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Pastellmalerei

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28.12.2004
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Pastellmalerei

Ihn so zu sehen, tat mir beinahe physisch weh. Ich erinnerte mich daran, wie er früher war. Wie oft wir zusammen im Garten gewesen sind und dem Hund nachjagten, weil der es offensichtlich lustig gefunden hatte, uns zu ärgern, indem er beim Gassi gehen einfach immer und immer wieder ausbüchste. Mein Großvater war stets ein guter Läufer gewesen. Oft standen wir vor seiner kleinen Ego-Wand mit all den Bildern und Medaillen, vor allem aus seiner Schulzeit.
Dieser stolze Mann lag nun wie ein Häufchen Elend in seinem Bett, das wir ins Wohnzimmer im Erdgeschoss gestellt hatten, weil er sich geweigert hatte, im oberen Stock zu schlafen. Dort hatten wir nämlich keinen Fernseher.
„Ich brauche doch ein bisschen Abwechslung!“, hatte er gesagt, als wir ihn vom Krankenhaus in unser Haus holten. Mein Mann war zuerst nicht begeistert, aber ich wollte Großvater die kühle und distanzierte Atmosphäre im Krankenhaus nicht länger zumuten.

Großvater und ich hatten schon immer einen guten Draht zu einander. Ich war wohl ein ziemlich freches Mädchen, immer musste ich meinen Willen durchsetzen. Und von Erwachsenen ließ ich mir schon gar nichts sagen. Vor allem nicht von meinem Stiefvater. Außerdem, ich hätte sowieso machen können, was ich gewollt hätte, es wäre ja doch nicht gut genug gewesen für ihn. Als ich meinen Eltern gegenüber den Wunsch erwähnte, Malerin zu werden, hatte mein Stiefvater nur gelacht und gesagt, dass ich sowieso kein Talent hätte. Meine Mutter hatte nur die Hände überm Kopf zusammen geschlagen und war dann sofort etwas putzen gegangen.
Nur meinem Großvater zeigte ich meine Bilder. Er war es auch, der mir das Kunststudium ermöglicht hatte. Niemand aus meiner Familie hatte an mich geglaubt, bis auf ihn.
Eines Tages drückte er mir eine bunte Karte in die Hand. Ich schaute ihn fragend an, aber er bedeutete mir nur zu lesen. Es war eine Einladung zu einer Vernissage in einem Gymnasium. Ausgestellt wurden meine Kohlebilder. Bis heute weiß ich nicht, wie er das angestellt hatte.
Die Vernissage wurde ein voller Erfolg und fast alle meiner Bilder wurden verkauft. Es war auch jemand von einer recht bekannten Galerie anwesend, der meine Bilder wohl recht gut fand. Jedenfalls sagte er, dass ich einen wunderbaren Stil hätte und ich sicher bekannt werden würde. Er wollte meine Bilder für die Galerie. Ich hätte ihm nie geglaubt, dass es so kommen würde. Aber ich wurde vor allem unter Sammlern sehr beliebt. Irgend ein Politiker hat sogar so viele Bilder gekauft, dass er in jedem seiner Zimmer mindestens eines aufhängen konnte.

Das alles hatte ich dem Mann zu verdanken, der jetzt vor mir lag, abgemagert bis auf die Knochen, schrecklich blass und mit nie aufhörendem Husten. Er sah furchtbar alt und verbraucht aus, als er mir eine gute Nacht wünschte und mir mit seinen zittrigen Fingern, die nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen schienen, übers Haar strich. Am liebsten hätte ich laut losgeheult, so sehr verfluchte ich den Tod, von dem ich wusste, dass er bald kommen würde, um Großvater zu holen. Aber ich riss mich zusammen und wünschte auch ihm eine gute Nacht, ehe ich nach oben ging, um mich bettfertig zu machen.
Als ich mir die Zähne putzte, erinnerte ich mich daran, wie sehr Großvater immer meine Bilder gemocht hatte. Ich malte am liebsten mit Kohle, also schwarz-weiß. Zu meinem 25. Geburtstag hatte er mir Pastellkreiden geschenkt, weil er immer sagte, die Welt sei schon schwarz und grau genug. Richtig gefreut habe ich mich über sein Geschenk nie. Ich tat es Großvater zuliebe und malte ein Portrait seiner Frau, meiner Großmutter. Im Gegensatz zu ihm, gefiel mir das Bild überhaupt nicht. Ich war eben eine Schwarz-Weiß-Malerin.
Meine Großmutter starb ein Monat darauf an einem Schlaganfall. Keiner hatte damit gerechnet. Am Tag der Beerdigung trat mein Großvater zu mir und bat mich um das Bild. Ich gab es ihm, wie hätte ich ihm diesen Wunsch abschlagen können? Er rahmte es ein und stellte es auf seinen Nachttisch. Wenn er verreiste, nahm er es mit und auch als man ihn ins Krankenhaus brachte, weigerte er sich, es zu Hause zu lassen. „Niemals lasse ich meine Frau zurück!“, sagte er immer.
Die Kreiden rührte ich nie wieder an, obwohl mich Großvater oft darum gebeten hatte. Ich konnte sie einfach nicht berühren, ich hasste sie.

