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Rudi, Tobi und die Dreschmaschine
"Guten Morgen, Rudi, aufstehen!"
Die Worte drangen wie durch Nebel zu ihm. Er hätte sich lieber noch einmal die Decke über den Kopf gezogen, um zu den bunten Traumbildern zurückzukehren. Er griff nach ihnen, aber seine Traumhände fingen nur Leere ein, wo waren die schönen Gefühle hin? Irgendetwas rüttelte unbarmherzig an seiner Schulter.
"Rudi, komm, es ist schon acht Uhr!"
Widerwillig öffnete er ein Auge und wurde von der Morgensonne geblendet, deren gleißende Strahlen sich bis in sein Bett stahlen. Langsam arbeiteten sich die letzen Worte bis in sein Gehirn vor, verbanden sich mit vorhandenen Erinnerungen und Wünschen, mischten sich zu einer Schlussfolgerung, die wiederum den Ausstoß von Hormonen anstieß, Gefühle auslöste und plötzlich saß er halbwegs aufrecht in seinem Bett.
"Was, schon acht Uhr? Ist Papa etwa schon weg?", fragte er und sah seine Mutter enttäuscht an.
"Ach Rudi, Bauer Elbers will heute sein ganzes Getreide dreschen, da wird es wohl sehr spät werden", antwortete sie. "Das wird doch zu langweilig für dich!"
"Nein, ich will zugucken!", sagte er voller Entschlossenheit. "Papa hat mir gestern versprochen, mich mitzunehmen!"
Seine Mutter verdrehte die Augen. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ er so schnell nicht locker. Jetzt strahlte er und verkündete: "Den Weg zu Bauer Elbers kenne ich! Hinter dem Jammerweg geht es rechts ab. Da kann ich doch alleine hinlaufen."
"Hm, bis dahin brauchst du fast eine ganze Stunde und es riecht nach Schnee."
"Ach, bis es anfängt zu schneien bin ich längst da."
"Na gut, wenn du unbedingt willst, dann geh du mal." Sie wusste genau, dass er den ganzen Tag rumquengeln würde, wenn er seinen Willen nicht bekam. Als kleines Kind hatte er den emaillierten Nachttopf quer durch die Küche geworfen oder mit dem Kopf auf den Steinfußboden gehauen, wenn ihm etwas nicht passte. Der Weg war völlig ungefährlich, also packte sie ihn nach dem Frühstück in warme Winterkleidung und er stapfte los. Eine feuchte Kälte hing in der Luft, aber durch die Bewegung war ihm angenehm warm. Er war ganz alleine auf der Straße, Anfang der 50er Jahre gab es da nur sehr wenige Autos. Bald ließ er die letzten Häuser der Ortschaft hinter sich und lief über die Felder, die sich im flachen Münsterland bis zum Horizont erstrecken. Erst in weiter Ferne war wieder der nächste Bauernhof zu sehen.
'Warum hat Papa mich heute denn nicht mitgenommen?', fragte Rudi sich. 'Ich hatte ihn gestern doch so darum gebeten.' Dieser Tag schien irgendetwas Besonderes an sich zu haben, aber er verstand nicht, was es war. Inzwischen verdunkelten sich die Wolken immer mehr. Bald schwebten einzelne Schneeflocken herab. Er spielte mit ihnen und blieb stehen, um sie mit dem offenen Mund aufzufangen. Als die Erde wie mit einem weißen Tuch völlig bedeckt war, formte er einen Schneeball und probierte aus, wie weit er ihn werfen konnte. Doch inzwischen fiel der Schnee so dicht, dass er gar nicht mehr so weit gucken konnte. Bald hatte er Mühe, den Weg noch zu sehen. Schnell lief er weiter. Plötzlich merkte er, dass vor ihm einzelne Halme aus der Erde ragten. Also war er wohl auf dem Feld gelandet. Rudi suchte mit den Augen den Bauernhof, den er eben noch gesehen hatte. Doch wohin er auch blickte, er sah nur eine undurchdringliche, weiße Wand, er konnte nur noch zwei Meter weit sehen. Er drehte sich um und suchte den Weg, aber überall waren nur die Stoppeln zu sehen. Dann lag der Schnee so hoch, dass er nicht einmal mehr diese sehen konnte. Und es schneite immer heftiger. Er fühlte sich wie in Watte gepackt. Wohin sollte er gehen? Ratlos blieb er stehen und dachte nach. Irgendwie musste er eine Lösung finden. Vielleicht sollte er einfach immer genau geradeaus laufen, dann würde er schon irgendwann bei einem Haus ankommen. Rudi war immer für ein Abenteuer zu haben, aber jetzt wurde ihm mulmig zumute. Sollte er um Hilfe rufen? Doch bei dem Wetter war kaum ein Mensch unterwegs, er hörte jedenfalls niemanden. Um ihn herum fiel nur der lautlose Schnee unaufhörlich herab. Oder war da nicht doch etwas zu hören? Ein fernes Brummen, das er gerade eben noch wahrnehmen konnte, aber es kam ihm sehr vertraut vor. Er lief einfach in diese Richtung los, blieb wieder stehen, horchte wieder. War das nicht das gleichmäßige WUMwumwumwumwum, WUMwumwumwumwum der Dreschmaschine? Das konnte nur sein Vater sein! Mit neuem Mut eilte er durch das endlose Weiß und bald wurde das Geräusch lauter, dann immer deutlicher. Schließlich mischten sich Stimmen in das Maschinengeratter und schließlich konnte er die lauteste auch verstehen:
"He Fritz, schmeiß nicht zuviel auf einmal rein, du würgst mir ja die Maschine ab!"
