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Progressive Abschreibung

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21.05.2007
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Progressive Abschreibung

Isabel... Isabel Pfeifer. Und nichts regt sich mehr.
Ich schlendere durch den dunklen, tristen Wald der Wohnblöcke, der grenzenlos zu sein scheint. Durch einen Wald, in dem der eine Baum dem anderen gleicht. Schwere Tropfen prasseln auf die Strasse, auf die am Rand geparkten Autos und meinen tiefgrünen Regenschirm. Gelegentlich drehe ich ihn und beobachte, wie sich lange Wasserfäden in alle Richtungen zerstreuen und sich in den umliegenden, zahlreichen Pfützen wieder sammeln.
Es ist spät und in vielen Wohnungen brennt kein Licht mehr. Die Fenster verschmelzen vollends mit der Fassade, verraten sich nur ab und wann durch vage Spiegelungen schwacher Leuchtstoffröhren. Doch hin und wieder wird an Gardinen oder Vorhängen das schwachblaue Licht eines flackernden Fernsehgerätes reflektiert, das sich ansonsten im Schwarz eines muffigen Raumes verlöre.
Die Luft hier draussen ist rein und klar. Ich lasse meine Lungen noch zwei, drei Mal fluten, dann klemme ich den Schirm unter die Achsel und stecke mir eine Zigarette an.

Durch Zufall habe ich heute in der Tageszeitung ihre Todesanzeige gesehen. Ich wusste noch nicht einmal, dass wir in derselben Stadt wohnten.
Woran sie wohl gestorben war? „Plötzlich und unerwartet“... vielleicht ein Autounfall. In tiefer Trauer: Vater, Mutter und kein Ehemann. Kein Ehemann.
Ob sie glücklich war? Zumindest war sie nicht verheiratet. Aber ich zweifle keine Sekunde daran, dass sie bis zu ihrem Tod unglaublich schön und vor allem liebenswert war. Denn das war sie schon immer.

Aus den Tiefen meiner Lunge pflanze ich flüchtige Wolken neben Bestehende, die sich in weiter Ferne in Dunkelheit hüllen. Ebenso unsichtbar wie Mond und Sterne. Glücklicherweise werfen rostige Laternen kegelförmig Licht auf den Weg, so dass ich mich voll konzentrieren kann, um sie mir im Geiste vorzuführen.
Wenn ich an sie denke, dann kommen mir einige Worte in den Sinn: Kastanienbraunes, langes Haar, tiefbraune, große, runde Augen, makellose, weiche Haut und volle Lippen. Doch die Komposition dieser Worte vermittelt nur ein subtiles Portrait, das mir kaum zeigt, wer und wie sie war. Mit ihrem verwaschenen Bildnis unzufrieden, kommt mir dann das Ereignis in den Sinn, auf das sich später meine gesamte Zeit mit ihr verdichten sollte: Der Abiturball. Dort sah ich sie zum letzten Mal. Sie trug ein cremefarbenes, ärmelloses Kleid. Es schmiegte sich, wie angegossen, an ihre schmale Taille und ihre runden Hüften. Es war tief ausgeschnitten, doch viel zeigte es nicht. Da war nicht viel, aber nichts desto trotz hatte sie sehr schöne Brüste. Und sie trug kleine, weiße Schuhe, ohne Absatz. Ich kann sie wieder tanzen sehen, an den dreckigen Hausmauern entlang, an tropfenden Büschen vorbei und über Pfützen hinweg. Lasziv und immer im Kreis. Die eine Hand liegt auf einer Schulter, die andere Hand legt sie in... meine. Fast vergaß ich, dass ich ihr Tanzpartner war.

Sie lachte, ich lachte. Ich war glücklich, solange ich sie führen durfte, geschickt durch erfahrene Tänzer und laienhafte Tölpel hindurch. Doch als die Kapelle nicht mehr spielte und sie zu unserem Platz wollte, nahm ich sie bei der Hand und hielt sie zurück. Ohne weitere Umschweife, ohne tiefe Blicke und ohne verlegenes Lächeln sagte ihr möglichst direkt, dass es schön sei, sie kennengelernt zu haben. „Was meinst du damit?“, entgegnete sie entsetzt und ohne auch nur einen Augenblick zu zögern – ich rechnete mit dieser Frage – antwortete ich mit erzwungener Leichtigkeit lächelnd:
„Du weißt, dass wir uns nicht mehr sehen werden. Früher oder später. Egal was wir uns geschworen haben.“
Im selben Moment tat es mir unendlich Leid. Ich war ihr bester Freund, den sie nie im Leben verlieren wollte. Doch für mich war sie sehr viel mehr.