Ich spülte meinen Mund aus und ging schlafen.

Am nächsten Morgen stand ich spät auf, sehr ungewöhnlich für mich, denn ich malte am liebsten, wenn alle noch schliefen. Ich brauchte die Ruhe und ich fand immer, dass am Morgen die Welt noch anders roch, dass sie irgendwie noch anders war.
Ich ging hinunter und setzte Kaffee auf, damit er fertig war, wenn ich meinen Mann wecken ging. Ohne seinen Kaffee war er schrecklich morgenmuffelig, ganz im Gegensatz zu mir, ich hatte schon frühmorgens immer gute Laune.
Während sich die Kanne langsam füllte, ging ich ins Wohnzimmer, um nach Großvater zu sehen. „Guten Morgen, Großvater! Hast du gut geschlafen?“, fragte ich ins Zimmer. Ich bekam keine Antwort. Sofort rannte ich zu seinem Bett.
In den Händen hielt er das Pastellkreidebild von seiner Frau. Er hatte es auf seine Brust gelegt, unter der nun sein Herz aufgehört hatte, zu schlagen. Doch er lächelte und ich sah, dass er selbst im Tod seine Liebe zu seiner Frau, mir und der Malerei aufrecht erhalten hatte.

 

hallo otherside und herzlich willkommen,

das ist doch schon mal ganz solide, was du hier veröffentlichst. du hast etwas zu erzählen, und du tust es mit einem angenehmen stil.

folgende gedanken habe ich zum inhalt: dabei fangen wir mit dem ende an. großvater stirbt mit dem bild seiner frau in der hand. seine liebe zu ihr geht über den tod hinaus. ja, schön, ABER - du hast doch kaum etwas von grossmutter erzählt. die erzählerin war mehr damit beschäftigt, die besondere beziehung zwischen ihr und grossvater darzuzeigen. do verwirkt sich die pointe. als inhalt fehlt die literarische information an den leser, wie sehr sie einander geliebt haben, und zwar bevor er stirbt, natürlich! ich sage "literarisch", weil ich damit nicht meine, dass der erzähler lediglich ausdrückt, dass sie sich geliebt hatten. rückblicke in die erinnerung, was hat sie erlebt? wie hat sie den umgang zwischen grossvater und grossmutter gesehen? UND - wie veränderte sich das leben von grossvater. vielleicht war er niemals mehr so wie früher, nachdem sie tot war? vielleicht hat die erzählerin das gefühl, dass von dem tag an seine lebenskraft auslief?
ausserdem muss auch die mutter kurz erwähnt werden, und/oder der richtige vater. du kansnt nicht alle personen der erzählerin erwähnen und die mutter aussenvor lassen. besonders dann nicht, wenn der vater ein stiefvater ist.

Meine Mutter hatte nur die Hände überm Kopf zusammen geschlagen und war dann sofort etwas putzen gegangen.

das ist auf jedenfall nicht genug - im gegenteil, es klingt herablassend.

die beziehung zwischen erzählerin und grossvater ist gefühlsvoll erzählt. dass sie ihn zum sterben ins haus holt, ist eine logische folge in deiner geschichte. dass sie leidet - auch. aber es mangelt an beziehung zwischen ihm und ihr, während er im haus wohnt. das sterben kommt viel zu plötzlich - sie hatte gar keine zeit, ihn zu begleiten. da wäre noch viel herzschmerz möglich gewesen.

stilistisch ist es ansprechend. du kannst gut erzählen. lieber aber hätte ich eine parallelgeschichte gelesen. der inhalt bietet sich dafür an. sie holt ihren grossvater, begleitet ihn noch ein paar tage bis zu seinem tod. diese begleitung werden immer mit fragmenten aus ihrer erinnerungen unterbrochen. der effekt ist lesefluss und leichte verdauung. stattdessen handelst du die informationen ab. es kommt ein grosser etwas zäher infoblock, der alles wichtige erzählt, was der leser braucht, um zu verstehen, wie herzlich die beziehung zwischen den beiden ist. aber was spricht dagegen, diese erinnerungen durch die ganze geschichte zu verstreuen?

