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RELICTAE - Zurückgelassen

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14.04.2010
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RELICTAE - Zurückgelassen

Wer bin ich?
Keine Ahnung.
Bin ich tot?
Nein.
Ich fühle Schmerzen, also muss ich am Leben sein.
Wo bin ich?
Ich liege auf hartem, unbequemem Untergrund. Meine gebundenen Handgelenke sind aufgescheuert. Ich fühle das kratzige Brennen von grobem Hanfseil. Auch an meinen Fussknöcheln.
Meine Arme sind am Rücken zusammengebunden und ich fühle das dumpfe Pochen des Herzschlages in meinen Schultern.
Ausgekugelt?
Ich versuche mich zu drehen, schaffe es aber nicht. Es tut weh. Ein Stöhnen entfleucht meiner Kehle. Schmerzerfüllt.
Alle Kraft muss ich zusammennehmen, um mich aufzurichten. Ich beisse krampfhaft auf meine Zähne und spüre wie ein Backenzahn splittert. Verdammt!
Sitze ich schon aufrecht? Ich versuche meine Augen zu öffnen. Zuerst ist alles schwarz, dann sehe ich Umrisse. Senkrechte, vertikale Umrisse. Über ein Dutzend, direkt vor mir. Hinter den Umrissen ein winziger Schimmer Licht in weiter Ferne.
Gitterstäbe?
Eine Zelle.
Ich bin eingeschlossen.
Wer hat mich eingesperrt? Und weswegen?
Ich kann es nicht sagen.
Ich versuche aufzustehen, doch mit zusammengebundenen Knöcheln verliere ich das Gleichgewicht und stürze nach hinten zu Boden. Ein weisser Blitz schiesst über meine Augen, als ich mir den Hinterkopf stosse, und meine Schultern schmerzen, wie wenn mir jemand mit einem glühenden Schürhaken die Gelenke zerdrückt.
Ich muss meine Schultern einkugeln, sage ich mir und schleppe mich auf die Knie. Ich krieche kniend zu einer der Wände hin, dass ich die vorstehenden Steine mit meinen Händen erreiche. Auf Höhe meiner Schulterblätter fasse ich einen der Steine beidhändig. Ich neige meinen Oberkörper nach hinten, den Stein fest umklammernd, die Arme gestreckt und sinke tiefer und immer tiefer. Bevor meine Ohren die Arme passieren, beisse ich auf die Lippen und wappne mich gegen die folgenden Schmerzen. Dann drücke ich weiter.
Ein lautes Knacken – mir scheint, ich habe noch nie ein lauteres Geräusch gehört – erfüllt die Zelle und ich erreiche meine Fersen mit den Schulterblättern.
Ich sinke zur Seite und keuche, atme mit dem Mund, und schliesslich mit der Nase. Auf der Zunge schmecke ich den eisernen Geschmack von Blut und spüre den Abdruck meiner Schneidezähne auf der Unterlippe.

Ich muss lange so gelegen haben, erfreut darüber, meine Hände vor mir statt hinter meinem Rücken zu haben. Es bedeutet, dass ich einen Teil meiner Handlungsfreiheit zurückgewonnen habe.
Endlich kann ich meinen Körper nach Verletzungen abtasten. Neben den eingekugelten Schultern und den Schürfungen an Hand- und Fussgelenken erspüre ich Wunden, Narben, Striemen. Ich erinnere mich grösstenteils an ihren Ursprung. Stöcke, Peitschen, Neunschwänzige Katzen, scharfe, häufig weissglühende Messer- und Dolchklingen.
Wer hat mir das angetan?
Ich erinnere mich in wirren Fragmenten an Gelächter, schadenfrohe Gesichter, offene Lustbekundungen; an ausdruckslose, gleichgültige Mienen mit einem dämonischen, irren Leuchten in den Augen.
Die Schlimmsten sind jedoch diejenigen, die ihre Augen verschliessen, ihren Blick abwenden – und abseits stehend die Arme verschränken.
Die Nackenhaare stellen sich mir auf. Ich schaudere. Womit habe ich das verdient? Was habe ich getan?
Ich blicke mich um, suche nach spitzen oder scharfen Gegenständen, womit ich mich von meinen Fesseln befreien kann. In der einen Ecke liegt modriges Stroh, daneben ein verfaultes Stück Brot und eine metallene Schüssel. Leer. Schade.
An der einen Wand sehe ich Schriftzeichen, eingeritzt durch Steine. Einige jedoch so schwach, dass sie von Fingernägeln stammen könnten.
Ich versuche sie zu lesen. Die Buchstaben sind mir vertraut, die Worte bekannt. Die längste Inschrift sticht mir ins Auge.
„MORITURAE SUNT JUSTITIA ET VERITAS“. Dem Tode geweiht sind Gerechtigkeit und Wahrheit. Was das wohl bedeutet?
Ich finde den Stein, der möglicherweise als Schreibwerkzeug verwendet worden ist und sehe, dass dessen Kante genügend scharf ist, um meine Fesseln zu durchtrennen. Allerdings ist es nicht einfach, wenn ich die Hände nicht frei habe. Ich nehme den Stein zwischen die Zähne. Aber nachdem ich mir vermehrt mit dem Handrücken die Nase gestossen habe, ändere ich meine Haltung. Ich spucke ihn aus, klemme ihn zwischen meine nackten Knie und beginne so daran zu schaben. Nach einer Weile beginnt die aufgescheuerte Haut an meinen Gelenken zu jucken und zu brennen, aber ich lasse mich nicht aufhalten. Auch dann nicht, wenn mir der Stein immer wieder zu Boden fällt.
Es mögen zehn Minuten, vielleicht gar eine Stunde vergangen sein – in steter Dunkelheit ist das schwer einzuschätzen – da habe ich es endlich geschafft. Voller Wonne schüttle ich meine Arme, geniesse das Kribbeln in den Fingerspitzen und reibe die geschundenen Handgelenke.
Ich wiederhole den Prozess an den Fesseln meiner Fussgelenke. Mit freien Händen geht es rascher.
Endlich kann ich aufstehen und mache ein paar unsichere Schritte.
Wie schwach ich bin, sage ich mir, verliere beinahe das Gleichgewicht. Ich sammle mich, dann versuche ich auf einem Bein zu balancieren, dann auf dem anderen, abwechselnd und immer länger, bis ich nicht mehr schwanke.
Währenddessen scheint sich das Loch in meinem Bauch vergrössert zu haben. Ich versuche mich abzulenken, indem ich zu den Gitterstangen gehe und den Lichtschimmer betrachte. Ich kann die Quelle nicht erkennen. Sie muss von jenseits des Ganges herkommen.
Der Abstand zwischen zwei Stangen ist eine Handbreite. Zu schmal um meinen Kopf hindurch zu stecken, aber ich versuche es trotzdem.
Die Stangen geben nach und schwingen wie ein Tor zur Seite. Die Zelle ist nicht verschlossen gewesen!

