Was ist neu

Randartefakt

Mitglied
Beitritt
01.07.2016
Beiträge
236
Zuletzt bearbeitet:

Randartefakt

Die Leuchtreklame zeigt ein „U“. Über dem Neonblau klafft ein Hohlraum. Ich starre hinein. Ein schwarzer Punkt brennt sich in meine Netzhaut. Egal wie sehr ich blinzele, es verschwindet nicht.

Heute Morgen freute ich mich noch auf mein Praktikum. Aber wie konnte das alles danach nur passieren? Mein Daumen liegt über dem Handybildschirm. Ich muss mich ablenken. Meine Mutter hat angerufen, aber wie soll ich ihr schreiben, nach heute.

Die Polizei zeigte mir das Überwachungsvideo: Im Film konnte man nur mein Gesicht sehen. Ein Close-Up. Ich schreie. Aber das entspricht nicht der Wahrheit. Ich hatte es gesehen: Auf dem Körper meiner Kollegin verbreitete es sich. Eine kreisförmige Finsternis, eine klaffende Öffnung, die mit ihrem Sog alles konsumierte. Sie griff in ihre expandierende Schwärze. Dann knickte etwas in ihr. Ihr Arm verrenkte sich in eine unnatürliche Position. Innerhalb von Sekunden fiel ihr Körper in sich hinein. Verschwindet. Die Polizisten spulten das Video zurück. Nur mein Gesicht. Sie spulten weiter zurück. Da, noch mein professionelles Lächeln. Unversehrt.
„Wir werden das abklären“, sagte der Polizist langsam – gehen Sie nach Hause, ruhen Sie sich aus.

Ich ziehe die Schuhe aus und betrete meine Wohnung. Meine Klamotten liegen auf dem Stuhl. Unordentlich wie immer. Als wäre nichts passiert. Der Laptop liegt noch auf dem Schreibtisch. In der Spiegelung des Bildschirms sehe ich mein Gesicht. Es ist noch unfertig. Die Augenbrauen sind zu buschig, das Kinn ist zu männlich. Aber jetzt, hinter der Spiegelung: Eine junge Frau mit Zahnlücke lächelt mir entgegen. Jetzt macht sie den Mund zu.
Ich glaube, das bin noch ich.
Die Augen, Nase, alles gleich. Aber ich kann mich daran erinnern – wie sich meine Haut spannte, bis ich es nicht mehr aushalten konnte. Wie mein Gesicht aufgesprungen ist. Ich habe gespürt, wie der Wind durch mich ging. Aber im Überwachungsvideo war nichts. Gar nichts war passiert. Eine Frau hat geschrien.

Mit leerem Magen stolpere ich in die Küchennische. Ich greife die Packung Fertignudeln, öffne den Laptop. Im Blaulicht eines der wenigen Fotos, wo ich mit mir zufrieden bin. In der unteren rechten Ecke zeigt sich ein schwarzer Fleck, der die Pixel frisst. Die Artefakte stören besonders, wenn ich versuche, meine Schulter schmaler zu bearbeiten. Aber bald kann ich mir einen neuen Laptop leisten. Vielleicht sogar Hormontherapie oder auch Urlaub mit meiner Mutter. Ich nehme mein Handy. Tippe auf WhatsApp: „Hey Mamma der erste Tag lief gut. Alle sind nett aber bin erschöpft. Ruf morgen an.“

Ich nehme die Flasche mit Sriracha-Soße, lecke die Öffnung an der Spitze. Der Geschmack ist brennender, als ich es in Erinnerung habe. Komisch, erst gestern habe ich davon gegessen. Vorsichtig berühre ich meine Zunge mit dem Finger. Es fühlt sich normal an. Aber während der Zeigefinger mein Gebiss streift, zieht ein kalter Luftzug. Ich drücke gegen meinen Schneidezahn. Mein Finger streift durch einen Hohlraum. Ich ziehe meine Hand langsam zurück. Der Kreis ist in meinem Mund. Ich spucke auf den Teller. Etwas Rotes, Dickflüssiges. Ist das Blut? Ein muffiger Geruch steigt hoch. Ich hebe den Teller vor meine Nasenhöhle. Mein Magen zieht sich zusammen. Tatsächlich. Es riecht modrig. Aber der Gestank zieht sofort weg. Als würde er sich verstecken.

