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24.09.2009
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Puzzle

Bahnleiche! Die Hiobsbotschaft errreichte mich telefonisch am späten Vormittag.
Diesmal war ich dran.
Der Kollege hatte heute früh schon drei kleinere Tatorte aufgenommen und noch viel zu tun mit dem Verfassen seiner Befundberichte.
Die Kollegen der Bundespolizei und der Leichenbestatter sind schon vor Ort.
Diese Information kam von der Leitstelle per Funk.
Na Bravo, dann können die ja schon mal anfangen, die Brocken einzusammeln.
Erfahrungsgemäß erstreckt sich ein solcher Leichenfundort über mehrere hundert Meter, ein ganzer Streckenabschnitt muss für Stunden abgesperrt werden.
Thank you for travelling with Deutsche Bahn!
Zynismus machte sich mal wieder in meinen Gedanken breit, eines der untrüglichen Symptome auf dem Weg zum Burnout-Syndrom.
Laut Zeugenaussagen war die Frau offenbar aus freien Stücken auf die Gleise gesprungen, gerade als der ICE einfuhr.
Der Lokführer hatte keine Chance mehr, die Notbremsung einzuleiten, er stand unter Schock und war nicht vernehmungsfähig.
Die jungen Beamten von der auf dem Bahngelände zuständigen Bundespolizei waren ein wenig grün um die Nase. Sie hatten jedoch schon gute Vorarbeit geleistet: erster Angriff, Personalien der Zeugen aufgenommen, Bestattungsinstitut verständigt...
Hallo Kollegin, viel Vergnügen, bei der weiteren Sachbearbeitung.
Die Tote führte keinerlei Papiere, keine Handtasche mit sich.
Na, wenigstens ist die Leiche frisch
Erneut eine flapsige Bemerkung, jedoch nur zum Überspielen der unangenehmen Situation.
Meine Begeisterung wuchs; jetzt würde es wohl einige Tage dauern, bis die Identität feststeht.
Die übelste Aufgabe stand mir später bevor: Benachrichtigung der Angehörigen. Die waren ohnehin nicht zu beneiden, hinsichtlich der Identifizierung der Überreste.
Zusammen mit den hart gesottenen Mitarbeitern des Bestattungsinstitutes beteiligte ich mich am Einsammeln der restlichen Einzelteile, der Beamte vom Erkennungsdienst fotografierte.
Eingetütet und beschriftet wie Tiefkühlware!
Schon wieder diese zynischen Gedankengänge, nur so kann man solche Dinge verarbeiten.
Der Zinksarg wurde im anthrazitfarbenen Kombi des Bestatters zum rechtsmedizinischen Institut verbracht.
Mit seinem makabren Inhalt: säuberlich verpackte Leichenteile, Schädelfragmente, Zähne, Hautfetzen, Knochensplitter, kaum erkennbare Reste von Körperteilen, Organe, Hirnmasse, der Torso, an dem noch beide Beine und ein Armstumpf hängen...
Als ich Stunden später zur eigentlichen Leichenschau dort eintraf, war sie bereits am Werk.
Die junge Frau, mittelgroß, schlank, blond, sommersprossig, hübsch.
Ihr frisches Erscheinungsbild stand so sehr im krassen Gegensatz zu der Umgebung mit den Zinksärgen, den Kühlschublanden mit Edelstahlfront und sterilen Untersuchungsliegen, dem Geruch nach Blut, Zersetzung und Desinfektionsmitteln.
Sie stellte sich vor: Studentin der Zahnmedizin kurz vor ihrem Abschluss, mit dem Ziel, im Fach forensische Pathologie zu promovieren.
Herzlichen Glückwunsch!
Diese Bemerkung verkniff ich mir, sprach den Gedanken nicht laut aus.
Mit Begeisterung legte sie los, machte sich über die eingetüteten Teile her, die über die Untersuchungsliege verstreut lagen.
Da die Todesursache unstrittig war, lag das hauptsächliche Augenmerk auf der Wiederherstellung des Schädels.
Aus diesen Kleinteilen?
Ich äußerte meine Zweifel.
Sie lächelte triumphierend. Das sei ihr Spezialgebiet.
Da haben wir schon aus viel weniger ein passables Ergebnis rekonstruiert!
Nach der Sichtung der Einzelteile und erneuter Fotoserie für meine Lichtbildmappe überließ ich sie ihrer Sisyphusarbeit.
Als ich zwei Tage später das Ergebnis begutachten durfte, war ich sprachlos.
Fräulein Frankenstein hatte es tatsächlich geschafft!
Sie hatte einen intakten Kopf mit einem Gesicht geschaffen.
Ihr war gelungen, aus all den kleinen Knochensplittern, Kiefer- und Schädelteilen, Zähnen, Hautfetzen, Augapfelfragmenten und Haarbüscheln ein ansehnliches Gesicht zu rekonstruieren.
Ein recht blasses Gesicht zwar,mit einem eingefroren lächelnden Mund, einer normal geformten Nase, Kunststoffaugen, die die Farbe der ursprünglichen Iris wiedergeben sollten.
Anhand der Haarreste hatte sie eine Perücke in der passenden Haarfarbe- und Länge beschafft.
Diese beispiellose Kleinarbeit hatte sie in allen Phasen fotografisch festgehalten; die Verarbeitung jedes einzelnen Teiles diese makabren Puzzles dokumentiert.
Fehlende Partien waren durch Wachs ersetzt worden.
Das Gesicht wirkte beinahe lebendig, sympathisch...
Auch der Rest des Körpers war in einen einigermaßen intakten Zustand versetzt worden, um die Identifizierung durch die Angehörigen in würdiger Form zu ermöglichen.
Mit mehreren Fotos der Rekonstruktion, Frontalansicht, Profil, begab ich mich zu den Angehörigen.
Der Ehemann hatte seine Frau bereits nach wenigen Stunden als vermisst gemeldet.
Sie war depressiv und hatte bereits mehrere Suizidversuche hinter sich.
Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei „meiner Bahnleiche“ um die betreffende Frau handelte, war hoch.
Dies hatte ich dem Ehemann bereits so schonend wie möglich beigebracht.
Anhand meiner Fotos war er nun in der Lage, seine Ehefrau zu identifizieren. Den Anblick der Toten im rechtsmedizinischen Institut konnten wir ihm ersparen.
Er überreichte mir ihren Personalausweis. Die Frau, die auf dem Passfoto abgebildet war, sah der Person auf meinen Fotos zum Verwechseln ähnlich...

