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Politik
„Hör auf mich anzustarren!“, blaffte Kammer verunsichert seine Sekretärin an und schloss seinen Hosenschlitz. Die spindeldürre junge Frau – sie war nicht mehr halb so alt als ihr Arbeitgeber - stieß sich mit den Schultern vom Türrahmen ab.
„Sag’s deiner Frau.“ Maries eindringlicher Blick fiel in Holger Kammers Gesicht, welcher sich umgedreht hatte, um nun seine Hände einzuseifen.
Marie löste ihren Blick, streifte seinen Rücken mit ihrem Oberarm und beugte sich etwas über die Toilettenschüssel um den Deckel zuzumachen.
Über ihre Schulter hinweg blickte sie in den Spiegel über dem Waschbecken. Er zeigte Holgers Gesicht mit seinen Augenfältchen, dem darüber liegenden hohen Haaransatz und dem Doppelkinn, das seinen Kopf scheinbar nach unten zog. Sein Muttermal, ein fingernagelgroßer dunkler Fleck unterhalb des Wangenknochens, starrte in Maries Richtung. Sie betrachtete ihn und berührte ihre eigene Wange. Holger schnaufte, hielt inne, nickte und drehte sich zu ihr.
„Du stellst dir das alles zu einfach…“, ‚vor’, wollte er sagen, doch Marie hatte den Raum verlassen um den ankommenden Telefonanruf zu beantworten. Er hatte das Klingeln des Telefons ignoriert, doch Marie konnte nun endlich ihrer Wut freien Lauf lassen und den Hörer umkrallen. Zu oft hörte sie sich seine Ausreden an und zu oft hatte sie darauf gehofft endlich öffentlich anerkannt zu werden. Er jedoch, hatte sich zu oft über diese ganze Sache den Kopf zerbrochen und nun war er es Leid zu diskutieren.
„Wir müssen los, das nächste Meeting ist gecancelt aber Baum wartet in der Hotelhalle, ein Essen mit Brühler.“
„Klingt viel versprechend.“ Kammer war von dem abrupten Themenwechsel überrascht, jedoch kam dieser ihm gelegen.
„Dein Reformprojekt wird immerhin von der Opposition vertreten und…“ Marie hielt inne als sie Holger Kammer durch die Tür auf den Flur gehen sah. Sie hörte das leise Bing der Fahrstuhlanlage. Im Gehen zog sie ihre neuen Absatzstiefel an, versteckte sie unter ihrer langen Nadelstreifenhose und blickte in den großen Spiegel des hellen Wandschranks. Sie biss die Zähne zusammen, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, ballte die Faust und schritt auf die Tür zu. Auf der Schwelle versuchte sie sich zu entspannen und zog verkrampft an dem polierten Messingknauf. Als Holger das laute Zuziehen der Zimmertür hörte, drehte er seinen Kopf und sah Marie auf sich zukommen. Ihre Wangen waren von roten Flecken gezeichnet, ihre Augen sahen feucht aus.
Er legte seinen Arm um ihre Schulter und streichelte den Stoff ihres Blazers bis der ihr Schlüsselbein ausmachen konnte. Ruhig schob er sie durch die Fahrstuhltür und drückte auf das E, welches daraufhin aufleuchtete.
„Ich bin dir nicht wichtig.“, flüsterte Marie erstickt während sie das Kribbeln der Talfahrt spürte und ihre Fingernägel in ihre weichen Handflächen bohrte.
„Ich habe ihr immer gesagt ich würde keine ...“
„Gewollt oder nicht, es gibt mich nun mal und das schon seit zweiundzwanzig Jahren! Was du zu ihr sagst verändert nicht deine Vergangenheit! Aber es verändert meine, denn du löscht mich aus und meine Mutter von der du behauptet hast, du würdest sie lieben!“, schnaufte Marie, drehte sich gen Spiegel und blickte in ihre roten Augen.
… 3 – 2 – 1 – E. Sie hatte keine weitere Antwort erwartet. Holger blickte sie verständnisvoll an, doch sie fand, er sah aus wie eine Witzfigur mit seinen braunen Hundeaugen und der Politikermaskerade.
Als sich die Tür öffnete schritt er enthusiastisch auf die zwei Männer in der Halle zu. Der kleine, Baum, streckte ihm überfreundlich seine Hand entgegen. Der dicke Anzugträger neben ihm lächelte erst freundlich zu Kammer um dann seine Begleiterin in Augenschein zu nehmen. Während Baum die beiden Männer bekannt machte, näherte sich Marie langsam. Sie sollte sich stets dezent im Hintergrund halten, doch ohne sie hätte Holger nicht mehr leben können. Sie war nach der Scheidung für ihn da gewesen, doch nachdem er seine neue Frau kennen lernte, verloren sie sich aus den Augen bis das Arbeitsamt ihr die Stelle als Chefsekretärin anbot. Nun wollte sie in die Idylle ihrer Kindertage zurück.
Baum grinste sie an wie ein Teenager und ergriff ihre Hand. Mit einem viel zu festen Druck schüttelte er Maries ganzen Arm. Er zeigte auf Brühler.
„Herold Brühler.“, kündigte er stolz den nächsten Händedruck an. Alles Routine.
Marie erzwang sich ein Lächeln.
„Und sie sind …“, sprach Brühler für sie und blickte sie interessiert an.
„Marie“, antwortete sie mit einem Blick zu Holger. Als nächstes nestelte sie mit der linken Hand in ihre Tasche und fügte hinzu: „Marie Kammer, sehr erfreut.“