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Pfingstrosen
Maiwind fängt sich in der Bucht und treibt salzige Luft ins Landesinnere. Die Temperaturen sind mild an diesem Sonntagmorgen. Beeke springt ohne Jacke auf dem Trampolin, das gut ein Drittel des Gartens einnimmt. Rhythmisches Krächzen der Federn ist bis in die Küche zu hören, in der ihre Eltern am Frühstückstisch sitzen.
Laura dreht die Zeitung zu Christoph und tippt mit dem Zeigefinger auf einen halbseitigen Artikel. Mit dem Buttermesser in der Hand schaut er seine Frau fragend an.
„Deinem Vater geht's nicht gut. Das steht hier auch, viele Senioren vereinsamen nach dem Verlust des Ehepartners regelrecht“, sagt sie.
Christoph schmiert sein Brötchen. „Ach was. Der kloppt doch Skat unten in der Einsamen Möwe.“
„Die alten Böcke da. Das ist doch nichts fürs Herz. Er braucht eine neue Frau“, sagt Laura. „Ole wird immer mürrischer und eigenbrötlerisch. Denk an Weihnachten. Alles vorbereitet, besinnliches Fest mit der Familie, er musste sich um nichts kümmern. Und wer tauchte nicht auf? Ole!“
Christoph legt das Messer auf dem Brettchen ab und nimmt einen großen Schluck aus dem Kaffeepott.
Lauras Tonfall wird weich. „Rede du mal mit ihm. Das muss doch so nicht weitergehen.“
Er stellt die Tasse zurück und nickt, bevor er den Kaffee runterschluckt.
Christoph schließt die Autotür und geht auf den Hof seiner Eltern zu. Auf der Zufahrt stehen Pfützen der vergangenen Nacht. Sein Vater sitzt mit hochgekrempelten Hemdärmeln vor dem Schuppen und führt den Pinsel gleichmäßig über die Bretterwand. Als er seinen Sohn bemerkt, schaut er kurz auf, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
„Moin, mien Jung. Gib mir mal die neue Dose Lasur rüber.“ Mit der freien Hand zeigt Ole Richtung Gartentisch. Auf der ausgeblichenen Wachstischdecke liegen neben der Dose ein Schraubenzieher und ein fleckiger Lappen. Christoph hebelt den Deckel auf und geht mit der Dose zum Schuppen.
„Sag mal, Papa, wie geht's dir eigentlich so allein hier draußen?“ Sein Blick wandert über den verwilderten Bauerngarten.
Ole lässt den Pinsel sinken und dreht sich zu seinem Sohn um. „Was meinst du? Alle naselang kommst du vorbei. Oder die Lütte fährt mit dem Rad her. Jagt die Hühner über den ganzen Hof. Eins blieb neulich im Zaun stecken. War stocksteif, als ich es rauspulte.“ Damit wendet er sich seiner Arbeit zu.
„Weißt du, Laura meint … Also wir, wir machen uns Sorgen. Mutti ist seit einem halben Jahr fort. Vielleicht ist es an der Zeit …“, versucht Christoph einen neuen Ansatz. „Was fürs Herz“, schiebt er nach. Doch Ole winkt ab und Christoph weiß, dass diese Unterhaltung damit beendet ist.
Im lichtgrauen Einfamilienhaus auf der anderen Seite des Küstenortes räumt Laura gerade die Spülmaschine aus, als Christoph Schlüsselbund und Jacke an die Garderobe hängt. Laura flutet die Auflaufform, um Käserückstände einzuweichen. Sie lehnt sich an die Küchenzeile und trocknet die Hände am Geschirrtuch ab. „Und? Was hat er gesagt?“
Christoph setzt sich und verschränkt die Arme „Ja, nix. Kennst ihn doch“, antwortet er mit nach oben gezogenen Schultern.
Laura legt das Handtuch weg und setzt sich ihrem Mann gegenüber an den Küchentisch. „Ich habe mit der Bente geschnackt“, beginnt sie. „Ihre Mutter hilft ab und zu in der Apotheke aus. Sie und Ole sind doch ein Jahrgang.“
Am Montagvormittag schiebt Ole das Vorderrad in den rot gestrichenen Fahrradständer und betritt die Apotheke. Eine elektronische Türglocke erklingt. Hinter dem Tresen schaut eine Frau lächelnd von einem Stapel Belege auf. „Moin, Ole.“
„Moin, Bente. Ich soll die Neurodermitissalbe für die Lütte abholen.“
„Du, ich muss grad‘ den Papierkram hier fertig machen. Ich schick dir meine Mutter vor.“ Damit nimmt sie den Stapel und verschwindet hinter Einbauschränken mit flachen Schubladen. Oles Blick wandert über Blasenpflaster und Traubenzuckerbonbons bis hin zur Pferdesalbe. Bentes Mutter Elisabeth war zur Schulzeit der Lehrerliebling und hatte ihn und die anderen fleißig verpfiffen. Dann lachte sie mit ihrem langen Gesicht und den großen Zähnen und es klang fast wie das Wiehern von Vaters Arbeitspferd.
