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Patchwork
Warmer Sand als Unterlage, die Sonne angenehm mild, das Schwappen der Wellen ... Der Traum hätte noch lange so weitergehen können. Doch andere Eindrücke mischen sich darunter, die weiche Patchwork-Decke, in der Ferne das Plätschern des Sees, Gedankenfetzen an unsere kleine gemietete Hütte ... Auch nicht schlecht. Jetzt müsste Joachim nur zu mir herübergreifen, die besondere Stelle in meinem Nacken, an der Hals und Rumpf zusammenkommen, mit seinen kundigen Fingern bearbeiten, und ich wäre Wachs für ihn: willenlos, bereit, für alles zu haben. Ein wohlig gurgelnder Laut entfährt meinem Mund und weckt mich soweit auf, dass ich plötzlich weiß: irgendetwas stimmt nicht. Aber was?
Flatsch! Wie zur Bestätigung knallt etwas Hartes auf meinen Schädel und schnellt genauso flink zurück, während etwas Weiches auf meinem Kopf zurückbleibt und mir ins Gesicht rutscht. Ich quieke und greife erschreckt danach, und noch bevor ich die Augen öffne, erkenne ich das plüschige Ding: „Lulu!“ stöhne ich auf und drehe mich um.
Ich lande in der Realität. Ach ja. Dieser Urlaub. In unseren ersten Plänen hatten wir doch tatsächlich gedacht, dass alles einfach sein könne. Wir hatten naiv die Zimmer aufgeteilt: ein Zimmer für Joachim und mich, eins für Jens, seinen Sohn aus erster Ehe, eins für Paul, seinen Sohn Nummer zwei und meinen eigenen Sprössling, Krill.
Es ist unser erster Urlaub, und nur Jens war begeistert: „Ein eigenes Zimmer, geil!“
„Kommt überhaupt nicht in Frage!“, protestierte Paul, „mit dem Baby gehe ich nicht auf ein Zimmer!“
An den gemeinsamen Wochenenden hatten sich Paul und Krill immer gut verstanden, ja, eigentlich war Paul froh gewesen, endlich mal jemanden zum Spielen zu haben, der altersmäßig näher und dann sogar noch jünger war. Sie waren schon ein drolliges Pärchen, wenn sie, vorneweg der selbstbewusste Paul, dahinter genauso eifrig Krill, durch die Wohnung stapften und wieder ein neues Spiel ausheckten. Na ja, aber Urlaub hat wohl eigene Regeln. Krill sah Paul verwundert an, seinen Lulu an sich gedrückt und verstand die ganze Aufregung noch nicht. Vielleicht war er ja doch noch zu jung, um in einem Zimmer ohne mich zu schlafen.
„Da müssen wir das eben anders planen!“, versuchte Joachim zu schlichten. „Dann nehme ich das Einzelzimmer, und ihr teilt euch eins, Karin und Krill das andere.“
„Das ist doch ungerecht!“ Jens verzog vor Empörung das Gesicht. „Du kannst ja mit dem Baby zusammenschlafen“ - der verächtliche Blick galt diesmal seinem Bruder – „oder ich fahre nicht mit.“ Es folgten zähe Verhandlungen, die unseren Urlaub doch noch retteten und uns alle hierher gebracht haben.
Hinter mir liegt Krill und schnarcht leise vor sich hin. Wie ein kleiner Engel. Ich reibe mir die Stelle, an der seine Hand meinen Kopf getroffen hat, lege den Plüschelefanten wieder auf seine Seite, schlage die Decke zurück und stehe auf. Kurz erwäge ich einen Besuch in Joachims hart erkämpftem Einzelzimmer, aber ein Blick aus dem Fenster lockt mich mit dem Versprechen auf ein Bad im kristallklaren Wasser; das ist nicht zu toppen.
Der Tag beginnt erstaunlich gut. Anscheinend sind alle begeistert, hier zu sein. Jens stellt die klobigen Becher und Holzteller draußen auf den Tisch, Paul und Krill holen Käse, Wurst und Schinken herbei, Joachim versorgt uns mit seinem gestern gebackenen Brot, während ich Kaffee koche und den Jungs Kakao zubereite. Wie eine Reklame für Margarine, denke ich, aber ganz ohne Streichfett. Wie eine Familie, ist mein nächster Gedanke. Ja, es kann so schön sein, und ich bin froh, dass wir diesen Urlaub gewagt haben.