Vorsichtig spähe ich in beide Richtungen. Ausser kalten, feuchten Felswänden und dem leisen Echo meiner tapsenden Schritte sehe oder höre ich nichts, was auf die Gegenwart von Leben weist.
Oder doch?
Ein Stottern in weiter Ferne, oder ist es ein Schluchzen? Es kommt aus der Richtung des Lichtes.
Ich stehle mich schleichend aus meiner Zelle.
Es klingt wie ein erbärmliches Wimmern, dann ein dumpfer Schrei. Erschrocken mache ich einen Satz rückwärts.
Was ist das nur für ein Ort?
Nach einigen Metern komme ich an eine Biegung. Der Lichtschein dahinter wird immer stärker und ich höre, wie auch die Schluchzer immer lauter werden. Sie scheinen sich vervielfacht zu haben. Ihr Ursprung stammt von einem Raum jenseits der angelehnten Türe vor mir, wodurch Licht schimmert.
Mit gemischten Gefühlen öffne ich die Türe so behutsam es geht, aber nach wenigen Zentimetern beginnt sie zu knarren. Ich reisse sie auf.
Für einen Augenblick sehe ich nur Licht. Meine Augen haben sich so stark an die Dunkelheit gewöhnt, dass ich einige Sekunden brauche um sie auch nur einen Spalt weit öffnen zu können, ohne dass es schmerzt. Dabei ist ihr Licht nicht viel heller als das einer Öllampe.
Die Schluchzer sind verstummt. Bis auf ein unterschwelliges Ticken ist alles still.
„Ist da jemand?“, rufe ich, meine Stimme klingt rau und leise. Ich räuspere mich, um meine Stimmbänder zu entspannen „Ist da jemand?“. Der Schall meiner Frage scheint in der Weite des Raumes zu verhallen und zu verschwinden wie Rauch in der Luft.
Als Antwort erhalte ich ein kränkelndes Husten. Dann ein Keuchen. Von anderer Stelle aus setzt das Schluchzen wieder ein.
Ich wage den ersten Schritt über die Türschwelle und kann mit jedem Schritt mehr erkennen. Das schwache Licht muss von einer Quelle ausgehen, die sich weit oben irgendwo an der Kuppeldecke befindet. Ich erkenne zwei Silhouetten, die aussehen wie Tische, denen auf der mir abgewandten Seite die Beine fehlen. Der linke ist in der Mitte gespalten und darunter befindet sich nicht näher erkennbarer Unrat. Dann erblicke ich mir gegenüber eine weitere Holztüre, ganz ähnlich der, unter dessen Schwelle ich gerade stehe. Sie ist zugesperrt. Ich frage mich, ob sie nach draussen führt.
„Töte mich“, sagt eine Stimme so leise, aber durchdringend, dass ich glaube, sie spricht in meinem Kopf.
Ich erschrecke, wende meinen Blick auf zum Tisch zu meiner Rechten. Bin ich nicht die einzige hier?, frage ich mich und gehe vorsichtig zum Tisch.
Auf halbem Weg erfüllt ein lautes Klacken den Raum, das aus der Richtung des linken Tisches stammt. Ihm folgt ein greller, markerschütternder Schrei, der mir das Blut gefrieren lässt. Derselbe Schrei wie zuvor.
Dann bricht er ab und geht über in ein erschöpftes und wimmerndes Keuchen.
Ich halte ein und will mich nach links bewegen, da höre ich von rechts den Befehl, diesen absurden Wunsch, erneut: „Töte mich“.
Hin und her gerissen blicke ich vom einen Tisch zum anderen. Was geschieht hier? Da fällt der Groschen. Streckbänke!
Ich eile zur Streckbank, die ich mir als erstes ansehen wollte. Die Holzplatte ist alt und zeugt von regem Gebrauch. Ich sehe Kerben, Splitter, die Löcher von eingeschlagenen Nägeln und Pfählen und eingetrocknetes Blut auf dem Boden und der Bank. Darauf ist eine Frau geschnürt und zu meiner Bestürzung besitzt sie weder Arme noch Beine. Dort wo ihre Schulter- und Hüftgelenke sind, gibt es ausschliesslich schlecht verheilte und eiternde Wunden.
„Was … was haben sie mit dir gemacht?“, frage ich und muss mich am Rand des Tisches abstützen, als mir die Abscheu einer solchen Misshandlung in den Hals steigt und mir weiche Knie beschert. „Das ist ja schrecklich!“
Die Frau folgt mit milchig trüben Augen mir und meiner Stimme. Dann höre ich die Worte über ihre Lippen rollen. „Töte mich“. Ihre Stimme klingt fester.
„Ich … ich kann nicht“.
„Bitte“, setzt sie flehend nach.
„Aber … wer bist du“.
„Justine“, sagt die Frau.
„Justine … Hör zu, Justine. Wenn ich deine Wunden säubere, dann könntest du überleben“.
„Ich …“. Sie hustet, was für sie eine unglaubliche Anstrengung ist. „ kann nicht … mehr“. Ihre Atmung erhöht sich und sie beginnt zu keuchen. Sie droht zu ersticken, wenn sie sich nicht unter Kontrolle bringt.
„Ich kann dich vielleicht retten, wenn du es zulässt“.
Sie hustet erneut, diesmal rinnt ihr Speichel und Blut aus dem Mundwinkel. Doch zu meiner Verwunderung zwingt sie sich zu einem Lächeln.
„…“ Ihre Stimme ist so schwach, dass ich mich zu ihr hinabneigen muss, um zu verstehen.
Die Hoffnung … stirbt … zu…letzt “. Die letzte Silbe ist nur noch ein Raunen. „hilf … Vera “. Ihr Mund bleibt offen und der Kopf neigt sich zur Seite. Ihre Brust hebt sich nicht mehr.
„Justine“, murmele ich, „Wer auch immer dir das angetan hat, wird dafür büssen“.
Ich kann mich nicht zurückhalten und vergiesse das wenige kostbare Wasser meines Körpers in Form von Tränen. Niemandem sollte ein solch schmerzhaftes Schicksal widerfahren. Dagegen wirken meine ausgekugelten Schultern, die Narben und blauen Flecken direkt lächerlich.

Am Rande meines Bewusstseins vernehme ich das metallene Klacken, das ich zuvor schon mehrmals gehört habe. Doch erst beim folgenden Schrei begreife ich und zucke erschrocken zusammen. Wie konnte ich das vergessen?
So schnell es mir trotz meiner Schwäche möglich ist, eile ich zum anderen Tisch.
Eine weitere Frau, Vera, laut Justine, liegt auf einer Streckbank. Ihr ganzer Körper ist mit breiten Lederriemen auf den beiden Holzplatten festgezurrt und auf ungesunde Art und Weise in die Länge gezogen. Ihre gestreckten Arme und Beine sind zum Zerreissen gespannt.
An der Seite der Bank befindet sich ein gusseisernes Zahnrad auf einer fein gerillten Schiene. Es scheint die beiden Bankplatten auseinanderzuschieben.
„Ich werde dir helfen, Vera“, sage ich und stemme mich gegen das Rad, um den Plattenabstand zu verringern, aber ich komme mit meiner verbleibenden Kraft nicht dagegen an. Es ist wie fest montiert.
In meiner Verzweiflung habe ich das rhythmische Klicken und Klacken von unter der Streckbank nicht vernommen. Das was ich zuvor für Unrat gehalten habe, erweist sich nun als eine komplizierte Mechanik von Gestänge und Zahnrädern.
ch folge mit den Augen der Verbindung des Zahnrades mit dem übrigen Räderwerk unter der Streckbank. Ich gehe in die Hocke und sehe, wie es tief in den Boden eingearbeitet ist. Es bewegt sich langsam, unaufhaltsam – wie ein Uhrwerk.
Ich sehe nicht, wo ich den Rhythmus unterbrechen kann. Es scheint sich alles gleichzeitig zu bewegen. Im selben Moment wie ich kniend hinab schaue, vernehme ich das laute Klacken von zuvor und höre Veras Schrei in meinem Kopf, noch bevor sie ihn ausstösst.
„Tut-mir-Leid! Tut-mir-Leid! Tut-mir-Leid!“, sage ich verzweifelt und möchte ihr die Schmerzen lindern. Doch ich getraue mich nicht, sie anzufassen, befürchte, dass der Druck meines Fingers zu viel der Spannung sein könnte. „Ich … ich weiss nicht, wie ich die Zahnräder aufhalten kann“.
Mit gequälter Miene schaut sie mich an. Einzig ihr Blick ist fest und klar.
„Du kannst mir – nicht mehr helf’n. – Ich bin schon – zu arg ’n die – Länge g’zog‘n – worden“. Jedes Wort ist eine Qual. Sie muss eine längere Pause einlegen, um Kraft zu schöpfen, während ich verzweifelt nach einem Knopf, einem Hebel suche. Irgendwas.
„Man hat mich –ausgeweitet“, fährt sie fort, „und überstrapa- – ziert. – Ich bin nicht mehr – ich selbst“.
„Nein. Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben“, sage ich und suche unter der Bank nach einem wichtigen Zahnrad, das ich blockieren kann oder nach etwas, womit ich das Zahnrad blockieren kann.
„Lass gut sein“, sagt die Frau. „Schau besser – zu dir selbst“.
„Aber…“
„Tu, was ich sag‘, – mein Körper – hält’s nicht mehr – lang aus. – Ich will nicht, – dass dir das – mit ansehen – musst“.
„Ich kann doch nicht…“
„Doch, – du kannst. – Geh. – Und schau nicht – zurück!“.
„Ich könnte dir vielleicht helfen“.
„Nein!“ Sie lächelt – wie Justine. „Die Hoffnung stirbt –“ *Klack* ein Schrei, „ZULEEEE…“
Dann ist sie mitten im Wort verstummt. Ihr Körper hat der Zugkraft der Streckbank nicht mehr standhalten können. In der Mitte auseinandergerissen, wie ein überdehntes Gummiband.
Ich kann nicht anders, als in mich zusammenzufallen. Mein Körper vermag mein Gewicht und die Last meiner Machtlosigkeit nicht mehr tragen. Ich mache mir nicht die Mühe, ihr Blut von meinem Gesicht zu wischen.

