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Punk’s not dead
Meier ging entschlossen und mit festem Schritt auf die zwei Burschen zu, die sich mit Bier und Zigaretten am Brunnen niedergelassen hatten. Der eine hatte rot gefärbte, der andere blaue Haare, Unfrisuren trugen sie beide. Ebenso dreckige Parkas mit diversen Aufnähern und zerfledderte Jeans an dürren, langen Beinen, die in klobige Stiefel mit bunten Schnürsenkeln mündeten.
Meier baute sich vor ihnen auf und sagte: „He, ihr da!“. Er erhielt keine Reaktion, also wurde sein Ton etwas schärfer: „He, ihr zwei! Ich rede mit euch!“ Jetzt hatten sie ihn registriert und blickten ihn an. Und er blickte in ihre Gesichter. Picklig, nichtssagend. Picklige, nichtssagende Kindergesichter.
„Jä?“, meinte der mit den blauen Haaren. „Hört mal her,“ war nun Meier wieder an der Reihe, „ich möchte, dass ihr von hier verschwindet. Aber schnell!“ Die zwei glotzten erstaunt. Erstaunt und blöde. „Was is‘?“, raunzte der Rothaarige schließlich nach ein paar Sekunden.
„Ihr sollt von hier verschwinden. Typen wie euch kann ich hier nicht brauchen. Ihr schadet meinem Geschäft. Ihr vergrault mir die Kundschaft!“
Der Rote zog an seiner Kippe, dafür schaltete sich der Blaue wieder ein: „He Moment mal, wir können doch wohl hier sitzen wie wir wollen. Was soll’n ...“ Meier ließ ihn nicht ausreden: „Jetzt hört mal zu: Entweder ihr haut ab, und zwar auf der Stelle, oder ich ruf die Polizei!“ Meier gönnte sich eine kurze Pause. Sah den Spruch, den der Rotgefärbte auf seinem T-Shirt stehen hatte: „Zahme Vögel singen von Freiheit, wilde Vögel fliegen.“ Er dachte nicht lange über diese Botschaft nach, sondern fuhr fort: „Ihr beide seid doch garantiert noch keine 16. Die Polizei wird sich freuen, wenn sie solche wie euch mit Bier und Zigaretten erwischt. Und mit wer weiß was sonst noch ...“
„Hey, geht’s noch? Wir tun Ihnen doch nichts. Was woll’n Sie eigentlich? Wir werden ja wohl noch ...“, wollte der Blaue gerade ansetzen, aber erneut ließ Meier ihn nicht zum Zug kommen: „Okay, wir können das Ganze auch so regeln: Ich kenn da ein paar Jungs. Die sind nicht gerade zimperlich. Und auf so Typen wie euch nicht unbedingt gut zu sprechen. Die brauch ich bloß anrufen, und dann kommen die hier her und machen euch rund. Aber so richtig. Die sind dann ganz zufällig hier vorbeigekommen und ihr habt sie blöd angemacht und dann hat sich einfach eine kleine Auseinandersetzung ergeben. Könnt dann ja ruhig zur Polizei gehen wenn ihr meint, dass die euch glaubt. Oder dass irgendwer ...“ – er blickte kurz auf und sich um – „... von den Leuten hier für euch aussagt.“ Meier setzte nun plötzlich ein Grinsen auf: „Ja, ihr könnt’s ja mal ausprobieren. Viel Glück.“
„Hey, jetzt ... also bitte, was ...", versuchte es der Rote nun wieder und warf seine nur fast zu Ende gerauchte Zigarette auf den Boden, aber da packte ihn schon der Blauhaarige am Ärmel und meinte: „Komm, lass gut sein ...“ Der Rote wollte es aber noch nicht gut sein lassen, er ließ ein paar Bemerkungen fallen wie „Spießerarsch“ und „Scheißkapitalist“, und er wurde dabei etwas lauter und ein paar Passanten fingen an, herzusehen, aber Meier blieb jetzt ruhig und grinste nur vor sich hin, und schließlich und endlich hatte der Blaue den Roten lang genug am Arm gepackt und weggezogen, und die zwei räumten mit ihrem Bier und ihren Zigaretten das Feld, mit ihren Pickeln und ihren Kindergesichtern. Als sie sich einigermaßen entfernt hatten, drehte sich der Rote noch einmal um und zeigte Meier den Finger; Meier stand einfach nur da und grinste immer noch, und als beide schließlich außer Sicht waren, machte er sich auf den kurzen Weg dorthin zurück, wo er hergekommen war. Auch die Passanten gingen nun wieder unbeirrt ihrer Wege.
Später am Abend saß Meier zu Hause auf seiner Designer-Couch und blätterte in einem Fotoalbum. Die Bilder, die er betrachtete, waren über zwei Jahrzehnte alt. Sie zeigten einen jungen Mann mit Irokesen-Haarschnitt in einer schweren, nietenbeschlagenen und beschmierten Lederjacke, der komische Grimassen schnitt. Auf manchen der Fotos war er alleine zu sehen, auf manchen inmitten anderer, ähnlich merkwürdiger Gestalten. „Mein Gott“, kicherte Meier leise vor sich hin. „Mein Gott, wie peinlich. Was war ich doch für ein Idiot. Was war ich für ein peinlicher Idiot ...“
Er ließ seine Gedanken schweifen. Dachte an seine gut aussehende Ehefrau, die sich gerade im Bad frisch für das bevorstehende Nachtprogramm machte und der diese neue, scharfe Reizwäsche wirklich hervorragend stand. Dachte an seine noch besser aussehende junge Geliebte, mit der er sich morgen wieder beschäftigen würde, während er offiziell einen Geschäftstermin hatte. An seinen Mercedes in der Garage, sein gut gefülltes Konto, sein florierendes Schmuckgeschäft. Und an die beiden Burschen von heute Nachmittag. Die würden es auch noch lernen. Und wenn nicht, dann wäre es auch nicht weiter schade um sie.
Er klappte das Fotoalbum zusammen, verstaute es wieder an seinem angestammten, sicheren Platz und konnte sich dabei ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen. Er wollte es sich auch nicht verkneifen. Seine Frau würde nun bestimmt nicht mehr lange brauchen und ihm bald in dieser neuen, scharfen, dieser verdammt scharfen Reizwäsche zu Diensten sein. In seiner Hose regte sich spürbar die Vorfreude. Es fühlte sich gut an. Ziemlich gut.