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Pflichterfüllung
„Na los, spuck’s aus.“
„Ich hab wirklich keine Ahnung, echt nicht. Ich bin doch erst seit vorgestern da.“
Blitzschnell packte Broder den Barkeeper und zerrte ihn halb über den Tresen. Die Brille von dem Typen flog ins Spülbecken und ein paar Hemdknöpfe kullerten übers Zinkblech.
„Sag mal, du Spatzenhirn, red ich etwa ausländisch? Du verrätst mir jetzt, wann Lansky auftaucht, aber ein bisschen dalli. Mein Gott, wie ich die Schnauze voll hab von euch Wichsern.“
„Ich weiß es echt nicht, Mann, ich schwör’s bei meiner Mutter. Ich weiß es einfach nicht.“
Broder knallte den Kopf des Burschen gegen die Espressomaschine, zog die Glock und bohrte ihm die Mündung ins Nasenloch.
„Ich geb dir genau fünf Sekunden, du Arschloch.“
„Lass gut sein, Werner.“ Lehmann packte Broder an den Schultern und zog ihn Richtung Tür.
„Ach was, der Typ verarscht uns doch.“ Broder riss sich von Lehmann los, stürmte hinter die Schank und packte den Barkeeper am Ohr.
„Du verarscht mich doch, oder?“ Er rammte ihm das Knie in den Magen und als der Junge aufheulte und zusammensackte, hieb er ihm den Pistolenknauf ins Gesicht.
„Wenn du deinen Scheißboss das nächste Mal siehst, sagst du ihm, er soll sich bei Broder melden. Schleunigst. Und wir reden diesmal von siebenhundert, damit das klar ist. Siebenhundert! Hast du das kapiert?“ Er stieß ihn gegen das Flaschenregal. Der Junge rutschte zu Boden, neben ihm zerbarsten Gläser und Flaschen auf den Fliesen und aus seiner Nase sprudelte das Blut wie aus einem Zapfhahn.
„Lass uns verschwinden, Lukas … verdammter Dreckspuff.“
Im Wagen zündete Lehmann zwei Zigaretten an und hielt Broder eine hin.
„Werner, Alter. Pff … also ich weiß nicht recht, meinst du nicht, dass du’s in letzter Zeit etwas übertreibst?“
Broder zog an der Zigarette, inhalierte tief, stieß den Rauch aus. Er starrte durch die Windschutzscheibe. Mit den Fingern der Linken trommelte er aufs Lenkrad.
„Werner, echt, so kann‘s doch nicht weitergehen … der Bengel war keine zwanzig.“
Broder ließ den Motor an, haute das Blaulicht aufs Dach und schoss aus der Parklücke.
„Herrgott, die verarschen uns doch alle. Findest du das etwa witzig?“
„Das hab ich nicht gesagt … Werner, verdammt, ich mein halt nur, dass du einfach zu weit gehst. Also … ach ich weiß auch nicht.“
„Jessas, was ist denn auf einmal los mit dir, du Mädchen? Bekommst du deine Tage?“
Werner raste auf der zweiten Spur über den Innenring und die Autos vor ihnen stoben nach links und rechts wie verschreckte Karnickel.
„Ja, verpisst euch nur, ihr Nieten, hier kommt die Kavallerie. Lass uns ins Heiners fahren auf ein Bier, Lukas. Mir reicht‘s für heute.“
„Ich mein’s ernst, Werner. Ich mach bei deinem Scheiß nicht mehr mit.“
„Bei meinem Scheiß? Machst du Witze? Als würde nicht genug rausspringen für dich … nur dass du die Kohle halt verhurst. Und sie nicht für verdammte Bälger brauchst … sechzehn ist der kleine Dreckskerl jetzt und die Jessica achtzehn, muss ich noch weitererzählen? Ich schwör’s dir, das sind verdammte elende Blutsauger, die fressen dir die Haare vom Kopf. Die verarschen dich nach Strich und Faden und lachen dir dabei noch ins Gesicht. Herr in Himmel, wenn ich’s mir noch einmal aussuchen könnte.“
Das Funkgerät knackste und begann fürchterlich zu rauschen. Lukas schnappte sich das Mikro, stöpselte einen Kopfhörer an und drehte an den Knöpfen.