Ich spucke in den Abfluss. Tröpfchenweise platscht es auf das Spülbecken.
Platsch. Pause. Platsch. Pause. Unaufhörlich.
Ich will es nicht schlucken. Als das Leitungswasser die Stelle berührt, muss ich mich abstützen – ein Stromschlag zieht durch meinen ganzen Körper. Ich hole tief Luft. Das Loch wehrt sich. Der Sog des Lochs fräst sich in meine Zahnwurzel. Und die Flüssigkeit hört nicht auf.
Was ist mit mir los? Neben dem Herd ist mein Handy. Ich lege meinen Daumen auf den Bildschirm. Ich aktiviere die Selfie-Kamera. Das Bild friert kurz ein.

Und ich sehe es. Nicht im Bildschirm. Vor mir. Die klaffende Öffnung breitet sich an meinem Rücken aus. Ich falle aus der Haut. Ich bin nicht mehr ich. Sie rennt zur Schublade. Es muss raus, es muss raus. Sie schaut auf das Handy, um die Zange richtig anzubringen. Eine Benachrichtigung taucht auf. Mama hat geschrieben. Ein Herzemoji. Als das kalte Metall der Zange gegen die Zähne drückt, spüre ich ein zaghaftes Knacken. Nicht in ihrem Schädel. In meinem.

Jemand spult zurück. Es knackt. Zurück. Ich kann mein Gesicht nicht sehen.
Löschen

 

Hallo @alexei

Ich hatte bisher noch nicht die Ehre, einen Text von Dir zu kommentieren, deshalb will ich mal den Anfang machen und das Eis brechen. Ich schreibe zuerst generell ein paar (sprachliche) Dinge auf, die mir während der Lektüre in den Sinn gekommen sind und danach etwas zu meiner Interpretation.

Ich beiße mir auf die Zunge. Weich.
Es kommt natürlich darauf an, wie fest man auf seine Zunge beisst, aber angenehm ist das ja nicht. Deshalb hat sich das 'Weich' für mich etwas unpassend angefühlt. Vielleicht könnte man es leicht abändern, bspw. zu Ich lasse die Zähne über die Zunge gleiten, oder Ich schabe mit den Zähnen über die Zunge, sowas. Aber vielleicht bin das auch nur ich bzw. meine Lesart (denn ich sehe schon, eine Zunge ist durchaus weich).

Aber danach?
Das verstehe ich nicht. Wieso denkt die Protagonistin das? Ich kriege es nicht mit dem Zungenbeissen vorher zusammen.

Auf dem Körper meiner Kollegin hatte sich etwas ausgebreitet.
Das 'etwas' klingt sehr unspezifisch. Der Protagonistin ist hier doch (zumindest ansatzweise) bereits klar, um was es sich handelt? Vielleicht hast Du es so geschrieben, um die Spannung hochzuhalten, noch nicht alles zu verraten, aber ich finde, es dürfte hier durchaus spezifischer sein.

Aber im Film konnte man nur mein Gesicht sehen. Ich sah den Kreis, eine klaffende Öffnung, die mit ihrem Sog alles konsumierte. Ich weinte. Sie griff in sich hinein.
Mir ist etwas schleierhaft, was auf dem Überwachungsvideo genau zu sehen ist: Einerseits zeigt es ziemlich deutlich, was mit der Kollegin passiert ist, andererseits kann man nur das Gesicht der Protagonistin erkennen. Wie geht das zusammen bzw. was soll ich als Leser da ganz konkret sehen?

