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Porzellan
Während sie schläft, spuckt die Sonne ihr erstes Licht durch die Lamellen und auf ihre Haut, Wind faucht durch den Keil des gekippten Fensters und die Wolken schubsen sich über die Himmelsleinwand.
Während sie schläft, die Musik so leise und schüchtern; wagt es nicht, das Zimmer zu verlassen. Eine Stimme flüstert in ihr ein Lied, möchte niemanden wecken.
Während sie schläft, klacken die Tasten dieser Tastatur so ekelig mechanisch, das p hakt, und ich versuche, jedes Wort so zärtlich zu tippen, wie ich es flüstern würde.
Orangenkisten gefüllt mit CD´s, Wandschränke mit Büchern, Ordnern, und aus manchen quillt Kleidung, eine Matratze, eine Decke, unter welcher sie sich regt gerade. Ich habe zu unsanft getippt.
Im Chaos ihrer Schönheit liegt mein Pullover noch zu ihren Füßen, mein Saft, griffbereit und abgestanden, und meine Gedanken kuscheln sich wieder zu ihr unter die Decke.
Die Wasseroberfläche in der Sprudelflasche räkelt sich bei jeder Erregung des Bodens, draußen leben Tauben und Staubsauger ihren Tag, und die Stadt wühlt in ihren geschmückten Ruinen.
Ich höre wie sich die Schlange der Großstadt zwischen den Bauten und den Häusern durchquetscht, durch die morgendlichen Straßen schlingert, sich ihren Weg durch die Stadt zwängt und verschlafene Seelen in ihren Bauch lädt um sie von A nach B zu transportieren.
Und in meinem Bauch eine Horde glücklich fickender Schmetterlinge, die ein neues Zeitalter anzukündigen haben. Auch in ihrem Bauch, auf dem meine Lippen des nachts Heimat gefunden haben, rumpeln sie die nutzlosen und kalten Gefühle beiseite.
Die Musik erlischt und die Stadt und ihr Stress klopfen an der Tür und drängen an den Fenstern, dass sie sich unwohl rekelt unter der Decke und im Schutz meiner Liebe. Vorsichtig stehe ich auf und schleiche zur Anlage.
Die Frau flüstert wieder zum Takt eines Kontrabasses aus den Boxen und auf dem Weg habe ich sie geküsst, auf die Wange, und sie hat geschmunzelt kurz, dass die Stadt uns heute verschont und sich zurückziehen solle in den Wirbel ihrer selbst.
Doch dann zucke und erschrecke ich! Das Zimmer tränkt sich in Grau, die flüsternde Frau besorgt und ebenso trist wie die Fassaden draußen und Angst überkommt mich. Angst, denn es ist Wissen, dass es vergänglich sein könnte, sein muss und wird.
Gestern hatte ich mich ihr bekannt und die drei Worte gesagt. Sie waren, überwältigt von brennenden Gefühlen, aus mir explodiert, trafen ohne Vorwarnung in ein sich gerade ordnendes System von verstaubt geglaubten Gefühlen, welche keine Reaktion zu Stande brachten, sie allerdings dazu rüttelten, mich zu umklammern und zu verschmusen.
Mit ihr bin ich albern ohne mich zu schämen, bin versaut ohne mich pervers zu fühlen, lache wirklich und lache, habe kaum Hunger, erforsche ihren Körper und will den Glanz in ihren Augen sehen und ihr meinen zeigen, wenn ich mit ihr schlafe.
In zwei kalten Tagen und Nächten waren wir vor dem Landtag in Düsseldorf zusammen gegen Studiengebühren demonstrieren gewesen. Wären so viele Demonstranten gekommen wie Schmetterlinge in unseren Bäuchen, würde man jetzt Geld fürs Studieren bekommen.
Als ich sie erblickte war ich plötzlich wieder dreizehn, konnte mich nur gequält artikulieren und zaghaft schickte ich Worte zu ihr die schon längst nur noch Untermalung waren im Flirt unserer Augen.
Und als unsere Zungen endlich miteinander spielen durften und vor Verlangen trieften, während wir uns in einer Ecke eines unbedeutenden Clubs aus einer unbedeutenden Gesellschaft vergraben hatten, streichelte ich über Schnittwunden an ihren Armen, Schultern und Beinen und sie trank meinen doppelten Whiskey für mich.
Alkohol tötet langsam, kontinuierlich und angenehm. Rasierklingen schnell, unvorhersehbar und sporadisch.
