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Projektarbeit
Es ist noch früh am Morgen. Ich bin ein wenig aufgeregt. Im Wochenblatt habe ich gestern endlich ein passendes Stellenangebot gefunden.
Danach wird eine engagierte, kreative Mitarbeiterin gesucht. Hauptsächlich fürs Telefon. Die einzigen Voraussetzungen sind Verhandlungsgeschick und Einfühlungsvermögen.
Ich bin eine alleinerziehende, in den Augen anderer sehr blutjunge, Mutter. Meine zwei Kinder halten mich auf Trab und daher beherrsche ich diese Fähigkeiten, spreche ich mir Mut zu. Auch wenn ich bisher keine Ausbildung machen konnte, bräuchte ich mein Licht nicht unter den Scheffel zu stellen. Seit mein Mann Volker die Kinder und mich sitzen gelassen hat, bin ich ganz gut zu Recht gekommen. Wenn nur das liebe Geld nicht wäre. Volker zahlt keinen Unterhalt und der Vorschuss des Jugendamtes reicht für das Nötigste. Aber ich möchte für die Kinder mehr als nur Second Hand. Ich befürchte, sie könnten abrutschen. Deshalb muss ich Ihnen ein Vorbild sein und sie aus dieser Gegend raus schaffen. Die Kinder hier stehen in den dunklen Hauseingängen, rauchen, trinken irgendeinen Fusel. Das eine Mädchen kenne ich. Sie wohnt nebenan, ist noch nicht einmal elf Jahre alt. Ihre Augen blicken stumpf. Ich mache ihr keinen Vorwurf. Was soll sie denn tun, als ihren arbeitslosen Eltern nachzueifern. Vielleicht bekommt sie noch eine Chance, schafft es trotzdem, nicht ebenso arbeitsscheu zu werden. Aber ich habe gehört, dass der Jugendtreff schließen muss. So werden die Kinder statt eines warmen Mittagessen im Treff wieder nur Chips und Cola von den Eltern vorgesetzt bekommen. Meine Kinder, Nico und Sarah, haben Besseres verdient.
„Sie scheinen die allerbesten Voraussetzungen mitzubringen.“
Der Mann mustert mich von oben bis unten. Seine Blicke sind mir unangenehm. Was sieht er?
„Was allerdings von Ihnen erwartet wird, ist höchste Diskretion.“
„Ich kann sehr gut schweigen, wenn es um Geschäftsgeheimnisse geht“, antworte ich. Ich bin bis zum Vorstellungsgespräch gekommen, jetzt will ich es nicht vermasseln. Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. Herr Martens umrundet mich, umfasst mich von hinten an den Schultern. Er beugt sein Gesicht zu mir herunter und flüstert mir ins linke Ohr.
„Wie gesagt. Die Ihnen gestellte Aufgabe ist sehr delikat.“
Ich rieche sein After Shave. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen. Es duftet kostbar. Schwer. Kein klarer Gedanke. Nur:
Was will er von mir? Was ich von ihm? Einen Job.
Ich straffe meine Schultern. „Wie viel zahlen Sie?“, frage ich.
„Genug“, antwortet er, den Blick von oben auf mich herab gerichtet. „Wenn auch befristet. Machen Sie ihre Sache gut, sind Sie beim nächsten Projekt wieder dabei.“
„Hallo, ja hier Krebs.“ Die Stimme klingt unbeholfen.
„Oma, ich bin`s!“, rufe ich in die Sprechmuschel.
„Nadine? Kind, ich hör dich so schlecht.“
Volltreffer.
„Oma, ja ich bin`s, die Nadine.“
„Geht´s dir gut mien Dirn?“
„`türlich, Oma, du kennst mich doch. Hör mal, kannst du mir einen kleinen Gefallen tun? Mein Auto ist kaputt. Ich brauche ein bisschen Geld. Kannst du mir etwas bis nächsten Monat borgen?“
„Du fährst Auto?“
„Ja, du bist doch schon mitgefahren. Weißt du nicht mehr?“ Ich höre die Frau schnaufen.