Als ich den Kuppelraum hinter mir lasse, quält mich der Gedanke an die letzten Worte von Justine und Vera. Was haben die beiden mit der Hoffnung gemeint?
Für sie gibt es keine mehr, mache ich mir bewusst und ein Stich geht mir durchs Herz wie ein rostiger Nagel.
Ich erinnere mich an die Schriftzeichen in meiner Zelle. „MORITURAE SUNT JUSTITIA ET VERITAS”. Kann es das sein?
Gibt es keine Gerechtigkeit mehr? Hat die Wahrheit ausgedient?
Und was ist mit mir? Gibt es noch Hoffnung?
Ich schliesse die Tür hinter mir und entdecke an der Rückseite eine ins Holz eingebrannte Inschrift. „RELICTAE“ steht darauf. Die Zurückgelassenen.
Ja, ich musste sie zurücklassen, aber wer hat uns zurückgelassen?

~ Dani Vega, 2.11.2009; 2. Fassung: 15.4.2010

 

Salve Vega und herzlich willkommen auf KG.de,

es fällt mir nicht leicht, etwas zu dem Text zu sagen.
Einerseits ist er sauber und ordentlich geschrieben, irgendwo fehlt einem "Ich" das I, nur finde ich das spontan nicht mehr - und jenseits des Ganges ist wohl nicht das Jenseits, also gehört ein kleines j hin.

Außerdem gibst Du Dir redlich Mühe (das meine ich jetzt nicht so gemein, wie es klingt), dem Leser die Foltergruft plastisch vor Augen zu stellen. Keine Ahnung, ob es da wirklich so ausgesehen hat, dazu mögen sich Kundigere äußern.

An manchen Stellen habe ich mich gefragt, ob das eine oder andere medizinisch bzw anatomisch so möglich ist - sich Schultern selbst wieder einkugeln, die Hände hinterm Rücken unter den Fersen durchführen, und dergleichen. Dass eine Streckbankmechanik es schafft, einen Körper in der Mitte durchzureißen, bezweifle ich. Zumindest wird die Person lange vorher sterben, weil die Blutgefäße in den großen Gelenken reißen und man verblutet, oder weil die Lunge nicht mehr mitmacht oder es zu einem Herzinfarkt kommt.
Klar, kannst Du sagen, das juckt nicht, schließlich personifizierst Du auch Wahrheit, Gerechtigkeit und Hoffnung. MMn tut eine gerüttelte Dosis Plausibilität einer Geschichte jedoch immer gut, dass der Leser sich nicht an irgendeinem Detail aufhängt und denkt: "Mein Gott, wie lächerlich!" - das kann kein Autor wollen.

Mein Haptkritikpunkt ist aber der, dass Deine Geschichte nicht über sich hinausweist. Da gibt es eine Szene im Folterkeller, zwei Damen sterben, bums fertig aus.
Allegorien brauchen einen Rahmen: warum, durch wen, unter welchen Umständen werden die Tugenden nicht nur getötet, sondern qualvoll gemeuchelt? Die Ebner-Eschenbach hat dazu ein paar Texte produziert, die man sich durchaus vorbildhaft zu Gemüte führen kann.

Oder Du lässt die personifizierten Begriffe in verschiedenen Situationen und Settings agieren, so dass für den Leser deutlich wird, was für Dich Wahrheit, Gerechtigkeit und Hoffnung sind.

Auch das "relictae" ist erklärungs- bzw durch Erzählen erläuterungsbedürftig. Auf dem Weg wohin hat die Menschheit diese drei Eigenschaften zurückgelassen? Warum wurden sie als hinderlich angesehen? Und nochmals, warum hat man sie nicht einfach nur weggesperrt, sondern zu Tode gequält?

Das alles soll nicht heißen, dass es ein schlechter Text wäre, nur eben ein überarbeitungsbedürftiger. Aber das macht nichts, das Überarbeiten nimmt oft eh die meiste Zeit in Anspruch ;).

Auf jeden Fall noch einmal herzlich willkommen, und ich freue mich schon auf mehr von Dir.

LG, Pardus

 

Hi Pardus,

Danke für deinen Willkommensgruss und den konstruktiven Kommentar!
Dafür, dass es dir nicht leicht fiel, etwas über den Text zu sagen, hast du mir doch einige Denkanstösse geben können :)

Pardus schrieb:
… irgendwo fehlt einem "Ich" das I, nur finde ich das spontan nicht mehr - und jenseits des Ganges ist wohl nicht das Jenseits, also gehört ein kleines j hin.
Das mit dem „Ich“ habe ich jetzt auf die Schnelle nicht gefunden. Word zeigt mir auch nichts dergleichen an. Ich les mir den Text evtl. nochmals ausgedruckt durch, aber Flüchtigkeitsfehler am eigenen Text zu finden ist immer schwierig :)
Das mit dem Jenseits war natürlich keine Absicht. Wird umgehend korrigiert.


Pardus schrieb:
An manchen Stellen habe ich mich gefragt, ob das eine oder andere medizinisch bzw anatomisch so möglich ist - sich Schultern selbst wieder einkugeln, die Hände hinterm Rücken unter den Fersen durchführen, und dergleichen.
Zugegeben, das weiss ich nicht. Ich erinnerte mich an eine Szene aus dem Film „Pitch Black“, wo sich Vin Diesel sich von seinen Fesseln befreit, indem er in umgekehrter Richtung (also zusammengebundene Arme nach oben über den Kopf) dreht, seine Schulter auskugelt und wieder einkugelt, damit er sich besser mit den Fesseln befassen kann.
Ich hatte beim Schreiben nicht konkret daran gedacht, aber jetzt im Nachhinein denke ich, dass die Idee daraus stammte. Und wenn es in eine Richtung geht, geht es auch in die andere.
Aber wie du sagst, das könnte man abklären.

Pardus schrieb:
Dass eine Streckbankmechanik es schafft, einen Körper in der Mitte durchzureißen, bezweifle ich. Zumindest wird die Person lange vorher sterben, weil die Blutgefäße in den großen Gelenken reißen und man verblutet, oder weil die Lunge nicht mehr mitmacht oder es zu einem Herzinfarkt kommt.
Das wiederum habe ich mir nicht überlegt. Ich könnte das Auseinanderreissen einfach weglassen und eine von deinen Möglichkeiten anwenden; das würde der von mir beabsichtigten Idee nicht widersprechen.

Pardus schrieb:
Klar, kannst Du sagen, das juckt nicht, schließlich personifizierst Du auch Wahrheit, Gerechtigkeit und Hoffnung. MMn tut eine gerüttelte Dosis Plausibilität einer Geschichte jedoch immer gut, dass der Leser sich nicht an irgendeinem Detail aufhängt und denkt: "Mein Gott, wie lächerlich!" - das kann kein Autor wollen.
Ja, stimme dir zu.
Schön, dass dir die Personifikationen klar geworden sind. Vor und bei der ersten Fassung hatte ich den Eindruck, es wird dem Leser zu wenig klar. Jetzt war es vielleicht schon zuviel des Guten.

Pardus schrieb:
Mein Haptkritikpunkt ist aber der, dass Deine Geschichte nicht über sich hinausweist. Da gibt es eine Szene im Folterkeller, zwei Damen sterben, bums fertig aus.
Allegorien brauchen einen Rahmen: warum, durch wen, unter welchen Umständen werden die Tugenden nicht nur getötet, sondern qualvoll gemeuchelt? Die Ebner-Eschenbach hat dazu ein paar Texte produziert, die man sich durchaus vorbildhaft zu Gemüte führen kann.
Allegorien brauchen einen Rahmen. Natürlich! Der Rahmen bestünde mehr oder weniger, aber eben nur in meinem Kopf. Die Grundidee war, dass Gerechtigkeit und Wahrheit grundsätzlich von ALLEN misshandelt und auf grausame Weise umgebracht werden. Aber ich seh‘ schon, dazu muss ich die Allegorie irgendwo verorten. Sonst steht sie so – wie wir Schweizer sagen würden – „wie bstellt und nid abgholt“.
Danke für den Hinweis … Darauf bin ich nicht von alleine gekommen.


Pardus schrieb:
Oder Du lässt die personifizierten Begriffe in verschiedenen Situationen und Settings agieren, so dass für den Leser deutlich wird, was für Dich Wahrheit, Gerechtigkeit und Hoffnung sind.
Das hatte ich eigentlich vor, aber das schien mir in diesem sehr begrenzten Feld nicht möglich. Ich müsste die Geschichte entweder früher einsetzen lassen oder länger weiterziehen. Oder komplett umkrempeln ;)

Pardus schrieb:
Auch das "relictae" ist erklärungs- bzw durch Erzählen erläuterungsbedürftig. Auf dem Weg wohin hat die Menschheit diese drei Eigenschaften zurückgelassen? Warum wurden sie als hinderlich angesehen? Und nochmals, warum hat man sie nicht einfach nur weggesperrt, sondern zu Tode gequält?
Das „RELICTAE“ kommt von daher, dass ich die Geschichte für einen Schreibwettbewerb geschrieben habe, der letzten Endes nicht realisiert wurde. Das Thema war „Relikt“ und ich habe mir die Freiheit genommen, es etwas weiter zu fassen.