Sie griff in sich hinein. Dann knickte etwas in ihr. Ihr Arm verstellt sich in eine unnatürliche Position.
Der dritte Satz hat eine andere Zeitform, Präsens, das müsste auch Vergangenheit sein, oder?

Dann fällt innerhalb von Sekunden ihr Körper in sich und verschwindet.
'innerhalb Sekunden fällt ihr Körper in sich' => da fehlt etwas für mich. Vielleicht 'fällt in sich zusammen' oder so ähnlich?

Die Polizisten spulten das Video zurück. Ich weinte. Dann spulten sie zurück. Es knackte.
Das ist doppeltgemoppelt und hat mich rausgehauen. Vor allem wegen dem 'Dann', wieso 'Dann'? Die spulen das Video ja bereits zurück. Oder spulen die weiter zurück? Dann müsste das aber auch so geschildert werden.

„Wir werden das abklären“, sagte ein Mann langsam, „Gehen Sie nach Hause. Ruhen Sie sich aus.“
Was für ein Mann? Ein Polizist, oder? Und wieso sagt er das langsam? Das tut nix zur Sache, finde ich. Also mein Vorschlag: "Wir werden das abklären", sagte ein Polizist. "Gehen Sie nach Hause und ruhen Sie sich aus." So fände ich das runder.

Meine Klamotten liegen auf dem Stuhl. Unordentlich wie immer. Ich ziehe die Schuhe aus und betrete meine Wohnung. Als wäre nichts passiert.
Hier würde ich an der Reihenfolge schrauben: Beim ersten Satz war ich schon mit ihr in der Wohnung. Sie betritt sie aber erst zwei Sätze später. Das hat mich etwas verwirrt, von der Blickführung her, meine ich. Also vielleicht: Ich ziehe die Schuhe aus und betrete meine Wohnung. Meine Klamotten liegen auf dem Stuhl. Unordentlich wie immer. Als wäre nichts passiert.

Die Augenbrauen sind zu behaart, das Kinn ist zu hart.
Hier stolpere ich etwas bei 'das Kinn ist zu hart'. Berührt sie ihr Kinn? Oder stehen eher die Kieferknochen zu deutlich ab, geben der unteren Gesichtspartie zu harte Züge? Ich denke, es ist eher letzteres gemeint, aber dann müsste es auch entsprechend formuliert werden.

Aber ich kann mich daran erinnern - wie sich meine Haut anspannte, bis ich es nicht mehr aushalten konnte.
Anspannung beziehe ich eher auf einen innerlichen Vorgang, also die Gefühle betreffend, die Haut kann davon ja nicht betroffen sein, denke ich, deshalb fände ich die Formulierung 'wie sich meine Haut spannte' besser.

Aber im Überwachungsvideo war nichts. Gar nichts war passiert.
Mmmh, wieder das Überwachungsvideo. Also ist das hier so gemeint, dass mit ihr, der Protagonistin, nichts passiert ist? Mit ihrem Gesicht?

Ich greife die Packung Fertignudeln. Ich öffne meinen Laptop.
Zweimal derselbe Satzbeginn. Man kann das machen, aber in einem solch kurzen Text ist es mir dennoch eher negativ aufgefallen.

In der unteren rechten Ecke werden keine Pixel mehr abgebildet. Die Artefakte stören vor allem, wenn ich meine Schulter schmaler bearbeiten möchte.
Bezieht sich darauf der Titel? Randartefakt? Man könnte es zumindest so in Verbindung bringen (ich schreibe später noch etwas mehr dazu). Der Titel klingt jedenfalls technisch / nach etwas Digitalem.

„Hey Mamma der erste Tag lief gut. Alle sind nett aber bin erschöpft. Ruf morgen an“
Am Ende fehlt ein Punkt. Da dies jedoch WhatsApp-Sprech ist, könnte es auch extra so gewollt sein.

