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Räuber und Gendarm

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22.11.2005
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Räuber und Gendarm

Er sitzt da, seine Stirn runzelig wie Rinde, die Faust an die Schläfe, den Ellenbogen auf den Tisch gedrückt. Schwere Bücher türmen einen Wall oder liegen wie aufgebrochen herum. Der Dampf des Kaffees, der Qualm der Zigarette und der Rauch aus den Getrieben seines Hirns – aus den Ohren freigepresst – wirbeln um seinen dicht über das Papier hängenden haarlosen Kopf. Er schiebt sein silbernes Brillengestell – auf dem riesigen, gar gorgolischen Zinken dem Absturz entgegenzitternd – dichter an die Augen, welche über dem Stapel Papier schwebend den Sätzen folgen, bei Kommas atmend, bei Punkten stoppend, bei Doppelpunkten erwartungsvoll in aufgesperrte Münder blickend: Er ist ein Detektiv!

Immer näher rückt sein Gesicht dem Papier, dem Text, den Sätzen, den Konstituenten, den Subjekten, Objekten und Prädikaten, den Possessivpronomen, Konjunktiven und Präpositionen, den Silben, den Lexemen, Phonemen, Graphemen, den Strichen, den Farbklecksen, bis seine Nasenkuppe die Schrift zu kitzeln scheint. Ich muss lachen. Er horcht auf, wie ein Jagdhund, der eine Fährte wittert. Dann kriecht er unter den Tisch, um das Papier von dort betrachten zu können, hält plötzlich inne, hievt sich wieder auf den Stuhl, rückt die Brille zurecht und schmunzelt.

Er reckt und streckt sich, um dann mit dem Geist voran auf das Papier zuzustürmen. Vorsichtig operiert er Wörter aus dem Text heraus, um diese in einem großen Buch zu suchen, in dem sie durch viele andere Wörter beschrieben stehen, und legt sie dann in den Text zurück um die Sachlage neu zu sezieren. Aber wieder ist er auf einer falschen Spur. Mehrere Stunden und Kaffees vergehen bei der Suche, dem Ganzen einen Sinn zu geben. Er verzweifelt, beschließt, alles hinzuwerfen, es einfach so zu lassen, wie es ist, ohne Erklärung, ohne Sinn.

„Heureka!“, schreit er plötzlich. Und noch einmal: „Heureka! Wen kümmert, wer dieses Gemurmel spricht?“ Wie von Zauberhand verblasst die Schrift und das Papier liegt offen, blank vor ihm. „Der Text liegt nackt und mit gespreizten Beinen dar“, schreibt er in sein kleines schwarzes Notizheftchen „und wartet darauf, genommen zu werden.“

Genüsslich trinkt er den kalten Kaffee. Dann fährt er mit seinen verrauchten Fingern über das Papier, schiebt das Ende hoch, bis fast der Wendepunkt entblößt daliegt, spreizt und spaltet Relativsätze, dreht den Text um, hält ihn am Anfang fest und nimmt ihn von hinten. So dreht und wendet er, scheint seinen Spaß zu haben, aber zu keinem Höhepunkt zu kommen. Kein „das ist es!“ verlässt seine Lippen. Er wird langsamer, müder, schlaffer. Es scheint ihm mehr Anstrengung als Vergnügen zu bereiten. Er haut auf das Papier und wischt es vom Tisch. Kurzzeitig beschließt er, Mankell zu lesen.