folgende textbezüge habe ich noch:

indem er beim Gassi gehen einfach immer und immer wieder ausbüchste. Mein Großvater war immer ein guter Läufer gewesen.
das 3. "immer" ist zu viel. das könntest du mit "stets" ersetzen

Großvater und ich hatten schon immer einen guten Draht zu einander. Ich war wohl ein ziemlich freches Mädchen, immer musste ich meinen Willen durchsetzen. ... Irgend ein Politiker hat sogar so viele Bilder gekauft, dass er in jedem seiner Zimmer mindestens eines aufhängen konnte.

das ist eine erinnerung in der vergangenheit. es wäre besser, wenn die ganze geschichte in gegenwart geschrieben wäre, dann würde die zeit für die erinnerung richtig. aber so müsstest du streng genommen alle erinnerungen in vollendete vergangenheit setzen. oder leite die erinnerung wenigstens ein Soweit ich mich erinnern konnte. dann den ersten und letzten satz in vollendete vergangenheit.

Er rahmte es ein und stellte es auf seinen Nachttisch
wie gross ist das bild?

Ich ging hinunter und setzte Kaffee auf, damit er fertig war, wenn ich meinen Mann wecken ging. Ohne seinen Kaffee war er schrecklich morgenmuffelig, ganz im Gegensatz zu mir, ich hatte schon frühmorgens immer gute Laune.

müssen diese detailierten erklärungen zum ende der geschichte sein? ist das wichtig?

fazit: eine solide geschichte mit ansprechendem aber verbesserungswürdigen erzählstil, bei der die pointe leider etwas verpufft.

bis dann

barde

 

Hallo Barde,

vielen Dank für deine Kritik!
Ich hab mir deine Worte jetzt ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen und mich nochmal mit dem Text auseinander gesetzt. Und in den meisten Punkten gebe ich dir absolut recht, nur deinen letzten Punkt verstehe ich ehrlich gesagt nicht so ganz. Es ist zwar nicht wirklich wichtig, aber es beschreibt doch die Protagonistin etwas näher, vor allem, da ich ansonsten nur ihre Erinnerungen geschildert habe.

Liebe Grüße
Otherside

 

kannst du bitte mit textbezügen fragen? sonst suche ich mich tot *smile*

 

Hallo Barde,

:) also ich hoffe, das haut mit dem Zitieren hin...

Barde schrieb:
müssen diese detailierten erklärungen zum ende der geschichte sein? ist das wichtig?

Das bezog sich auf folgende Sätze meines Textes:
"Ich ging hinunter und setzte Kaffee auf, damit er fertig war, wenn ich meinen Mann wecken ging. Ohne seinen Kaffee war er schrecklich morgenmuffelig, ganz im Gegensatz zu mir, ich hatte schon frühmorgens immer gute Laune."


Wie erwähnt, alle anderen Punkte, die du kritisiert hast, kann ich absolut nachvollziehen und stimme dir auch zu, aber bei dem einen verstehe ich es nicht ganz :)

Liebe Grüße

 

oh ja.

du schreibst charakterisierungen für deine protagonisten. morgenmuffel - nicht morgenmuffel - gute laune habend. aber du bist doch am ende deiner geschichte. hier hat der leser bereits ein vollständiges bild deiner charaktäre. das ende einer geschichte ist der absolute falsche zeitpunkt, charakter zu malen. charakterisierungen bitte möglichst in der einleitung abhandeln, ab dann entfaltren sie ihre wirkung beim leser.

 

Hallo Otherside!
Ich bin ebenfalls der Meinung, daß du die Beziehung Großvater-Großmutter noch etwas herausarbeiten solltest.
Dann eine Frage: Warum hasst die Protagonistin die Pastellkreiden? Weil die Großmutter gestorben ist, nachdem das Portrait fertiggestellt wurde? Falls ja, solltest du auch das deutlicher machen.
Es sind mir auch noch Wort-Wiederholungen aufgefallen. Ende des zweiten Absatzes verwendest du in fast jedem Satz das Wort Bilder. Das könntest du z.B. durch Zeichnungen ersetzten, besonders, da man mit Kohle oder Kreide nicht malt, sondern zeichnet.

 

Danke für deine Erklährung, jetzt verstehe ich, was du gemeint hast!
An den Charakteren muss ich noch kräfig arbeiten. Das immer wiederkehrende Problem *seufz*
Aber bin ja zum Lernen hier. :schiel:

 

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