Pardus schrieb:
Auf dem Weg wohin hat die Menschheit diese drei Eigenschaften zurückgelassen? Warum wurden sie als hinderlich angesehen? Und nochmals, warum hat man sie nicht einfach nur weggesperrt, sondern zu Tode gequält?
Das Problem, das diese Fragen aufwirft, liegt darin begründet, dass, wie du schon festgestellt hast, die Allegorie rahmenlos bleibt. Hätte sie einen Rahmen, könnten deine Fragen beantwortet werden.

Allerdings frage ich mich, ob ich wirklich am Text weiterfeilen soll, weil ich ziemlich basale Änderungen daran vornehmen müsste und ihn folglich fast komplett neu schreiben müsste. Oder ich lasse ihn einfach mal mit dem Vermerk „Rahmen fehlt“ ruhen und widme mich neuen Projekten.
Ich übe schliesslich noch ;)

Eine Frage hätte ich noch an dich … Wie ging es dir mit der Identifizierung des Lyrichs? Mir ist schon bemängelt worden, dass man über den ganzen Text hinweg gedacht habe, dass das Lyrich ein Mann und nicht eine Frau sei, und deshalb die Sache mit der Personifizierung nicht sofort rüberkam. Gab es einen Punkt, wo dir klar wurde „oh, das ist ja eine Frau“, oder war dir das schon zu Beginn klar, oder erst als du die drei Personen als Personifikationen erkannt hast?
Ich habe mir hin und her überlegt, wie ich das ganz zu Beginn einfügen könnte, ohne auf die Geschlechtsmerkmale des Lyrichs hinweisen zu müssen, fand aber keine befriedigende Lösung.

Jedenfalls danke ich dir für deine Kritik. Ich habe schon viel mehr von diesem Kommentar gelernt, als von vielen anderen in diversen anderen Foren.

Gruss Vega

 

Salve Vega,

hinsichtlich des Protagonisten hatte ich keinerlei Vorstellung wegen des Geschlechts. Aber Personifikationen agieren meist relativ geschlechtsneutral, auch wenn ihre körperliche Darstellung sexuell identifizierbar ist (meist folgend dem grammatikalischen Geschlecht, wie auch bei Dir).

Wenn Du Hoffnung von Anfang an deutlich als Frau identifizieren wölltest, tja, dann könntest Du en passant etwas über ein dezidiert weibliches Kleidungsstück, das sie trägt, oder ein entsprechendes Körperteil fallen lassen.

Ach ja,

Das was ich zuvor für Unrat gehalten habe, erweist sich nun als eine komplizierte Mechanik von Gestänge und Zahnrädern.
ch folge mit den Augen der Verbindung des Zahnrades
hier ist das "ch".
Die Grundidee war, dass Gerechtigkeit und Wahrheit grundsätzlich von ALLEN misshandelt und auf grausame Weise umgebracht werden.
Da stimme ich dir nicht zu - ich kenne sehr wohl etliche gerechtigkeits- und wahrheitsliebende Menschen, die das nicht vorsagen, sondern vorleben.
Und sogar, wenn Du diesen absoluten Pessimismus verbreiten willst, müsstest Du konkreter werden (je konkreter umso besser, zumindest in der Literatur): was bringt die Menschen dazu? Die Umstände? Die Mitmenschen? Weil sie im tiefsten Wesenskern böse sind?
Allerdings frage ich mich, ob ich wirklich am Text weiterfeilen soll, weil ich ziemlich basale Änderungen daran vornehmen müsste und ihn folglich fast komplett neu schreiben müsste.
Natürlich ist das Deine entscheidung und bedeutet einen großen Aufwand,doch ich meine, der würde lohnen. Nicht nur wegen dieser Geschichte, sondern um einmal prinzipiell einen Text vollkommen umgekrempelt zu haben. Das wird einem in der Schreiberkarriere immer wieder mal passieren, dassman ganze Handlungsstränge, Figuren oder Themen eliminieren will oder muss, bzw den text aus anderen Gründen völlig neu schreiben muss. Wer sich darin geübt hat und den Mut dazu aufbringt, kann viele Ideen retten. Wer nicht ... schmeißt halt viel auf den Müll.
Sonst steht sie so – wie wir Schweizer sagen würden – „wie bstellt und nid abgholt“.
Das ist ein netter Spruch - den kenn ich auch aus dem schwäbischen :).

LG und Shabbat Shalom,
Pardus

 
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Moikka Vega,

nach Deinem Komm zu einer anderen Geschichte war ich ganz neugierig, wie Du Geschichten schreibst und bin nicht enttäuscht.

Zum Titel: wenn mich mein altes Latein nicht im Stich läßt, ist relictae ein Substantiv im Nominativ plural. Falls ich mich nicht irre, würde ich es schöner finden, wenn Du den Dt Titel angleichen ließest: - Die Zurückgelassenen.

Eine sehr intensive Geschichte, hat mir grundsätzlich gut gefallen. Ich meine, die eine Frau hieße nicht umsonst Justine, oder? Die naive Unschuld, Tugend, die Figur bei de Sade, die sich nicht gegen Folter wehrt, weil sie auf ein gutes Ende, auf Rettung, auf zumindest (göttliche) Erlösung hofft. Die sich als Märtyrerin sieht, dabei aber eigentlich nur selbst zum Opfer macht, ihren Peinigern in die Hände spielt. Keine Verantwortung übernimmt.

Vera kann ich nicht zuordnen.

Bei dem/der Prot habe ich an kein spezielles Geschlecht gedacht, das habe ich ganz androgyn gelesen, und fand das super angenehm. Würde ich schön finden, wenn es so bliebe.

Ich würde nicht sagen, daß diese story keinen Rahmen hätte. Es ist eine sehr radikale, symbolhafte Weiterführung einer Logik, in der die Herrschenden/Verfolger die Definitionsmacht über Wahrheit und Wirklichkeit haben. Aus ihrer Wahheit zwingen sie eine (= ihre) Realität hervor, über die Leichen derer, die anders denken. Das ist sicher schon immer Realität gewesen, aber hier wird es zur einzig überhaupt existierenden, es gibt keinen Raum außerhalb dessen.
Ich muß zu meiner größten Schande sagen, daß ich nicht mehr weiß, woher das geflügelte Wort Die Hoffnung stirbt zuletzt stammt. Allerdigs mußte ich hier - vor allem durch das setting - an einen Satz Friedrich von Spees denken: Unglückliche, was hast Du gehofft? Paßte hier gut rein, zumal eben am Ende nicht klar ist, was erhofft werden könnte, oder sollte.

Mir gefällt die ganze Ambivalenz hier. Die Anonymität, die ich durchaus noch verstärken würde, denn es scheint mir, als ginge es nicht um eine bestimmte Epoche, sondern eine Art Parallelwelt, Symbolik, in der Zuordnungen eher Fremdkörper sind, wie dies:

Ich erinnere mich in wirren Fragmenten an Gelächter, schadenfrohe Gesichter, offene Lustbekundungen; an ausdruckslose, gleichgültige Mienen mit einem dämonischen, irren Leuchten in den Augen.
Die Schlimmsten sind jedoch diejenigen, die ihre Augen verschliessen, ihren Blick abwenden – und abseits stehend die Arme verschränken.
Das hat was von solchen 70er Jahre Trashfilmen und aktuellen Hexenpornos - diese geilen, sadistischen Folterer: das paßt hier nicht ins Bild, und nimmt der ganzen Szenerie den Schrecken. Mit historischen/realistischen Personen hat das jedenfalls nix zu tun.

da höre ich von rechts den Befehl, diesen absurden Wunsch, erneut: „Töte mich“.
"Technisch" gesehen sicher ein Befehl, aber Bitte würde ich passender finden. In ihrer Situation hat diese Person keine Befehlsgewalt.
Währenddessen scheint sich das Loch in meinem Bauch vergrössert zu haben.
Welches? Davon war keine Rede. Finde ich eine eher eigenartige Verletzung, vor allem, wenn die Person dann noch lustig nach ein paar Beinübungen durch die Gegend spaziert. Vorsicht, was ein Körper in welchem Zustand noch wie machen kann!
*Klack* ein Schrei,
„ZULEEEE…“
„Man hat mich –ausgeweitet“, fährt sie fort, „und überstrapa- – ziert. –
Das alles ist eine Schreibweise, die nur in Comix was zu suchen hat.
Außerdem: meintest Du ausgeweidet? (= Organe raus, anstatt die Person über den Boden ausgebreitet) Überstrapaziert sind höchtstens Nerven oder Geduld; hier falsche Verwendung.
Da fällt der Groschen. Streckbänke!
Hui, das ist aber ganz böse Alltagssprache. Das paßt nur zu ... ich hatte doch das Basilikum vergessen! Jetzt muß ich die Nudelsoße so kochen.
Neunschwänzige Katzen
Nöö, das ist ein Ausdruck aus dem modernen SM-Bereich. Zur Zeit der Folterkerker im ernsthaften Sinne wurde mit Ruten oder -bündeln, nicht Peitschen, geschlagen. Man soll es nicht glauben, aber bei der Tortur in Mittelalter/Neuzeit sollte möglichst "kein Blut vergossen" werden. Selbst wenn Dein setting nicht zeitlich festgelegt ist, hört sich die Neunschwänzige einfach zu sehr nach einem Spielzeug an.