Seine Augen werden schwer, er ist kurz davor, den Text ad acta zu legen, da hauche ich ihm in den Nacken. Erschrocken dreht er sich um. Ich starre ihm in die Augen, aber seine blicken durch mich wie durch Klarsichtfolie. Mittlerweile ist es fast Morgen. Langsamer noch als die jungen Sonnenstrahlen über das Parkett kriechen, streiche ich dem Detektiv über die Glatze dass es quietscht. Er fuchtelt um sich, schreit „Palimpsest! Palimpsest!“ und wirft mit Büchern um sich. Kafkas Erzählungen treffen mich am Kopf. Ich muss brüllen. „Hah!“, ruft er und pfeffert Das Schloss in meine Richtung. Blutend falle ich in einen Winkel des Raumes, Schwarten schlagen auf mich ein. Nietzsche wie ein Vorschlaghammer, Adorno in die Magengrube, Der Zauberberg in die Hoden, Der fliegende Berg hinterher, mit Heine geohrfeigt, mit de Sade penetriert, gebüchert mit Brecht, Sartre, Grass und Tucholsky, zuletzt gebrascht bis ich nicht mehr atme. Endlich liege ich tot da, das Gesicht bis zur Unkenntlichkeit zerschmettert.

 

Hm. Hm.
Also, sprachlich eine wirklich überzeugende Leistung, sehr üppig, sehr gereift, sehr prall. Kein Alltagstext, gewiss nicht, eher ein....na, ich suche nach einem Vergleich, ein Glas dunklen, süßen, sehr schweren Weines, den man schlückchenweise die Kehle herabrinnen lässt, des Geschmacks und der Wirkung halber.Schön soweit, ich mag sprachliche Fantaststücke, Neuland, Ungewohntes.

Zum Inhalt:
Wer ist der Sprecher? Pure Einbildung, ein Geist oder doch ein reales Ich, männlich, da Hoden, soweit klar. Lehrling, Schüler, Geliebter?
Ein Text, der ein zweites Lesen unumgänglich macht.

Und hierfür noch spezielle Gratulation:

„Der Text liegt nackt und mit gespreizten Beinen dar“, schreibt er in sein kleines schwarzes Notizheftchen. „und wartet darauf, genommen zu werden.“
Wundervoll!

 

Hallo Aris.

hier hast du ein wortgewaltiges Etwas geschaffen, dass viel Raum zum Deuten lässt.
Ich hatte zunächst den Eindruck, der Erzähler wäre die Muse, die Inspiration, der Geist, wenn man so will.
Der Titel lässt jedoch eher eine andere Interpretation zu. Wenn der Glatzkopf der Dedektiv ist, muss der Erzähler wohl der Räuber sein. Also eine fiktive Figur. Einflüsterungen?
Ein Plädoyier für das geschriebene Wort. Der anzügliche Teil ist ziemlich gekonnt eingefädelt, man merkt, dass du Spaß beim Schreiben hattest.
Klar, dass der Typ starker RAucher und coffee-junkie sein muss. Das muss einfach in dieses Bild. Immerhin bleibt der Alkohol aus.

Sehr gerne gelesen.

schreit „Palimpsest! Palimpsest!“ und wirf mit Büchern
wirft
schreibt er in sein kleines schwarzes Notizheftchen. „und wartet darauf, genommen zu werden.“
da stimmt was nicht nach Notizheftchen

Aber die Rubrik Alltag scheint mir nicht die richtige.
Recht sonderbar, drum schlage ich dir sonstige oder seltsam vor.

grüßlichst
weltenläufer

 

Hi Aris,

Zitat von weltenweber
Aber die Rubrik Alltag scheint mir nicht die richtige.
Recht sonderbar, drum schlage ich dir sonstige oder seltsam vor.
stimmt!

Also, ich weiß immer noch nicht, ob mir deine Geschichte gefallen hat. Ich weiß noch nicht mal, ob ich sie kapiert habe.

Zunächst einmal: die Realität der Figuren. Ich hatte den Eindruck, der Erzähler ist ein Autor, der Detektiv fiktiv. Sonst wäre das Irreale an der Situation nur unfreiwillig komisch und übertrieben:

der Rauch aus den Getrieben seines Hirns – aus den Ohren freigepresst
Oder ein Teil vom Erzähler. Aber was sucht er? Originalität? Plagiate? Grammatikfehler???

Die haben mich nämlich rausgerissen und sollten gerade in diesem Text nicht stören.