Seine Käthe war anders. Kein Mädchen, das mit den Jungs mitrennt. Aber wenn ihm Ärger von den Lehrern oder seinem Vater drohte, fand Ole Unterschlupf im Schuppen hinter der Bäckerei ihrer Eltern. Käthe versorgte Ole mit Butterkuchen und leistete ihm Gesellschaft, bis sich der Rauch verzogen hatte. Später, wenn die beiden miteinander stritten, trafen sie sich zur Versöhnung in dem Holzverschlag.
Ole zieht Luft ein, als tauchte er aus großer Tiefe auf.
„Moin, Ole“, begrüßt ihn Elisabeth. Und Ole findet, dass ihr die runden Bäckchen des Alters gutstehen.
„Moin.“
Sie reicht ihm einen weißen Plastiktiegel. „Laura soll die Salbe nur dünn auftragen, wegen dem Kortison. Richte ihr das bitte aus.“
„Jo. Die hat das im Griff, denke ich.“ Ole verstaut die Salbe in einem Beutel und greift nach der Türklinke.
„Tschüüs, Ole. Machs gut.“
„Du auch, Elisabeth.“
Ole biegt in die Anliegerstraße des Neubaugebietes ein. Auf dem glatten Asphalt wird das Rattern des losen Schutzschildes deutlich leiser. Laura schaut vom Hochbeet auf, zieht die Gartenhandschuhe aus und legt sie auf den Pflanztisch zu Handschaufel und Gartenschere.
„Moin, Ole.“
„Moin.“ Sein Fahrrad lehnt Ole an einen der Carportstützfeiler, bevor er die Salbe aus dem Beutel befördert und Laura übergibt. „Sollst sie der Beeke nur dünn raufschmieren auf die Stellen, sagt Elisabeth.“
„Ja, ist Kortison drin.“
Ole nickt.
Laura hält den kleinen Salbennapf in beiden Händen. „Wie geht's ihr denn?“
„Wem?“
„Der Elisabeth.“ Lauras Augen fixieren Ole.
Ole schürzt die Lippen. „Gut, denke ich. Hat ein paar Pfunde zugelegt.“
Laura stellt die Salbe aufs Fensterbrett. „Hör mal, ihr seid doch im selben Alter und beide allein.“
Ole bekommt warme Ohren, obwohl der Wochenanfang starken Ostwind bringt.
„Bente und ich dachten, ihr könntet mal einen Kaffee trinken gehen. Über alte Zeiten reden. Vielleicht gemeinsame Ausflüge planen.“ Sie knöpft sich die Strickjacke mit Norwegermuster bis zum Hals zu.
Mit Pferdegesicht Elisabeth? Ole schluckt. „Wozu?“
Laura legt den Kopf schief. „Christoph und ich merken, wie einsam du bist. Dir fehlt eine Frau an deiner Seite.“
Oles Ohren glühen. „Jasses nee!“ Er schüttelt den Kopf. „Käthe und ich waren über fünfzig Jahre verheiratet. Haben Hof und Bett geteilt. Kinder und Enkelkinder bekommen.“
Doch Laura erwidert beharrlich: „Durch eine neue Frau hättest du wieder jemanden auf dem Hof.“
Er hebt warnend den Zeigefinger. „Ans Alleinsein werde ich mich gewöhnen. Aber nicht an eine andere Frau!“ Ole greift nach der Gartenschere und geht Richtung Pfingstrosen. „Es macht dir doch nichts aus?“, fragt er und schneidet ein paar Stängel ab. Die Schere lässt er am Strauch zurück, die Pfingstrosen legt er vorsichtig in den Fahrradkorb und spannt den Stoffbeutel darüber. „Ich habe nämlich noch eine Verabredung.“ Damit greift er nach seinem Lenker.
„Ole, ein Sturm zieht auf. Komm mit rein und lass uns reden!“
„Büschn Wind. Gegenwind formt den Charakter!“, ruft er zurück. Das Schutzblechscheppern übertönt die Böen.
Ole geht zur Pumpe, füllt eine der schwarzen Plastikvasen, steckt sie fest in die Erde und stellt Käthes Lieblingsblumen hinein. Mit der Handkante wischt er Blütenstaub vom Stein. Er setzt sich auf eine Bank, schaut von der Anhöhe in die Ferne aufs Meer. Der Sturm zieht vorbei, der Wind wird schwächer und die Schaumkronen kleiner. Ole lacht kurz auf. „Du wirst nicht glauben, was die Kinder wieder ausgeheckt haben.“