Copyright © Roxane 04/2009

 

Willkommen Roxane

hier auf KG.de.

Dein Einstieg liest sich ganz nett und flüssig, nur leider fehlt mir jegliche Spannung oder sogar die Geschichte.
Ein Bericht über den Ablauf polizeilicher Ermittlung. Anruf: Person vor Zug - Tatortbesichtigung - Leichenteile einsammeln - in Pathologie fahren - basteln - Identifizierung - Benachrichtigung - Akte schließen.

Das kurz erwähnte Burn out habe ich nicht wiedergefunden in Deiner Protagonistin. Und den Zynismus - der ihr ermöglicht Abstand zu gewinnen - habe ich auch selbst erkannt, da musst Du nicht drei Mal drauf verweisen ;).

Wie gesagt, lesen tut es sich gut, nur was ich lese, ist für mich zu wenig Geschichte. Ich tauche nicht ein und nehme an irgendetwas Anstoß oder Anteil, es bewegt nichts in mir.

Viel Freude Dir hier beim lesen, schreiben und kommentieren.
Beste Grüße Fliege

 

Danke, für die...

...konstruktive Kritik!
Ich denke, das ist eine meiner Anfängerschwächen, dass ich zu sehr in diese (beruflich bedingte ;) ) sachliche Berichtsform verfalle.
Als blutige Anfängerin arbeite ich selbstverständlich an stilistischer Steigerung.
Mal sehen, ob sich aus der Geschichte durch Änderungen noch etwas herausholen lässt, das mehr zu fesseln vermag...
Ich bin ja lernwillig (und hoffentlich auch -fähig :D )
Gruß
Roxane

 

Hallo Roxane und herzlich willkommen hier!

Ich bin mir sicher, dass sich da noch mehr herausholen lässt. Wenn du näher herangehst. Nur mal ein Beispiel: Es findet sich keine einzige direkte Rede in deinem Text. Selbst dann nicht, wenn die Leute reden. Du gibst das Gesagte lediglich als indirekte Rede wieder. Das ist distanziert und berichtend. Spring rein in die Szenen, lass die Leute reden. Und lass sie nicht nur über etwas nachdenken, lass sie handeln und fühlen und riechen und schmecken ... Ein paar Ansätze dazu hast du schon drin. Manches liest sich ja auch sehr gut. Lediglich an der Lebendigkeit fehlt es noch. Wenn du den Text daraufhin abklopfst, kommt sicher schon ein großer Sprung in die richtige Richtung dabei heraus.

Viel Spaß noch hier und viele Grüße
Kerstin

 

Hallo Roxane!

Bisher hast du die Geschichte ja noch nicht überarbeitet, dann gebe ich dir zu dieser Version eben noch ein paar Tipps.

Übrigens, in deinem Profil steht, du bist Beamtin. Polizeibeamtin? Die Polizeipoeten haben ja einen eigenen Internetauftritt. Da habe ich auch schon mal reingelesen.