Er horcht auf, wie ein Jagdhund KOMMA der eine Fährte wittert. Dann kriecht er unter den Tisch KOMMA um das Papier von dort betrachten zu können
Und besonders:
„Der Text liegt nackt und mit gespreizten Beinen dar “, schreibt er in sein kleines schwarzes Notizheftchen. „und wartet darauf, genommen zu werden.“
Das hat mir beim ersten Lesen die Lust beim folgenden Abschnitt genommen, hatte mich rausgerissen ...
Dann fährt er mit seinen verrauchten Fingern über ..., schiebt das ... hoch, bis fast der ...punkt entblößt daliegt, spreizt und spaltet ..., dreht ... um, hält ihn am ... fest und nimmt ihn von hinten. So dreht und wendet er, scheint seinen Spaß zu haben, aber zu keinem Höhepunkt zu kommen. Kein „das ist es!“ verlässt seine Lippen. Er wird langsamer, müder, schlaffer. Es scheint ihm mehr Anstrengung als Vergnügen zu bereiten.
Genial, die Verknüpfung von Erotik und Text! Beim zweiten Lesen habe ich es dann zusammen gekriegt.

Die andere geniale Stelle ist der Zoom auf das Papier, den du sprachlich in immer kleineren Einheiten nachvollziehst.

Immer näher rückt sein Gesicht dem Papier, dem Text, den Sätzen, den Konstituenten, den Subjekten, Objekten und Prädikaten, den Possessivpronomen, Konjunktiven und Präpositionen, den Silben, den Lexemen, Phonemen, Graphemen, den Strichen, den Farbklecksen, bis seine Nasenkuppe die Schrift zu kitzeln scheint.

Den letzten Abschnitt verstehe ich nicht. Während ich das "Kurzzeitig beschließt er, Mankell zu lesen" passend fand, verstehe ich nicht, was du mit dem letzten Abschnitt und insgesamt ausdrücken willst. So bleibt mir nur, bruchstückhaft Teile deines Textes wertzuschätzen.

Ich bin gespannt auf deine Antwort(en).

Gruß, Elisha

 

Hallo Aris,

du wolltest spielen, scheint mir. Vielleicht hast du Genette gelesen, in der Doppeldeutung des Palimpsest allerdings könnte der Text natürlich auch so weit verblassen, dass das Papier neu zu beschreiben wäre.
Ich nehme aber an, dir geht es eher um die textuellen Bezüge, die der Detektiv sucht, also um ein Stück Literaturtheorie. Im Text fahndet er nach Verweisen auf die Bücher auf dem Schreibtisch, das scheint eine sinnliche bis sexuelle Tätigkeit für ihn zu sein, das Verbrechen in diesen Bezügen kann ich allerdings nicht sehen, durch das sich der Palimpsest(e) die Todesstrafe durch Buchigen verdient.

Der Text liegt nackt und mit gespreizten Beinen dar
Ich bin nicht sicher, ob diese Konstruktion so möglich ist, man könnte natürlich ein Wortspiel aus sich darbieten und darlegen und da liegen darin sehen, obwohl das kleine Verbalpräfix damit gleich zweimal böse geschunden wird. So schön der Satz ist, ich finde es problematisch. Und der Satz verliert ja auch nicht, wenn du das r wegnimmst. Aber vielleicht verstehe ich auch einfach nicht, was du damit wolltest.

Hat mir gefallen.

Lieben Gruß
sim

 
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Hallo zusammen,

danke für die schnellen und guten Kommentare. Ich habe die Kommas ergänzt und das r gestrichen. Der Text soll in dem Satz nackt daliegen, also ohne r. Ist einfach ein Fehler von mir. Einige grammatikalische Macken hat der Text mit Sicherheit immer noch, aber so ist es schon mal besser. Danke.

Eins vorweg: Bei dem Titel bin ich etwas unsicher, denn der "Räuber" passt nicht unbedingt. Zuerst hieß die Geschichte "Der Leser" aber das erinnert zu sehr an "Der Vorleser".