"Papa, Papa!", rief Rudi und rannte so schnell er nur konnte. So sehr hatte er sich noch nie gefreut, diesen Kommandoton zu hören. Endlich hatte er es geschafft! Erst kurz bevor er an der Scheune angekommen war, sah er den kräftigen Rücken seines Vaters im offenen Tor stehen, die Arme in die Hüfte gestemmt.
"Papa, Papa!", schrie er wieder, doch bei dem Lärm nahm Tobias ihn erst wahr, als er atemlos vor ihm stand und an seiner Jacke rupfte.
"Rudi!" Sein Vater machte große Augen. "Wo kommst du denn her?"
Tobias hob seinen Sohn hoch in die Luft und der quietschte vor Vergnügen.
"Es schneit doch so doll, dass man seine eigene Hand vor Augen nicht sieht", sagte er. "Wie hast du denn den Weg gefunden?"
"Ich habe deine Dreschmaschine gehört und bin immer in die Richtung gelaufen", erklärte Rudi und grinste von einem Ohr zum anderen.
"Mensch, du bist ja ein schlaues Bürschchen!" Tobias strahlte, stellte seinen Sohn wieder auf den Boden und strich ihm über den Kopf. "Ich bin mächtig stolz auf dich!"
Rudi streckte sein Brust vor. So sehr lobte sein Vater ihn nur selten. Inzwischen waren einige der Arbeiter näher gekommen und alle riefen durcheinander:
"Hallo Rudi, den weiten Weg bist du ganz alleine gelaufen?"
"He Rudi, willst du mithelfen? Hier ist es wohl interessanter als zu Hause, was?"
Doch Tobias rief gleich wieder: "Jetzt aber weiter mit der Arbeit! Theo, da steht ein voller Sack! Los, los, Leute, bewegt euch!"
"Du bist doch bestimmt ganz durchgefroren", sagte die Bäuerin, die gerade eine riesige Kanne voller Getreidekaffee brachte. "Geh doch in die Küche und wärm dich auf! Tante Erna gibt dir auch ein Glas Milch."
"Mir ist überhaupt nicht kalt!", behauptete Rudi und wischte sich seine rote Nase mit dem Ärmel ab. Die Bäuerin zuckte die Achseln und wandte sich dem Hühnerstall zu.
Rudi konnte sich an der Wundermaschine nie satt sehen. Sie thronte in dem breiten Gang, wurde von oben mit den Garben gefüttert, schnitt, drosch, rüttelte und presste sie in ihrem Inneren und spuckte an drei Seiten all die Produkte, die die Menschen brauchten, wie von Zauberhand schön sortiert wieder aus. Dabei brummte sie wie ein großes Tier zufrieden vor sich hin. Die Räder, Zahnräder, Messer und die Trommel drehten sich im gleichmäßigen Rhythmus und die Menschen drum herum bildeten die Verlängerung dieser beweglichen Maschinenteile. Sie mussten die Getreidebündel, Strohballen und die schweren Säcke voller Körner hin- und her schleppen. Und Tobi dirigierte das ganze Orchester, er sorgte dafür, dass sich auch die Menschen diesem Rhythmus unterordneten. Rudi folgte seinem Vater auf jedem Schritt und schaute voller Bewunderung zu ihm hoch. Das war tausendmal spannender als der blöde Kindergarten.
