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Rosen und Sellerie
Donnerstag. Februar. Und nur noch bis morgen Zeit, die Valentinskolumne abzugeben. Schreibübung für das Journalistikstudium. Mein Gott, können die sich nicht weniger abgedroschene Themen ausdenken? Und dann auch noch im Stil der blödesten Frauenzeitschriften ... mal sehen, was mir so einfällt. Und schön mit Klischees und Kitsch überladen, das zieht immer.
Valentinstag. Alle Jahre wieder holt mich die Möchtegernromantik mit ihren süßen, herzchenumkränzten Angeboten, Erinnerungs- und Preisschildern aus der so geliebten Normalität. „Schenken Sie Liebe“, lese ich zwischen Kochtöpfen, Frühstücksbrettern und Teetassen. Sämtliche Frauenzeitschriften versprechen schon seit Wochen „Heiße Liebesrezepte“ mit denen frau „ihren Schatz und sich selbst verwöhnen“ können soll. Raten zu Sellerie, Spargel und Champagner als luststeigernde Candlelight-Dinner-Zutaten. Und Rosen, Mann soll beileibe nicht die Rosen vergessen.
Dabei mag sie Gänseblümchen viel lieber.
Bonbonverpackungen, Pralinenkästen und Blumenstraußmanschetten gibt es nach Weihnachtsglocken, Christbäumen und Kugeln nur noch in Herzform. Alles blickt durch die rosarote Brille auf eine grau verregnete Februarwelt.
Selbst die Auslagen meiner Lieblingsapotheke entsprechen nicht mit Erkältungsmitteln, Nasensprays und Halslutschtabletten der Jahreszeit. Zwischen Massen von roten Rosenblättern und den auch hier unvermeidlichen Herzen finden sich Cremes für Gesicht, Körper, Hände und Füße, damit ich meine Liebste nicht mit trockener Haut oder gar Fältchen vergraule. Und auch das Kondom nimmt zu dieser Zeit ganz nonchalant seine Rolle im Rampenlicht ein.
Das Universum schwebt auf Wolke sieben.
Ganz schön eng da.
Natürlich gibt es auch die andere Seite. Wie meine Freundin, die den bezeichnenden Namen Rosamunde trägt, dabei aber so gar keine Anhängerin der "dummen Schenkerei zwischen Bussi-Bussi-Pärchen" ist.
Und wie jetzt weiter? Verdammt, mir fehlt ein Fazit! Eigentlich könnte ich jetzt erst mal ins Bo'Ca gehen. Rosa ist bestimmt dort.
Die Pärchen, die auf der Straße durch den Niesel laufen, wirken jedes für sich wie in einer Seifenblase aus Romantik gefangen. Wir nicht.
„Er kriegt sie nicht ins Bett, deswegen schenkt er ihr zum Valentinstag einen riesigen Strauß roter Rosen. Romantik pur. Und die da? Mauerblümchen auf Männerfang“, lästert Rosa und schnaubt abfällig.
Ihre Miene ist faszinierte Abscheu, ihre Körperhaltung verschlossene Ignoranz. Ich muss sie nicht fragen, was sie vom Valentinstag hält. "Sag mal, hast du eigentlich schon mal was bekommen? Rosen oder Pralinen oder so?" frage ich neugierig. Sie lächelt mit einem leicht melancholischen Gesichtsausdruck. "In der Achten hab ich mal eine Karte bekommen. Aber der Typ wollte gar nicht mich sondern Laura. Du weißt schon, dieses luftige Feenwesen aus dem Ballettkurs, der du auch so lange hinterher warst."
Rosamunde, der Kumpel. Die Frau, die nie Schwäche zeigt, es eher mit „Emma“ als mit „Laura“ oder „Anna“ hält, raspelkurze Haare trägt und für gewöhnlich lieber in Jeanshosen und Schlabberpullis herumläuft als im Chanel-Kostümchen.
„Das hat mir Papa mal gekauft. Zu Omas achtzigstem Geburtstag. Kannst du dir vorstellen, wie peinlich mir das war?“, fragte sie mich im letzten Sommer, als wir vor dem gerade frisch zusammengebauten Kleiderschrank standen und sie ihre Klamotten einräumte. Ich antwortete damals nicht, aber ich kann es mir denken. Und ich sagte ihr nicht, dass ich es gerne an ihr gesehen hätte. Im Sommer nicht und hinterher auch nicht. Ich bin ja schließlich ihr bester Freund.