Donnernder Lärm lässt mich erschrocken hochfahren. Eine Autohupe, wie ich nun genauer weiß. Ich stehe auf der Strasse und habe nicht bemerkt, dass spät nachts noch Autos unterwegs sind. Mit einer kurzen Handbewegung entschuldige ich mich und gehe weiter.
Jeder Schritt quietscht und knatscht. Meine Socken haben sich mit Regenwasser vollgesogen. Es ist fühlt sich nicht unangenehm an, vielleicht etwas kühl, aber vorallem die Geräusche stören mich. Also ziehe ich mit dem Ärmel meiner Jacke ein wenig Wasser von einer Bank und setze mich. Ich werfe die bis zum Filter abgebrannte Kippe in das Rinnsal zwischen Bordstein und Fahrbahn, wo ihre Lebensglut zischend erlischt, und zünde mir eine weitere an.
Sie knistert und lodert orangerot auf.

Isabel war sprachlos. Vielleicht ahnte sie, dass ich einfach nur recht hatte, doch vielleicht ahnte sie sogar mehr. Womöglich hatte die berüchtigte „weibliche Intuition“ mich, und damit den Grund für mein äusserst taktloses Auftreten, schon längst entlarvt.
Natürlich konnte sie nicht sehen, wie es in meiner Magengegend kribbelte sobald ich sie sah, an sie dachte oder auch nur ihren Namen hörte. Auch konnte sie es nicht merken, wenn fiebrige Hitzewallungen folgten, sich das Kribbeln in Brust, Arme und Beine fortsetzte und meine Knie zu Gummi werden liess. Aber sie konnte durchaus sehen und auch hören, wie ich sie behandelte, wie ich mit ihr redete und wie ich sie ansah. Jeder sah es und es war ihr unangenehm. Nicht weil sie mich nicht mochte, nicht weil ich hässlich war, nicht weil mich ihre Familie und ihre Freunde nicht mochten (ich vermutete, weiß Gott, alles), sondern einfach nur, wie ich erst spät erkannte, weil ich ihr bester Freund war und sie eine Person von ungeahnter Beständigkeit.
Es lag nicht an mir.
Der Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich nie etwas hätte ändern können, hatte den bitteren Beigeschmack der Endgültigkeit. Sie wollte sich nicht in mich verlieben und hätte sie es getan, so wäre sie die Allerbeste darin gewesen, es sich zum Wohle der bestehenden Ordnung, zum Wohle unserer Freundschaft, für sich zu behalten.
Wegen dieser schmerzhaften Ungleichheit unserer Beziehung, erachtete ich es als notwendig, dass der Abiturball nicht nur die letzte Etappe der gemeinsamen Schullaufbahn, sondern auch die letzte Etappe unserer gemeinsamen Zeit sein sollte.

Neben die bereits aufgeweichte erste werfe ich die zweite Kippe, die ebenfalls augenblicklich erlischt und langsam vom Fluss stromabwärts getrieben wird. Nur wenig später verfängt sie sich in kleinen Ästen und Laub vor einem Gullideckel. Während ich dem aufquellenden Stümmel hinterherblicke und seinen baldigen Abgang in die rauschende Kanalisation abwarte, spüre ich etwas feuchtes in meinem Gesicht. Ich bin mir nicht sicher, ob mir tatsächlich eine Träne über die Wange läuft, oder ob nur der Schirm undicht geworden ist. Ernüchternd stelle ich fest: es ist der Schirm.

Isabel habe wirklich geweint. Wurde mir erzählt. Ich habe den Ball nach meinem ernüchternden Geständnis verlassen und war am Tag darauf bereits auf dem Weg nach Bad Tölz. Ich hatte dort entfernte Verwandte, bei denen ich für eine Weile wohnen konnte, bis ich einen Monat später in der Lenggrieser Kaserne meinen Grundwehrdienst antreten sollte.
In dieser Zeit und auch noch lange danach bekam ich sie nicht mehr aus meinem Kopf und trotzdem, oder gerade deswegen, habe ich sie nie angerufen und schickte ihr auch keinen einzigen Brief.
Sie schrieb viel.