Die Arbeit war anstrengend und man brauchte mindestens ein Dutzend Menschen. Deshalb waren heute neben dem Bauern mit seinem Gesinde der Knecht und die Magd eines Nachbarbauern und fünf Sträflinge dabei. Ein Wachmann mit einem Gewehr auf dem Rücken ging gemächlich auf und ab und warf ein scharfes Auge auf sie. Rudi hatte mächtig Respekt vor dem Mann in Uniform und hielt Abstand zu ihm. Eine Tante hatte ihm erzählt, dass unartige Kinder von der Polizei auf den nackten Popo gehauen würden. Die meisten der schwitzenden und stöhnenden Menschen lächelten ihn an, wenn sie ihn sahen. Außer einer jungen, rothaarigen Frau, die er nicht kannte. Sie drehte ihm immer den Rücken zu. Er wunderte sich darüber und fragte seinen Vater: "Wer ist die Frau mit den roten Haaren, Papa?"
"Ach das ist die Magd von Bauer Schulte", sagte Tobias. "Warst du schon im Stall? Da soll es ganz kleine, junge Ferkel geben."
Das ließ Rudi sich nicht zweimal sagen, rannte in den Schweinestall, kletterte in den Koben und spielte eine Weile mit den rosa Tierchen. Die Muttersau grunzte erst misstrauisch, legte sich dann aber wieder ins Stroh.
Nachdem Rudi den gesamten Bauernhof inspiziert hatte, lief er in die Küche. Die alten Frauen stritten sich so heftig, dass sie ihn erst gar nicht wahrnehmen.
"Erna, geh endlich Holz holen", schimpfte die alte Magd Paula.
"Geh du doch", keifte Großtante Erna. "Das ist schließlich Arbeit für eine Magd."
"Mit meinem Rheuma?", gab die Magd zurück. "Ich hab schon deine vollgeschissenen Windeln gewechselt. Hab gefälligst Respekt vor dem Alter!"
"Du kannst froh sein, dass du auf dem Hof meines Neffen dein Gnadenbrot kriegst!", keifte die Großtante.
"Pah, reiß du mal nicht dein schiefes Maul so weit auf, du hast doch auch keinen Mann abgekriegt!", rief die Magd. "Oh, wer kommt denn da? Ist das nicht Tobis kleiner Rudi?"
Die alte Magd Paula ließ ihr Kartoffelmesser fallen, Großtante Erna nahm schnell den großen Waschkessel voller Grünkohl vom Herd und schob mit dem Schürhaken die Ringe auf die Feuerstelle. Beide überschlugen sich förmlich dabei, die Sätze zu sagen, die alle Kinder hassen:
"Mensch Rudi, bist du wieder gewachsen!"
"Kommst du bald in die Schule?"
"Nächstes Jahr", antwortete Rudi. "Ich will Milch haben!"
"Ja, natürlich", Tante Erna holte die Milchkanne und Paula vergaß sogar ihr Rheuma, als sie aufstand um eine große Tasse aus dem Schrank zu nehmen.
"Möchtest du auch ein Stückchen Kuchen?"
"Nee, lieber ein Stück Wurst!", sagte Rudi.
"Ja, natürlich!"
"Der Kleine weiß, was gut ist."
Tante Erna schnitt ihm ein großes Stück Mettwurst ab und Rudi biss kräftig zu.
"Bleib doch hier in der Küche."
"Wir können dir auch eine Geschichte erzählen."
"Nö, danke", sagte Rudi, gab die Tasse zurück und sauste wieder in Richtung Scheune. Bei den alten Tanten war es ihm zu langweilig.
"Ein nettes Kerlchen", sagte Paula. "Aus dem wird mal was."
"Schade, dass er nur adoptiert ist", seufzte Tante Erna.
"Lass das bloß nicht Tobi hören!", zischte Paula.
"Ich bin doch nicht verrückt!", sagte Tante Erna. "Metzger Holt hat sich beim Frühschoppen einen Scherz über Tobis Manneskraft erlaubt. Da hat Tobi ihn vor dem halben Schützenverein dermaßen zusammengebrüllt, dass der so klein mit Hut war!"
Beide Frauen hielten sich den Bauch vor Lachen, bis ihnen die Tränen über die runzeligen Wangen rollten.
Als Rudi wieder in die Scheune kam, machte Fritz, der Knecht des Nachbarbauern gerade eine kurze Pause. Er wischte sich Schweiß und den gröbsten Dreck aus dem Gesicht und genehmigte sich einen Schluck Muckefuck. Er kam auf Rudi zu, riss ihm plötzlich die Mütze vom Kopf und sagte: "He, der ist ja gar nicht rot!"