Die Rubrik ist, finde ich, schon richtig. Es ist zwar seltsam, aber alltag ist seltsam. Es ist der Alltag des Dedektivs.

Sim hat natürlich Recht, es ist ein literaturwissenschaftlicher Text, der mehrere direkte wie auch indirekte Zitate mehrere Literaturwissenschaftler beinhaltet, leider nicht von Genette, aber der hat mit der Thematik ja auch genug zu tun.

Das heißt aber nicht, dass der Text so gelesen werden muss. Wer das ich ist und wer der Prot will ich nicht sagen, dann ist es ja langweilig. Auch ist es für die Textauslegung nicht entscheidend, wen ihr zum Ich und wen zum Prot machen wollt.

Aber alle bisherigen Kommentare verfehlen den Sinn der Sache (so wie ich ihn mir gedacht habe) nicht.

Herzlichen Dank an alle

@weltenläufer Bei dem Glatzkopf habe ich sogar an eine ganz bestimmt Person gedacht. :) Was aber nicht von entscheidender Wichtigkeit ist.

Und mit dem Plädoyer hast du recht. Dieser Text vertritt meine Meinung zur Texttheorie der Moderne. Inwiefern, lasse ich mal offen.

@Nikita ob der Sprecher real ist oder nicht, ist eben die Frage. Was meinst du?

@Elisha gut, dass du die Anspielung auf Mankell magst. Ich hatte befürchtet, damit Stress mit Mankell Fans zu bekommen, wenn es die denn gibt.

@sim wie gesagt, das dar ist mein Fehler, was dir nun auch schon sagt, dass dieser Satz kein Zitat ist, sondern meine Wurst.

Danke.

 

Hallo Aris,

ein Text, der zum Denken einlädt, sehr lustvoll geschrieben (macht wieder Spaß, das Schreiben, nicht wahr?) und die beschriebene Situation sprachlich unter das Mikroskop genommen, fast schon zu nah dran, vermischt mit Anspielungen, die dem Ergründen von Texten eine erotische Komponente abzuringen versuchen, und am Ende mit einer eigenartigen Entlarvung des Erzählers als ... tja ... da verließen sie mich dann, die Erkenntnisse, und so schließt sich der Kreis meiner Kritik.

Rick

 
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Hallo Aris,

ich wollte mich für Deine Anmerkungen zu meiner Erzählung bedanken und schlage mich seit 2 Tagen mit dieser hier herum. Ich bin es nicht mehr so gewohnt, Texte zu kommentieren (außer im Kopf und für mich selbst), deshalb entschuldige ich mich im Voraus, falls das Folgende etwas wirr und unsortiert ausfällt.

Zunächst einmal kurz zum generellen Leseerlebnis - ich war anfangs nicht sonderlich begeistert. Da waren Teile, die Interessantes und Spannendes erahnen ließen, aber insgesamt empfand ich den Text als zu fett und zähflüssig, klebrig, zu dick aufgetragen, wie bei einer Honigstulle (ich mag keinen Honig), bei der das süße Zeug an der Seite runterläuft, und deren Verzehr nicht wirklich Spaß macht, weil man die ganze Zeit damit kämpft, sich nicht allzu sehr zu bekleckern (ich bin zugegebenermaßen auch kein besonders manierierter Esser)

Das lag in meinem Fall vor allem an der Sprache. Die ist mir an vielen Stellen einen Tick zu over the top, mal zu dick, mal zu antiquiert oder archaisch. Das lag wiederum teilweise an der Wortwahl selbst, teilweise am Umgang (z.B. die Partizip Präsens Kette am Ende des ersten Absatzes). Auch an der Bildsprache, die ich ebenfalls bisweilen als zu gewollt oder brachial empfand. Fast ein wenig wie du es - völlig zu Recht - bei meinem Text anmerktest, obwohl man beide eigentlich nicht vergleichen kann. Naja, vielleicht doch - ich hatte also bei den ersten zwei, drei Lesedurchgängen das Gefühl, dass der Autor von mir will, dass ich hinter die Dinge schaue. Gefühl ist eigentlich untertrieben, genauer genommen empfand ich dies als sehr deutlich, vielleicht zu deutlich und gewollt, und gleichzeitig nahmen mir oben genannte Aspekte eher die Lust, mich da durchzukämpfen und aufs Wesentliche zu stoßen.

