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Regentropfen

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06.02.2004
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Regentropfen

Das Geräusch der Regentropfen, die gegen die Fensterscheibe trommeln, ist laut und durchdringend. Wie Kanonenkugeln gegen eine Mauer, so knallen sie gegen das Glas und zerspringen zu kleinen Sturzbächen, die schnell nach unten aufs Fensterbrett und in die Vergessenheit fließen.
Arthur steht in dem kleinen Zimmerchen, in dem er wohnt und beobachtet die Regentropfen. Kaum, dass er dabei atmet, so gebannt starrt er diese Invasion des Himmels an. Und wartet. Aber das Warten ist längst Teil seines Lebens geworden. Manchmal vergisst Arthur, worauf er eigentlich wartet und dann redet er sich ein, er warte auf seine Tochter, deren Besuche bei ihrem alten Vater immer seltener werden und die auch keine besonderen Gefühle für ihn hegt.
Doch es ist nicht Arthurs Tochter, auf die er wartet und es ist auch nicht der freundliche Briefträger, dem es immer sehr Leid tut, dass er Arthur nie private Briefe mitbringt. Ebenso wenig ist es die nette, junge Nachbarin von unten, die für Arthur miteinkauft, wenn ihm sein Ischias zu sehr zu schaffen macht.
Arthur wartet auf etwas ganz anderes, auf etwas, das vielleicht nie eintreffen wird und nur wenigen Menschen in ihrem Leben vergönnt ist. Manche nennen es Glück, andere Zufriedenheit und oft wird es gar zum Sinn des Lebens erhoben.
All diese Worte bedeuten Arthur nichts. Das, worauf er wartet, lässt sich nicht mit Worten beschreiben, es ist einfach DA – oder auch nicht.
Arthur seufzt, zieht seine alten Gummistiefel an und greift zu seinem Regenmantel. Eigentlich hat er keine Lust auf einen Spaziergang, aber was macht das alles schon. Arthur hat zu nichts mehr Lust.
Draußen sind nicht viele Menschen unterwegs und die, die es doch sind, haben alle einen dringenden Grund dafür. Sie hetzen mit gesenkten Köpfen an Arthur vorbei, ohne ihn richtig wahrzunehmen. Autos schlängeln sich durch die Straßen und spritzen Arthur voll mit Schlamm und Wasser.
Und beständig ist das Geräusch der Regentropfen zu hören, die wie unzählige kalte, nasse Nadeln auf alles niederprasseln: Auf die Hausdächer, auf die Autos, auf die Menschen, auf die Straße, auf Arthur.
Arthur steht allein vor einer roten Ampel. Die Regentropfen setzen sich an seiner dicken Brille fest, nehmen ihm die Sicht. Und Arthur ist dankbar dafür. So muss er es nicht ertragen, diese graue und schreckliche Stadt noch einmal zu sehen, diese Stadt, die er schon seit so vielen Jahren anzuschauen gezwungen ist. Die Regentropfen haben Mitleid mit ihm.
Ein leises Lächeln schleicht sich in Arthurs Gesicht. Er ist am Ende seiner Suche angelangt. Ein Gefühl durchdringt seinen ganzen Körper, ein Gefühl, das andere vielleicht als „Glück“ oder „Zufriedenheit“ bezeichnet hätten, doch all diese Worte bedeuten Arthur nichts. Wichtig ist nur, dass dieses Gefühl DA ist.
Zitternd fängt Arthur an zu laufen, genießt die innere Wärme, die ihn durchdringt. Und bemerkt nicht mehr den Lastwagen, dessen Fahrer verzweifelt hupend und auf die Bremse tretend versucht, den unvermeidlichen Zusammenstoß noch irgendwie zu verhindern.
Doch dafür ist es längst zu spät. Arthurs rotes Blut spritzt gerade in dem Moment auf den grauen Asphalt, als die Fußgängerampel wieder grün wird. Sein letzter Gedanke gilt all den Menschen, die durchs Leben hetzen, ohne die Schönheit der Regentropfen zu erkennen.
Die Regentropfen fallen auf Arthurs Leiche wie die kühlen Blütenblätter einer wunderschönen, farblosen Blume. Wenn jemand sich die Zeit nähme, könnte er hören, wie sie leise flüsternd versuchen, den Menschen Trost zu spenden.
Doch die Menschen hetzen weiter durchs Leben, ohne die Schönheit der Regentropfen zu erkennen.