Keine Ahnung, ob es da wirklich so ausgesehen hat, dazu mögen sich Kundigere äußern.
:D Dann mal, ich bin Kerkerexpertin: Arme bekommt man so sicher nicht wieder eingerenkt, weil ein Bogen vollführt werden muß. Ich weiß das, weil eine Freundin von mir ein Gelenk/Sehnenproblem hatte, und sich bei falschen Bewegungen die Arme auskugelten. Aber jeweils einer, und den konnte - nach einer Minute fast-Ohnmacht vor Schmerz - tatsächlich wieder einrenken, aber mit dem anderen, der ausgekugelte ist kraftlos, schlaff. (Das ist so eine ziemlich ausladende, sehr schnelle Halbdrehung, übrigens). Und dann hörte auch sofort der Schmerz auf.

ABER: Arme, die durch Folter ausgekugelt/aus den Gelenken gerissen wurden, sind so nicht mehr zu gebrauchen; und auch nicht selbst wieder einzurenken. Kannst Du in historischen Folterprotokollen nachlesen. Selbst wenn die Arme nach der Folter sofort vom Henker wieder eingerenkt wurden, sind die Gelenke so derart geschwollen & die Sehnen überdehnt, daß die Opfer die Arme nicht mehr benutzen können. Je länger jemand mit ausgerenkten Armen rumlag, umso weniger (das war nämlich eine 'inoffizielle' Verschärfung der Tortur). Und sicher nicht um diesen Fesselwechseltrick hinten/vorne (der selbstverständlich bei gesundem Körper funktioniert) anstellen können. Und auch nichts an Gerätschaften rumwerkeln - schlichtweg unmöglich.

Was hier passiert ist völlig undenkbar, daher würde ich an Deiner Stelle die Sache mit dem Ausrenken streichen, und durch "einfachere" Verletzungen ersetzen. Recherche stets in fact, nicht in fiction!

Worüber ich dabei auch gestolpert bin, ist das "eilen" - das hat etwas, Schnelles, Leichtfüßiges, nichts, was man mit einem Gefolterten, der sich kaum noch bewegen könnte, verbindet.

Ich will mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen zu sagen, ein Zweiteilen auf einer Streckbank sei vollkommen ausgeschlossen, schätze es aber als nahezu unmöglich ein. Der Mechanismus war aus Holz und nicht so massiv, wie in den meisten Trashfilmen oder auf den Stichen des 19. Jahrhunderts dargestellt; fraglich, ob der nicht eher gebrochen wäre. Dann: wer sollte die nötige Kraft dazu aufwenden können? Zum Vergleich: es gab einen Fall der Vierteilung zwischen vier kräftigen Pferden, bei dem es den Gäulen nicht möglich war, die Person auseinanderzubekommen. Der Henker mußte die Sehnen/Muskeln zerschneiden - wohlgemerkt die an Armen und Oberschenkeln, nicht die in der Körpermitte! - damit die Hinrichtung vollstreckt werden konnte. Selbst bei dieser Hinrichtungsart zerteilte sich niemals der Rumpf. Auf der Streckbank wurden wohl Wirbel ausgerenkt, bzw. die Wirbelsäule gebrochen, das allerdings sind wirklich Extremfälle, die auch nicht angestrebt wurden.

Auch die Szene würde ich irgendwie auf ein physisch realistisches Maß runterkochen - außer, Du gestaltest alles noch etwas traumhafter, denn intensiv ist die Szene sicher, im Positiven.

Ich hoffe, Du kannst damit was anfangen, und ich denke: Ja, eine Überarbeitung würde ich ganz ganz sicher lohnen. Der Text ist es wert!

Herzlichst,
Katla

 

Hallo Pardus,

Pardus schrieb:
hinsichtlich des Protagonisten hatte ich keinerlei Vorstellung wegen des Geschlechts. Aber Personifikationen agieren meist relativ geschlechtsneutral, auch wenn ihre körperliche Darstellung sexuell identifizierbar ist (meist folgend dem grammatikalischen Geschlecht, wie auch bei Dir).
In meinem Kopf war sie weiblich. Wie du sagst: folgend dem grammatikalischen Geschlecht, und analog zu den beiden anderen weiblichen Personifikationen. Mir war nicht bewusst, dass ich sie auch geschlechtsneutral belassen kann.
Ich werde es mir jedenfalls noch genauer überlegen.

Pardus schrieb:
hier ist das "ch".
Ah ja. Betriebsblindheit. Dankeschön fürs wieder Suchen und Finden.

Pardus schrieb:
Vega schrieb:
Die Grundidee war, dass Gerechtigkeit und Wahrheit grundsätzlich von ALLEN misshandelt und auf grausame Weise umgebracht werden.
Da stimme ich dir nicht zu - ich kenne sehr wohl etliche gerechtigkeits- und wahrheitsliebende Menschen, die das nicht vorsagen, sondern vorleben.
Und sogar, wenn Du diesen absoluten Pessimismus verbreiten willst, müsstest Du konkreter werden (je konkreter umso besser, zumindest in der Literatur): was bringt die Menschen dazu? Die Umstände? Die Mitmenschen? Weil sie im tiefsten Wesenskern böse sind?
Das möchte ich auch nicht abstreiten. Ich bin nicht grundsätzlich ein Pessimist. Ich habe mich aber etwas ungeschickt ausgedrückt. Ich meinte: „Die Grundidee des Settings in meinem Kopf war, dass Gerechtigkeit und Wahrheit grundsätzlich von allen misshandelt und auf grausame Weise umgebracht werden“. Nimm eine beliebige Dystopie à la „1984“ oder „Brave New World“, wo gerechtigkeits- und wahrheitsliebende Menschen rar, oder gar nicht mehr vorhanden sind, vielleicht sogar nicht einmal mehr Wörter für diese abstrakten Konzepte existieren.
Aber diese Voraussetzung kann ich vom Leser natürlich nicht erwarten. Dazu muss ich sie in irgendeiner Form in den Text integrieren.

Pardus schrieb:
Natürlich ist das Deine entscheidung und bedeutet einen großen Aufwand,doch ich meine, der würde lohnen. Nicht nur wegen dieser Geschichte, sondern um einmal prinzipiell einen Text vollkommen umgekrempelt zu haben. Das wird einem in der Schreiberkarriere immer wieder mal passieren, dassman ganze Handlungsstränge, Figuren oder Themen eliminieren will oder muss, bzw den text aus anderen Gründen völlig neu schreiben muss. Wer sich darin geübt hat und den Mut dazu aufbringt, kann viele Ideen retten. Wer nicht ... schmeißt halt viel auf den Müll.
Auf den Müll werfen werde ich die Idee kaum, aber wahrscheinlich irgendwo in einen Ordner ablegen und nie mehr anschauen … was letztlich aufs Gleiche hinausläuft ;)
Nein, du hast schon recht. Dein Vorschlag hat was für sich. Ich überlege es mir. Hatte nicht Hemmingway gesagt, dass er die erste Fassung eines Textes, auch eines Romans, immer verbrenne? Dann neu schreiben, ohne vom Flickwerk der ersten Fassung beeinflusst zu werden. Eine etwas brachiale Methode, aber dem Sinn gemäss mit deinem Vorschlag vereinbar, nicht wahr?

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Hi Katla,

Danke auch dir für deinen ausführlichen Kommentar!

