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Rauchen

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14.06.2020
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Rauchen

Warum rauchen Menschen? Es stinkt, es schmeckt widerlich, es kostet Geld und es macht krank. Reicht Coolness als Motor? Für meinen Vater bestimmt nicht. Vielleicht war es für meinen Vater eher die Wandfarbe oder die Tatsache, dass er Mama durch die Nebelschwaden nicht mehr sehen musste. Vielleicht hat er es bereut sich damals für Eierschale entschieden zu haben, statt für weiß, als Mama nach dieser Vorauswahl meinen Vater am Einrichtungsprozess beteiligen wollte. Mama hat es letztendlich übrigens doch weiß gestrichen, weil sie wusste, dass er es ohnehin nicht merkt. Vielleicht hat mein Vater diesen Betrug doch festgestellt und sich für einen umständlichen Anstrich über die Lunge entschieden und Mama hat einfach nicht mit dem langen Atem meines Vaters gerechnet, den er schon ewig nicht mehr hat. Was die ursprüngliche Farbe dieser Wand war, kann aber ohnehin niemand mehr sagen weil, wenn der väterliche Nebel die Wand nicht verschwinden lässt, er sie mit seinem satt nikotingelben Schleier schmückt. Diese Momente der Klarheit hat mein Vater nur zugelassen, wenn er außer Haus war und es Mama damit gestattet war, das Haus zu lüften. So konnte ich immer schon von Weitem sehen, wenn zu Hause im wahrsten Sinne des Wortes die Luft rein war. Habemus papam. Ich war auf ärztlichen Rat irgendwann nur noch selten zu Hause, wenn mein Vater da war. Mein Arzt fand das Rasseln meiner Atmung bedenklich. Über die blauen Flecke hat er hinweg gesehen. Kinder sind wild, Kinder spielen, Kinder verletzen sich. Das sei ganz normal, höre ich ihn noch immer sagen, mehr zu sich selbst als zu mir. Wissen Raucher eigentlich nicht, dass Rauchen tödlich ist? Die Zeit hat es meinem Vater gezeigt, also, sie hat es versucht. Als ich vierzehn war, hat er aufgehört zu rauchen. Das war die Auflage unter der er das Sauerstoff-Gerät bekommen hat. Aber das hat nicht lang gehalten. Vielleicht steckt hinter allem Rauchen die Gewissheit, dass es tödlich ist; mehr Todeswunsch als Unwissenheit. Nach kürzester Zeit war er wieder bei alten Bestleistungen angelangt und war, angetrieben vom Sauerstoff, drauf und dran neue Nebel-Rekorde zu brechen. Rituale ungeahnter Sorgfalt vor den Routineuntersuchungen durchgeführt. Dass eine solche anstand, konnte ich daran erkennen, dass die Spedition wieder Mengen an Weichspüler und Mundspülung lieferte, die den Jahresverbrauch von Luxemburg decken konnten. Mama wollte immer nur sein Bestes und hat ihn in allem unterstützt. Hätte er nur noch daran ziehen können, hätte sie ihm die Zigaretten angezündet und gehalten. Das ist wahre Liebe. Aber so weit kam es nicht. Seit ich zehn war, war ich darauf vorbereitet, dass mich statt einer warmen Mahlzeit, Naja, ein Trauerfall zu Hause erwartet. Aber als es dann so weit war, war ich alles andere als vorbereitet. Wir hatten nach meinem Auszug nur selten gesprochen. Würde ich jetzt um diesen Mann trauern? Zuerst hatte ich wichtigere Dinge zu tun. Ich tröstete meine Mutter und kümmerte mich um all die Personen, die sich für wichtig genug hielten, meine Zeit mit ihren Beileidsbekundungen zu verschwenden.
Ich habe nicht herausfinden können, wer die vorderen zwei Reihen für die engsten Vertrauten des Verstorbenen freigehalten hatte. Wollte diese Person mir Platz schenken oder kannte sie einfach meinen Vater nicht? So saßen wir dort, zu viert auf sechzehn Plätzen, meine Mutter, der Kneipenbesitzer, der Spediteur und ich. Weit abgeschlagen die Verwandtschaft, vom Pflichtgefühl getrieben. Zwei Meter und fünfhundertzweiunddreißig langweilige Worte später bin ich wieder allein. Aber ich bin anders allein, als ich es früher war. Wie stopft man dieses Loch, frage ich mich, und füllte meine Lunge mit warmem Qualm.

 

Hallo und willkommen, @P4ulus !
Gefällt mir, deine Geschichte, sogar sehr!
Da entstehen viele Bilder und Emotionen beim Lesen. :thumbsup:
Dass du nicht auf die Tränendrüse drückst, lässt deine Eindrücke aus unzähligen herausragen. Gut gemacht!
Dennoch gibt es da ein paar Flusen zu lesen, wie hier so gerne gesagt wird. Diejenigen, die mir durch die Lappen gehen, wird unser @Friedrichard sicher finden. Ich mische die einfach mal mit Lob und Anmerkungen.