Umso verwunderter erinnere ich mich an diesen Sommerabend, als sie tags drauf in ebenjenem Kostümchen, mit getuschten Wimpern und nach Parfum duftend vor meiner Tür steht. Die Nervosität hat kirschfarbene Kreise auf ihre Wangen gemalt, ihre Lippen wirken dagegen blutleer.
Ich wusste nicht, dass sie sich schminken kann.
„Duhuuu“, druckst sie. Vor meinem inneren Auge sehe ich sie plötzlich wieder als kleines Mädchen, das die Augen niederschlägt, einen Fuß auf die Spitze stellt, die Hände in den Rock drückt und sich verlegen hin und her dreht.
„Ich hab ein Date.“
Mein „Ach“ ist eine Mischung aus Anerkennung, Ironie und verletztem Stolz. Rosamunde wird blass. „So schlimm? Ich meine, sehe ich so schlimm aus?“ fragt sie ängstlich und setzt dann gleich nach. "Wie eine Fregatte, stimmt's? Aufgetakelt bis ins Letzte. Ich wusste, ich kann das nicht ..."
„Nein“, breche ich ihren Redefluss, ehe sie sich noch weiter runtermacht. "Nein", purzelt es mir ein zweites Mal möglichst unbeteiligt von den Lippen. Soll ich ihr sagen, dass sie umwerfend aussieht? Dass ihr Duft mich um den Verstand bringt? Dass ich schon seit längerem …
Die kurzen schwarzen Haare hat sie zu einem sehr geraden Seitenscheitel an den Kopf gegelt, die dunklen Augen kommen mit dem betonten Wimpernkranz wunderbar zur Geltung. Habe ich jemals vorher bemerkt, dass kleine goldene Pünktchen in dem tiefen Braun tanzen?
Ich fühle mich zurückgesetzt.
Für diese besondere Gelegenheit hat sie das Kostüm doch aus der Verbannung geholt.
Ausgerechnet die Frau, die diesen Tag als dämliche Erfindung amerikanischer Blumenhändler klassifizierte und ihn mit dem Muttertag in dieselbe Nutzslosigkeitsschublade warf, hat am Valentinstag ein Date.
Also nehme ich all meine Kraft zusammen, bin verwundert, welche Energie mich das kostet, und antworte ausführlich. „Nein, Rosa, du siehst gut aus. Nur etwas ungewohnt vielleicht. Entschuldige bitte.“
Erleichtert lässt sie den angehaltenen Atem zwischen den Zähnen durchpfeifen. „Und ich muss doch so viel fragen. Ich weiß doch gar nicht, wie ich mich verhalten soll“, sprudelt es aus ihr heraus. „Soll ich lieber schüchtern tun oder normal? Und lieber leise sein und zuhören oder sagen, was ich sagen will? Wie viel soll ich von mir erzählen? Komm, du weißt das doch bestimmt.“
Als ob sie schüchtern sein könnte. Und die Klappe halten. Meistens kann sie es nicht einmal dann, wenn sie sich um Kopf und Kragen redet. Gut, sie ist nicht der Typ Frau, der gleich die halbe Lebensgeschichte vor irgendjemand Fremdem ausbreitet. Und vielleicht sollte das besser so bleiben, denke ich rebellisch. Aber wenn sie nun mit einem anderen Pferde stehlen geht?
Ich fühle einen Stich. Wie einen Rosenstachel im Finger. Nur, dass dieser Finger meinem Herzen unglaublich ähnelt.
„Komm doch erst mal rein“, fordere ich sie auf. Ein Lächeln klammert sich krampfhaft auf meinem Gesicht fest, als sie vorsichtig auf den schwarzen Lackpumps durch mein unaufgeräumtes Zuhause stakst. Ich beeile mich, einen Sitzplatz von Papieren zu befreien, werfe die Fachbücher auf einen Haufen in der Zimmerecke und bin ganz galanter Gastgeber. „Möchtest du was trinken?“
„Mm … Ja. Hast du einen Pfefferminztee da?“ fordert sie mich grinsend heraus, wohl wissend, dass ich diesem gelblichen Aufguss nichts abgewinnen kann. Aber heute krame ich in der Schublade, in der nach der letzten Magen-Darm-Grippe alle Medizin verschwand. Triumphierend halte ich die Packung hoch.
Das Grinsen ist so wunderbar Rosa, es passt gar nicht zu ihrer damenhaften Haltung und sie merkt es schnell. Zu schnell.
Sie sitzt auf dem Stuhl wie der Stereotyp für Bewerberinnen. Sekretärinnenstelle, Geschäftsleitung. "Fräulein Meier, zum Diktat bitte." Weibchen lehnen sich nicht an, die Knie haben wie gefesselt aneinander zu kleben.
