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Paula
„Was ist denn mit dir los?“ fragte ich erschrocken meine Anthurie. Sie ließ sämtliche Blätter hängen. Was hatte ich bloß ich falsch gemacht? Jetzt hatte ich mir schon eine Hydropflanze angeschafft, weil ich ja nun nicht unbedingt den „grünen Daumen“ hatte und dachte, dass ich jetzt bestimmt nichts mehr falsch machen konnte. Schließlich konnte ich anhand der Wasserstandsanzeige genau sehen, wann ich wieder gießen musste. Also dachte ich, ein bisschen gießen, ein bisschen düngen, kann doch nicht so schwer sein. Das müsste selbst ich schaffen. Meine Pflanze hatte genug Wasser. Ich habe sogar extra im Topf nachgesehen, da ich befürchtet hatte, dass die Anzeige vielleicht doch nicht richtig war. Sie war richtig. Gedüngt hatte ich mein Pflänzchen auch erst ein paar Wochen zuvor. Was war also wieder los? Ich war am Ende mit meinem Latein. Ich will es ja nicht zugeben, aber ich habe sogar mit meiner Anthurie gesprochen. Das soll ja gut sein für die Pflanzen, habe ich mal gehört. Und wie hat sie es mir gedankt? Stirbt einfach still vor sich hin ohne mir einen Hinweis zu geben, was ich falsch gemacht habe. Nun, vielleicht habe ich nicht die richtigen Worte gewählt? Was sagt man denn so zu einer Pflanze? Ich habe sie nicht angeschrieen, wirklich nicht. Ich habe halt ganz normal mit ihr gesprochen. „Wie geht’s denn so?“ „Hast du schön geschlafen?“ „Bist du satt? Lass mal sehen ... ja, hast noch genug.“ „Ich glaube, ich lass mal das Rollo ein bisschen herunter, damit du nicht zu sehr in der Sonne schmorst.“ Und so weiter. Also ganz normal eben. Was also war der Grund für den plötzlichen Tod meiner Pflanze? Ich wusste nicht mehr weiter.
Neues Spiel, neues Glück. Nach meinem Reinfall mit der Anthurie hatte ich mir eine Yucca-Palme zugelegt. Ein wirklich hübsches Pflänzchen, das ich umsorgt habe wie eine Mama ihr Baby. Ich habe ihr sogar einen Namen gegeben: Paula. Jeden Tag bin ich zu ihr gegangen, habe sie getätschelt, ihr aus einem Märchenbuch, das ich eigens für sie gekauft hatte, vorgelesen. Ich habe jeden Tag die Wasserstandsanzeige geprüft und im Topf nachgesehen, ob das auch stimmt, was die Anzeige angibt. Jeden Tag, sobald ich aus dem Büro oder vom Einkaufen kam, ging ich zu Paula und erzählte ihr in allen Einzelheiten, was sich denn so alles zugetragen hat. Paula war wirklich mein Ein und Alles. Ich habe sie geliebt!
Es war 17.30 Uhr als ich vom Büro nach Hause kam und freudestrahlend zu Paula lief. Schließlich sollte sie die Neuigkeit als erste hören. Ich war befördert worden! Na, wenn das kein Grund zum Feiern war. Auf dem Weg zu Paula ging ich kurz in die Küche, um meiner Süßen ein leckeres Wässerchen mitzubringen. Dann stürmte ich, mit der Gießkanne bewaffnet, ins Wohnzimmer. Ich redete und redete, denn ich wollte, dass Paula Anteil nehmen und sich mit mir freuen konnte. Ich prüfte die Wasserstandsanzeige und dachte mir, ein paar Tröpfchen könnte Paula noch gebrauchen. Ich nahm die Gießkanne und wollte gerade gießen, doch was dann geschah, zerbrach mir das Herz. Paula warf mir zornig ein Blatt vor die Füße. Ich dachte, ich sehe nicht recht. „Ich möchte dir doch nur ein bisschen Wasser geben“, versuchte ich, sie zu beruhigen und streichelte ihre Blätter. Aber Paula wehrte sich und diesmal landeten zwei Blätter vor meinen Füßen. Ich geriet in Panik. Was war denn jetzt schon wieder los? Was habe ich denn jetzt wieder falsch gemacht? Und diesmal konnte ich nicht an mich halten. Ich habe noch nie eine Pflanze angeschrieen. Aber diesmal war ich ein nervliches Wrack. „Du undankbares Gemüse!“ schrie ich. „Ich habe mein Herzblut für dich gege-ben!“ Ich ließ mich auf den Boden fallen und heulte Rotz und Wasser. „Was habe ich jetzt bloß wieder falsch gemacht?“ wimmerte ich mehr zu mir selbst als zu Paula. „Du nervst mich immer so!“ „... ? ...“ Ich war sprachlos. War ich jetzt etwa total verrückt geworden? Ich sah Paula fassungslos an. „Was ... was hast du gesagt?“ „Taub bist du auch noch!“ Das konnte doch nicht sein. Da erlaubte sich einer einen Scherz mit mir. Ich sah mich um. Nein, ich war alleine ... mit Paula. Ich sah sie mit vor Erstaunen offenem Mund an und immer noch kullerten Tränen über meine Wangen. „Du bist so nervig! Keine ruhige Minute hatte ich! Das ständige Geplapper und Getätschel! Ich will Urlaub!“ Paula schüttelte sich und wieder fielen ein paar Blätter ab. „Warum hast du denn nicht schon längst etwas gesagt?“ fragte ich, noch immer ungläubig auf meine sprechende Yucca-Palme starrend. „Hast du schon mal eine sprechende Pflanze gesehen? Nein? Na, also! Wir Pflanzen erdulden still unser Leid bis hin zum Tode. Jedenfalls die meisten von uns. Aber ich nicht! Ich will leben! Und wenn es sein muss, auch mit dir. ABER LASS MICH IN RUHE! Schau nicht ständig in meinen Topf, ob diese blöde Wasserstandsanzeige auch richtig geht. Das ständige Raus und Rein ... mir wurde immer schlecht. Kapierst du das?“ „O...o.k.“, stammelte ich „Und dann dieses Märchenbuch ... unfassbar! Ich bin doch kein Kleinkind!“ „Ist ja gut, ich hab’s verstanden.“ „Und wenn du aus dem Büro kommst, rede nicht ununterbrochen auf mich ein! Such dir ein Hobby!“
Paula und ich sind nun die besten Freunde. Damit das auch so bleibt und wir uns nie mehr anschreien, haben wir ein Zeichen verabredet: Wenn ich ihr mal wieder auf die Nerven falle, wirft sie mir ein Blatt vor die Füße, dann weiß ich, dass meine Süße ein paar Tage Verschnaufpause braucht.
Ich habe mir übrigens, auf Paulas Anregung hin, ein Hobby zugelegt:
Ich habe nun einen Ehemann!