„Zwovierzig hier, ja? … Der am Friedensplatz? Da sind wir quasi um die Ecke. Yep, können wir uns drum kümmern, klar … Media-Markt, dritter Stock, okay. Verstanden … zwei Ladendiebe im Kaufhof, Werner, was meinst du? Das ist doch was für uns.“
„Bist du noch zu retten, du Blödmann? So einen Mist hängt man sich nur um, wenn‘s um eine geile Muschi geht, die Reizwäsche klaut. Meinst du etwa, ich will mich mit so einem Spinner rumärgern, der für seine Alte eine Pur-CD eingesackt hat? Junge, Junge."
Broder riss das Lenkrad nach links, schlitterte mit quietschenden Reifen quer über zwei Fahrspuren, holperte über den Grünstreifen und raste auf dem Radweg Richtung City.
„Schalt die Sirene ein!“
„Werner, bist du jetzt vollkommen irre? Meine Fresse, wir reden von einem Ladendiebstahl, nicht von einer Geiselnahme. Alter, du schaust dir echt die falschen Filme an.“
„Also was jetzt? Willst du hin oder nicht? Mann, du kotzt mich manchmal richtig an!“
Ich erinnere mich noch so gut an früher, wenn er von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Sobald ich seinen Schlüssel im Schloss hörte, rannte ich zur Tür, um ihm um den Hals zu fallen. Er hat mich dann immer hochgehoben und gesagt: „Na, mein kleiner Polizist, wie geht‘s dir?“
Daraufhin schnappte ich mir seine Dienstmütze und setzte sie auf meinen Kopf. Sie war viel zu groß und ich musste sie ständig nach oben schieben, um wieder etwas sehen zu können.
„Eines Tages wird sie dir passen“, hat er gesagt und dabei gegrinst. Ich stellte mich vor den Spiegel und starrte mich an. In meiner Vorstellung jagten wir beide einen gefährlichen Verbrecher.
Broder parkte mitten auf dem Gehsteig, wenige Meter vor den riesigen Drehtüren des Kaufhofs.
„Mach die verdammte Sirene aus.“
Er holte einen Flachmann und eine Pillendose aus der Jackentasche, schüttelte sich ein paar von den Dingern in den Mund, zerbiss sie und spülte sie mit einem großen Schluck runter.
„So, Sportsfreund, los geht’s. Keine Verletzten, keine Gefangenen.“
Er stieg aus dem Wagen, holte die Glock aus der Jacke und trabte mit der Waffe in der Hand auf den Eingang zu. Einige Leute schrien auf, manche ließen sich zu Boden fallen, ein paar Bekloppte knipsten ihn mit ihren Handykameras. Als sich Broder umsah und merkte, dass ihm Lehmann nicht folgte, blieb er stehen und brüllte:
„Was ist los, du Arschloch, willst du mich alleine sterben lassen?“ Er sah, dass Lehmann noch immer im Wagen saß und nicht einmal zu ihm herschaute. Broder lachte und schüttelte den Kopf.
„Na dann halt nicht, du Wichser.“
Im Laufschritt durchquerte er die Parfümerieabteilung im Parterre und flitzte über die Rolltreppen in den dritten Stock. Dort nahm er noch einen tiefen Schluck aus dem Flachmann, schüttelte sich und sah sich suchend um.
„He, du da!“ Mit der Waffe winkte er einen Verkäufer zu sich. Der Schnösel wurde kreidebleich.
