsüchte, Gedanken und Ängste unter den Hautteppich, dass dieser brennt, juckt und rot auf sich aufmerksam macht und gebieterisch befiehlt, sich zu häuten. Leider können wir uns nicht häuten, das abgetragene alte Ding in die Ecke des Zimmers legen und sich Draußen neue und frische Wunden einfangen.
etwas viel haut
Duschen ging zu schnell und die Uhr vertickte die Zeit wie falsche Armani-Hemden.
Das mit den Hemden verstehe ich nicht.
Ich ertrank in der Vorstellung so zu sein und doch wünschte ich mir insgeheim ein bisschen mehr von ihm zu haben.
insgeheim, ein
Er sah mir fest in die Augen und packte mich fest am Arm.
Da findet sich sicher noch ein anderes Wort für ein fest.

Er flüsterte eindringlich in seiner Art Sprache die uns die Tränen in die Augen treibt.
Sprache, die
Wieso hier auf einmal Präsens?

Jetzt wo ich vor seinem Grab stehe, fallen mir tausend Worte ein, die ich in allen den Jahren ungesagt vorbeiziehen ließ.
Jetzt, wo ich

Dieses Bild, dass jemand vor einem Grab steht, wird oft gebraucht und für mich kommt es etwas abgedroschen vor, zumal mit zu eindeutig auf die Situation hingewiesen wird. Der subtile Text bricht für meinen Geschmack hier in seiner Tonart aus. Ich könnte mir schon vorstellen, dass der Friedhof erwähnt wird, aber in einem anderen Kontext. Vielleicht, in dem du die Windrichtung noch einmal aufnimmst, als Beispiel:

Heute war es der kalte Nordwind, der uns auf dem Friedhof ins Gesicht blies. Schmerz braucht keine großen Worte. Mein Papa brauchte keine großen Worte. Mir fallen mir tausend Worte ein, die ich in allen den Jahren ungesagt vorbeiziehen ließ.

Schön finde ich auch, dass du Papa statt Vater schreibst.

Liebe Grüße
bernadette

 

Hallo zusammen,

jetzt habe ich hier gar nicht reingeschaut und schon so viele Kommentarre...

erst einmal: VIELEN DANK an alle. Das Lob pack ich weg und freue mich. Die Kritik, besonderen Dank an Bernadette für die Arbeit, finde ich sehr gut und sie lohnt. Ich lese immer wieder mal über meine Geschichten, aber man findet die Fehler dann einfach nicht. Will die Punkte jetzt nicht erklären, die unklar sind, wie z.B. das mit den Armani Hemden (verticken=verkaufen), aber ich bin motiviert, hier mal mehr zu veröffentlichen. Freue mich, wenn ihr auch meine anderen Geschichten hier lest! :-)

 

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