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Play it again!
Der Abend beginnt mit einem spektakulären Sonnenuntergang, wie es jetzt in der Regenzeit nicht selten passiert.
Durch die Wolken spendiert der Himmel eine Extraportion an Farben, zaubert ein Meisterwerk mit leichtem Pinselstrich. Die Schwüle und Hitze des Tages weichen einer frischen Prise vom Meer. Hat sich die Sonne endgültig nach einigen Dakapos verabschiedet, zieht der Himmel den schwarzen Vorhang zu. Finden die Vögel, die den Sonnenuntergang mit ihren Stimmen und Melodien aufgeregt begleiteten, endlich zur Ruhe.
Das Chamäleon, das den ganzen Nachmittag auf der Stromleitung sass, kann ich nicht mehr sehen.
Der Blick auf die See wandelt sich zum Blick in die Dunkelheit. Einige Positionslichter, vor Anker liegender Frachtschiffe, grüssen aus der Ferne.
Ich sitze an der Bar und nippe an meinem Ananaspunsch als Emilien auf die Terrasse kommt. Der kleine rundliche Mann mit dem herzlichen Lachen.
Wir waren eigentlich für den Nachmittag verabredet.
"One beer?"
"Yes, please."
"One Guitar?"
Er lacht. Ich reiche ihm beides. Ein kräftiger Schluck Bier. Er nimmt die Gitarre und setzt sich zurecht. Greift in die Seiten und spielt Songs von den Beatles.
Ich gehe in die Küche, bereite ein Abendmahl für Emilien zu.
Nach dem Essen greift er wieder zur Gitarre. Seine Lieder fliessen in den Abend. Die Menschen haben Zeit. Man sitzt; trinkt etwas und plaudert.
Es ist angenehm kühl. Nur die salzige Luft erinnert an das Meer vor der Nase.
Emilien spielt. Ist in seine madagassischen Melodien vertieft.
Vor meinen Augen zieht die einzigartige Landschaft Madagaskars vorbei. Ich sehe das Hochland, die Reisfelder, die langen Landstrassen über rote Erde, die kleinen afrikanischen Dörfer. Diese Musik spiegelt das Lebensgefühl wider, den Frieden, die Leichtigkeit und die Leidenschaft.
Ich betrachte Emilien, der zu einem Freund geworden ist. Er spielt.
Seine Augen sehen gutmütig aus. Seine vollen Lippen, die so gern lächeln, geben dem dunklen Gesicht ein besonderes Strahlen. Er hat kleine Ohren, fällt mir auf. So zierliche Ohren mit einem so grossartigen musikalischen Gehör.
Ein Gast vom Nebentisch kommt zu uns, leiht sich die Gitarre. Er spielt "La Paloma ade" auf eine besondere, griechisch anmutende Weise. Er schliesst die Augen, geniesst sichtbar jeden Ton. Leidenschaft pur. Wir singen mit, applaudieren und lachen.
Es ist 22.00 Uhr. Die Handwerker kommen. In den Geschäftsräumen ertönt nun der Bohrer, wird gehämmert. Der letzte Kunde des kleinen Internetcafes ist längst gegangen.
Auf der Terrasse handele ich mit Emilien den Preis für seine nächste Show aus.
Alles wird schriftlich fixiert. Eric Clapton spielt nun seinen Blues aus der Konserve.
Die Windstille lässt uns schwitzen. Ich bestelle mir noch einen Punsch mit Crushed Ice.
"In Deutschland sitzen sie jetzt vor dem Fernseher, in geheizten Stuben." sage ich zu Sebastian, der an der Bar sitzt.
Emilien wechselt die Stimmlage. Er stimmt einige Saiten der Gitarre und es erklingt das Lied : "Stille Nacht, heilige Nacht." Unsere Bedienung Gina beginnt, das Lied englisch mit zu singen mit ihrer Kleinmädchenstimme.
Kindheit, weiße Weihnacht, Mutti, Lichterglanz...Gott! Mir schiessen die Tränen in die Augen.
Plötzlich dreht sich Sebastian zu mir herum.
"Heut ist der 2.Advent." sagt er.
Ja, denke ich, es weihnachtet.
"Play it again, Emilien!"