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Profane Laster
Profane Laster (und göttliches Backwerk)
Profane Laster (und göttliches Backwerk)
Die Türglocke bimmelte und er betrat die Pizzeria. Sofort füllte sich seine Nase mit diesem himmlischen Duft, der einen an Italien erinnert. Er setzte sich aus Käse, Tomaten, frischem Basilikum und allen nur erdenklichen Belägen zusammen. Der Mann, dessen Namen der Pizzabäcker nicht kannte, sog diese Luft ein, als wäre es eine Droge. Ein durchaus berauschtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Dabei schloss er die Augen und hob leicht den Kopf. Er war im ganz persönlichen Geruchsparadies. Der Pizzabäcker beobachtete ihn möglichst unauffällig. Langsam kam der komische Gast aus seiner Trance in unsere Welt zurück. Das Lächeln verschwand, seine Augen wurden ernst und ein eiskalter Blick schien den Pizzabäcker durchbohren zu wollen.
„Einen prächtigen schönen Tag, der Herr! Was darf´s denn sein, Signore?“
Seine dunkle Stimme hob an: „Du weißt, was ich will.“
„Nein, Senior, tut mir leid, wir haben eine relativ große Auswahl.“
„Ich will eine Pizza. Die perfekte Pizza.“
Die einst warme, vom Mehlstaub durchsetzte Luft schien zu gefrieren. Ein weiterer Kunde trat ein, wurde von der vor ihm liegenden Situation aus seinen Alltagsgedanken gerissen und blieb augenblicklich, wie angewurzelt stehen.
„Aber, die ist nicht auf unserer Karte“, entgegnete der eingeschüchterte Pizzabäcker.
Es herrschte für wenige, dafür aber kaum auszuhaltend lange Sekunden eine gespenstische Ruhe. Der Kunde runzelte die Stirn.
„Aber ich suche schon so lange nach der perfekten Pizza.“ In seiner Stimme lag eine Prise Resignation. „Ein Stern hat mich zu Ihnen geführt. Dieses Restaurant hier wird der Ort eines Wunders sein.“
Hinter dem Ofen, für die Gäste nicht zu sehen, saß der Gehilfe des Bäckers. Er konnte seinen Ohren kaum trauen und stand kurz davor, zum Telefon zu greifen, um die Polizei zu rufen. Dieser Gast gehörte für ihn ganz klar in die Klapse. Aber der Pizzabäcker hob eine Hand in Richtung seines Gehilfen, um ihm zu signalisieren, dass alles in Ordnung war.
„Sie glauben also, dass ich die perfekte Pizza backen kann?“
„Ja, in der Tat tue ich das. Also was ist nun, krieg ich meine Pizza?“
Der Pizzabäcker zögerte nicht lang. Er ließ sich auf dieses bekloppte Spiel ein. Wäre der wie angewurzelt stehengebliebene Kunde nicht anwesend gewesen, hätte der Pizzabäcker anders reagiert. Denn nun stand seine Ehre als bester Pizzabäcker der Stadt und als Italiener auf dem Spiel, und der Ruf und die Ehre bedeuteten in seiner Familie so ziemlich alles.
Der Pizzabäcker nickte dem Mann zu: „Lassen Sie mich beginnen.“
Er mehlte seine Hände ausgiebig ein, aber ohne auch nur eine Sekunde seinen Kämpferblick von dem komischen Gast zu lassen. Der Gehilfe begann die Motivation seines Chefs zu verstehen und zurrte ihm die Schürze zurecht.
Währenddessen beäugte der komische Gast das Schauspiel mit Argwohn. Den Mund offenhaltend, stand der Kunde an der selben Stelle und rieb sich die Augen.
Bevor der Pizzabäcker zu seiner Arbeit ansetzen konnte, räusperte sich der komische Gast und sagte: „Könnten sie mir eine Flasche Grappa geben, bitte? Er wird mir das Warten versüßen.“
Der Bäcker griff zu einem der billigsten Flaschen und einem winzigen Schnapsglas und reichte beides dem Gast über die Theke. „Danke. Wenn sie dieses Wunder vollbracht haben und einer von ihnen darüber schreiben sollte, könnten sie die Grappaflasche bitte weglassen?“ Alle nickten gleichzeitig, abgesehen vom eingefrorenen Kunden.
Der Pizzabäcker begann sein Werk und mit seinen eigenen Händen knetete er den Teig aus dem ein Wunder entstehen sollte. Er rollte ihn flach. Die entstandene Form war ein perfekter Kreis. Die Augen aller anwesenden wurden groß. Der Pizzabäcker sah, dass es gut war.
Aus einem inneren Gefühl, das seine Hände wie von selbst führte, wählte er den Belag aus. Ein bißchen Funghi, Tonno, Spinachi, viel Käse und obendrauf eine einzelne Sardelle. Dann schob er die Pizza behutsam in den wohltemperierten Ofen und schloß dessen Tür. Exakt sieben Minuten später entnahm er ein frischgebackenes Wunder. Und alle sahen, dass es gut war.
Die Wunderpizza wurde auf einen Teller mit Goldrand gelegt. Obwohl der Bäcker sein Werk nur zu gerne probiert hätte, widerstand er der Versuchung und übergab sie demjenigen, der sie bestellt hat. Dann bekreuzigte er sich. Der Gast sog den Duft dieses Wunders ein und begann friedlich zu lächeln. Genüsslich kaute er den ersten Bissen, und eine schillernde, unaussprechlich schöne Aura umfing ihn von einem Augenblick zum anderen. Alle Anwesenden lächelten und fühlten sich erleuchtet. Nachdem auch das letzte Stückchen seinen Weg in den Gast fand, entfuhr diesem ein wohlklingender langer Rülpser. Dann verbeugte er sich und verließ ohne ein Wort zu sprechen, die in blinder Euphorie schwebenden drei Menschen. Die Aura verschwand auch nicht, nachdem das Glöckchen gebimmelt hatte und er aus dem Restaurant gegangen war. Er überquerte die Straße, als ob er auf Wolken schweben würde. Seine Aura umhüllte ihn, als ob sie schon immer da gewesen wäre.
Er dachte darüber nach, dass er sein Ziel nun erreicht hatte. Wie sollte es jetzt weitergehen? Was haben die drei heiligen Könige getan, nachdem sie Jesus gefunden und ihn ausgiebig gepriesen hatten? Sie waren bestimmt einen trinken gegangen.
Bevor er die andere Straßenseite erreichen konnte, überfuhr ihn ein Bofrostlaster.
Fin
Alle Urheberrechte bei Markus Klemt 28.06.05