„Nadine, ich kann mich nicht erinnern. Aber, wie viel brauchst du denn?“ Sie wird kurzatmig. Ein Zeichen, dass sie aufgeregt ist.
Ich überlege kurz. Die Anschrift im Telefonbuch hat mir verraten, dass die Frau in einer guten Wohngegend wohnt. Aber, hat sie auch genug Bargeld im Haus?
„Ist nicht so schlimm, Omi. Eintausend“, sage ich fest. Meine Stimme soll zuversichtlich klingen.
„Kind, das ist zuviel. Ich kann dir siebenhundert geben.“ Die brüchige Stimme klingt ein wenig vorwurfsvoll, so beeile ich mich, sie zu beschwichtigen.
„Okay, Omi, das wird schon reichen. Ein Freund von mir leiht mir den Rest. Er wird auch zu dir kommen, das Geld holen. Er bringt es mir in die Werkstatt.“
„Kenne ich den jungen Mann denn?“ Sie darf nicht misstrauisch werden.
„Oma, der ist mit im Auto gefahren. Du weißt doch, der große Blonde!“
Gut, dass die alten Frauen ungern zugeben, wie vergesslich sie sind. Tatsächlich. Die Rechnung geht auf. Nach einem kurzen Zögern antwortet Nadines Oma.
„Gut, Nadine. Wann bringst du mir das Geld zurück?“
„Nächsten Monat, Oma. Ich versprech`s. Aber das bleibt unser Geheimnis.“
Die Masche soll noch ein wenig länger funktionieren.
„Nadine, deine Eltern mögen es nicht, wenn man Geheimnisse vor ihnen hat“ , rügt die alte Frau. Man hört, sie hat Oberwasser bekommen. Das ist gut. Dann fühlt sie sich auf der sicheren Seite.
„Omilein“, flöte ich zuckersüß, „ich habe dich lieb.“ Dann lege ich auf.
Mindestens dreißig Opfer muss ich täglich abzocken, damit es rentabel wird, sagt Herr Martens, mein Chef. Er macht die Kalkulation. Nach einem erfolgreichen Telefongespräch habe ich außerdem die Kollegen zu instruieren, wie das Telefonat abgelaufen ist, damit die alten Menschen bei der Geldübergabe nicht misstrauisch werden.
Meine Kinder freuen sich, dass ich Arbeit gefunden habe. Nico und Sarah sind stolz auf ihre erfolgreiche Mutter. Sarah kann endlich zur musikalischen Früherziehung. Sie hat Talent. Nico spielt neuerdings begeistert Fußball. Seine Ausstattung ist kostspielig, aber wenn es ihn glücklich macht?
Nach der Probezeit hat mir Herr Martens gratuliert. Er hat meine Hand fest gedrückt, was mir sehr unangenehm gewesen ist. Sarah möchte doch Klavier lernen, es wäre doch schade um ihre zarte kleine Hand, hat er gemeint, als ich einen Schmerzensschrei nicht mehr unterdrücken konnte. Seitdem bemühe ich mich, noch effizienter zu arbeiten. Doch der Erfolg hat auch seine Schattenseiten.
Nachts wache ich manchmal auf, weil mein Herz rast. Ich habe wieder geträumt. Nadines Oma hat mit dem Finger auf mich gezeigt. Sie wirkte verhärmt. Ihre Lippen haben gezittert. Dann griff sie sich an die Brust.
Ich sitze wie von einer Tarantel gestochen in meinem schönen weichen Bett, das ich mir schon für eine neue Wohnung gekauft habe. Sehe mein fahles Gesicht im Spiegelschrank. Das Mondlicht ist schuld. Ich sollte mir angewöhnen, die Vorhänge zu schließen, damit ich besser schlafen kann.