Eine dumme Frage vorweg … Ist das „Moikka“ eine Verballhornung eines Wortes wie „Moin“ oder eine slawische/russische Begrüssung, oder beides?
Das habe ich nämlich noch nie gehört. Bitte um Aufklärung :)

Katla schrieb:
nach Deinem Komm zu einer anderen Geschichte war ich ganz neugierig, wie Du Geschichten schreibst und bin nicht enttäuscht.
Es gibt Lob und Lob. Deines in dieser Form, wenn es gleich doppelt daherkommt (für Komm und Text), freut mich besonders.
Merci.

Katla schrieb:
Zum Titel: wenn mich mein altes Latein nicht im Stich läßt, ist relictae ein Substantiv im Nominativ plural. Falls ich mich nicht irre, würde ich es schöner finden, wenn Du den Dt Titel angleichen ließest: - Die Zurückgelassenen.
Mein Lateinunterricht ist noch nicht so lange her, und eigentlich war es eines meiner Lieblingsfächer. Aber ich hab es sehr zu meinem Bedauern doch schon über drei Jahre nicht mehr aktiv gebraucht.
Ich hatte das Wort als Partizip verstanden, im femininen Plural. Ursprünglich hiess es „relictae sunt“, „sie sind zurückgelassen (worden)“. Aber ich empfand ein Einzelnes Wort für ausdrucksstärker, deshalb „relictae“
Ich werde jedenfalls, wenn ich zuhause bin, über die Bücher gehen. Wär ja blöd, wenn ein Lateinkundiger schon beim Titel denkt, „aha, hat wohl einer erfolglos versucht lateinisch zu schreiben“.

Katla schrieb:
Eine sehr intensive Geschichte, hat mir grundsätzlich gut gefallen. Ich meine, die eine Frau hieße nicht umsonst Justine, oder? Die naive Unschuld, Tugend, die Figur bei de Sade, die sich nicht gegen Folter wehrt, weil sie auf ein gutes Ende, auf Rettung, auf zumindest (göttliche) Erlösung hofft. Die sich als Märtyrerin sieht, dabei aber eigentlich nur selbst zum Opfer macht, ihren Peinigern in die Hände spielt. Keine Verantwortung übernimmt.
Der Bezug auf de Sade war nicht beabsichtigt, ich habe noch nichts von ihm gelesen. Aber jetzt wo du ihn erwähnst, muss ich dir zustimmen. Das hätte ich im Vorfeld der Geschichte machen können. Wäre durchaus passend.

Katla schrieb:
Vera kann ich nicht zuordnen.
Falls du meinst, du kannst Vera nicht auf de Sade zuordnen, dann ist das gut möglich. Aber die eigentliche Verknüpfung über die Inschrift in der Zelle des Lyrichs war dir klar? Darauf wollte ich eigentlich hinaus.

Bei dem/der Prot habe ich an kein spezielles Geschlecht gedacht, das habe ich ganz androgyn gelesen, und fand das super angenehm. Würde ich schön finden, wenn es so bliebe.
Androgyn ist nicht ganz in meinem Sinne. Ich hatte sie immer als weiblich vor Augen. Aber vielleicht ist das einfach eine Freiheit, die ich dem Leser selbst überlassen kann …
Mal sehen, mir wäre das Geschlecht schon wichtig, damit ich die Übereinstimmung des Geschlechts der drei Frauen mit den Geni ihrer Personifikation hätte.
Mal sehen, ob ich nicht doch eine Möglichkeit finde…

Katla schrieb:
Ich würde nicht sagen, daß diese story keinen Rahmen hätte. Es ist eine sehr radikale, symbolhafte Weiterführung einer Logik, in der die Herrschenden/Verfolger die Definitionsmacht über Wahrheit und Wirklichkeit haben. Aus ihrer Wahheit zwingen sie eine (= ihre) Realität hervor, über die Leichen derer, die anders denken. Das ist sicher schon immer Realität gewesen, aber hier wird es zur einzig überhaupt existierenden, es gibt keinen Raum außerhalb dessen.
Jein. Ich glaube mittlerweile, dass die Geschichte nur bedingt einen Rahmen hat, nämlich den, den der Leser der Geschichte gibt. Und das ist nicht so ganz in meinem Sinne.
Dass dir das Setting dennoch zusagt, zeigt mir, dass wir den Rahmen in etwa gleich verstanden haben. Ich werde wohl versuchen müssen, genau dies besser herauszuarbeiten.

Katla schrieb:
Ich muß zu meiner größten Schande sagen, daß ich nicht mehr weiß, woraus das geflügelte Wort Die Hoffnung stirbt zuletzt stammt. Allerdigs mußte ich hier - vor allem durch das setting - an einen Satz Friedrich von Spees denken: Unglückliche, was hast Du gehofft? Paßte hier gut rein, zumal eben am Ende nicht klar ist, was erhofft werden könnte, oder sollte.
Du kannst dich trösten, ich weiss es auch nicht. Aber vielleicht finde ich es raus.
Das Zitat Spees‘ klingt nicht schlecht, ich bin mir aber nicht sicher, ob es in meine Vorstellung des Settings hineinpassen würde, hätte ich es denn präziser ausgearbeitet.

Katla schrieb:
Mir gefällt die ganze Ambivalenz hier. Die Anonymität, die ich durchaus noch verstärken würde, denn es scheint mir, als ginge es nicht um eine bestimmte Epoche, sondern eine Art Parallelwelt, Symbolik, in der Zuordnungen eher Fremdkörper sind, wie dies:
Vega schrieb:
Ich erinnere mich in wirren Fragmenten an Gelächter, schadenfrohe Gesichter, offene Lustbekundungen; an ausdruckslose, gleichgültige Mienen mit einem dämonischen, irren Leuchten in den Augen.
Die Schlimmsten sind jedoch diejenigen, die ihre Augen verschliessen, ihren Blick abwenden – und abseits stehend die Arme verschränken.
Das hat was von solchen 70er Jahre Trashfilmen und aktuellen Hexenpornos - diese geilen, sadistischen Folterer: das paßt hier nicht ins Bild, und nimmt der ganzen Szenerie den Schrecken. Mit historischen Gestalten hat das jedenfalls nix zu tun.
Danke für den Hinweis. Das habe ich mir gar noch nie überlegt. Das mit der Parallelwelt/Symbolik ist in etwas das, was mir vor Augen schwebt. Ich weiss allerdings nicht, wie abstrakt ich das Ganze machen kann, immerhin sollen die drei Frauen immer noch Frauen sein und nicht immaterielle Konzepte. Sie sollen konkret gefoltert werden und erst im Geist des Lesers soll die Abstraktion erfolgen.
Die Grundlage für Verliess und Folterkammer lieferte mir ein eher mittelalterliches Setting, was ich vor der ersten Fassung ursprünglich sogar konkret ausführen wollte, es dann aber sein liess. Denn Schritt, es völlig von einer Epoche zu abstrahieren, war mir nicht in den Sinn gekommen. Es ist aber sicher eine Überlegung wert.

Katla schrieb:
Vega schrieb:
da höre ich von rechts den Befehl, diesen absurden Wunsch, erneut: „Töte mich“.
"Technisch" gesehen sicher ein Befehl, aber Bitte würde ich passender finden. In ihrer Situation hat diese Person keine Befehlsgewalt.
In der Tat. Werde ich anpassen.

Katla schrieb:
Vega schrieb:
Währenddessen scheint sich das Loch in meinem Bauch vergrössert zu haben.
Welches? Davon war keine Rede. Finde ich eine eher eigenartige Verletzung, vor allem, wenn die Person dann noch lustig nach ein paar Beinübungen durch die Gegend spaziert. Vorsicht, was ein Körper in welchem Zustand noch wie machen kann!
Hoppla. Danke für den Hinweis. Natürlich ein Loch im übertragenen Sinne ;) Das ist ein Überbleibsel einer früheren Fassung, wo ich näher auf den Hunger und Durst der Protagonistin eingegangen bin.
Das ist aber nicht mehr nötig.

Katla schrieb:
Das alles ist eine Schreibweise, die nur in Comix was zu suchen hat.
:) Das stimmt. Ich glaube zwar, dass gelegentliche Wortmalereien nicht schaden, aber ich habe es hier wohl tatsächlich ein wenig übertrieben. Ich streiche es mir rot an.

Katla schrieb:
Außerdem: meintest Du ausgeweidet? (= Organe raus, anstatt die Person über den Boden ausgebreitet)
Nein, „ausgeweitet“ war Absicht, allerdings etwas ungeschickt. Ich wollte hier auf eine (Über-)Dehnung, auf ein Zurechtbiegen anspielen, aber das kommt hier nicht so glücklich rüber.