Erst als ich all das, was mich auf der Sprach- und Bildebene störte, außer Acht zu lassen begann und mich auf das konzentrierte, was da eigentlich steht (also ohne groß darauf zu achten, wie es da steht), hatte ich mehr Lust, mich auf mögliche Intentionen und Deutungen einzulassen.

Ok, wo fange ich an. Also zunächst einmal zum 'Detektiv' - er brütet über einem Schriftstück, vermutlich über Literatur. Über diese erfährt der Leser nichts, was ich als einen der Hinweise zur Textintention empfinde. Die Erzählung verbringt viel Zeit damit, zu beschreiben, wie er mit der Schrift umgeht - er betrachtet die Sprache bis ins kleinste Detail (die Aufzählung der Wortgruppen, etc), sucht nach einer Fährte, seziert bis ins Kleinste, usw. Er dreht und wendet die Worte, puzzelt in ihnen herum. Er sucht in der Sprache, nicht etwa im Inhalt. Statt das Geschriebene als Ganzes zu sehen und sich auf dieses Ganze einzulassen, laboriert er an den kleinsten Nennern herum, legt selbst sogar Hand an.

Die Heurekastelle lese ich als eine Art Wendepunkt ohne Wende. Der Ausspruch selbst lässt deuten, dass er fündig geworden ist, der nackte Text legt nahe, dass er an einem Punkt angekommen ist, von dem aus er seine Fährte zur tatsächlichen Jagd machen kann. Als hätte er sich jetzt alles so zurechtgelegt, dass es mit der 'Lösung des Falls' endlich richtig losgehen kann. Doch dazu kommt es nicht. Er verfährt im Prinzip genauso wie vorher, seziert wieder, dreht und wendet. Er ermüdet und ist kurz davor aufzugeben.

Hier kommt der Erzähler ins Spiel, der sich bis dato mehr oder weniger zurückgehalten hat (mehr, weil er bis auf das Lachen zu anfangs als Erzähler kaum auftaucht, weniger, da er auf die Art und Weise, wie er erzählt und kommentiert ja trotzdem sehr stark präsent ist). Wenn ich meiner eigenen Fährte konsequent folge, deute ich den Erzähler als den Teil des vom Detektiv betrachteten Texts, den besagter völlig außer Acht lässt. Ich bin mal blumig und nenne es die Seele (was auch insofern passt, da sich der Detektiv ja ausschließlich mit dem Text als Körper befasst) des Texts, das Wesentliche. Wenn ich auf der richtigen Fährte bin, wirst du wissen, was ich meine. (Falls nicht, gute Unterhaltung) Es gibt einige Marker, die mir diese Deutung unterstreichen - das Hauchen (Atem=Leben), der Blick, durch den hindurchgesehen wird.

An diesem Punkt interagieren die beiden Figuren. Erst der Erzähler, der bis dato nur betrachtete und kommentierte, jetzt aber einen Versuch unternommen hat, dem Detektiv in die richtige Richtung zu schubsen. Ohne Erfolg. Statt dessen bekommt er den Arsch versohlt, wird mit Bildungsbürgerliteratur verprügelt, bis nicht mehr viel von ihm übrig bleibt und der eigene Atem versiegt.

Ok, gehe ich mal davon aus, das ich richtig liege. Was nun? Zunächst einmal muss ich zugeben, dass ich dem Text zunächst genauso auf den Leim (oder war's Honig?) gegangen bin wie dein Detektiv/Literaturwissenschaftler selbst. Ich habe erstmal an anderem rumlaboriert als an dem, was da eigentlich steht. Zu meiner Verteidigung habe ich dann aber doch noch die Kurve gekriegt.