„Wo ist hier das Büro?“
Der Junge starrte ihn mit offenem Mund an. Broder hielt ihm die Kanone unter die Nase.
„Himmel, hast du was auf den Ohren, du Traummännlein? Das Büro such ich. … Die Abteilungsleitung, die Direktion, was weiß ich, den Chef von eurem Drecksladen halt.“
„Da hinten die blaue Tür. Neben dem Lift“, stammelte das Bürschchen und zeigte ans andere Ende der Etage.
„Na bitte, geht ja. Und immer schön devot bleiben, ja?“ Broder tätschelte ihm die Wange, steckte die Glock ein und marschierte in Richtung blauer Tür. Bei einem Wühltisch mit CDs blieb er stehen, stöberte ein wenig darin herum und steckte sich schließlich eins von den Dingern in den Hosenbund.
„But it ain't me, babe, no, no, no, it ain't me babe. It ain't me you're lookin' for, babe“, trällerte er fröhlich, zerkaute noch zwei Kapseln und trat ohne anzuklopfen ins Büro.
Einmal, da war ich schon elf oder zwölf, nahm er mich im Streifenwagen mit. Der Lehmann war auch dabei. Es war zwar ihr freier Tag, aber sie taten so, als wären sie im Dienst, auch die Uniformen hatten sie angezogen, extra für mich. Sie waren ja damals noch nicht bei der Kripo, sondern fuhren ganz normale Streife.
Wir kurvten durch die Stadt und eine Zeitlang durfte ich sogar vorne sitzen, mit Lehmanns Schirmmütze auf dem Kopf und dem Mikro vom Funkgerät in der Hand.
„Roger, kommen, … yes, Sir. Verstanden. Over“, und so Zeug quasselte ich pausenlos in das Ding und kam mir unheimlich toll dabei vor. Immer wieder suchte ich die Blicke von Passanten und schaute dann besonders grimmig drein.
Am Georgsplatz stiegen wir aus und sind in die Passage runter, wo immer diese Giftler rumhingen. Wir stiefelten dort ein bisschen auf und ab, die eine oder andere von den traurigen Figuren ließen sie aufstehen, Hände an die Wand, Beine auseinander, und durchsuchten sie. Wenn sie Zeug fanden, steckten sie’s ein. Vom Georgsplatz fuhren wir dann über den Fluss rüber in die Au, da gab’s damals so eine halb illegale Kommune von ein paar verrückten Hippies. Die hausten in alten Wohnwägen und ausrangierten Frachtcontainern, es gab dort ein Windrad, Gemüsebeete, einen Haufen verdreckter Kinder und mindestens doppelt so viele Hunde wie Menschen. Vermutlich lauter Spinner. In großen Kreisen rasten wir über die Wiese, der Wagen schlingerte wie wild und Vater hatte das Fenster runtergekurbelt. Er brüllte durchs Megaphon hinaus: „Alle raustreten zur Pimmelkontrolle, ihr verdammten Schwanzlutscher, ihr Scheiß-Loser mit euren verlausten Scheißweibern. Sucht euch Arbeit, ihr Gammler! Ihr Scheißlandplage! Asoziales Zigeunerpack! Schmarotzer!“ Lauter so Quatsch halt und Lehmann kriegte sich vor Lachen gar nicht mehr ein.