Katla schrieb:
Vega schrieb:
Da fällt der Groschen. Streckbänke!
Hui, das ist aber ganz böse Alltagssprache. Das paßt nur zu ... ich hatte doch das Basilikum vergessen! Jetzt muß ich die Nudelsoße so kochen.
Ui ja… Durchaus. Ist mir schleierhaft, wieso ich das dort hingeschrieben habe. Das passt überhaupt nicht zur Denkweise der Prota.

Katla schrieb:
Nöö, das ist ein Ausdruck aus dem modernen SM-Bereich. Zur Zeit der Folterkerker im ernsthaften Sinne wurde mit Ruten oder -bündeln, nicht Peitschen, geschlagen. Man soll es nicht glauben, aber bei der Tortur in Mittelalter/Neuzeit sollte möglichst "kein Blut vergossen" werden. Selbst wenn Dein setting nicht zeitlich festgelegt ist, hört sich die Neunschwänzige einfach zu sehr nach einem Spielzeug an.
Doch, kann ich mir vorstellen. Der Gefolterte sollte ja so lange wie möglich am Leben bleiben.
Aber gut. Werde ich anpassen.

Katla schrieb:
ABER: Arme, die durch Folter ausgekugelt/aus den Gelenken gerissen wurden, sind so nicht mehr zu gebrauchen; und auch nicht selbst wieder einzurenken. Kannst Du in historischen Folterprotokollen nachlesen. Selbst wenn die Arme nach der Folter sofort vom Henker wieder eingerenkt wurden, sind die Gelenke so derart geschwollen & die Sehnen überdehnt, daß die Opfer die Arme nicht mehr benutzen können. Je länger jemand mit ausgerenkten Armen rumlag, umso weniger (das war nämlich eine 'inoffizielle' Verschärfung der Tortur). Und sicher nicht um diesen Fesselwechseltrick hinten/vorne (der selbstverständlich bei gesundem Körper funktioniert) anstellen können. Und auch nichts an Gerätschaften rumwerkeln - schlichtweg unmöglich.
[…]
Was hier passiert ist völlig undenkbar, daher würde ich an Deiner Stelle die Sache mit dem Ausrenken streichen, und durch "einfachere" Verletzungen ersetzen.
Jaja, ich geb ja zu, da hat meine Faszination für Trash- und Gore-Filme (ein wenig?) durchgeschimmert :)
Das mit der Schwellung habe ich nicht bedacht, aber ich kann es nachvollziehen.
Und natürlich hast du Recht. Die ausgerenkte Schulter ist für den Verlauf der Geschichte nicht relevant, ich könnte die Sequenz tatsächlich einfach weglassen bzw. durch etwas anderes ersetzen. Vielleicht eher psychische Schäden thematisieren … Mal schauen.

Katla schrieb:
Worüber ich dabei auch gestolpert bin, ist das "eilen" - das hat etwas, Schnelles, Leichtfüßiges, nichts, was man mit einem Gefolterten, der sich kaum noch bewegen könnte, verbindet.
Ja. „hasten“ wäre vielleicht angebrachter oder etwas in diese Richtung.

Katla schrieb:
Ich will mich nicht so weit aus dem Fenster lehnen zu sagen, ein Zweiteilen auf einer Streckbank sei vollkommen ausgeschlossen, schätze es aber als nahezu unmöglich ein.
[…]
Auch die Szene würde ich irgendwie auf ein physisch realistisches Maß runterkochen - außer, Du gestaltest alles noch etwas traumhafter, denn intensiv ist die Szene sicher, im Positiven.
Na gut, unter der Bank befindet sich eben irgendein komplizierter Mechanismus aus Stahl ;) Aber du hast schon Recht; selbst wenn die Platten ebenfalls aus Stahl bestünden, wäre es wohl wahrscheinlicher, dass ihr einfach die Extremitäten ausgerissen würden, als der Torso auseinander. Und das mit den Pferden ist ein gutes Argument, das mich nun an der Plausibilität meiner Darstellung zweifeln lässt.
Ich denke, eine Innere Blutung würde ausreichen. Ins Traumhafte oder sogar ins Surreale abschweifen möchte ich nicht. Das wäre zu viel des Guten. Mal sehen ...

Katla schrieb:
Ich hoffe, Du kannst damit was anfangen, und ich denke: Ja, eine Überarbeitung würde ich ganz ganz sicher lohnen. Der Text ist es wert!
Oh ja, und wie du mir hast helfen können.
Ihr beide.

Und ihr habt mich auch überzeugt, dass ich mich an eine Überarbeitung heranwage. Nicht gerade von heute auf morgen, aber spätestens im Verlauf der nächsten Woche, werde ich mich mal hinsetzen.

Nochmals herzlichen Dank euch beiden! Es tut gut, wenn man eine Geschichte veröffentlicht, weil man nicht mehr weiss, was man noch verbessern könnte, und dann kritische Stimmen den Text nach Strich und Faden auseinandernehmen. Ich hätte von mir aus wohl nichts mehr daran gemacht. Aber jetzt … Wäre ja schade um meine und eure Arbeit, wenn ich die Vorschläge nicht umsetzen würde :)

Gruss Vega

 
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Moi Vega,

Falls du meinst, du kannst Vera nicht auf de Sade zuordnen, dann ist das gut möglich.
Ich hatte bei ihr auch ein Werk eines anderen Autoren vermutet, weil der Name eher osteuropäisch, als französisch klingt (zumindest nach meiner fuzzy logic :D).
Aber die eigentliche Verknüpfung über die Inschrift in der Zelle des Lyrichs war dir klar? Darauf wollte ich eigentlich hinaus.
Die zwei Begriffe auf die beiden Opfer aufgeteilt? So dachte ich, wobei ich es nämlich interessant fand, daß es drei Gefolterte sind. Nur die Protagonistin bekommt kein "Symbol". Und das war für mich das Spannende: ich habe sie als Freiheit interpretiert; etwas, das sonst nach Gerechtigkeit und Wahrheit stirbt. Sie ist zwar zurückgelassen, aber findet - zumindest bis zum open end - einen Ausweg (zu dem Preis, die anderen beiden nicht retten zu können). War das ansatzweise so gedacht?

Ich sehe schon, Dein Latein ist hundertmal sicherer als meins, das wird schon stimmen (Lach nicht, ich hatte nur grad genau das nachgeschaut, weil ich eine Geschichte Vertebrae nennen wollte, und ein Partizip oder Adjektiv dazu suchte. Daher war ich auch so auf dem Substantiv-Trip :lol:).

Die Neunschwänzige ging mir nicht mehr aus dem Kopf, also: Der Begriff stammt aus der Seefahrt. Was Du brauchst ist eine Geißel. Gleiche Bauweise, anderer Kontext. (Sori, ich bin eine pedantische Recherchetante.)

Ich würde Dir dringend raten, das setting nicht auf eine historische Zeit festzulegen. (Hexenverfolgungen in dieser Form fanden nicht im Mittelalter, sondern in der Neuzeit statt, Vorsicht! Hauptsächlich zw. 1650 - 1750. Hexenprozesse davor liefen anders ab, endeten selten in Folter und öfter in Freispruch. Der Zusammenfall der Konzepte aus Hexen- und Ketzerverfolgungen - die gab es seit dem frühen MA - ist eine Idee der Neuzeit). Zumal die Aussage des Textes eindeutig über eine bestimmte Epoche hinausführt, eleganter allgemeingültig wäre. Du schlägst ja selbst den Bogen zu 1984 etc., was ich auch sehr passend und weitsichtig finde.
Außerdem hättest Du sonst leider noch mehr Fehler drin. Es wurde nicht mit Messern/Dolchen gefoltert, weder glühend noch sonstwie. Folter hatte verschiedene Stufen, die streng festgelegt waren, also fehlen hier die Daumen- und Beinschrauben. Würd ich lassen. (Ja, vllt kennen sich nur wenige Leser aus, aber ehrlich: ich finde, wenn es nicht eindeutig Trash oder irreal/Fantasy sein soll, sollte es korrekt sein.)

Ja. „hasten“ wäre vielleicht angebrachter oder etwas in diese Richtung.
Nrgh. Wie schnell kann jemand sein, in diesem Zustand? Könnte es nicht auch für die Leser spannender sein, wenn die Prot langsam durch die Gänge kriecht, sich schleppt? Weil man nicht weiß, wo die Verfolger sind. Da ist man sofort engagiert, kann ihre Angst besser nachfühlen. Ist sie schnell genug zum Eilen & Hasten, dann könnte sie leichter davonlaufen.

