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Parkbankphilospohie
„In meinem ganzen Leben bin ich noch nicht so beleidigt worden!“ Sie fuchtelt wütend in der Luft herum, visiert plötzlich einen Mülleimer an und tritt mit voller Wucht dagegen.
„Na, na, junge Frau, immer mit der Ruhe.“
Der alte Mann auf der Parkbank klopft einladend auf den leeren Platz neben sich. Sieht nicht so aus, als würde er seinen Tag noch irgendwo anders als auf dieser Bank verbringen. Vielleicht wechselt er ja mal zu einer anderen.
„Es geht Sie überhaupt nichts an, wie ich mich aufrege oder nicht!“
Er gibt keinen Kommentar, sondern tätschelt wieder das trockene Holz neben sich. Die junge Frau verzieht den Mund, aber sie setzt sich. Eine Weile sitzen sie nur da und sehen den Vögeln zu, die Gegenüber im Gras herumhüpfen. Geduld ist keine ihrer Tugenden, doch das scheint ihn nicht zu interessieren. „Was denn?“, schnauzt sie schließlich.
Er hebt die runzelige Hand, bedeutet ihr, still zu sein. Genervt lehnt sie sich nach hinten und streckt die Beine aus. Die Schuhe drücken. Einige Vögel zanken sich um alte Brötchenreste. Als ob ihn das bewegen würde, seufzt der alte Mann plötzlich auf.
„Sehen Sie die Vögel?“, fragt er.
„Ich bin ja nicht blind.“
„Es ist unsinnig, finden Sie nicht?“ Ob er verrückt ist?
„Warum sollte das unsinnig sein, sie haben Hunger.“ Noch ein Seufzer.
„Aber es ist doch genug für alle da.“
Sie zieht eine Braue nach oben und sieht weiter die Vögel an.
Der Mann lehnt sich gemächlich zur Seite und hebt eine große, braune Packpapiertüte auf, die neben ihm auf der Erde stand. Holt ein Paket mit eingeschweißten Äpfeln hervor und bietet ihr auch einen an, nachdem er es geöffnet hat.
„Danke, nein!“ Sie lehnt bestimmt ab.
Noch immer ohne jede Eile holt er ein Schälemesser aus den Tiefen der Tüte, schneidet den Stil ab, dann ein Stück aus dem Apfel heraus. Die ganze Zeit beobachtet sie die alten, von Arbeit gezeichneten Hände. Ein erfrischender Wind kommt auf und zerzaust ihr die Haare.
„Sehen Sie den Apfel?“, fragt er.
Sie überlegt, ob sie lieber die Polizei rufen sollte, vielleicht ist er aus einem Altenheim ausgebrochen.
„Beantworten Sie meine Frage!“ Seine Stimme, so heiser sie aufgrund des Alters auch klingen mag, ist eindeutig fordernd. Sie antwortet nicht.
„Nach dem Krieg hatten wir wenig Obst.“
Er stellt diesen Satz in die Luft und lässt ihn da hängen.
„Damals waren wir nicht hektisch.“
„Quatsch!“, wirft sie ein. „Es hatte doch niemand was zu essen, natürlich war man hektisch. Überlebenskampf und so.“
„Haben Sie es erlebt, oder ich?“, entgegnet er schnippisch. „Wir waren nicht hektisch. Wir hatten Zeit für die Sachen, die wir tun mussten.“
Er deutet mit seinem Spazierstock zu den Vögeln. „Und wir haben geteilt.“
„Klar“, sagt sie. „Ich glaube ich seh’s schon.“
„Man muss sich Zeit lassen für die Dinge im Leben.“
Als ob sie das interessieren würde.
„Ich glaube, manche denken, sie würden irgendetwas verpassen, oder so.“
Er schiebt sich noch ein Stück Apfel in den Mund und kaut genüsslich.
„Der Apfel hat sich auch Zeit gelassen mit dem Wachsen.“
Spinner!
„Das kann man doch nicht übertragen.“
Er zuckt nur die Schultern. „Sie können mir glauben, junge Frau, wenn ich mir ab und zu Zeit für das Wesentliche genommen hätte, würde ich jetzt nicht alleine auf dieser Bank sitzen.“
„Sie sind nicht alleine.“
„Sonst bin ich es.“
Die weißen Augenbrauen zucken traurig. „Dinge wie Wut sind Zeitverschwendung.“
Sie muss kurz lachen, aber es klingt eher sarkastisch. „Darauf wollen Sie also hinaus.“
Er nickt. „Darauf will ich hinaus. Sie haben nichts davon, wenn sie wütend sind. Die Vögel haben auch nichts davon, sich zu streiten.“
„Aha“, sagt sie. An ihre eigene Wut denkt sie nicht mehr.
Die beiden sehen den Vögeln zu, als auf einmal ein Kind mit einem Fahrrad die Tiere aufscheucht. „Ich muss jetzt gehen“, meint sie. Und als sie geht, nimmt sie sich einen Apfel von ihm mit.
anmerkung: zu diesem text sei zu sagen, dass das thema war, einen "wahren apfel" darzustellen ;-)