Zurück in der Stadt ging’s dann los mit seiner Predigt. Eine geschlagene halbe Stunde, den ganzen Weg bis nach Hause, laberte mir der Alte die Ohren voll, von wegen „Hast du dir diese Typen am Georgsplatz genau angeschaut, Phillip, hast du gesehen wie die leben? Wie die Tiere, wie Ferkel, die waschen sich ja nicht einmal mehr. Denen geht‘s nur noch um den nächsten Schuss, um sonst gar nichts, da gibt’s auch keine Freundschaften mehr, nichts, die bestehlen und belügen sich gegenseitig. Und lass dir von niemandem einreden, die könnten nichts für ihr Scheißleben, die wären nur arme Opfer der Gesellschaft oder so. Das ist Schwachsinn. Jeder ist für sein Schicksal verantwortlich. Man braucht sich nur an die Gesetze halten und an noch ein paar ganz einfache Regeln, dann geht das schon. Und diese Scheißhippies in der Lobau, glaub ja nicht, dass einer von denen irgendwas Vernünftiges tut, oder gar arbeitet, die leben alle von der Stütze, das sind elende Schmarotzer. Und waschen tun sich die wahrscheinlich auch nicht. Was ich dir sagen will, Junge, reiß dich in der Schule ein bisschen am Riemen, tu, was man von dir verlangt, das ist keine Schande, nur die wirklichen Blödmänner rennen mit dem Kopf gegen die Wand. Hör mir gut zu, Phillip, ich mein das jetzt ganz im Ernst: Sei ehrlich und rechtschaffen, ja, du hast mich schon richtig verstanden, ich hab rechtschaffen gesagt, dann wird das schon was werden mit deinem Leben, tu einfach deine Pflicht, glaub’s mir, ich weiß wovon ich rede …“, und so weiter, bla bla bla. Und der Lehmann nickte die ganze Zeit mit dem Kopf dazu.
Als Broder ins Büro trat, blickte eine Frau erschrocken auf. Sie saß hinter einem Schreibtisch und außer ihr war niemand da. Er schloss die Tür und musterte den Raum. Eine bessere Abstellkammer, die Wände mit vollen Aktenregalen zugestellt, ein paar Schreibtische, drei Türen, zwei mickrige Fenster, eine Kaffeemaschine, ein wuchtiger, roter Kühlschrank, an der Decke ein Ventilator.
„Meine Verehrung, Gnädigste.“ Ihre Frisur schien aus Stein gemeißelt zu sein. Broder schenkte ihr sein irrstes Grinsen und ging an ihr vorbei zum Kühlschrank.
„Sie gestatten?“
Sie starrte ihn entgeistert an, als er den Kühlschrank öffnete.
„Na wer sagt’s denn.“ Broder nahm sich eine Flasche Bier, haute an einer Schreibtischkante den Verschluss ab und wendete sich wieder der Frau zu.
„Alles wird gut, meine Liebe. Die Kavallerie ist da.“
„Sagen Sie mal, was ist denn mit Ihnen los? Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?“
„Kommissar Broder. Ich sag ja, jetzt wird alles gut.“ Er warf seine Dienstmarke auf den Schreibtisch.
„Du meine Güte. Sie sind Polizist? Wohl undercover unterwegs, was? Und Ihr Deckname ist vermutlich Dirty Harry.“ Sie kicherte wie ein Schulmädchen.
„Sehr witzig. Also, wo brennt’s?“
„Zwei Jungs. Der eine hat sich einen MP3-Player unters Hemd gesteckt. Der Detektiv hat’s über die Überwachungskamera gesehen.“
„Wo ist der Detektiv jetzt?“
„Keine Ahnung. Er hat die zwei hier abgeliefert und ist jetzt wieder unterwegs. Auf Streife heißt das bei euch wohl.“ Sie zwinkerte ihm zu.
„Sehr witzig. Und wo sind die zwei?“
„Da drin. Eingesperrt.“ Sie wies auf die beiden Türen. „Damen“ stand auf der einen, „Herren“ auf der anderen. Vor beide waren Schreibtische geschoben.
„Der Detektiv hat gemeint, er muss sie trennen. Wegen Verabredungsgefahr, hat er gesagt.“
„Wegen Verabredungsgefahr, so so. Scheint ja ein aufgewecktes Kerlchen zu sein, euer Detektiv. Wer hatte den MP3-Player?“
„Der da.“ Sie deutete auf die linke Tür. Broder stellte das Bier ab, ging zur rechten und wuchtete den Schreibtisch zur Seite. Dann öffnete er die Tür.
