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Party-People
Party People
Schon als ich die nächtliche Straße nach Hause hinunterfuhr, wunderte es mich, noch Licht im Badzimmerfenster zu sehen. Ich schob mein Fahrrad in den Keller, verriegelte die Garage und stieg die Treppen zu der Haustür. Hinter dieser fiel mir wieder ein, warum noch Licht brannte: Mama und ihr Mann sind heute mal durch die Altstadt gezogen, der Abend, auf den sich Mama schon seit Tagen freute, denn sie traf so ihren Cousin wieder, der stets für Abende solcher Art offen war. Jedenfalls sah ich Mama, wie sie ihren Mann stützen musste, damit er nicht umfiel. Er trug nur noch seine Unterhose und seine Socken, hatte einen roten Schädel unter dem blassen, blonden Schopf und seine Augen schwirrten umher ohne etwas zu erkennen. Ekel stieg in mir auf. Ich hatte zwar selbst einige Biere getrunken heute, beim Grillabend mit Freunden, aber ich war wenigstens noch dazu in der Lage mein Bett zu finden. Mama rollte mir mit ihren Augen zu und sprach mit ihrem Mann wie mit einem dummen Kind. Was ist er denn schon anderes. Angestrengt konnte sie ihn ins Bett verfrachten, in welches er sich mit dem Kopf ans Fußende legte und Töne machte wie ein kranker Hund. Langsam merkte ich ich wieder, wie sehr ich diesen Mann hasse. Ich putzte meine Zähne und Mama kam auch ins Badezimmer zurück, um sich von ihren Kontaktlinsen zu befreien.
„Ich hasse es berunkene Männer ins Bett bringen zu müssen“ sagte sie. Ich schwieg und schrubbte meine Zähne sauber.
„Ein Mann sollte seine Frau ins Bett bringen und nicht andersrum. Oder? So sehe ich das.“
Er stand auf einmal wieder in der Tür und stammelte von wegen er müsse kotzen. Kurz darauf entlud er sich über dem geschlossenen und mit weißen Stoffbezug verdeckten Klodeckel. Die ganze Scheiße spritzte an die Wände, auf die Handtücher und den Boden. Er kniete sich hin, öffnete intelligenterweise das Klo und holte weiter das beste aus sich heraus. Es war orange und stank nach Bier. Ich hatte plötzlich Lust dem fetten Schwein mit ganzer Kraft in die Seite zu treten, ihn umzuschmeißen und in seiner eigenen Kotze liegen zu sehen. Aber Vernunft siegte über Gefühl und ich säuberte Zahnbürste und Mund und verschwand aus dem orange gesprenkelten Zimmer in mein eigenes, wo ich mich auf mein Bett setzte und auf den Boden starrte. Ekel, Hass, Schock. Raus hier, wieder zurück zu den Freunden ohne kotzende Schwiegerväter.
Mama kam auch in mein Zimmer und brachte einen Schwall Gestank mit. Sie setzte sich neben mich.
„Scheiße, ich weiß garnicht, wovon er so besoffen ist. Er hat doch den ganzen Abend bloß Bier getrunken und zwei Tequilla, aber das habe ich auch getrunken. Ich will das nicht weg machen, ich hasse das – ich könnte heulen!“
Ich starrte vor mich hin. Sie streichelte meinen Rücken.
„Wo lebe ich hier eigentlich?“ flüsterte ich und Mama nahm ihre Hand weg. Ich hatte Lust mich zu schneiden.
„Das kann schonmal passieren.“ sagte sie besänftigend. „Ich musste auch schon kotzen von Alkohol.“ Sie nahm ihn in Schutz, oh Gott.
„Ja ich auch,“ sagte ich und starrte weiter auf den Boden „aber ich bin kein Familienvater.“
„Auch anderen Familienvätern passiert sowas.“ Dann sind halt alle Familienväter Abschaum!
Durch meine Zimmertür hörten wir ihn mit Klopapier hantieren und fluchen.
„Bitte geh`an dieser Tür vorbei. Bitte geh` vorbei.“ sagte Mama. Immer wenn sie von ihm sprach, senkte sie ihre Stimme.
„Aber ich hatte heute auch ein sehr lustiges Erlebnis!“ begann sie mit heller und lauterer Stimme.
„Du kennst das doch – beim Jungegesellenabschied – wenn die Männer so lustig angezogen werden. Heute war da einer mit einem richtig hässlichen Kittel, so rot kariert, von der Mutter oder so, und Sommersprossen aufgemalt und mit schwarzen, hoch gelockten Haaren. Und hatte so einen Hut auf und verkaufte Kurze, Wodka mit Feige und sowas, für eins fünfzig.“
Sie wurde unterbrochen, weil im Badzimmer ihr Name gestöhnt wurde. Ihr Mann konnte seine eigene Sauerei nicht mehr allein beseitigen, ich wünschte er würde drin ersaufen. Sie versuchte ihn mit der gleichen infantilen Art ins Bett zu bekommen wie vorher. Er entschuldigte sich lallend.
Sie kam wieder: „Nein! Jetzt muss ich das sauber machen! Ich hasse das! Kommst du mit in die Küche? Ich muss erst noch einen trinken bevor ich das weg mache.“
In der Küche goss sie sich etwas Wein ein, das einzige was noch da war.
„Er hat echt ganze Arbeit geleistet. Alles ist voll. Wände, der Boden, das Klo, die Handtücher. Und morgen ist das alles getrocknet. Und er liegt wieder verkehrt rum im Bett.“
Ich saß auf einem Stuhl zusammengefercht wie immer und mit einem flauen Gefühl im Magen hervorgerufen von Müdigkeit, Bier und Ekel.
„Aber ich wurde unterbrochen.“ fuhr sie fort „Er hatte Sommersprossen und hoch gelockte, schwarze Haare und verkaufte Wodka für eins fünfzig – genau, das hat er ja auch noch getrunken – und ich fragte ihn: Und was bekommst du dafür? Hundert Punkte? Und er sagte: Nein, die bekommt er erst, wenn wir beide einen trinken. Wir gaben ihm drei Euro und haben getrunken. Da hat er von unserem Tisch Applaus bekommen. Und dann später, als wir nach Hause wollten am Taxi, rate mal, wer da ins Taxi einsteigen wollte.“
„Der mit den Sommersprossen?“ riet ich.
„Genau. Und so wie ich bin, bin ich sofort hin und fragte: Na? Wie viel hast du verkauft? Sein Korb war leer. Und ich fragte: Und wofür ist das Geld? Für die Brautschuhe? Er sagte: Ja, für die Hochzeit so. Und ich sagte: Dann wünsche ich dir mal alles gute für die Ehe. Und neben uns war ein älterer Mann und mein ‚alles Gute‘ muss wohl sehr ironisch geklungen haben, denn der lachte und fragte: Haben Sie da schon Erfahrungen gemacht? Und ich lachte und sagte: Ja, schon zwei Mal.“ Sie machte eine Pause und lachte und ich lächelte.
„Komisch, ne? Was es immer für Zufälle gibt.“
Ich nickte.
Wenig später ging ich in mein Zimmer und begann dies hier zu schreiben. Mama macht grade die Arbeit, die sie hasst, die Sonne geht auf, Vögel zwitschern, ich höre The Cure und es stinkt ab und zu nach Männern.