"Lass den Jungen in Ruhe, verschwinde!", schnauzte Tobias ihn an und zog Rudi die Mütze wieder über die Ohren. Der Knecht drehte sich schnell um und nahm wieder seine Mistgabel in die Hand.
"Was meinte er denn, Papa?", fragte Rudi.
"Ach, das ist doch nur ein dummer Knecht, kümmere dich nicht um den", sagte sein Vater. "Guck mal Rudi, das erste Fach ist bald leer gedroschen. Hast du eine Tüte?"
"Oh, ich hole mir schnell eine aus der Küche!", rief Rudi und rannte wieder los.
Mit einer alten Papiertüte in der Hand legte er sich neben den Katzen auf die Lauer. Als nur noch zwei Bündel Getreide übereinander lag, flüchteten die ersten Mäuse aus ihrem alten Nest. Die Katzen sprangen hin und her und bissen zahllose tot. Rudi fing zwei Mäuse und fand ein Nest mit vier nackten Mäusebabys. In der Tüte blieben die Tiere vor Schreck ganz still liegen.
'Das wird ein Festschmaus für unsere Mieze', freute Rudi sich.
Plötzlich rannte eine dicke Ratte unter der letzten Garbe hervor, Fritz warf seine Mistgabel nach ihr, verfehlte sie jedoch knapp.
"Dieses verdammte Ungeziefer!", rief er.
Die Ratte schlug einen Haken und lief genau auf Tobias zu.
"He Tobi!", schrie der Knecht, doch Tobi hörte ihn im Lärm der Dreschmaschine nicht. In seiner Panik flüchtete das Tier in Tobis weite, blaue Arbeitshose. Die Ausbeulung wanderte schnell nach oben. Alle Umstehenden hielten entsetzt die Luft an. Seine dicke Winterkleidung würde Tobi so schnell nicht ausziehen können. Tobi schaute erstaunt nach unten und reagierte sofort. Er klappte sein Taschenmesser auf und stach ohne zu zögern auf den Knubbel ein. Dann schüttelte er sein Bein, so dass der Kadaver herunter fiel.
"Da wird meine Frau mir wohl die Hose flicken müssen!", lachte er und alle stimmten mit ein.
Bald darauf rief Tante Erna zum Mittagessen und alle drängten sich an den langen Tisch in der großen Bauernküche. Tobias nahm ganz selbstverständlich am Kopfende Platz, neben ihm Rudi und die Bauersleute. Alle senkten die Köpfe und falteten die Hände.
"Segne, Vater, diese Speise,
uns zur Kraft und Dir zum Preise.
Gegrüßet seist Du, Maria…"
Fritz stieß seinen Kollegen Erwin an und flüsterte: "Ich dachte, Tobi ist evangelisch, wie kann er hier vorbeten!"
"Das Ave Maria kann der genauso gut wie er rumkommandiert", grinste Erwin. "Und zehnmal besser als du!"
"Psst!", zischte es gegenüber.
"Hm, euer Grünkohleintopf schmeckt wieder mal prächtig!", sagte Tobias und hob sein Schnapsglas. "Ein Prost auf Tante Erna und Paula!"
"Ja, prima! Prost!"
"Und die Mettwurst ist schön fett!", rief einer der Sträflinge vom entgegengesetzten Ende des Tisches.
"Ja, so was Gutes kriegt ihr nicht alle Tage, was?", lachte Tobi. Großtante Erna und die alte Magd Paula saßen einträchtig nebeneinander und strahlten, ob soviel Lobes von einem Ohr zum anderen.
"Hast du schon gehört, Claas hat den ersten selbstfahrenden Mähdrescher raus gebracht", erzählte Fritz. "Ist das nicht toll, die Maschine macht alles, womit wir uns hier mühsam abrackern, ganz von selbst."
"Das kann sich hier doch kein Bauer leisten", winkte Erwin ab. "Wer weiß, ob wir so was noch erleben!"
"Na, ich hoffe, die Dinger kommen, bevor mein Kreuz kaputt ist!", seufzte Fritz.
"Und was hast du von deinem Rücken, wenn du arbeitslos bist?", lachte Erwin.
"Dann geh ich eben in die Fabrik", erwiderte Fritz.
"Den ganzen Tag am Fließband und den Aufseher hinter dir?" Erwin schüttelte den Kopf. "Ne, da lob ich mir doch die gute Münsterländer Luft."
"Und was nutzt dir die gute Luft, wenn du kaum Geld hast?", gab Fritz zurück. "In der Fabrik verdiene ich wenigstens so viel, dass ich eine Familie ernähren kann."