Rosas zierliche Finger umklammern die kleine Handtasche im Schoß wie Tackernadeln.
Ich brühe den Tee auf, setze mich ihr gegenüber und sage nur: „Dann erzähl mal.“
„Weißt du, da ist jemand …“
Die Nervosität lässt ihre Stimme zittern. Sie ist nicht mehr die Starke, die selbst die Räder ihres alten Opel Corsa wechselt und hinterher fröhlich und mit dreckverschmiertem Gesicht über die Bierflasche pfeift.
Ich möchte sie so gern in den Arm nehmen, aber ich traue mich nicht. Ausgerechnet diese Weichheit, die ich an ihr nicht kenne, lässt mich wie von einer Gummiwand zurückprallen.
Sie strafft ihren Rücken und setzt sich noch ein wenig gerader auf dem Stuhl zurecht. „Ja, Jasper, da ist jemand, den ich schon eine ganze Weile sehr gern mag. Und jetzt … jetzt will ich …vielleicht …“
Sie verliert sich in ihren eigenen Worten, verstrickt sich im endlosen Knäuel aus Erzählenwollen, aufgeregtem Gedankenwust und der Angst, zuviel zu sagen. Als müsse sie vor meinen Augen die Generalprobe für das bestehen, was sie wohl später noch als Prüfung erwartet.
Ich helfe ihr nicht. Immer stärker wird das stachelige Gefühl, drängt sich auch in den restlichen Körper. Sie weicht meinem Blick aus. Und schweigt.
Als ich ihr den Tee holen will bleibt meine Hand eigentlich ohne mein Zutun für einen kurzen Moment auf dem Bollwerk der kleinen Tasche liegen. Zwischen ihren Händen, deren Finger sich so schnell mit den meinen verschränken, als hätten sie nur darauf gewartet. Ein bittender, fast flehender Blick trifft mich, als ich zu ihr heruntersehe. Ich gehe unwillkürlich in die Hocke und entdecke erschreckt, dass in ihren Augen Tränen glänzen. Sie senkt den Kopf, nicht kokett sondern geschlagen. „So schwer hab ich es mir nicht vorgestellt“, höre ich ganz leise, dann nehme ich sie doch in den Arm, sie lehnt die Stirn an meine Schulter. Ich möchte sie beschützen vor diesem Untier, vor dem sie solche Angst hat, auch wenn sie das Date sicherlich selbst verabredete. Möchte Fröhlichkeit in den braunen Augen sehen, den Schalk, der ihr sonst immer im Nacken sitzt. Ich streiche ihr langsam über den Rücken, der mir unter dem dünnen Kostümjäckchen erbärmlich schmal und knochig vorkommt. Registriere schwach ihren Duft, der unter dem Parfum fast vergraben ist.
Mein Körper reagiert. Hoffentlich hat sie sie nicht gesehen, die Beule in der Jeans …
„Wer ist denn der Glückliche?“ traue ich mich endlich zu fragen, worauf sie sich in Millisekundenschnelle von mir löst. Der Blick, der mich trifft, ist ein Mittelding aus ungläubigem Fragen und erstaunter Amüsiertheit. Sie ist wieder ganz bei sich jetzt. Gerade so, als hätte sie eine Bestätigung bekommen.
„Manchmal bist du ein großer Dummkopf“, sagt sie und streicht mir zärtlich eine widerspenstige Strähne aus der Stirn. Ich schließe kurz die Augen, möchte mich gegen ihre weichen Finger lehnen, die Kühle auf meinem ganzen Körper spüren, aber ich rufe mich zur Ordnung. „Warum denn Dummkopf?“
Sie lacht. Dieses wunderbar warme, weiche Lachen, das ganz tief aus ihrem Inneren hochblubbert. Dieses Lachen, das so märchenhaft ist wie der Topf Gold am Ende des Regenbogens und mir genau so kostbar. Ich halte es vorsichtig fest wie die Fotografie eines glücklichen Momentes. Und ich bin verwirrt.
Als ich aufstehe tut sie es ebenso. Sie reicht mir gerade bis zur Schulter, dieses zierliche Wesen, dieses starke Wesen, das normalerweise so gar nichts von Romantik hören will. Oder doch?
„Hallo Date“, sagt sie. Und lächelt.
Manchmal allerdings gehen am Valentinstag die schönsten Wünsche in Erfüllung. Manchmal steht ein dummer Junge dann plötzlich am Ende des Regenbogens und der Topf voll Gold trägt ein Chanel-Kostüm …