Der Kreis ist in meinem Mund.
Ach, derselbe Kreis, der ihre Kollegin verschlungen hat?

Ist das Blut? Ich hebe den Teller vor meine Nasenhöhle. Der Duft verfliegt sofort. Schnuppere weiter.
Wieso eine olfaktorische und nicht erstmal eine optische Kontrolle? Verstehe ich nicht recht.

Der Duft verfliegt sofort. Schnuppere weiter. Mein Magen zieht sich zusammen. Es riecht feucht und dumpf. Aber der Duft zieht sofort weg. Als würde es sich verstecken.
Hier möchte ich mehrere Sachen anmerken: Also 1.) ist der durchgestrichene Satz eine Wiederholung des ersten Satzes. Wieso? Dann 2.) auf was bezieht sich das 'es' im letzten Satz? Es liest sich so, als würde es sich auf den Duft beziehen, dann müsste da aber 'der Duft', also 'er', stehen. So zumindest meine initiale Lesart. Aber eigentlich ist mit 'es' das Loch gemeint, oder? Wie dem auch sei, ich strauchelte jedenfalls. 3.) 'dumpf' verorte ich eher klanglich, also bspw. ein dumpfes Poltern, in Bezug mit Gerüchen habe ich das noch nie gehört oder gelesen. Was ist ein dumpfer Geruch, frage ich mich folglich. Generell: Der Auswurf liest sich eher als etwas unangenehmes, grausiges, wieso also so ein geschwungenes Wort wie 'Duft'? Ist das nicht eher ein Gestank?

Das Loch wehrt sich. Es greift an meiner Zahnwurzel
Verstehe ich auch nicht. Das Loch greift an ihrer Zahnwurzel? Liest sich unvollständig. Das Loch greift meine Zahnwurzeln an, ja, sowas könnte ich kaufen, auch wenn es dennoch reichlich abgedreht und seltsam klingt.

Die klaffende Öffnung lässt mich aus meiner Haut herausfahren.
Achtung, klischeehafte Formulierung: 'Aus der Haut fahren'.

Dies soweit meine textlichen/sprachlichen Anmerkungen, ich hoffe, Du kannst das ein oder andere davon gebrauchen. Nun also zur Interpretation. Da sehe ich zwei Möglichkeiten:

1.) Bodyhorror/Übernatürliches: Die Geschichte benutzt Motive des Bodyhorrors. Das "Loch" wird von der Protagonistin als körperlich real empfunden, ist jedoch für sie (und den Leser, zumindest für mich) nicht rational erklärbar. Es ist sozusagen invasiv und verändert ihre Wahrnehmung, das Selbstbild, löst die Körpergrenzen der Protagonistin auf. Die Erzählerin erlebt also eine Art Entfremdung von ihrem eigenen körperlichen Dasein. Das Zurückspulen ist ein wiederkehrendes Element, jemand oder "etwas" (konkretisieren fände ich wünschenswert) spult alles zurück wie eine Aufnahme. Die Realität der Erzählerin ist von Medien wie Kamera, Handy, und Video geprägt. Ihr Selbstbild entsteht durch diese Medien, die Selbstbeobachtung findet rein darüber statt. Hat die Protagonistin vielleicht ein Praktikum bei einer Videoagentur gemacht, oder vielleicht in einem Fotografie-Studio? Damit wäre ich auch wieder beim Stichwort 'Randartefakt': Sind diese Artefakte, die ja in der digitalen Bildbearbeitung auftreten können, vielleicht so gemeint, dass sie das eigentliche "Loch" repräsentieren, also das quasi die Artefakte auf den Fotos die Realität der Protagonistin einnehmen und diese an den Rändern aufzulösen beginnen, sie immer mehr vereinnahmen? Auch ihr eigener Körper nimmt sie für meine Lesart wie ein digital manipuliertes Bild wahr, gegen Ende folgt dann die vollkommene Dissoziation, vor allem auch weil sich da die Perspektive ändert. Sie nimmt nur noch von aussen Teil, beobachtet sich selbst. Existiert sie nur noch als digitales Abbild auf Film?