Vielleicht ist es für meinen Vater eher die Wandfarbe oder die Tatsache, dass er Mama durch die Nebelschwaden nicht mehr sehen musste.
Starker Satz. Da spielt sich eine Menge im Kopf ab. Aber wieso der Zeitsprung? Da der Vater jetzt tot ist, war es eher die Wandfarbe.
Vielleicht hat mein Vater diesen Betrug doch festgestellt und sich für einen umständlichen Anstrich über die Lunge entschieden und Mama hat einfach nicht mit dem langen Atem meines Vaters gerechnet, den er schon ewig nicht mehr hat.
Gefällt mir auch sehr! Da habe ich sofort ein Bild vor Augen.
Was die ursprüngliche Farbe dieser Wand war[,] kann aber ohnehin niemand mehr sagen[, kein Komma] weil[,] wenn der väterliche Nebel die Wand nicht verschwinden lässt, er sie mit seinem satt-nikotin-gelbem [satt nikotingelben] Schleier schmückt.

Diese Momente der Klarheit hat mein Vater nur zugelassen, wenn [er] außer Haus war und es Mama damit gestattet war das Haus zu lüften.

Ich war auf ärztlichen Rat irgendwann nur noch selten Zuhause [zu Hause,] wenn mein Vater da war.

Das sei ganz normal, höre ich sie [ihn, du sprichst von dem Arzt] noch immer sagen, mehr zu sich selbst als zu mir.

Wissen Raucher eigentlich nicht das[, dass] Rauchen tödlich ist?
Die Zeit hat es meinem Vater gezeigt, also[,] sie hat es versucht.

Als ich 14[wieso nicht vierzehn?] war[,] hat er aufgehört zu rauchen.

Vielleicht steckt hinter allem Rauchen die Gewissheit, dass es tödlich ist; mehr Todeswunsch als Unwissenheit.
Ja, vielleicht ist das so und vielleicht gilt das nicht nur fürs Rauchen!
Rituale ungeahnter Sorgfalt vor den Routine-Untersuchungen [Routineuntersuchungen] durchgeführt.
Dass eine solche anstand[,] konnte ich daran erkennen, dass die Spedition wieder Mengen an Weichspüler und Mundspülung lieferten, die den Jahresverbrauch von Luxemburg decken konnten.
Das mit dem Jahresverbrauch kannst du dir sparen. Deine Geschichte braucht keinen humoristischen Einschlag.

Hätte er nur noch daran ziehen können, hätte sie ihm die Zigaretten angezündet und gehalten.
Auch sehr stark.
Seit ich 10 war, war ich darauf vorbereitet, dass mich statt einer warmen Mahlzeit, Naja [naja], ein Trauerfall Zuhause [zu Hause] erwartet.
Zwei Meter und Fünfhundertzweiunddreißig[fünfhundertzweiunddreißig] langweilige Worte später bin ich wieder allein. Aber ich bin anders allein[,] als ich es früher war. Wie stopft man dieses Loch, fragte ich mich[,] und füllte meine Lunge mit warmem Qualm.

Hat mir gut gefallen! Da kommt eine Stimmung auf und du schaffst Bilder. Was eine Kurzgeschichte halt ausmacht. Gern gelesen!

LG von der Joyce

 
Zuletzt bearbeitet:

Es freut mich sehr, dass sie dir gefallen hat.
Vielen Dank für die vielen Korrekturvorschläge!

Das sei ganz normal, höre ich sie [ihn, du sprichst von dem Arzt] noch immer sagen, mehr zu sich selbst als zu mir.
Das "sie" soll sich auf all die Menschen beziehen, die so reagieren wie der Arzt. In meinem Kopf hat diese Formulierung hervorragend funktioniert :D, aber ich kann nachvollziehen, dass es für den Leser verwirrend ist.

 

Warum rauchen Menschen?

Weil es entspannend ist. Weil Tabak schmeckt. Weil es ein soziales Ritual ist.
Ich rauche Pfeife und Zigarre.
Das ist keine Geschichte, sondern bestenfalls ein Blogtext, eine Anekdote. Was wird mir hier erzählt? Das Raucher auch an Lungenkrebs sterben können?

Gruss, Jimmy

 

Weil es entspannend ist. Weil Tabak schmeckt. Weil es ein soziales Ritual ist.
Ich rauche Pfeife und Zigarre.
Das ist keine Geschichte, sondern bestenfalls ein Blogtext, eine Anekdote. Was wird mir hier erzählt? Das Raucher auch an Lungenkrebs sterben können?

Mit dem Thema Rauchen hab ich dich anscheinend auf dem falschen Fuß erwischt.

 

Wissen Raucher eigentlich nicht, dass Rauchen tödlich ist?,
scheint mir keine sonders kluge Frage zu sein.
Sie will verdrängen, dass verrät Dir übrigens ein Nichtraucher, dass das Leben i. d. R. „tödlich“ ist und der Tod eigentlich die Regel (schau einfach mal in die nähere Umgebung der Erde).