Jetzt müsste ich eigentlich sagen, verdammt schlau gemacht. Also, der Text. Ich bin mit meinen Überlegungen, was ich vom dem Ganzen halten soll, immer noch nicht ganz am Ende, deshalb kein Fazit, sondern eher eine Art Zwischenbericht -

Zum einen bin ich mir nicht ganz sicher, ob sich der Text nicht ein wenig selbst in den Arsch tritt. Und zwar, weil ich nach wie vor der Meinung bin, dass er sprachlich klappert, was dazu führt, dass sich die Sprache in den Vordergrund drängt und der Leser lange braucht, um sich diesem Zustand zu entwinden.

Zum anderen überlege ich noch, wen du letztendlich erreichst. Der Leser, der letztendlich ans Ziel kommt, war sich der eigentlichen Intention wahrscheinlich schon vorher bewusst (-?). Oder, wie in meinem Fall, hatte sie vergessen und wurde durch den Text wieder an sie erinnert (+). Andererseits weiß ich nicht, ob der Text auch den Leser kriegt, der, dem Detektiv gleich, zu fixiert auf das Sezieren der einzelnen Komponenten ist (-). Und letztendlich ist der Text ja selbst so angelegt, dass es eine gute Portion der Sektion braucht, um seiner 'Seele' auf die Schliche zu kommen (es gibt mit Sicherheit bessere Leser als mich, aber es gibt auch, ohne vermessen wirken zu wollen, eine ganze Menge schlechtere). (+/-?) Und um noch einmal den Bogen zur Sprache zu ziehen - ich bin mir auch mit der Erzählhaltung/der Stimme des Erzählers nicht ganz einig - seine Haltung und sein Ziel in allen Ehren, aber die teilweise elaborierte/manierierte Sprache nervt bisweilen und bringt auch eine gewisse Überheblichkeit mit sich (-). Ich weiß nicht, ob das so im Sinne 'der guten Sache' ist.

Deshalb hänge ich mit einer wertenden Meinung zum Text ein bisschen in den Seilen. Aber unerfolgreich kann er nicht sein, sonst wäre ich nicht an diesem Punkt angelangt. Vielleicht ziehst du selbst noch einmal Fazit. Ich glaube, es könnte lohnen, nochmals ein bisschen zu experimentieren, vielleicht dem Ganzen nochmal einen völlig unterschiedlichen Sprachgestus aufzuziehen, wenn auch nur um zu gucken, was dadurch passiert.

Genug gefaselt. Grüße.

 
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Hallo Rick,

danke dir. Ja, es macht Spaß. Wenn die Idee da ist, ist das Schreiben dann pures Vergnügen. Und wenn ein Leser merkt, dass einem Autor das Schreiben Spaß bereitet hat, ist das ein gutes Zeichen. Ich hoffe, dir hat auch das Lesen Spaß gemacht. Das wäre dann ein noch besseres Zeichen.