Liebe trifft ihr Ziel wann sie es für richtig hält und immer dann, wenn es zu spät und hoffnungslos scheint. Doch dass es so war, verrät sie einem erst, wenn sie getroffen hat.
Mit den drei Worten gab ich ihr den zum Dolch geformten Schlüssel zu meinem Herzen und es liegt nur und nun an ihr, wie sie ihn verwendet. Vorsichtig und behutsam will er in das verrostete und verkrüppelte etwas in mir, das sich Herz schimpft, eingeführt werden.
Und da ist sie wieder, diese Angst. Diese Angst eines Kindes zum ersten Mal in die wartenden Arme eines Vaters zu springen. Sprunghaft läuft dieser Film vor meinen Augen; wie auch nur kleinste Ungereimtheiten die Perfektion zersprengen und wie mich mein Stolz verblassen lässt, mein eiteler Schöngeist Ekel bedingt, mein paranoides und neurotisches Wesen eingeklemmt erscheint und das Ende vom Lied wieder nur Elend sein wird.
Panisch stürze ich aus ihrem Zimmer und der Wohnung, versacke zusammen mit dem Fahrstuhl in die Parterre der Existenz, Gleichgültig will ich sein, werden und bleiben, die Einsamkeit hier unten und draußen umschmust mich genüsslich und herzlich und sie ist stetig, bleibt beständig und die Gefahr der Vergänglichkeit dieser Liebeswärme dort oben in diesem Haus, dieser Wohnung, diesem Zimmer, dieser Decke, diesen Augen und dieser Seele vermag im Sumpf der Destillation schnell vergessen sein. Die Gefahr meine Porzellanseele in schwitzige, unerfahrene Hände zu geben, erscheint mir zu groß. Der Schleier dekadenter Depression schützt mich vor Versuchungen und lässt mich aufgeben, ohne es versucht zu haben, erdrückt Gefühlsregungen durch Angst und mögliche Folgen. Der Gedanke an den Freitod lässt mich leben. Wie könnte ich es wagen Verantwortung, Versprechungen und Vertrauen in dieses meine Leben zu lassen? Dafür sacke ich schon unter meiner eigenen Last zu schnell zusammen.
Auf geht’s; zur nächsten Taverne und den verwirrten Geist mit ein par Altbieren freigespült. Geliebt gewohnte Isolation, frei von Gefühlen, nur Schmach und Lust an Sehnsucht und Spaß an der Missatrophie, ergötzt am Stumpfsinn der Welt, Selbsthass so lieblich, vegetieren in der eigenen Gruft, langsame und zärtliche Selbstzerstörung; und zwar wann und wie ich es für angemessen halte.
Dann bleibe ich stehen. Mir ist kalt und der Wind fegt den Morgen in die Straßen.
Ein Blick zurück. In ihrem Zimmer ist Licht. Dann im Flur auch. Und dann im Bad.
Ich denke an die letzten Tage und wie das Trinken und das Nachdenken in den Hintergrund gerückt waren, wie mein Geist in einer Hängematte schaukelte und den süßen Saft der Zweisamkeit schlürfte, wie ich mich mit Sinnlichkeit füttern ließ und fütterte, wie ich in den Nächten glühte, wie ich Ideale in mir erwachen spürte und die Energie sie umzusetzen, wie es ist vermisst zu werden, wie es ist vor sich selbst geschützt zu sein und in der Lage zu sein zu schützen.
Ich habe erfahren wie es ist einen Wert in seiner alltäglichen Existenz zu haben.
Jeder Tag mit ihr war Ziel auf der Suche nach dem Weg.
Zu meiner Linken öffnet eine Bäckerei ihre Pforten.
Schnell kaufe ich eine Vielzahl an Brötchen und zwei oder zehn Croissants, sprinte zu ihrem Haus und das Treppenhaus hoch und auf halben Wege fällt sie die Treppen hinab und in meine Arme. Eine Vielzahl an Brötchen und zwei oder zehn Croissants verteilen sich über die Treppe.
„Ich liebe dich auch!“, schluchzt sie mir über die Schulter, über der Kurve des Geländers liegen wir uns in den Armen und unsere Tränen fallen gemeinsam das Treppenhaus hinab, manche treffen sich unterwegs und regnen zusammen in den offenen Hals einer Vase in der Parterre und zerplatzen auf dem Porzellan des Vasenbodens so dass es durchs Haus hallt.
Fin