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Rose im Winter
Es war Winter. Mitte Januar. Die Wolken hingen grau und schwer über die Stadt. Sieben Uhr in der früh. Ein Mann ging in die Arbeit. Er hob mehr Zeit für den Weg in die Arbeit auf, um Energie zu tanken. Der Mann war gut gelaunt. Die frische, kalte Luft tat ihm gut. Letzte Nacht war frischer Schnee gefallen, dachte der Mann, denn alles war weiß bedeckt. Nur die Fahrstraße war schmutzig. Wie ein Gemälde, das ein dilettantischer Maler mit schwarzer Farbe verdunkeln wollte. Das machte ihm nichts aus. Weder der Schmutz, noch seine fehlerhafte Arbeit. Der graue Himmel auch nicht. Die Bäume sahen im Winter so trostlos und nackt aus. Dabei konnte er sie besser abzeichnen, wenn er wollte. Der Schnee war am den Tag rein und weiß. Der Mann bog von der Straße in einen Fußpfad ein. Damit hatte er den Weg in die Arbeit absichtlich verlängert. Hier war der Schnee noch nicht geräumt worden. Der Mann ging langsamer und mühsamer. Das machte ihm aber nichts aus. Er ging immer diesen Weg, erstens, um ein wenig Natur in sich einzusaugen, zweitens um Motive für seine Sonntagsmalerei zu suchen. Die Geräusche der Stadt verstummten langsam. Er befand sich endlich inmitten der Natur. Der Kälte unbeugsame Amsel, Kohl- und Blaumeisen sangen und sprangen lebhaft um ihn herum. Die unnatürliche weiße Farbe des Schnees, die dunkelbraune Farbe der Hecken, die schwärzlich aussah, wegen des hohen Kontrastes mit dem Weiß, war auf einmal ergänzt worden mit einem strahlend roten Tüpfelchen einer Blume. Der Mann blieb vor der Blume stehen. Es war eine einzige, einsame Blüte einer Heckenrose, die sich dem Winter eigensinnig widersetzte. Die Farbe Rot machte ihn glücklich. Die einzige Wärmequelle weit und breit. Der Mann lächelte vor sich hin. Er versuchte sein Motiv möglichst gut sich ins Gedächtnis einzuprägen. Er beobachtete das Spiel der Farben in der Umgebung, die Töne, Halbtöne, das Blaue der Ferne, wiederum die zarten Details der Konturen der Blüte und war jedes Mal erstaunt, dass diese nicht verdarb. Seine Gedanken gingen dabei eigene Wege, wenn sie ihm neue Vorschläge aufzeigten, etwa, das Beamtentum aufzugeben und sich völlig der Malerei zuzuwenden. Und jedes Mal lehnte seine Vernunft solche Vorschläge ab. Der Mann versuchte sich gleichzeitig auf das hier und jetzt zu konzentrieren, nämlich auf die Rose, und auch an sein unvollständiges Bild von zuhause. Der schwarz war nicht so schwarz, wie er angenommen hatte. Er musste alles von vorne anfangen. Es ärgerte ihm, dass ein so einfaches Motiv, soviel Zeit und Arbeit abverlangte. Durch seine täglich neuen Beobachtungen sah er ein, dass er nicht alle Details berücksichtigt hatte. Vertieft in seine Überlegungen, merkte er nicht, dass er sich verspäten würde. Er wollte so viel wie möglich mitnehmen… Letztendlich setzte er sich widerwillig in Bewegung, schaute ein letztes Mal zurück, dann ging er seines Weges...