Hallo Rabenschwarz

WOW. So eine ausgiebige Kritik bekommt man ja selten. Hab vielen Dank. Damit kann man viel anfangen.
Wo soll ich anfangen? Meine Antwort wird wahrscheinlich nur halb so kurz wie deine lyrisch angehauchte Kritik, die ja auch länger ist als die KG. Und das ist eben der, man kann sagen, Kniff bei dieser Geschichte. Sie wird in der Rezeption vom Rezipienten (das bist du) geschrieben. Die Geschichte erzählt das, was du in ihr liest. Dahinter steht eine ganze Literaturtheorie von Roland Barthes, einem französischen Literaturwissenschaftler, der in einem Aufsatz namens "Der Tod des Autors" erklärt, der Autor sei nach der Veröffentlichung der Geschichte nicht mehr ausschlaggebend für die Auslegungen seiner Geschichte. (Egal, ob der Autor tatsächlich tot ist oder nicht). Vor Roland Barthes hat man versucht literarische Texte durch den Kontext zu verstehen, also das Leben und die Zeit eines Autors in seinen Text projiziert um so zu verstehen, was die Geschichte erzählt.
Im ersten Teil der Geschichte geht der Detektiv (so hat Umberto Eco den Leser einmal bezeichnet) so vor, dass er meint, er könne den Sinn des Textes aus der Geschichte ziehen. Er begeht also den "hermeneutischen Fehler"
Denn ein Leser zieht immer nur das aus einer Geschichte heraus, was er in sie hineinwirft.
Zu diesem Schluss kommt auch mein Prot, wenn er beschließt: "Wen interessiert, wer dieses Gemurmel spricht". Der Satz ist von einem anderen Literaturwissenschaftler, dessen Name mir gerade nicht einfällt, aber Samuel Backett hat ihn auch verwendet. Jetzt nimmt mein Prot den Text also, und gibt ihm den Sinn, den er in der Geschichte sieht. Aber auch das macht ihn nicht glücklich.
Zum Schluss bedient er sich der Palimpsest Methode, die besagt, dass alle Texte immer in Verbindung zu anderen Texten stehen, der Leser also Kafka usw (oder eben, was er will) in einem Text finden kann, da sich ein jeder Text in die Literaturgeschichte einreiht.
Dann, und das ist meine Kritik als Autor in dem Text, ist der Autor tatsächlich tot und unkenntlich. Wenn es der Leser beschliest, ist nichts in dem Text mehr vom Autor selbst, denn Zusammenhänge zu anderen Texten lassen sich willkürlich und xbeliebig herstellen.
Das Ich im Text ist nichts weiter als der Autor von dem Text, der dem Prot vorliegt und welcher wie ein Geist um den Verstand des Prot schwirrt. Denn der Detektiv ist auf der Suche nach dem Sinn der Geschichte, auf der Suche nach dem Autor und am Ende tötet er ihn, indem er den Text nur noch mit anderen Texten vergleicht. Die Palimpsest Technik sieht jeden Text als eine TExtkollage aus anderen Texten.
So ist auch mein Text ein Element aus anderen Texten.

bei Doppelpunkten erwartungsvoll in aufgesperrte Münder blickend
ist z. B. aus einem Text von Adorno, der geschrieben hat, ein Doppelpunkt lässt den Leser erwartungsvoll in einen aufgesperrten Mund blicken und wollte damit sagen, dass nach einem : unbedingt etwas Entscheidendes kommen muss.

Um so einen Text zu schreiben, und da hat der Autor dann mMn doch wieder den Sinn in der Hand (manche sprechen gar davon, dass der Autor die Interpretation des Lesers steuern kann) indem er dem TExt Multivalenz gibt, also die Interpretation offen lässt und eben nicht schreibt, dass etwas passiert weil das oder das eben so ist, sondern, man kann sagen, mysteriös bleibt, oder seltsam eben.
Ich hab also versucht, den Leser Textsinn nur erahnen zu lassen.

Und so offen wie ich jetzt, kommentiert ein Autor seinen Text eigendlich auch nie. :) Aber ich denke, dass das hier im Forum durchaus möglich sein sollte, denn hier, und das liebe ich so an dieser Seite, ist der Autor nicht tot, sondern quicklebendig und interaktiv.

Die Sprache, ja, du findest die Sprach zu dick. Aber ich finde sie in Ordnung. Wenn die Sätze grammatikalisch richtig sind, bin ich so damit sehr zufrieden. (Und ich hoffe, dass sie das sind, schließe aber nicht aus, dass sie das nicht sind)

Wenn du deine Kritik jetzt noch einmal liest, wird dir auffallen, dass du nach ähnlichen Prinzipien wie mein Leser agierst. Erst machst du den "hermeneutischen Fehler", du erkennst den Wendepunkt, weißt 2 bis 3 Mal nicht weiter was und wie dir dieser Text etwas sagen soll, und interpretierst am Ende selbstständig.