„Komm raus, du Arschloch.“
Ein höchstens fünfzehnjähriges Bürschlein kam heraus, bleich, verschwitzt, am ganzen Leib zitternd.
„Mach die Tür zu. Wie heißt du, mein Junge?“
Der Bub schloss die Tür, räusperte sich und starrte zu Boden.
„Schau mich an. Wie heißt du?“
„Ähm … Jan.“
„Emjan? … Was für ein Scheißname. Komm her, Emjan.“
Dem Jungen rannen mittlerweile Tränen über die Wangen. Zögernd trat er einen Schritt näher. Broder holte sich drei Pillen aus der Dose, steckte sie in den Mund und nahm ein paar Schluck vom Bier. Jan schluchzte. Rotz und Wasser liefen ihm übers Gesicht, er heulte jetzt hemmungslos wie ein Kind.
„Was ist los, Emjan? Meinst du etwa, ich beiße? Keine Angst, ich beiße nicht.“
Er trat zu Jan, fuhr ihm mit der Linken sanft durchs Haar und strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht. Dann wischte er ihm eine Träne von der Wange und rammte ihm das Knie in den Unterleib. Die Frau stieß einen Schrei aus und Jan fiel zu Boden wie ein nasser Sack. Er presste die Fäuste zwischen die Schenkel, wälzte sich herum wie ein Epileptiker, röchelte, würgte und kotzte schließlich ein wenig Schleim auf den Boden.
„Sie Tier! Sie Unmensch! Das ist doch noch ein Kind! Sie sind ja vollkommen irre! Sie sind doch krank! Hilfe! Hilfe!“ Sie kreischte wie am Spieß, stürzte zur Tür und rüttelte an der Schnalle. Broder schleuderte die Bierflasche an die Wand.
„Vergessen Sie’s. Ich hab abgeschlossen. Halten Sie mich für einen Anfänger? Herrgott, jetzt reißen Sie sich gefälligst zusammen. Dem Hosenscheißer ist nichts passiert. Nie ins Gesicht, das lernen wir schon in der Polizeischule. Halten Sie einfach den Mund.“
Die Frau hatte zu weinen begonnen. Broder nahm ein Taschentuch aus der Hose, hockte sich neben Jan und wischte ihm behutsam das Gesicht sauber. Der Kleine wimmerte leise und hechelte so kurzatmig wie ein angeschossenes Rehkitz. Broder beugte sich zu seinem Ohr.
„Du hörst mir jetzt ganz genau zu, Emjan. Wenn ich dich noch mal bei irgendeiner Scheiße erwische, ganz egal bei welcher, prügle ich auch deinen Familiennamen aus dir raus, verstehst du mich? Und ich schwör’s dir bei meiner letzten Zigarette, dann wirst du in deinem Leben nicht mehr sehr viel Spaß haben. Capisce?“
Er stellte den Jungen auf die Füße und schleppte ihn zur Tür. Dort stand noch immer die Frau, schluchzend, zitternd, mit weit aufgerissenen Augen, und biss sich in die Fingerknöchel.
„Sie erlauben, Gnädigste?“ Sanft schob er sie beiseite, holte den Schlüssel aus dem Hosensack und schloss auf. Er öffnete die Tür einen Spalt und schubste Jan hinaus.
„Und für den Fall, dass du dich beschweren willst: Broder. Kommissar Werner Broder. Merk dir den Namen gut. Und jetzt verpiss dich, du kleiner Scheißkerl“, rief er ihm nach. Dann knallte er die Tür zu, sperrte wieder ab und steckte den Schlüssel ein.
„So, jetzt fängt der Spaß erst richtig an. Jetzt knöpfen wir uns den Bandenchef vor. Wie heißen Sie übrigens?“
„Wie bitte?“ schniefte sie.