Auch der Rest des Tages verläuft recht friedlich; abgesehen von den üblichen Rangeleien: um den Sitzplatz im Wagen, ums erste Eis im nächsten Dorf, um die Pommes Frites abends beim Imbiss, und selbst beim Ballspielen vor der Hütte haben alle ihren Spaß. Krill ist als erster müde, und ich gehe mit ihm nach oben.
„Ich bin doch schon groß“, wehrt er meine Hilfe beim Ausziehen ab.
Wäre schön, verkneife ich mir und denke mit Unbehagen an die unruhige Nacht, die wieder vor uns liegt. Ich hatte erwartet, einen Teil des Bettes für mich behalten zu können, aber Krill war einfach überall gewesen: an meinem Fuß, seine Brust unter meinem Arm, dann wieder sein Ohr vor meinem Mund ... Ich traute mich kaum noch, mich umzudrehen. Und als Höhepunkt sein Kneifen in meine Backe!
„Sag mal, du Großer! Wie wäre es, wenn wir die Betten auseinander stellen? Dann hättest du dein eigenes Bett!“
„Au ja!“ Begeistert klatscht Krill in die Hände.
Ich bin voller Schweiß, als die Betten stehen, und es bleibt kaum noch Platz in der kleinen Kammer. Aber egal; für eine geruhsame Nacht ...
Als ich wieder nach unten komme, ist Paul schon im Bett, und Jens spielt mit seinem Vater ein Spiel. Halma? Ich wusste gar nicht, dass Kinder das noch können. Erstaunt blicke ich auf den Gameboy, der unausgepackt in einer Seitentasche seines Rucksacks klemmt.
„Ich springe noch mal kurz in den See“. Mein Handtuch schwingend will ich verschwinden, da höre ich ein wohlbekanntes Krähen: “Ich kann nicht schlafen ohne dich!“
„Mist!“ Ich gehe die Stufen wieder hoch. „Okay, ich setze mich jetzt etwas zu dir, auf mein Bett, und du schläfst brav ein.“
Ich warte geduldig im Halbdunkel, lass meine Hand über die Nähte und Kanten der Patchwork-Decke gleiten und linse zu Krill hinüber. Er scheint es zu merken und murmelt: „Wach!“
Verflixt. Er dreht und wendet sich theatralisch, scheint mit seiner Decke zu kämpfen.
Minuten vergehen. Gleich ist es zu dunkel für ein Bad im See.
„Mama?“ Ein kläglicher Laut. „Wo bist du?“ Ich seufze.
„Hier bin ich.“ Immer noch. „Hörst du das Ticken?“, lenke ich seine Gedanken zu der Uhr. „Wenn kleine Hunde Angst haben, legt man ihnen einen Wecker mit ins Körbchen. Das ist wie der Herzschlag ihrer Mami.“
Es scheint etwas zu wirken, seine Atemzüge beruhigen sich. Auch mich macht das Ticken schläfrig. Ich fühle mich leicht und schwebe langsam an den Strand, höre das Schwappen der ankommenden Wellen, spüre den Sand unter mir ... Mit lautem Ächzen und Stöhnen stürzt ein Baum um, und ich springe auf vor Schreck. Nein, kein Baum, nur entsetzlich lautes Schnarchen von unten.
Von Krills Bett ein leises Flüstern, dann ein Schluchzen. Das hat doch keinen Zweck, denke ich. Der arme Junge quält sich nur. Auf dem Weg zum Lichtschalter stöhnt er enttäuscht: „Ich kann es nicht mehr ertragen. Ich kann es nicht mehr ertragen.“
Hat er bestimmt in einem Film aufgeschnappt, beachte ich die Wortwahl, nicht ohne mütterlichen Stolz. „Na gut, dann schieben wir die Matratzen halt wieder zusammen!“
Neue Nacht, neue Chance. Wir bleiben ja noch den ganzen Juli hier, und im nächsten Urlaub ist er ein Jahr älter ...