Okay, dann mal zu deinem Erstlingstzext.

Es ist unklug, hinter jeden Satz einen Absatz zu machen. Bündle deinen Text in sinnvolle Abschnitte. Das sieht gleich viel besser aus.

"Leichenbestatter sind schon vor Ort." => Das machen Leichenbestatter? Private? Niemand von der Rechtsmedizin?

"Zynismus machte sich mal wieder in meinen Gedanken breit, eines der untrüglichen Symptome auf dem Weg zum Burnout-Syndrom." => Dieser Aussage möchte ich widersprechen. Es gibt 'ne Menge Zyniker, die niemals an Burn out leiden.

"Bestattungsinstitut verständigt..." => Hier eine ähnliche Frage wie schon zuvor. Ich dachte, die Angehörigen müssen sich um die Bestattung kümmern, also auch ein Bestattungsinstitut aussuchen und verständigen.

"Na, wenigstens ist die Leiche frisch
Erneut eine flapsige Bemerkung"
=> Wenn es eine Bemerkung ist, dann bau sie doch als wörtliche Rede ein. Komm weg vom Berichtston. Das würde dem gesamten Text gut tun.

"der Angehörigen. Die waren ohnehin nicht zu beneiden, hinsichtlich der Identifizierung der Überreste." => Ich habe bei Michael Tsokos (Chef der Rechtsmedizin in der Charité) gelesen, dass Angehörige niemals Leichen, schon gar nicht Einzelteile, persönlich identifizieren müssen.

"Sie lächelte triumphierend. Das sei ihr Spezialgebiet" => Die Studentin der Zahnmedizin hat als Spezialgebiet Schädelrekonstruktion? Das passt für mich nicht zusammen.

"Ihr war gelungen, aus all den kleinen Knochensplittern, Kiefer- und Schädelteilen, Zähnen, Hautfetzen, Augapfelfragmenten und Haarbüscheln ein ansehnliches Gesicht zu rekonstruieren." => Okay, dass man Knochensplitter zu einem Schädel verklebt, kann ich mir ja vorstellen, aber die verwesenden Augapfelfragmente? Oder meinst du, dass sie aus den vorhandenen Augapfelteilen die Augenfarbe ermitteln kann und dann dementsprechende Glasaugen einsetzt? Den im Text folgenden Satz solltest du in diesen einarbeiten, damit das für den Leser klar wird.

"begab ich mich zu den Angehörigen.
Der Ehemann hatte seine Frau bereits nach wenigen Stunden als vermisst gemeldet." => Das solltest du früher in den Text einbringen, denn der Leser denkt sonst, dass die Rekonstruktion des Gesichts nötig ist, um das Bild in die Medien zu bringen, um die tote Frau zu identifizieren.

Vom Textinhalt ist das ganze nicht mal eine Geschichte. Zerbröselte Leiche wird zusammengeklebt. Und Ende.
=> Bring den Leser an das Geschehen heran, lass die Personen agieren, berichte nicht nur, was sich ereignet hat.
=> Baue eine Handlung auf. Eine, die für deine Ich-Erzählerin relevant ist. Ausgangssituation führt zu Endsituation. Die Protagonistin fühlt, denkt, handelt, interagiert mit anderen. Du liest ja gerade was Spannendes. Nimm dir ein Beispiel daran. Wie lässt Tess Gerritsen ihre Figuren aufleben?

Viel Erfolg beim Überarbeiten.

Grüße
Chris

 

Was in einem Polizisten vorgeht

Was in einem Polizisten vorgeht, der solche makabren Arbeiten verrichten muss, ist nachvollziehbar und glaubhaft rübergekommen. Insbesondere die pietätlosen "Sprüche", die ihr immer wieder durch den Kopf gehen, unterstreichen die Glaubhaftigkeit. Sie versucht, die Sache nicht zu sehr an sich herankommen zu lassen, für mich ein gut gezeichneter Schutzreflex.

Die Geschichte endet irgendwie sehr plötzlich, wie ein Licht, das "plötzlich und unerwartet" ausgeht. Vielleicht ist das das Gleichnis zum Leben der getöteten Frau?

Liebe Grüße - Thomas

PS: Habe eben die vorangegangenen Rezensionen gelesen. Nun, meine Vorposter haben sicher Recht und sind erfahrener mit Kurzgeschichten als ich. - Doch mir gefällt die Geschichte so wie sie ist, auch ohne direkte Rede etc. Direkte Rede macht eine jede Geschichte sicher lebendiger. Doch eher an einem Polizeiberichts-Stil zu bleiben kann ja auch ein gewollter Stil sein, gerade bei diesem Thema. Ich finde die Protagonisten so "in ihren eigenen Gedanken" hierfür passend.

 

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