 

Hallo Traumtänzerin!
Willkommen auf kg.de!
Es ist eine schöne Geschichte, die du als Einstand postest! Mir hat die Melancholie, die diesen Text durchfliesst, gut gefallen. Inhalt und Sprache bilden meiner Meinung nach ein harmonisches Miteinander, hat mir gefallen!
Besonders schöne Passagen fand ich:

Aber das Warten ist längst Teil seines Lebens geworden.

All diese Worte bedeuten Arthur nichts. Das, worauf er wartet, lässt sich nicht mit Worten beschreiben, es ist einfach DA – oder auch nicht.

Die Regentropen fallen auf Arthurs Leiche wie die kühlen Blütenblätter einer wunderschönen, farblosen Blume. Wenn jemand sich die Zeit nähme, könnte er hören, wie sie leise flüsternd versuchen, den Menschen Trost zu spenden.
Doch die Menschen hetzen weiter durchs Leben, ohne die Schönheit der Regentropfen zu erkennen.

Weniger gefallen hat mir der folgende Satz:
Manche nennen es Glück, andere Zufriedenheit und oft wird es gar zum Sinn des Lebens erhoben.
Es scheint mir - im Gegensatz zum Rest des Textes - besserwisserisch, so als wäre der Leser ein Kind, dem du beibringen wolltest, wie es ist. Dabei ist der Inhalt des Satzes interessant!

Ich habe deine Geschichte gerne gelesen!

Liebe Grüsse,
Marana

 

Hallo Traumtänzerin,

willkommen auf KGde.

Wehmütig ist deine Geschichte und doch so lebensnah.
Ein alter Mensch. Nutzlos geworden in einer Gesellschaft voller Hektik und Selbstsucht. Man sieht ihn nicht mehr und er will nicht mehr seh`n.
Er findet sein "Gefühl" im Tod und ich wage zu behaupten, noch viel mehr darüber hinaus.

Es freut mich, dass ein junger Mensch wie du, sich in die Seelenqualen eines "Alten" versetzen kann.
Ein Hoffnungsschimmer für die Auferstehung der Nächstenliebe?

Freue mich schon auf deine nächste KG.

lg. coleratio

 

Danke, ihr beiden! Freut mich, dass euch meine Geschichte gefällt.
Bis ihr die nächste lesen könnt, kann es noch eine Weile dauern, ich bin nämlich normalerweise nicht sonderlich kreativ...

 

Kaum, dass er dabei atmet,
Mir fällt zwar keine bessere Formulierung ein, aber die hier ist unschön, wenn nicht sogar falsch
dem es immer sehr leid tut
Leid groß
die mit für Arthur einkauft,
entweder mit ganz weg oder aber nach Arthur und dann: miteinkauft
Arthurs rotes Blut

Ist Blut nicht gelb? Da es kaum eine beabsichtigte Tautologie gewesen sein kann, weg mit "rotes". Der Gegensatz zu grün reicht als Erklärung nicht wirklich
Hi Traumtänzerin,
so, acuh die zweite ist jetzt kommentiert :)
Lässt sich mit einem Wort zusammenfassen: Schön.
Man könnte auch mehr darüber sagen: Guter, sehr guter Sxchreibstil, einfühlsam, usw. Alles top.
Was will man mehr?
Euer Regentserk

 

Danke fürs Wiederentdecken, Tserk, auch wenn ich lange gebraucht habe, um überhaupt zu bemerken, dass du etwas zu meiner Geschichte geschrieben hast.
Beim "roten Blut" will ich trotzdem bleiben, auch wenn du sagst, dass der Gegensatz zu grün nicht als Erklärung ausreicht. Als ich die Geschichte geschrieben habe, war mir genau dieser Gegensatz wichtig, also lasse ich das auch erstmal so, ja? Ich weiß, das ist kein guter Grund. ;)
Die anderen Formulierungen bessere ich gleich aus, nur fällt mir für "Kaum, dass er dabei atmet" gerade nichts ein.
Danke für das Lob. :)
Ich bin immer noch ganz geschockt, dass sich nach so langer Zeit wieder jemand für meine Geschichten interessiert, das ist nett.
Hoffentlich schaffe ich es irgendwann mal wieder, etwas halbwegs Brauchbares zu schreiben.

 

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