„Na kommen Sie. Sie heißen doch nicht Wibite … erst Emjan, jetzt Wibite. Scheiße, und der da drin heißt wohl Ichtusniewieder. Soll das witzig sein? Ihren Namen möchte ich wissen, verdammt.“
„Äh, Doris.“
„Edoris? Wollen Sie mich verarschen? Das klingt wie eine Scheißkosmetikmarke.“
„Doris“, stieß sie unter Schluchzen hervor.
„Doris. Ein schöner Name … stört es Sie, wenn ich rauche, Doris?“ Broder nahm sich eine Zigarette aus der Packung, die auf ihrem Schreibtisch lag, und zündete sie an. Dann schüttelte er sich aus dem Döschen ein paar Pillen in den Mund und ging zum Kühlschrank.
„Wollen Sie auch ein Bier, Doris?“
„Hören Sie, ich weiß ja nicht, was Sie-“
„Ich hab Sie gefragt, ob Sie ein Bier wollen.“
„Sie sind doch-“
„Ich glaube, Sie hören mir nicht richtig zu, Doris.“ Broder angelte sich eine Flasche und schmetterte die Kühlschranktür zu. Er haute die Kapsel ab, ging langsam auf sie zu und fuchtelte mit der Zigarette in der Luft herum.
„Soll ich Ihnen was sagen, Doris? Sie kotzen mich an. Echt. Sie kotzen mich so richtig an ... ihr Weiber seid doch alle gleich. Wegen dem kleinsten Scheiß rennt ihr zu den Bullen, aber wenn’s dann ein bisschen weh tut, wird sofort geheult. Himmelarsch, meinen Sie, mir macht das Spaß?“
Broder stand jetzt dicht vor ihr und blies ihr Rauch ins Gesicht. Er schmiss die Kippe auf den Boden, trank noch ein paar Schluck und warf die Flasche über die Schulter.
„Sie sind gar kein Polizist, nicht wahr? Sie sind ein Irrer.“ Doris drückte sich eng an die Wand und wendete das Gesicht ab.
„Siehst du da etwa einen Unterschied, du Schlampe?“, brüllte Broder. „Meinst du, ein normaler Mensch macht freiwillig diesen Drecksjob? Glaubst du das wirklich, du dumme Fotze?“
„Hilfe! Hilfe!“, schrie Doris. Broder schlug ihr zweimal fest ins Gesicht, ihre Brille flog bis zur Scheißhaustür und Doris sank wimmernd zu Boden.
„Du willst es wohl wirklich wissen, du geiles Miststück, was?“ Er zog die Lederjacke aus, warf sie hinter sich auf den Schreibtisch und zerrte Doris hoch.
Zuerst verstand ich ja kein Wort, ich hörte nur, wie die Frau mit einem Mann sprach. Aber dann wurde die Tür vom Scheißhaus aufgemacht, wo Jan drinsaß, und weil das nur so eine dünne Wand zwischen uns war, hörte ich plötzlich ganz deutlich, wie der Mann sagte: „Komm raus, du Arschloch.“
Und da dachte ich, mich trifft der Schlag, jetzt haut’s mich echt gleich um, weil das war eindeutig die Stimme von meinem Alten. Oh Gott oh Gott. Ich drückte mich in den letzten Winkel, noch hinter die Klomuschel, ich wollte nur noch ganz weit weg. Die Tür nebenan wurde wieder geschlossen und ich wartete und dachte dabei, jetzt scheiß ich mich gleich an, aber es passierte erst mal gar nichts. Meine Tür blieb zu und ich konnte auch nicht mehr verstehen, was die da draußen quatschten. Bis auf einmal die Frau zu brüllen begann und da hätte ich mir vor Schreck beinahe in die Hose gepisst, ehrlich. Draußen zersplitterte irgendwas und ich hörte wieder die Stimme von meinem Alten. Ich verstand nicht, was er sagte, aber ich konnte mir sein Gesicht dazu vorstellen. Mein Gott, wie ich seine Visage hasste, wenn er wütend war, wenn seine Augen schmal wurden, diese Scheißvene an der Schläfe hervortrat und seine Stimme dabei ganz ruhig blieb, da bekam ich jedesmal Gänsehaut.