2.) Psychologische Lesart: Ich finde, man kann den Text auch als eine Art psychischen Zusammenbruch lesen. D.h. die Protagonistin erlebt einen traumatischen Moment, ihre Kollegin stirbt oder verschwindet, und ihr geschockter Verstand verarbeitet dies durch Wahrnehmungsstörungen oder eben Dissoziation. Der Hohlraum, bzw. das sich ausbreitende Loch, könnte so gelesen werden, als sei es eine Projektion ihres Schocks und Identitätsverlustes, bzw. das sie eben von den Umständen aufgefressen, in ihrem rationalen Denken zurückgedrängt wird. Das Zurückspulen steht allenfalls für Flashbacks / Intrusion durch traumatische Erinnerung. Das finale Zangenbild könnte vielleicht selbstverletzendes Verhalten darstellen. Ich bin mir aber nicht recht sicher, ob das so wirklich zieht (auch weil ich kein Psychologe bin :D), weshalb ich eher zur ersten Leseweise tendiere.

Also, abschliessend: Ich denke, man kann da schon einiges reininterpretieren, hat mir auch Spass gemacht, aber so ganz zufriedenstellend fand ich den Text schlussendlich nicht. Gerne hätte ich den ein oder anderen Hinweis mehr gehabt, was denn nun tatsächlich mit der Protagonistin passiert (oder allenfalls auch, was mit ihrer Kollegin passiert ist). Sprachlich holperte es zudem für mich an mehreren Stellen, was mich beim Lesen teilweise etwas ausgebremst hat. Gerade was diesen Aspekt anbetrifft, würde ich mir den Text noch einmal zur Brust nehmen, den versuchen glattzustreichen.

Beste Grüsse,
d-m

 

Hey @alexei

Hier ein paar ungeordnete Gedanken nach dem Lesen der Geschichte

Also die Body-horror Beschreibung finde ich hier am interessantesten.
Der Geschmackssinn wird nicht oft in Horror Medien aufgenommen und mit der eigenen Mundhöhle kann man bestimmt auch gut etwas symbolisches darstellen, wie Völlerei oder Gier. Man weiß zwar nicht wo genau der Kreis bei der Kollegin angefangen hat, aber wenn der Kreis immer im Mund anfängt, dann stelle ich mir ein apokalyptisches Event vor, in der die Menschheit sich selbst verschlingt.
Die Protagonistin spricht ja auch hier und da über ihren Magen, deswegen dieser Gedanke.

Ich finde Begriffe wie "Handy" oder "Whatsapp" verankern einen Text in der Zeit der Veröffentlichung. Angenommen 100 Jahre später liest Jemand die Geschichte, dann kann es gut sein, dass diese Begriffe absolut in Vergessenheit geraten sind.

Ich versuche noch rauszufinden wieso die Leuchtreklame ein "U" zeigt. Im Sinne von "You"? Ist es eine Warnung, dass sie das nächste Opfer ist? Neonblau ruft Cyber-Dinge in meinem Kopf auf.
Also entweder ist hier irgendein digitaler Virus der die Menschheit angreift, wie beschrieben und im Titel. Der Kreis soll wie ein Artefakt im Bildschirm sein, der sich ausbreitet. Das Bild der Selbstverschlingung ist aber die Methode des Sterbens. Wenns wirklich um Artefakte geht, denke ich, sollte der Körper nicht in sich zusammengezogen werden, sondern übernommen werden durch diese "toten Pixel" sozusagen. Aber naja vielleicht hättest du dann einfach Zombies.