Zwei Sachen solltest Du nochmal überprüfen, die sind nicht konsequent durchgehalten:
* Wörtliche Rede. Schmerzen rauben Kraft, Gefolterte sind erschöpft: würden sparsam mit Worten umgehen, nur das allernötigste sprechen. Sprechen bedeutet tief Luft holen, atmen bewegt die Bauchdecke, und die ist ... AUA!. Fühl Dich da rein, und bleib drin - sonst wird es auch für Leser unnachvollziehbar. Stilistisch schöner wären sehr kurze, reduzierte Sätze, weniger dieses Abgehackte, Gestoppelte. Das wirkt nämlich schnell unfreiwillig komisch. (Was wäre das Wichtigste, das eine Person vermitteln möchte? Vllt nicht, was passierte, denn das ist ersichtlich. Eher wo die Henker sind? Daß sie nicht alleine gelassen werden will? Die Bitte, getötet zu werden, der Slogan, klar. Das nur so als Denkanstoß.)
* Körperzustände: halb zu Tode gefoltert - läuft rum, macht sich theoretische Gedanken. Oder: Hat noch Kraft, ein paar Slogans loszuwerden. Wann schreit jemand, wann ist er stumm vor Schmerz, ab wann wird jemand ohnmächtig? Schmerz beeinflußt auch Wahrnehmung und Denkvermögen, das ist nicht (ja, ich bin auch gorehound und liebe Splatterfilme) wie in der Fiktion, wo halbierte Leute bei vollem Bewußtsein lange Monologe führen können.

Das ist jetzt keine Erbsenzählerei, weil dies das Rückgrat und der Hauptteil Deiner story ist.

Zwei Recherchetips (ersterer erspart Dir sicher 50 andere Bücher zum Thema):
Becker, Bovenschen, Brackert u.a.: Aus der Zeit der Verzweiflung - Zur Aktualität und Genese des Hexenbildes. Frankfurt/Main 1977. (Incl. Widerlegung aller Klischees Kräuterfrauenkram und so; Protokolle, Gesetze, soziale Strukturen ...alles.)
Elaine Scarry: The Body in Pain / Der Körper im Schmerz. (Erstes Kapitel reicht, danach wird's konfus)

Moikka, hehe: Ist die ostfinnische bzw. Slangvariante von moi/hei, ähnlich bekannt in Dt aus der Reklame eines schwedischen Möbelhauses: hej. Also: Hallo, auch tschüß. Ich höre das halt jeden Tag und der Klang hat was Fröhliches, daher nehme ich das immer. ;)

Ich bin super neugierig, was Du aus dem Text machst! Immer ran, die Fähigkeiten hast Du auf jeden Fall, und interessante Ideen auch. Außerdem lernt man am meisten, wenn man an einem Text arbeitet, anstatt alles in die näxte story zu übertragen zu wollen.

Sonnige Grüße,
Katla

 

Katla schrieb:
Die zwei Begriffe auf die beiden Opfer aufgeteilt? So dachte ich, wobei ich es nämlich interessant fand, daß es drei Gefolterte sind. Nur die Protagonistin bekommt kein "Symbol". Und das war für mich das Spannende: ich habe sie als Freiheit interpretiert; etwas, das sonst nach Gerechtigkeit und Wahrheit stirbt. Sie ist zwar zurückgelassen, aber findet - zumindest bis zum open end - einen Ausweg (zu dem Preis, die anderen beiden nicht retten zu können). War das ansatzweise so gedacht?
Nja… Nicht so ganz.
Das mit den Gefolterten beiden stimmt. Bei der dritten hatte ich eigentlich auf „Hoffnung“ abgezielt. Deshalb auch die Dopplung der Aussage der beiden anderen Frauen. Ich habe andeutungsweise versucht, ihre Gedankenwelt (also der Protagonistin) hoffnungsvoll zu gestalten, aber es ist mir nicht zu meiner völligen Zufriedenheit gelungen.

Katla schrieb:
Die Neunschwänzige ging mir nicht mehr aus dem Kopf, also: Der Begriff stammt aus der Seefahrt. Was Du brauchst ist eine Geißel. Gleiche Bauweise, anderer Kontext. (Sori, ich bin eine pedantische Recherchetante.)
Eine Geissel. Ja, das könnte dem eher entsprechen.
Und dass du eine „pedantische Recherchetante“ bist, ist sehr zu meinem Vorteil (und wohl auch zu deinem ;) )

Katla schrieb:
Außerdem hättest Du sonst leider noch mehr Fehler drin. Es wurde nicht mit Messern/Dolchen gefoltert, weder glühend noch sonstwie. Folter hatte verschiedene Stufen, die streng festgelegt waren, also fehlen hier die Daumen- und Beinschrauben. Würd ich lassen. (Ja, vllt kennen sich nur wenige Leser aus, aber ehrlich: ich finde, wenn es nicht eindeutig Trash oder irreal/Fantasy sein soll, sollte es korrekt sein.)
Ich hatte nie den Anspruch historisch adäquat zu sein. Es sollte auch keine Hexenverfolgung symbolisieren/modifizieren.
Ich komme ursprünglich aus der Fantasy, wo das Setting bekanntlich ein pseudomittelalterliches ist und es manchmal schwer ist, Fiktion von historischer Plausibilität zu unterscheiden.
Ich hatte einfach ein Feld gewählt (Zelle, Verliess) das mir aus vergangener Lektüre irgendwie deutlich vor Augen war und dann die Story darin entwickelt. Aber wie du mir hast aufzeigen können, ist mein Detailwissen sehr begrenzt. Und die Ausflucht auf Fantasy ist nur eine schlechte Ausrede für ungenaues Recherchieren ;)

Katla schrieb:
Nrgh. Wie schnell kann jemand sein, in diesem Zustand? Könnte es nicht auch für die Leser spannender sein, wenn die Prot langsam durch die Gänge kriecht, sich schleppt? Weil man nicht weiß, wo die Verfolger sind. Da ist man sofort engagiert, kann ihre Angst besser nachfühlen. Ist sie schnell genug zum Eilen & Hasten, dann könnte sie leichter davonlaufen.
Das ist ein gutes Argument und es stimmt auch, dass die Prota schwach ist. Aber gerade bei der Szene, wo sie realisiert, dass nach der ersten noch eine Frau im Begriff ist zu sterben, rauft die Prota ihre Reserven zusammen und ignoriert ihre Schmerzen, in der Hoffnung dieser Frau helfen können, im Gegensatz zur ersten.

Katla schrieb:
Stilistisch schöner wären sehr kurze, reduzierte Sätze, weniger dieses Abgehackte, Gestoppelte. Das wirkt nämlich schnell unfreiwillig komisch. (Was wäre das Wichtigste, das eine Person vermitteln möchte? Vllt nicht, was passierte, denn das ist ersichtlich. Eher wo die Henker sind? Daß sie nicht alleine gelassen werden will? Die Bitte, getötet zu werden, der Slogan, klar. Das nur so als Denkanstoß.)
Meine Schreifähigkeit ist in einem ständigen Prozess. Ich denke, wenn ich die Geschichte neu schreibe, werde ich es so oder so ganz anders machen. Und unfreiwillig komisch sollte es ganz sicher nicht werden. Ich werde mal schauen, wie es sich entwickelt.

Katla schrieb:
Elaine Scarry: The Body in Pain / Der Körper im Schmerz. (Erstes Kapitel reicht, danach wird's konfus)
Das werde ich mir vielleicht mal ansehen. Es gibt sogar ein Exemplar an der Uni-Bibliothek. Mal ausleihen...

Katla schrieb:
Moikka, hehe: Ist die ostfinnische bzw. Slangvariante von moi/hei, ähnlich bekannt in Dt aus der Reklame eines schwedischen Möbelhauses: hej. Also: Hallo, auch tschüß. Ich höre das halt jeden Tag und der Klang hat was Fröhliches, daher nehme ich das immer. ;)
Ach, dann lebst du in Finnland? Da möchte ich auch mal hin :)

Katla schrieb:
Ich bin super neugierig, was Du aus dem Text machst! Immer ran, die Fähigkeiten hast Du auf jeden Fall, und interessante Ideen auch. Außerdem lernt man am meisten, wenn man an einem Text arbeitet, anstatt alles in die näxte story zu übertragen zu wollen.
Oh ich habe schon ein paar gute Ideen, wie ich die Geschichte etwas mehr von der Realität abstrahieren kann und mehr auf eine metaphorische, konzeptuelle Ebene bringen kann. Wie genau ich es machen werde, und wie lang es dauert, kann ich nicht sagen, aber es wird anders werden als diese Fassung und wahrscheinlich auch ausführlicher.

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@Kasimir: Danke fürs Verschieben.


Gruss Vega

 

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