Ich hatte keine Ahnung, was da draußen los war, sie redeten hin und her, bis ein schrecklich lautes Scheppern zu hören war, ich glaub, das war die Kühlschranktür und kurz darauf flog wieder was auf dem Boden. Und dann ging’s richtig los. Mein Vater brüllte. „Schlampe, Fotze, Miststück“, so Scheiß halt, ganz mein Alter, richtig gruselig, und darauf schrie die Frau wieder um Hilfe. Ich war knapp am Durchdrehen, ich hatte keine Ahnung, was ich tun sollte. Ich wusste ja nicht, dass die Scheißhaustür gar nicht abgesperrt war, was hätte ich denn tun sollen? Aber was ich dann hörte, ließ mir echt die Haare zu Berge stehen, also ich bin ja kein Fünfjähriger mehr, ich weiß schon, wie sich gewisse Sachen anhören. Und erst jetzt checkte ich Blödmann, dass der Schlüssel innen an der Scheißhaustür steckte, also konnte auch nicht abgeschlossen sein. Mann, war ich dämlich, aber es war ja kaum Licht hier drin, es gab nur so eine winzige, verdreckte Oberlichte. Jedenfalls zog ich den Schlüssel ab und spähte durch das Schlüsselloch. Herrgott, hätte ich das doch bleiben lassen.
Ich starrte direkt auf den nackten Arsch von meinem Alten. Keine fünf Meter von mir entfernt stand dieser Dreckskerl und fickte die Frau. Mir wurde richtig übel und es fehlte echt nicht viel und ich hätte gekotzt. Ich atmete tief durch und haute mir ein paarmal gegen den Schädel. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Schließlich drückte ich die Schnalle und probierte, ob sich die Tür öffnen ließ. Sie bewegte sich zwei Zentimeter, aber dann war Schluss. Irgendwas Schweres stand davor. Scheißhaustüren, die nach außen aufgehen, gibt’s was Bescheuerteres? Ich lehnte mich mit aller Kraft dagegen und schaffte es wirklich, sie zwei Handbreit aufzubekommen.
Jetzt bot sich mir das ganze erbärmliche Schauspiel in der Totalen: mein Vater, der so in seine Rammelei vertieft war, dass er rein gar nichts mitbekam, und vor ihm auf dem Schreibtisch die Frau, der er ihren zerfetzten Slip auf den Mund presste. Mit der anderen Hand war er an ihren Titten. Sie hatte die Augen verdreht und Blut im Gesicht und ihre Arme lagen wie leblos neben ihr. Oh Gott oh Gott … Und erst dann sah ich seine braune Lederjacke auf dem Schreibtisch vor meiner Tür, direkt vor meiner Nase. Ohne nachzudenken schnappte ich mir das Ding und holte die Kanone aus der linken Innentasche. Da war sie immer drin, das wusste ich. Seine Glock kannte ich so gut wie mein Smartphone, die barg echt keine Geheimnisse, er hatte mich ja schon als Zwölfjährigen auf den Schießplatz mitgenommen. Ich entsicherte sie.
Jetzt brauchte ich nicht mehr leise zu sein. Wie ein Berserker schob ich mit der Tür den Schreibtisch in den Raum, der wog wirklich keine Tonne, das war beinahe ein Kinderspiel, aber mein Alter bekam den Krach nun doch mit, drehte sich um und starrte mich entgeistert an.
„Sohnemann, du kleiner Wichser. Na das ist ja eine Überraschung“, konnte er noch sagen.
Dann schoss ich ihm ins rechte Knie. Und dann ins linke.