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Rien ne va plus
„Rien ne va Plus – Nichts geht mehr“
Kaum hört er die Worte des Croupiers, diese monotone, beinahe gleichgültige Stimme. Seine Augen sind wachsam auf den hochgetürmten Stapel an Chips gerichtet, begutachten die Runde. Einige ihm bekannte Gesichter sind am Tisch, ihr Blick ist nicht zu entschlüsseln und die Gesichtszüge vor Anspannung verhärtet. Ihm aber ist die Anspannung ins Gesicht geschrieben.
Er steht unter Zugzwang, er muss heute gewinnen, er muss. Das weiß er.
Seine Familie wendet sich immer mehr von ihm ab, schenkt seinen Lügenmärchen keinen Glauben mehr. Er nimmt es ihnen nicht übel, ganz und gar nicht, er weiß, er würde wohl auch so handeln. Sie haben doch kein Geld mehr, haben ihm alles blind anvertraut. Letzthin hat er sogar das Sparschwein seiner Tochter aufbrechen müssen, um noch an Geld zu kommen, hat sich geschämt für seine Tat, fürchterlich geschämt…
Und trotzdem, er kann nicht aufhören, er muss doch schließlich das Geld zurück gewinnen, das er verspielt hat. Er muss seine Schulden begleichen.
Ja, wieder einmal hat er alles auf ein Feld gesetzt, das eine, rote Feld. Wieder einmal hängt seine Zukunft am seidenen Faden. Nur, der Faden wird von Tag zu Tag dünner, ist nur mehr eine einzelne, ausrangierte Faser und droht die Last nicht mehr zu halten.
Bei dem Gedanken beginnt er zu schwitzen, sein Puls beschleunigt sich schlagartig und seine Hände zittern wie Espenlaub. Mit einem leisen „Pling“ fällt die Kugel in die Roulettemaschine und beginnt Sekunden später zu rollen, vollkommen und geschmeidig, wie eine erfahrene Ballerina. So kommt es ihm vor. Doch seine Vernunft macht ihm klar, dass die Ballerina ihn mit ihren Bewegungen bloß ablenkt, ihn blind macht. Er sieht das Feuer nicht, das sich hinter ihm ausbreitet, ihn einkreist und bereits sein Jackett ansengt.
Warum? Warum nur? Warum ist er damals, im verregneten Barcelona, ins Casino gegangen? Warum hat er sich damals an den Roulettetisch gesetzt? Aber vor allem, warum hat er nur damals, dieses eine Mal, so viel gewonnen? Warum? Er weiß es nicht.
Doch nun ist es zu spät. Die Kugel rollt. Er kann nicht verhindern, dass der Anzug nun endgültig Feuer fängt, spürt wie der zu Asche wird, wie die Flammen sich seiner Haut nähern. Auch der flehende Blick zur Ballerina hilft nicht, sie tanzt weiter, scheint nichts von seinem Verderben zu merken. Er muss auf ein Wunder hoffen.
Ohne es zu merken ist er aufgesprungen, seine Stirn ist platschnass vor Aufregung und das Herz schlägt wie verrückt.
„Rot“, fleht er „Rot!“ Will seine Frau nicht verlieren und seine Kinder. "Rot“ Will nicht als Bettler enden und sich mit faulem Herumsitzen über Wasser halten. “Rot“ Doch er ahnt nichts Gutes, das Wunder ist in weiter Ferne. „Rot“. Er schließt die Augen, die Spannung in ihm ist unerträglich.
Er hört wie sich die Kugel verlangsamt und schließlich zum Stehen kommt…