Aber wo steckt der Humor, den Du angibst? Dass Du den Vater „Vater“ nennst und die Mutter wie kindlich vertraut „Mama“ wäre ein trauriger Humor. Der ist nämlich mehr als nur ein „wenn man trotzdem lacht“. Im gelingenden Fall ist es die kürzeste Verbindung zweier Seelen (hierorts: Autor und Leser, und allgemeiner im Alltag der wechselseitige Umgang vom einen mit dem/den andern und für jeden einzelnen ein mehr oder weniger entspanntes Vergnügen, das sich von der Spannung eines nicht vorhersehbarem Ereignisses durch „befreiendes“ Lachen äußert, der kleine „Partner“, besser, der kleine Widerpart des Icherzählers will halt nur spielen, eben auf seine Art. Und seit dem ollen, eigentlich nur (bier)ernst bekannten Schiller wissen wir ja aus den ästhetischen Briefen, dass der Mensch nur im Spiel frei ist (daselbst, 2. Brief).

Im mündlichen Vortrag vor Verwandten, Freunden und Bekannten mag die „Erzählung“ durchgehn. Das gesprochene Wort ist flüchtig, kaum der Zunge entronnen flieht es zum einen Ohr rein und zum andern wieder raus. In Schriftform festgehalten und gefangen zeigt sich jede Schwäche und die erste ist, den Vater „Vater“ und Mutter, als wäre man noch ein Kind, „Mama“ zu nennen. Und da wird intimstes als Vermutung breitgetreten

Vielleicht war es für meinen Vater eher … die Tatsache, dass er Mama durch die Nebelschwaden nicht mehr sehen musste.

Warum zeichnstu in der Nennung „Vater“ als Autorität und im gleich Atemzug als Arsch, der die ihm angetraute, alternativ anvertraute Frau nicht mal mit dem Arsch anschauen will?

Da hättestu ein Thema.
Aber das wir sterblich sind … Kalter Kaffee!,

lieber P4ulus -
und doch gleichwohl erst einmal herzlich willkommen hierorts!

Trivialeres

Diese Momente der Klarheit hat mein Vater nur zugelassen, wenn er außer Haus war und es Mama damit gestattet warKomma das Haus zu lüften.
(Der Relativsatz wird m. W. schon in den ersten Schuljahren gelehrt ...)

So konnte ich immer schon von weitem sehen, …
„von Weitem“, „weit“ substantiviert, kommt in der Kombination „vom Weiten“ besser durch – eigentlich ein „von + dem“ Weiten

Ich war auf ärztlichen Rat irgendwann nur noch selten zu HauseKOMMA wenn mein Vater da war.
Seit ich zehn war, war ich darauf vorbereitet, dass mich statt einer warmen Mahlzeit, Naja, ein Trauerfall zu Hause erwartet.
Zunächst die Frage: Warum „naja“ mit Majuskel? Und warum überhaupt die Floskel? Und warum geht die Vergangenheit nahtlos in die Gegenwart über?

Hoppela, plötzlich ist der Icherzähler erwachsen und Mutter nicht mehr Mama … und die Trauergemeinde offensichtlich eine eher überflüssige Erscheinung

Ich tröstete meine Mutter und kümmerte mich um all die Personen, die sich für wichtig genug hielten, meine Zeit mit ihren Beileidsbekundungen zu verschwenden.
Wie überhaupt die Zeitenfolge ein Problem bleibt
Zwei Meter und fünfhundertzweiunddreißig langweilige Worte später bin ich wieder allein. Aber ich bin anders allein, als ich es früher war. Wie stopft man dieses Loch, fragte ich mich, und füllte meine Lunge mit warmem Qualm.

Wie dem auch wird,
's ist noch keinMeister vom Himmel gefallen. Was hätte der auch davon, außer einem gebrochenen Genick.

Kurz: Wird schon werden, meint der

Friedel

 

lieber Friedrichard,

Wissen Raucher eigentlich nicht, dass Rauchen tödlich ist?,
ist eine naive Frage und ebenso wie
Warum rauchen Menschen?
absichtlich wenig reflektiert.
Meine Idee dahinter war es, die Entwicklung des Prot aufzuzeigen. Von Unverständnis am Anfang, bis zum Schluss, wo er selbst zu Rauchen beginnt und die versprochene Tödlichkeit des Unterfangens dankend annimmt.
Warum zeichnstu in der Nennung „Vater“ als Autorität und im gleich Atemzug als Arsch, der die ihm angetraute, alternativ anvertraute Frau nicht mal mit dem Arsch anschauen will?

Da hättestu ein Thema.

Die unsympathische Figur des Vaters soll der Tatsache, dass er selbst beginnt zu Rauchen, einen melancholischeren Beigeschmack geben

Kommt das alles so beim Leser an?

Ich hab übrigens überhaupt nichts gegen Rauchen und noch weniger gegen Raucher. :)

 

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