Die schweren, schwarzen Regentropfen werden leichter und länger, bis sie sich, zu einem einzigen dichten Vorhang verwachsen, an dünnen Fäden aus den Wolken herab seilen.
Ich spaziere noch ein wenig gen Norden und halte an einem von Menschenhand geformten Bach, geschient in einer trapezförmigen Rinne aus Stahlbeton. Manchmal ist er trocken. Dann lässt sich seine Funktion nur an graugrünen Algenablagerungen erahnen. Doch heute reißen die braun schäumenden Wassermassen alles mit sich: Äste, Laub, Zigarettenkippen, Getränkedosen, Plastiktüten und manchmal sogar tote Ratten. Auch ein Einkaufswagen hat sich unter eine der niedrigen Brücken geklemmt. Ein Geländer soll verhindern, dass ich nicht in die Fluten stürze und ertrinke, aber wer verhindert, dass das marode Geländer hineinfällt? Ich verzichte jedenfalls darauf, mich vornüber zu beugen und bleibe lieber auf dem parallelen Fußweg stehen.
Über den Bach hinweg blicke ich auf die schwache Silhouette eines mittelständischen Sägewerkes. Leise leuchten die gelben Lichter der Werkhalle zu mir hinüber, beinahe werden sie von Dunkelheit erstickt. Die Nachtschichtler müssen gerade eine Pause eingelegt haben, denn ich höre keine einzige der sonst kreischenden, schweren Maschinen.
Nur Regen, der reissende Bach und mein klickendes Feuerzeug dringen an mein Ohr.

Auch ich arbeitete lange Zeit in Schichten. Da mir nichts einfiel, was ich hätte studieren können, liess ich mich verpflichten. Bei der Luftwaffe, genauer: beim Radar, für zwölf Jahre. Ein sicheres Einkommen und keine größeren Sorgen, in Auslandseinsätzen gebraucht zu werden; geschweige denn an irgendeine Front geschickt zu werden.
Während aufkommender Langeweile, wovon es mehr als genug gab, war die Versuchung groß, an Isabel zu denken und ich gab ihr gerne nach. Bei Wartungsarbeiten, beim Kaffeetrinken, beim kameradschaftlichen Porno schauen... Es gab kaum eine Gelegenheit, in der ich den Gedanken an sie ausliess. Erst recht nicht, wenn wieder einmal ein Brief von ihr kam, aber immer hielt ich mich zurück, ihn zu lesen. Ich las keinen.
Mit den Jahren wurden die Briefe immer seltener und blieben schliesslich ganz aus. Genauso wie meine Gefühle für sie. Nach der dritten Freundin, mit der ich fest zusammen war, ich glaube sie hieß Maria, vergaß ich sie allmählich und ich war tatsächlich in der Lage meine vierte Freundin, Eva, von ganzem Herzen zu lieben. Wie heutzutage nicht unüblich, ging auch diese Beziehung zu Bruch, genauso wie einige weitere. Keine großen Sachen.

Im Aufzug, auf dem Weg zum neunten Stock, sind alle Erinnerungen an Isabel wie ausgelöscht. Die einzige, sehr grelle Beleuchtung der Kabine umspannt die gesamte Fläche der Decke und scheint jeden aufkeimenden Gedanken an sie unter unzähligen Lichtstrahlen begraben zu wollen. Also beobachte ich durch das tropfende, tief in die Stirn hängende Haar die Schiebetür und warte bis sie auseinander fährt. Dann ziehe ich meine Füße über den fleckigen braunen Filzboden in Richtung der Tür, mit den messingfarbenen Ziffern 204. Meine Wohnung.
Ich trete ein, lasse die Lampen aus und die tropfnassen Schuhe in der Diele stehen. Ein Blick auf die Stereoanlage verrät: Es ist vier Uhr zwanzig. Ich lege „Nightreed“ auf, ein instrumentales Jazz Ensemble, nicht zu aufdringlich. Leise, um die Nachbarn nicht zu stören. Anschliessend suche ich im Schlafzimmer tastend nach einem Schuhkarton, oben auf dem Kleiderschrank. Unter einer dicken Schicht Staub bekomme ich ihn zu greifen. Den Deckel lege ich beiseite, danach öffne ich das Fenster. Die feuchtwarme Luft in meinem stickigen, verrauchten Apartment wird augenblicklich von frischer, frühmorgendlicher Kälte verdrängt. Ich stelle fest, dass der Regen nachgelassen hat und setze mich mit dem Karton im Schoss auf den Sims.
Die Höhe ist schwindelerregend, vertreibt aber jeden Anflug von Müdigkeit. Ich sitze gerne hier. Heute blicke ich nach oben. Es ist noch immer finster und nur ein undefiniertes, schwaches Leuchten zeichnet die umliegenden Wohnblöcke und zahlreiche Antennen schemenhaft. Ich atme tief durch; suche Isabel zum ersten Mal seit langem und zum letzen Mal für immer in Wolken, die ich nicht sehe, während ich all ihre ungeöffneten Briefe in die Tiefe gleiten lasse. Doch nichts, gar nichts regt sich mehr.

 

Hallo Adam,

ich habe deine Geschichte schon seit ein paar Tagen gesehen, habe mich jedoch immer davor gescheut sie anzuklicken. Ich geb´s zu: Der Titel war schuld. Nun, da ich die Geschichte kenne, finde ich diesen Titel zwar schon passend, aber zum Lesen scheint er nicht wirklich zu animieren.

Ja... ich weiß nicht so richtig, was ich von deiner Geschichte halten soll - wenn ich mal kurz zusammenfasse, dann habe ich hier einen Mann (in den mittleren Jahren?), der in der Zeitung eine Todesanzeige gefunden hat, die ihn wieder an seine erste Liebe, mit der er damals den Kontakt abgebrochen hat, erinnert.
So weit, so gut.

Deine Geschichte halt melancholische Momente und einige Szenen, die mir wirklich sehr gut gefallen. Zum Beispiel, als er an den Abschlussball zurückdenkt ...
Aber alles in allem ... ja, kommt für mich nicht so viel herüber. Er läuft jammernd durch die Stadt, so ganz klar wird nicht, warum er den Kontakt eigentlich zu ihr abgebrochen hat ... warum er nicht wenigstens versucht hat, mit ihr zu reden. Stattdessen hat er gleich aufgegeben, ihre Briefe nie mehr gelesen ... So ganz nachvollziehbar ist das, für mich, ehrlich gesagt nicht. Auch ihre Freundschaft mutet momentan noch zu x-beliebig an, als dass ich mich in die Protagonisten hineinversetzen konnte. Leider gibt es ja nur diese Abschlussballszene. Aber da muss doch noch viel mehr da sein, wenn sie ihn als ihren besten Freund sieht?

Das wären halt die Sachen gewesen, die mich interessieren. Stattdessen hältst du dich hier mit sehr vielen Sachen auf, die ich als nebensächlich erachte. Zum Beispiel die bis ins kleinste Detail beschriebene Atmosphäre auf der Straße. Deine Geschichte ist 70 % Atmosphäre und 30 % Inhalt - so fühlt es sich jedenfalls beim Lesen an.
Ich würde es schöner finden, wenn das Verhältnis anders herum wäre.

Fazit: Im Ansatz hat es mir gefallen, in der gesamen Umsetzung jedoch weniger.

Textdetails:

Schwere Tropfen prasseln auf die Strasse, auf die am dortigen Rand geparkten Autos und meinen tiefgrünen Regenschirm.

Umständlich formuliert. Das "dortigen" könntest du streichen.

Gelegentlich drehe ich ihn und beobachte, wie sich lange Wasserfäden in alle Richtungen zerstreuen und sich in den umliegenden, zahlreichen Pfützen wieder sammeln.

In welchen umliegenden Pfützen? In denen am Boden? Und er bleibt stehen und beobachtet, wie "seine" Regentropfen sich in diesen Pfützen sammeln oder wie?

Es ist spät und in vielen Wohnungen brennt kein Licht mehr. Die Fenster verschmelzen vollends mit der Fassade, verraten sich nur ab und wann durch vage Spiegelungen schwacher Leuchtstoffröhren, die in regelmäßigen Abständen die Strassen erhellen sollen.

Der Zweck der Lampen dürfte doch jedem klar sein, oder? Findest du es wirklich nötig, den Leser noch extra darauf hinzuweisen?

Aber ich zweifel keine Sekunde daran, dass sie bis zu ihrem Tod unglaublich schön und vorallem liebenswert war.

zweifle (Du bist hier in die Umgangssprache gerutscht - Absicht?)


Der Augenblick, in dem mir klar wurde, dass ich nie etwas hätte ändern können, so sehr ich mich auch gewunden hätte, hatte den bitteren Beigeschmack der Endgültigkeit.

Der Satz würde ohne den fett markierten Teil stärker wirken, finde ich.

Ernüchternd stelle ich fest: es ist der Schirm.

Den finde ich sehr stark. Kurz und packend!

Bei Wartungsarbeiten, beim Kaffeetrinken, beim kameradschaftlichen Porno schauen...

Ich weiß das zwar nicht, aber ich dachte immer dieses "gemeinschaftliche Pornoschauen" machen nur Jugendliche?

Erst recht nicht, wenn wieder einmal ein Brief von ihr kam, aber immer hielt ich mich zurück, ihn zu lesen. Ich las keinen.

Doppelt gemoppelt!

Lieben Gruß, Bella

 

Hallo, Adam,

„während aufkommender Langeweile, wovon es mehr als genug gab,…“ musst’ ich erst ein Mützchen Schlaf nehmen. Es brauchte mehrere (!) Tage, den Text durchzugehen und nach dem ersten Lesen war ich schon so weit, keinen Kommentar zu geben. Doch wem nützt das? Jahrelang nachher unkommentiert, weil ignoriert wie ein Hund in der Versenkung zu verschwinden, ist auch nicht gut, schon gar nicht richtig. Und jetzt ist mir auch noch Bella zuvorgekommen!
Aber keine Angst, ich fühl mich nicht als Opfer, das wär zu viel verlangt, denn ich hab mich einmal auch für meine Verhältnisse (Temperament eines Kühlschranks) erregt und werd’s nachher auch los, dann aber schon wieder abgekühlt.

Der Text nennt sich „progressive Abschreibung“. Dem Unwissenden sei gesagt, dass es noch andere Abschreibungsarten gibt wie die lineare, in der die Anschaffungs/Herstellungskosten gleichmäßig, d. h. in gleichen Beträgen auf die Nutzungsdauer eines Gutes verteilt werden und die degressive, bei der während der gesamten Nutzungsdauer mit einem gleichbleibenden Abschreibungssatz (derzeit lt. Steuerrecht maximal 30 %) vom je aktuellen Buchwert, der ja korrekt mit dem Ende des ersten (Nutzungs)Jahres nur noch ein Restbuchwert ist. Selbst der Laie erkennt, dass hier mit fallenden Abschreibungsbeträgen gearbeitet wird. Die degressive ist das genaue Gegenteil der progressiven Abschreibung und die arbeitet folglich mit steigenden Abschreibungsbeträgen. Sie könnte für Güter angewandt werden, die mit jedem Jahr wertvoller werden, wenn sie denn angewendet werden dürfte. Da fragt sich der Laie:

Beschreibt der Text etwas, was nicht erlaubt ist? Keineswegs, Beziehungskisten und dergleichen fallen noch nicht unters Steuerrecht, doch warten wir ab!

Eine gute Bekannte ist gestorben. Der Ich-Erzähler kannte sie seit der Schulzeit und auf dem Abi-Ball haben sie miteinander getanzt. Sie war wohl hoffnungslos in ihn verliebt, aber er ging damals auf Distanz. Damals wusste der Erzähler bereits, dass man sich nicht wiedersehen wird. „Wegen dieser schmerzhaften Ungleichheit unserer Beziehung, erachtete ich es als notwendig, dass der Abiturball nicht nur die letzte Etappe der gemeinsamen Schullaufbahn, sondern auch die letzte Etappe unserer gemeinsamen Zeit sein sollte.“ Ein gestelzter Satz. Ein Deutsch, wie es zum Teil in deutschen Büros gesprochen und geschrieben wird. Da wird von einem eine Tat getätigt, dort wird von einem andern auf ein Unterlassen bestanden, (manchmal sogar geklagt), statt das einer etwas tut und ein anderer kurz „lasset!“ ruft. Aber so wird auf drei engbeschriebenen Manuskriptseiten DINA 4, TNR 12 pt. geschrieben, gedacht und gesprochen, bis der Ich-Erzähler „… tief durch[atmet]; suche Isabel zum ersten Mal seit langem und zum letzen Mal für immer in Wolken, die ich nicht sehe, während ich all ihre ungeöffneten Briefe in die Tiefe gleiten lasse. Doch nichts, gar nichts regt sich mehr“.

Deine Geschichte ist m. E. langatmig, weniger wäre hier mehr. Es ist ja bei Gott keine schlechte Geschichte (vielleicht werden manche den Ich-Erzähler als „schlechten“ Kerl ansehen, aber er verhält sich durchaus normgemäß.) Versuch’s ganz einfach!

Trotzdem noch eine Menge Bemerkungen zum vorliegenden Text:

Flüchtigkeitsfehler: „Laihenhafte“ h weg! Hier meine Standardfrage: besitzt Deine Tastatur kein ß? Ich weiß aus dem Text: da ist ein ß („vergaß“) vorhanden, darum „Strasse(n), draussen, äusserst, liess, ausliess, reissende, schliesslich, anschliessend, Schoss“ ß statt ss.

„Der selben“ zusammen, „vor allem“ auseinander, „in Tiefer Trauer“ „tiefer“ klein.
„Keine große Sache.“ Besser Plural „Keine große Sachen,“ schließlich sind’s mehrere Beziehungen, die in die Brüche gegangen sind.

Konjunktiv: „ …, das sich ansonsten im Schwarz eines muffigen Raumes verlieren würde.“ Besser und kürzer: „ … , das sich ansonsten im Schwarz eines muffigen Raumes verlöre.“

„ …auf die am dortigen Rand geparkten Autos, …“ bisschen umständlich, einfacher: „ … auf die am Rand geparkten Autos …“, dass es nicht irgendwo anders geparkte Wagen sind, kann der Leser sich denken.

„ … verraten sich nur ab und wann …“ Mir ist die Redewendung „ab und an“ bekannt, „ab und wann“ hat gleichwohl was für sich.

„Glücklicherweise werfen rostige Laternen kegelförmige Lichtstrahlen auf den Weg, so dass ich meine vollste Konzentration aufwenden kann, um sie mir im Geiste vorzuführen.“ Sehr kompliziert ausgedrückt. Einfacher vielleicht: „Rostige Laternen werden kegelförmig Licht auf den Weg, so dass ich mich voll konzentrieren kann, um sie mir im Geiste vorzuführen.“

„Denn da war nicht viel, aber nichts desto trotz waren es sehr schöne Brüste.“ Besser: „ … viel, aber dennoch waren es …“

„Lasziv und immer im Kreise.“ „… Kreis“ reicht. Oder wart ihr auf dem Weg zum Kreisel?

„Doch als die Kapelle nicht mehr spielte und sie zu unserem Platz zurückwollte, nahm ich sie bei der Hand und hielt sie zurück.“ Verdoppeltes „zurück“. Besser vielleicht: „Doch als die Kapelle nicht mehr spielte und sie zu unserem Platz zurückwollte, nahm ich sie bei der Hand und hielt sie fest.“

„Sie lachte, ich lachte.“ Also: „Wir lachten beide.“

„ … ohne tiefe Blicke und ohne verlegenes Lächeln sagte ihr möglichst direkt, dass es schön war sie gekannt zu haben.“ Konstruktionsfehler: ist jetzt schon alles aus? Besser vielleicht: „ … ohne tiefe Blicke und verlegenem Lächeln sagte ICH ihr direkt, dass es schön ist, sie kennengelernt zu haben.“ Oder (einfachste Variante): „ …,sie zu kennen.“

Und wieder: „ … antwortete ich mit erzwungener Leichtigkeit lächelnd: …“ antwortete ich lächelnd mit gespielter Leichtigkeit: …“

Übertreibung: „Dröhnend donnernder Lärm …“ es reicht eines: dröhnender oder donnernder Lärm, lauter als laut, ich weiß nicht… Ich bin schon halb taub, wofür Du nix kannst.

„Es ist fühlt sich nicht unangenehm an, aber die Geräusche stören mich.“ Da hattestu beim Schreiben sicherlich einen parallel laufenden Gedanken, den wir aber nicht wissen.

Es ist das erste Mal, dass ich Zigaretten als Symbol des Lebens bewertet sehe: „Ich werfe die bis zum Filter abgebrannte Kippe in das Rinnsal zwischen Bordstein und Fahrbahn, wo ihre Lebensglut zischend erlischt, und zünde mir eine weitere an. „ Ist es nicht eher eine todbringende Glut? Ich bin absoluter Nichtraucher und weil ich nie geraucht hab, bin ich auch nicht missionarisch dagegen, dass Leute rauchen. Das sind zumeist Leute, die früher einmal geraucht haben, es aber jetzt verabscheuen. Und zugegeben: mir schmeckt kein Tabak, obwohl ich Pfeifenrauch ganz gern mag…
Jeder hat das Recht, sich seine Todesart selbst auszusuchen. Ist ja auch eine Art von Freiheit. Aber muss er gleich andere dabei schädigen?

 

Hallo Bella!
Danke für deinen Kommentar. Ich denke, du hast recht, dass der Titel nicht wirklich zum lesen animiert. Aber ich finde ihn durchaus zum Inhalt passend und habe leider keinen besseren gefunden.

so ganz klar wird nicht, warum er den Kontakt eigentlich zu ihr abgebrochen hat ... warum er nicht wenigstens versucht hat, mit ihr zu reden. Stattdessen hat er gleich aufgegeben, ihre Briefe nie mehr gelesen ... So ganz nachvollziehbar ist das, für mich, ehrlich gesagt nicht. Auch ihre Freundschaft mutet momentan noch zu x-beliebig an, als dass ich mich in die Protagonisten hineinversetzen konnte. Leider gibt es ja nur diese Abschlussballszene. Aber da muss doch noch viel mehr da sein, wenn sie ihn als ihren besten Freund sieht?

Für den Hinweis bin ich dir am allermeisten dankbar. Ich kann dir auch erklären, warum ich das falsch gemacht habe. Große Teile der Geschichte sind autobiographisch, in erster Linie natürlich die ehemals beste Freundin, zu der der Kontakt bedauerlicherweise aus gegebenen Umständen abbrach (im übrigen lebt sie aber noch). Und weil mir persönlich natürlich klar ist, dass diese Freundschaft nicht x-beliebig war, habe ich wohl unterbewusst die Kenntnis beim Leser vorrausgesetzt. Ist natürlich Blödsinn, also werde ich da wohl nochmal neu ansetzen müssen. Allein die Abschlussballszene ist dann natürlich etwas zu wenig ^^.

dann habe ich hier einen Mann (in den mittleren Jahren?)
ja, in etwa.

Deine Geschichte ist 70 % Atmosphäre und 30 % Inhalt - so fühlt es sich jedenfalls beim Lesen an.
Ich würde es schöner finden, wenn das Verhältnis anders herum wäre.
Dass der Inhalt zu kurz kommt sehe ich ein. Aber meinst du nicht, dass 30% Atmosphäre zu wenig ist? Ich denke, das ist Geschmackssache, aber ich mag atmosphärische Geschichten und da werde ich auf keinen Fall Abstriche machen. Dadurch, dass der Mann ja nicht wirklich, wie du gesagt hast, jammernd durch die Stadt läuft, finde ich, dass die beschriebene Atmosphäre den Part ganz gut übernimmt.


In welchen umliegenden Pfützen? In denen am Boden? Und er bleibt stehen und beobachtet, wie "seine" Regentropfen sich in diesen Pfützen sammeln oder wie?
Wieso "seine" Regentropfen? Kennst du das nicht? Vielleicht habe ich das zu blöd formuliert. Der Mann dreht den Schirm und die Regentropfen, die oben auf dem Schirm lagen, spritzen Weg und landen mit großer Wahrscheinlichkeit in Pfützen, weil (zumindest da wo ich wohne) beinahe der gesamte Fußweg aus Pfützen besteht. Um das zu sehen muss man nicht einmal stehen bleiben.