Statt das Geschriebene als Ganzes zu sehen und sich auf dieses Ganze einzulassen, laboriert er an den kleinsten Nennern herum,
Wenn dieser Zoom auf die kleinsten Nenner eines Satzes gemacht wird, beschreibt das den "linguistic turn" der Literaturwissenschaft, von dem man heute schon lange wieder Abstand genommen hat. Das hast du erkannt, ohne es zu kennen. Das ist gut und genau so beabsichtigt. Also bin ich nicht tot.

Du bist also durchaus auf einer guten Fährte, denn du bewegst dich auf der selben wie mein Prot. Du bringst gute eigene Sachen mit in den Text. Atem= Leben ist sehr interessant und ist mit meiner Intention (der es ja nicht unbedingt zu folgen gilt) durchaus vereinbar.

Dann erkennst du selber, dass du so agierst wie der Prot.
Generell ist nichts von dem, was du schreibst wahr oder falsch.

Vielleicht tritt sich der Text dann selbst in den Arsch. Aber es ist eben nicht die Sprache, also die Art, wie etwas erzählt wird, von der sich der Leserentwinden muss, wie du es nennst, sondern es ist die Suche nach einem Sinn, von der sich der Leser entwinden muss, da er nur das findet, was er selbst in den Text gelegt hat. "Wir finden in der Welt nur, was wir zuvor in sie gelegt haben." (Nietzsche, so oder ähnlich) Du hast also ein Ei hinter eine Hecke gelegt und dich dann gefreut, es wieder zu finden. (Hinduismus oder so)
Das soll nicht bösartig sein, und du bist mir auch nicht auf den Leim gegangen oder so,

Der Leser, der letztendlich ans Ziel kommt, war sich der eigentlichen Intention wahrscheinlich schon vorher bewusst
besagt das selbe!

So, ich weiß nicht, ob dir das genügt. Frag mich oder schreib deine Meinung bitte weiterhin, denn ich glaube nicht, dass ich es geschafft habe, auf alle Aspekte deiner Kritik einzugehen.

Und das mit der Überheblichkeit: Das haben mir schon ganz andere ganz anders gesagt, aber glaub mir, ich selbst bin ein sehr bescheidener Mensch. Das ich versuche, mit diesen hochtrabenden Literaturtheorien zu arbeiten und das ganze in wurschtelnde Sätze packe hat nichts damit zu tun, dass ich mich mit Nietzsche oder Adorno auf eine Stufe setzen würde. Vielmehr behandele ich diese so, wie sie sind: tot. Denn wir alle stehen auf den Schultern von Riesen. (sind aber selbst Zwerge, die weiter schauen können als die Riesen, weil sie eben auf deren Schultern stehen) Das hat Newton gesagt. Also auf Adornos und Nietzsches Schultern. Es ist ein anarchistischer Umgang mit allem, was vor mir war.

soweit noch mal vielen Dank und lieben Gruß. Ich denke, ich werde von dir hören.

 

Hallo Aris!

Ich mag diesen Text. Ich mag den Leser, mag, wie er begeistert ist von seiner Suche, von der Lektüre dieses Textes, wie er versucht, dahinterzukommen, ihn zu lüften, einen Sinn zu entdecken.

Auch das Bild am Ende: Erschlagen von den Alten, erdrückt, erstickt, tot. Und das Gesicht, das Angesicht, wird unkenntlich.

Haben dich die Alten am Kragen, drücken sie dich nieder und dich kennt eh bald keiner mehr.

Das zumindest lese ich daraus.

Schöne Grüße,

yours

 

Hallo yours,

danke für die netten Worte. Schön, dass dir die KG gefällt. Das Ende deutest du etwas anders als ich. Meine Intentionen waren andere, wie du meiner meterlangen Antwort auf Rabenschwarz Kommentar entnehmen kannst. Aber, wie du da auch entnehmen kannst, macht das nichts. Deine Interpretation ist auch interessant und passt ins Schema.

lieben Gruß

 

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