"Ach, mit Weibern hat man doch nur Scherereien", sagte Erwin. "Beim Bauern gibt’s immer gut zu essen und schließlich sind nicht alle Tage so hart wie heute."
Während die Arbeiter sich im Stroh ausstreckten, reinigte, ölte und inspizierte Tobias seine Maschine von oben bis unten. Rudi guckte ihm bei jedem Handgriff auf die Finger, schließlich wollte er doch immer alles ganz genau wissen. Sein Vater beantwortete ihm geduldig alle Fragen.
"Da hinten sind die Scheren", erklärte Tobias. "Du weißt ja, dass du da nicht dran kommen darfst, sonst bist du tot!"
"Klar doch", winkte Rudi ab. Tobias ging noch einmal um die Maschine herum, es schien alles in bester Ordnung zu sein. Also rief er laut:
"Los, an die Arbeit, Leute, wird's bald!", und warf die Maschine wieder an.
"Dieser Menschenschinder!", schimpfte Fritz. "Die Arbeit in dem Lärm und Staub ist schwer genug! Dann muss der uns auch noch dauernd dermaßen scheuchen."
"Tobi hat alles fest im Griff", lachte Erwin. "Vor dem Krieg war er Verwalter auf einem großen Rittergut, da hat er das Kommandieren gelernt. Wenn er drischt, klappt alles wie am Schnürchen und wir sind um neun fertig!"
"Was, bis neun?", Fritz riss erschrocken die Augen auf. "Ich muss dann doch noch nach Hause laufen! Und ich bin jetzt schon müde!"
"Jetzt ist aber Schluss mit Kaffeekranz, Fritz! Schnapp dir den Sack, sonst mach ich dir Beine!", rief Tobias und der Kreislauf aus Schleppen, Werfen, Stapeln setzte wieder ein. Rudi hockte an einer Seite der Dreschmaschine und beobachtete wie die Einzelteile sich drehten und ineinander griffen. Unterhalb des Antriebriemens war eine recht große Öffnung.
'Da müsste ich doch durchpassen', überlegte er. 'Ich muss nur acht geben, dass ich nicht an den Riemen komme.'
Er war nicht nur klein und schmächtig, sondern auch sehr geschickt, also zögerte er nicht lange und kroch hinein. Auf der untersten Schütte wurde er ganz langsam hin- und hergeschaukelt. Von hier konnte er genau sehen, wie die Spelzen und die kurzen Halme auf den einzelnen Schütten von oben nach unten aussortiert wurden. Das Stroh rutschte in die Presse genau vor ihm. Hier war er mittendrin, konnte stundenlang zugucken. Für ihn gab es keine spannendere Beschäftigung.
"He Tobi!", rief Fritz entsetzt. "Dein Sohn sitzt mitten in der Dreschmaschine!"
"Vor der Presse, nicht wahr?", Tobias winkte ab. "Der kennt die Maschine genauso gut wie ich, der passt schon auf! Kümmer' du dich mal um deine Arbeit!"
"Rudi, bist du nicht müde?", fragte die Bäuerin nach dem Abendessen. "Es ist doch schon dunkel."
"Nö, überhaupt nicht!", sagte Rudi und rieb sich die Augen. Doch bald danach wurde ihm der Kopf schwer, er legte sich ins Stroh und schlief ein, die Maschine sang ihn mit ihrem wumwum in den Schlaf.
Als die Drescharbeiten fertig waren, wurde alles wieder abgebaut, der Trecker vor die Dreschmaschine gespannt und der Bauer bezahlte Tobias. Dieser würde am Wochenende den Besitzer der Maschine auszahlen. Man verabschiedete sich kurz, alle sehnten sich nach ihrem Bett. Tobias kletterte mit seinem schlafenden Sohn im Arm auf den Trecker, setzte sich den Jungen auf den Schoß und packte ihn so gut es ging in seine offene Jacke. Die Tüte mit den Mäusen legte er neben seine Füße. Dann ließ er den Motor an.
Auf dem Nachhauseweg schlug Fritz der rothaarigen Magd auf den Hintern.
"Na, wie wär's denn heute Nacht?"
"Mach das nicht noch mal!", zischte sie und stieß ihn von sich.
"He, Feuer im Hintern hast du ja!", erwiderte Fritz. "Und tu doch nicht so spröde! Der Kleine ist doch echt was geworden!"
"Halt's Maul!", schrie sie und trat ihm kräftig gegen das Bein. "Genau so was wird mir nicht noch mal passieren!"
Diese Geschichte ist natürlich meinem Schwiegervater gewidmet.