Der Zweck der Lampen dürfte doch jedem klar sein, oder? Findest du es wirklich nötig, den Leser noch extra darauf hinzuweisen?
Eigentlich ist es unnötig. Habe ich erst im nachhinein zugefügt, weil ein Bekannter, dem ich die Geschichte zum Bewerten hab lesen lassen, angenommen hat, die Leuchtstoffröhren seien in den Wohnungen. Also wenn der ein Einzelfall darstellt (für mich wärs klar gewesen, aber ich habs ja auch geshrieben), dann entferne ich den letzten Part des Satzes.

zweifle (Du bist hier in die Umgangssprache gerutscht - Absicht?)
Dadurch, dass die Geschichte ja in Ich-Form geschrieben ist könnte es durchaus Absicht gewesen sein... war's aber nicht ^^

Ich weiß das zwar nicht, aber ich dachte immer dieses "gemeinschaftliche Pornoschauen" machen nur Jugendliche?
Ich selbst war zwar nicht beim Bund, aber ich berufe mich dabei auf äusserst lebhafte Erzählungen von meinem Vater ^^

mfg, Frühfeld

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Friedrichard!

Danke für die Formulierungen und die Auflistung der vielen Schreibfehler.
Werd mich gleich daran machen, alles auszubessern.

Sie war wohl hoffnungslos in ihn verliebt
Also eigentlich dachte ich es sei gar nicht so schwer gewesen dem Text zu entnehmen, dass er in sie verliebt war und nicht andersrum...
Mit der Verwechslung im Hinterkopf kann die Geschichte ja nur scheiße sein, aber ich glaube auch so hätte sie dir nicht gefallen ^^

„Wegen dieser schmerzhaften Ungleichheit unserer Beziehung, erachtete ich es als notwendig, dass der Abiturball nicht nur die letzte Etappe der gemeinsamen Schullaufbahn, sondern auch die letzte Etappe unserer gemeinsamen Zeit sein sollte.“ Ein gestelzter Satz. Ein Deutsch, wie es zum Teil in deutschen Büros gesprochen und geschrieben wird.
...und genauso war es auch beabsichtigt. Der Prot durfte damals, als er die Freundschaft aufgegeben hat, nicht sentimental werden. Sonst hätte er es in seiner Liebe zu ihr kaum geschafft. Und dadurch, dass der Satz in typischem "Bürodeutsch" geschrieben ist, was ziemlich sachlich und nüchern wirkt, denke ich, dass ganz gut rüberkommt, wie er sich gezwungen hat, sich zu fühlen. Möglichst gefühlskalt eben.

Es ist das erste Mal, dass ich Zigaretten als Symbol des Lebens bewertet sehe: „Ich werfe die bis zum Filter abgebrannte Kippe in das Rinnsal zwischen Bordstein und Fahrbahn, wo ihre Lebensglut zischend erlischt, und zünde mir eine weitere an. „ Ist es nicht eher eine todbringende Glut?
Falsch verstanden: Die Zigarette wird hier fast vermenschlicht. Mit "ihrer Lebensglut" ist also sozusagen die "lebende" Zigarette gemeint und nicht die "Leben bringende" Zigarette, was natürlich völliger Schwachsinn wäre. Solch eine Behauptung hätte höchstens aus einer ominösen Studie der Tabakindustrie stammen können.

mfg, frühfeld

 

Grüß Dich, Adam!

„Mit der Verwechslung im Hinterkopf kann die Geschichte ja nur scheiße sein, aber ich glaube auch so hätte sie dir nicht gefallen“, womit Du natürlich recht hast.

Die entscheidenden Sätze, die eine Vertauschung hätten verhindern können, „ich war ihr bester Freund, den sie nie im Leben verlieren wollte. Doch für mich war sie sehr viel mehr“, waren nach dem erwähnten Nickerchen aus dem Gedächtnis weg. Da bitt’ ich um Entschuldigung.

Dass es mir nicht gefallen hat, ist nicht ganz richtig. Es ist halt mühselig zu lesen (bis hin zum Nickerchen!), aber, wie Du ja erwähnst, soll die holprige Sprache Stil-Element sein, sozusagen „episches Theater“ in Büro-Prosa. Aber das Ende einer Liebe, - vielleicht der Liebe des Lebens (?), der man womöglich ein Leben lang nachtrauert, - muss doch nicht in solchen Konstruktionen daherkommen.

Also nichts für ungut,

Friedrichard

 

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