Was den Stil angeht oder eher den Lesespaß würde ich persönlich sagen, dass mir das etwas zu viele kurze Sätze sind. Ich weiß ja in Horror ist weniger mehr, aber ich hätte gerne ein paar längere Beschreibungen gehabt. Besonders da die Protagonistin eigentlich am Ende in Panik verfällt, diese Panik aber nur aus einer Aneinanderreihung objektiver Beobachtungen besteht. Im letzten Absatz hast du dann den Wechsel zwischen "ich" und "sie", das fand ich cool. So ein immer rapider werdender Perspektivwechsel hätte gut zu dem Motiv der Übernahme durch einen Fremdkörper gepasst, wenn man ihn durch die ganze Geschichte zieht.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo @deserted-monkey ,

vielen Dank für deine gründliche und konstruktive Kritik. Ich habe sie mehrmals gelesen und bin berührt von der Mühe, mit der du dich dem Text genähert hast.

Zu den sprachlichen und strukturellen Anmerkungen:

„Ich beiße mir auf die Zunge. Weich.“ / „Aber danach?“
Du hast Recht, dass die Leserführung an der Stelle zu holprig ist. Die Hauptfigur ist jetzt schon psychisch instabil ist und ihre Sinneseindrücke sind von Anfang an schon nicht ganz vertrauenswürdig. In der Überarbeitung habe ich den Moment der Selbstverletzung in eine erste Wahrnehmungsstörung umgewandelt. So ist der Übergang sanfter zum späteren „schwarzen Fleck“.

„Auf dem Körper meiner Kollegin hatte sich etwas ausgebreitet.“
Dein Hinweis mit dem vagen 'etwas' hat mir sehr gehofen. In der Überarbeitung habe ich es jetzt ausführlicher beschrieben als 'Eine kreisförmige Finsternis'. So wird die Bedrohung greifbarer, aber bleibt abstrakt genug für kosmischen Horror.

„Dann spulten sie zurück. Es knackte.“
Die Rück-spul-Szene habe ich zu „Sie spulten weiter zurück. Da hatte ich noch ein professionelles Lächeln.“ geändert. Das unterstreicht den Kontrast zwischen äußerer Fassade und innerem Grauen und vermeidet die Wiederholung.

„Das Loch wehrt sich. Es greift an meiner Zahnwurzel“
Ja, das war unvollständig. „Es greift sich mit seinem Sog fest an meiner Zahnwurzel“ macht die Art der Attacke – nämlich durch den Sog an der Zahnwurzel wie beim Zahnarzt – deutlich klarer.

„Die klaffende Öffnung lässt mich aus meiner Haut herausfahren.“
„Ich falle aus der Haut. Ich bin nicht mehr ich.“ ist zwar schon eine Art Redewendung, aber die Zerbrechlichkeit und der endgültige Identitätsverlust werden hier meiner Meinung nach gut betont.

Zu deinen Interpretationen:

Ich wollte auch eine subtile Geschlechterebene einbauen. War wohl zu subtil haha. Ich hoffe, in der überarbeiteten Version ist das klarer.

1.) Bodyhorror/Übernatürliches & die digitale Ebene:
Die Frage, ob sie nur noch als digitales Abbild existiert, ist eine spannende Interpretation des offenen Endes. Deine Idee, dass die Praktikantin in einem Foto- oder Videostudio arbeitet, darauf bin ich nicht gekommen.

2.) Psychologische Ebene:
Wenn man mit einem traumatischen Ereignis konfrontiert ist, kann man das Gefühl haben, seine Persönlichkeit zu verlieren. Vor allem in den Augen von anderen Menschen, wenn sie vom eigenen Trauma erfahren. Vielleicht ist das eines der Gründe, warum sie ihre Erlebnisse vor ihrer Mutter verheimlicht.

Nochmals: Deine Kritik war ein Geschenk. Sie war nicht nur korrekturgelesen, sondern tiefgründig interpretierend und hat mir geholfen, die Unklarheiten meines Textes zu beseitigen und seine Stärken zu pointieren.

Ich hoffe, diese Antwort zeigt dir, wie wertvoll dein Feedback für mich war.

 

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom