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Sanuha

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08.07.2012
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Sanuha

Sanuha umklammerte die Hand ihres Vaters und starrte hinüber zur Diamantenmine, deren verfallene Gebäude lange Schatten in den Sand der Wüste zeichneten. Der rote Ocker der Kalib brannte im letzten Licht des Tages.
»Wir dürfen uns jetzt nicht fürchten«, sagte Taiman und stieß den gefiederten Häuptlingsspeer in den Boden. Als seine Tochter keine Antwort gab, richtete der Krieger den Blick auf das Mädchen.
Sanuha stand bewegungslos in der Glut der untergehenden Sonne. Abendwind spielte in ihrem Haar.
»Weißt du noch, was wir uns vorgenommen haben?«, fragte Taiman.
Sanuha presste die Lippen zusammen und nickte.
»Gut, dann wollen wir gehen.«
Doch Sanuha machte keinen Schritt.
»Lebt sie dort?«, fragte sie.
»Ja«, sagte Taiman. »Dort lebt sie.«
»Warum ist sie so böse?«
Taiman wandte den Blick von seiner Tochter. Er schaute hinüber zur Siedlung, wo die Arbeitsgebäude der Mine, die Hütten, Schuppen und Unterstände in der Hitze flimmerten.
»Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte der Krieger.
»Sag es mir«, beharrte seine Tochter.
»Sie ist nicht böse. Sie ist nur hungrig.«
Und als er sah, dass diese Erklärung nicht genügen würde, löste sich Taiman aus dem Griff seiner Tochter und setzte sich neben sie in den Sand.
Noch einmal berichtete er, wie sie mit der alten Löwin verhandelt hatten, wie sie versprochen hatten, sie bis zum Tag ihres Todes zu ehren, mit Nahrung zu versorgen.
»Diese Mine«, sagte Taiman, »ist das Werk von Männern, die jeden von uns getötet hätten.«
»Warum?«
»Sie waren krank vor Gier«, erwiderte Taiman.
»Und sie hat diese Männer vertrieben?«
»Ja«, sagte Taiman, »und ich habe dir die Geschichte bereits erzählt.«
»Hat sie die Männer getötet?«
Taiman streichelte den Kopf seiner Tochter. »Lass uns jetzt gehen, Sanuha.«
»Wir haben keine Nahrung mehr, die wir ihr geben können, nicht wahr?«, sagte das Mädchen.
Taiman antwortete nicht sofort. »Nein«, sagte er schließlich. »Sie hat uns vor den Minenarbeitern gerettet. Aber ihr Geruch vertreibt das Wild. Unsere Jäger haben seit Wochen nichts gefangen.«
»Das dachte ich mir«, sagte Sanuha. Und dann leise: »Gehen wir.«


Taiman erhob sich, ergriff den Speer und nahm seine Tochter bei der Hand. Sie folgten einem schmalen, ausgetretenen Pfad, der sie bis zur Siedlung führte.
Während sie gingen ließ Sanuha den Eingang der Mine nicht aus den Augen. Es war ein düsterer Schacht, ein wenig abseits gelegen, der schräg in die Tiefe führte. Und obwohl Sanuha kaum etwas über die alte Löwin wusste, war sie überzeugt, dass sie dort lebte, in der kühlen Finsternis des Minenschachts.
»Das tote Mädchen am Fluss«, sagte Sanuha. »Das war also kein Krokodil?«
Taiman blieb stehen.
»Du musst mich nicht anlügen, Vater.«
Noch immer starrte Sanuha zum Schacht hinüber. Keine hundert Schritte trennten sie jetzt vom Eingang der Mine.
»Sie war es«, sagte Taiman. »Und sie wird keine Ruhe geben.«
»Weil wir in ihrer Schuld stehen.«
»Ja«, sagte Taiman, und seine Stimme klang rau.
In diesem Moment trug der Abendwind den Raubtiergeruch der alten Löwin herüber. Sanuha presste die Hand ihres Vaters. »Warum hast du kein anderes Kind ausgewählt?«
»Ich konnte es nicht«, sagte Taiman leise. »Du bist meine Tochter. Du bist die Tochter des Häuptlings.«
»Aber …«
»Das bedeutet …« Taiman suchte nach Worten. »Du bist diejenige, die zählt.«
Als der schlanke Leib der Löwin aus dem Dunkel des Schachts auftauchte, schrie Sanhua. Es war ein kurzer Schrei, hoch und spitz. Sein Nachklang schwebte einen Augenblick über der Wüste.
»Wir dürfen uns jetzt nicht fürchten«, sagte Taiman noch einmal.
Sanuha schloss die Augen. Ihr Körper bebte, in ihren Ohren rauschte es. Wie von weiter Ferne hörte sie ihren Vater: »Sieh hin, Sanuha. Du musst hinschauen.«
Sie öffnete die Augen und erstarrte. Im Blick der Löwin gab es keine Wüste. Keine Mine. Keinen Sand, keine Sonne, keinen Taiman. Im Blick der Löwin gab es nur sie, Sanuha.
»Du musst mich jetzt loslassen«, sagte ihr Vater, und Sanuha gehorchte. Ihr Körper zitterte so sehr, dass ihr Kleid an ihrem Körper schlotterte.
Taiman trat ein paar Schritte zurück. Dann wurde es still, und in dieser Stille näherte sich die alte Löwin auf ihren schweren, lautlosen Pranken. Als nur noch wenige Schritte zwischen ihr und dem Mädchen lagen, hielt sie – eine Vordertatze schwebte in der Luft – abrupt inne, und Sanuha bemerkte etwas Sonderbares. Noch immer fixierten sie die schmalen Augen der Löwin mit einem glühenden Blick, doch jetzt schien sich dieser Blick auf etwas zu richten, das weder Sanuha noch ihr Vater wahrnahm.
»Sie sieht dich«, rief Taiman, machte einen schnellen Schritt und schleuderte den Speer mit solcher Wucht, dass seine Klinge den Leib der Löwin mit Leichtigkeit durchstieß.


Sanuha kniete neben dem Körper der toten Löwin und betrachtete das Tier. Sie hob die Hand, um über das Fell zu streichen, doch dann ließ sie den Arm sinken.
»Du warst sehr tapfer«, sagte Taiman. »Gehen wir zurück zum Dorf.«
Sanuha nickte und erhob sich. Noch einmal schaute sie zum Minenschacht. So stand sie einen Augenblick lang. Die Nacht war angebrochen.
»Was hast du vor?«, rief Taiman, als Sanuha zum Eingang der Mine lief. Doch Sanuha antwortete nicht. Taiman zog den Speer aus dem Körper der Löwin und folgte seiner Tochter.
»Ich will es mir anschauen«, sagte Sanuha, als ihr Vater sie eingeholt hatte.
Taiman schien etwas sagen zu wollen, doch dann schwieg er.
Im Licht einer Fackel drangen sie geduckt ins Innere des Schachts vor. Sie mussten nicht weit gehen.
»Das wusste ich nicht«, sagte Taiman und beugte sich über die beiden Welpen. »Ich dachte, die Löwin ...«
»Wie alt sind sie?«, fragte Sanuha.
»Ihre Augen sind noch nicht ganz geöffnet«, sagte Taiman. »Also sind sie etwa zwei Wochen alt.«
Das Mädchen betrachtete die Welpen, und als Taiman sich umwandte und sagte: »Wir müssen gehen«, ergriff Sanuha seinen Arm.
Taiman schüttelte den Kopf. »Wir können sie nicht mitnehmen. Das weißt du.«
Sanuha schaute ihren Vater an. Im goldenen Licht der Fackel wirkten ihre Züge ernst und klar. »Ich bin Sanuha, die Tochter der Häuptlings«, sagte sie. »Ich bin diejenige, die zählt.«

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Achillus,

»Ja«, sagte Taiman, »und ich habe dir die Geschichte bereits erzählt.«
Das fiel mir beim ersten Lesen auf, weil ich denke, dass der letzte Halbsatz weg kann. Ich denke, Kinder wollen sich immer wieder versichern, die gleiche Geschichte mehrfach erzählt bekommen, besonders, wenn es um existenzielle Dinge wie Leben und Tod geht. Gerade deshalb versteht sich das fast von selbst, dass er das schon erzählt hat und sie immer wieder fragt, wie ein Ritual.

Sie hat uns vor den Minenarbeitern gerettet.
Da runzelte sich meine Stirn, weil ich denke, in Afrika werden pausenlos Tiere aller Größe und Rasse gewildert und die Minenbetreiber (meist halbkriminelle Weiße) lassen sich von einer alten Löwin in die Flucht schlagen? Das liest sich romantisch verklärt.

Während sie gingen(Komma) ließ Sanuha den Eingang der Mine nicht aus den Augen

»Du musst mich nicht anlügen, Vater.«
Das passt für mich nicht zu dem Verhältnis von Tochter und Vater, klingt in meinem Ohr zu modern, zu westlich gedacht. So schonungslos, wie der Vater sie mit der Realität konfrontiert, wird er sie nicht anlügen, um sie zu schützen.

Noch immer fixierten sie die schmalen Augen der Löwin mit einem glühenden Blick, doch jetzt schien sich dieser Blick auf etwas zu richten, das weder Sanuha noch ihr Vater wahrnahm.
»Sie sieht dich«, rief Taiman
sehr schöne, eindrückliche Szene. Hammer!

Sanuha schaute ihren Vater an. Im goldenen Licht der Fackel wirkten ihre Züge ernst und klar. »Ich bin Sanuha, die Tochter der Häuptlings«, sagte sie. »Ich bin diejenige, die zählt.«
Einerseits finde ich den Schluss gelungen, er fokussiert das Geschehen, findet einen sehr ernsthaften Klang, der nachhallt.
Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob das Mädchen in der Situation tatsächlich diese Stärke, diese Einsicht und auch diese Härte aufbringen kann. Das birgt in sich die Gefahr, dass das Kind zu sehr als Rolle, fast roboterlike rüberkommt, was sie nicht ist, denn vorher hat sie zu Recht Angst und zittert. Das würde ich aufbrechen, durch eine Regung, eine Träne, die ihre Wange hinabläuft, als sie das sagt, irgendwas. Das würde diesem besonderen Moment, dieser Initiation gerecht, finde ich.
Erzähltechnisch hast du zwei sehr starke und überraschende Wendungen drin, einmal der geschleudert Speer und dann die zufällig entdeckten Welpen. Passt zu und hält die Spannung, weist aber darüber hinaus genau auf die Essenz des Textes: Es geht darum, Entscheidungen zu treffen und sie so zu treffen, wie es für das eigene Überleben notwendig ist. Was weitergedacht auch heißt, dass man sich Tierwohlgedanken und Zweifel leisten können muss.
Es ist eine untypische Geschichte für dich und auch wiederum nicht. Untypisch wegen der Kürze, der Zuspitzung auf ein einzelnes Ereignis und der Zielgruppe Kinder, typisch wegen den ethischen Fragen, die du aufwirfst, nach der Legitimation gewisser Entscheidungen.
Hab den Text gerne gelesen und denke, dass er für die gedachte Zielgruppe passend aufbereitet ist. Wobei er für mich eine Facette des breiten Spektrums dessen, womit Kinder sich beschäftigen können sollten, besetzt.

Peace, linktofink

 

Hallo @Achillus,

oha, eine Kindergeschichte. Ich frage mich, für welche Kinder du diese Geschichte geschrieben hast. Es müssten Kinder sein, die generell viel lesen und auch geduldig genug sind, sich auf den etwas kryptischen Anfang einzulassen.

Ich finde den Aufbau nicht wirklich altersgemäß. Du lässt vieles im Dunkeln. Man erfährt erst spät, warum die beiden da sind. Was sie vorhaben. Vielleicht wolltest du die Spannung vergrößern, weil man auch denken könnte, der Vater will die Tochter opfern? Für mich nimmst du dadurch erst Spannung raus, weil man ja gar nicht so richtig mitfiebern kann. Für mich wäre eine klarer Ziel-Hindernis-Struktur passender für diese Altersgruppe.

Die Sprache finde ich größtenteils passend. Ein paar Stellen sind etwas drüber, z.B. diese:

Der rote Ocker der Kalib brannte im letzten Licht des Tages.
Sein Nachklang schwebte einen Augenblick über der Wüste.

»Ich will es mir anschauen«, sagte Sanuha, als ihr Vater sie eingeholt hatte.
Was meint sie mit „es“? Die Mine? Würde ich genauer schreiben.

Taiman schüttelte den Kopf. »Wir können sie nicht mitnehmen. Das weißt du.«
Sanuha schaute ihren Vater an. Im goldenen Licht der Fackel wirkten ihre Züge ernst und klar. »Ich bin Sanuha, die Tochter der Häuptlings«, sagte sie. »Ich bin diejenige, die zählt.«
Das Ende sehe ich wie Linktofink. Das ist zu hart. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Kinder diese Reaktion nicht verstehen werden. Auch wenn du Sanuha am Ende hart darstellen willst, solltest du erklären, wieso sie zu diesem Entschluss kommt, oder wenigstens ein paar Brotkrumen auslegen. Die Tochter des Häuptlings zu sein, ist mir da zu wenig.

Die Moral von der Geschichte wäre: Man muss bereit sein, für das Allgemeinwohl Opfer zu bringen, auch wenn es dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden widerspricht?
Ich weiß nicht, irgendwie finde ich das etwas schwierig. Auf welche Situation in der Welt der Kinder ließe sich das übertragen? Soll das heißen, es ist okay, auf andere Leute keine Rücksicht zu nehmen, wenn es um das Wohlergehen der eigenen Familie geht? Wo fängt das an, und wie weit darf das gehen? Bin mir gerade nicht so sicher, ob diese Geschichte wirklich für Kinder sein sollte, oder nicht vielleicht eher für Jugendliche, junge Erwachsene, die eher mit solche moralischen Fragen umgehen können.

Liebe Grüße,
NGK

 
Zuletzt bearbeitet:

Hey @Achillus ,

ich finde der Text ist gut geschrieben. Er ist von der Sprache her sehr schlicht, setzt aber hier und da Akzente und ist unterhaltsam. Ein 'gerne gelesen' unter dem Aspekt, dass ich mich an alte Indianer-Filme erinnert gefühlt habe, natürlich Winnetou oder der mit dem Wolf tanzt. So etwas Hemmingway-mäßiges steckt da für mich auch drin. Das Existentielle der Jagd. Auch musste ich an die Unendliche Geschichte denken und den Häuptlingssohn Atréju, der zur Identifikations- und Projektionsfigur Bastian Balthasar Bux wird, bis die beiden schließlich identitätsmäßig miteinander verschmelzen. Ich will nicht verhehlen, dass der Text auf mich vorsichtig gesagt sehr klassisch wirkt oder altmodisch. Auch durch die autoritären 'Erziehungs'muster die hier gelebt werden – die du ein stückweit auch (natürlich nicht völlig zu unrecht) romantisierst. Sanuha ist nun eben die Häuptlingstochter und damit auch in diese Rolle hineingeboren. Die Bedenken NGKs, was die 'Moral der Geschichte' angeht, habe ich – soweit ich NGK richtig verstanden habe – nicht. Für mich geht es hier darum Verantwortung zu übernehmen. Und mit so einer jungen, aber doch mutigen und starken Häuptlingstochter hätte ich mich früher sicher identifizieren können.
Aber nochmal auf das 'Altmodische'. Die Geschichte an sich finde ich gut erzählt, aber zeitgemäß erscheint sie mir nicht. Jetzt könnte man einwenden: es ist doch zumindest eine Häuptlingstochter und kein Häuptlingssohn. Das Motiv der starken Prinzessin reicht jedoch weit zurück in die Literaturgeschichte, bis zur Brünhild der Nibelungensage, der Penthesilea oder allgemein dem Amazonen-Motiv und versucht ja eben durch das angenommene, invertierte Klischee des starken Königssohns zu überraschen, verharrt aber eben genau deshalb auch ein Stückweit in diesem Klischee.
Das ist jetzt kein Ausschlusskriterium. Es gibt diesen Film Prinzessin Mononoke von Hayao Miyazaki, den ich sehr mag und bei dem ich mir verbiete (auch wenn ich es eigentlich sehr wohl selbst weiß), dass jemand ihn klischiert nennt. Auf Pathos setzt er ganz sicher. Das ist für mich so ein bisschen die Schattenseite, die ich an diesem Stoff sehe.


habe das mal gegooglet und nichts gefunden. Was heißt das eigentlich? :schiel:

»Weißt du noch, was wir uns vorgenommen haben?«, fragte Taiman.
Sanuha presste die Lippen zusammen und nickte.

Das ist für mich schon sehr Ausdruck dieses konfrontativen Erziehungsmodells, das oft auch etwas Rücksichtsloses hat. Auch das Taiman hier im vergemeinschaftenden "wir" spricht und sich damit als eigentlicher (Mit-)Willensträger dieser Aktion zeigt bzw. auch ein Stückweit Sanuhas Angstgefühl nicht anerkennt.

»Sie ist nicht böse. Sie ist nur hungrig.«

Das fand ich mega spannend. Dass du von einer Sie gesprochen hast. In dem Kontext für mich DAS Pronomen für ein unbekanntes Monstrum (dass sich natürlich auch als etwas anderes offenbaren kann).

Noch einmal berichtete er, wie sie mit der alten Löwin verhandelt hatten, wie sie versprochen hatten, sie bis zum Tag ihres Todes zu ehren, mit Nahrung zu versorgen.

Deswegen fand ich das hier verschenkt. Ich hätte das weiter ungeklärt gelassen und da die Spannung gehalten und die Überraschung, dass es eine Löwin ist, für das Ende genutzt. Diese Überraschung wäre zumindest für mich keine Enttäuschung, sondern wirklich angemessen. Ich finde auch die Löwin eine starke Gegnerin, rein vom Psychologischen, Archetypischen.
Die Stelle ist mir, wie andere Dialogstellen auch, zu Tell-lastig. Da wird alles "nochmal berichtet" und "ach das habe ich dir schon erzählt", wo klar ist, das ist jetzt nochmal für die Leser. Ich denke, da hattest du die Zielgruppe im Blick. Insofern finde ich, das geht schon, ist aber erzählerisch etwas überholt.

»Diese Mine«, sagte Taiman, »ist das Werk von Männern, die jeden von uns getötet hätten.«
»Warum?«
»Sie waren krank vor Gier«, erwiderte Taiman.
»Und sie hat diese Männer vertrieben?«
»Ja«, sagte Taiman, »und ich habe dir die Geschichte bereits erzählt.«

Das habe ich beim ersten Lesen nicht so wahrgenommen, nach dem zweiten Lesen muss ich linktofink zustimmen. Das ist schon sehr schwarz-weiß-mäßig – aber da sehe ich auch wieder die junge Zielgruppe und finde das schon auch angemessen. Entwicklungspsychologisch gesehen ist das einfach noch nicht die Zeit, in der Widersprüche so einfach akzeptiert werden können, weshalb gut und böse ja immer ihre Verortung in solchen Geschichten haben und sich gerade auf die schillernden Figuren dazwischen (in diesem Fall die Löwin) konzentriert wird.

Aber ihr Geruch vertreibt das Wild

Da habe ich mich gefragt, ob das wirklich so ist. Bist du etwa auch Jäger? Sonst könnte man hier sicher gut mal Jimmy konsultieren :lol:

»Das tote Mädchen am Fluss«, sagte Sanuha. »Das war also kein Krokodil?«
Taiman blieb stehen.
»Du musst mich nicht anlügen, Vater.«

Ging mir jetzt nicht so wie Link, dass ich das sprachlich unpassend fand. Mich stört daran eigentlich wieder nur, dass das so tellig ist. Hier könntest du noch ordentlich verschlanken, finde ich. Nach dem ersten Satz, ihrer Erkenntnis, ist das ohnehin klar, dass die Löwin sie geholt hat. Vor allem, wenn der Vater dazu nichts sagt.

Hier habe ich gedacht, dass in dieser Geschichte jedes Motiv, jeder Beweggrund so bis ins Detail geklärt wird; als ob dadurch die moralische Unfehlbarkeit dieser Entscheidung nocheinmal herausgestellt werden müsste, hat die Löwin jetzt auch noch ein Kind des Stammes gefressen. Das übrigens wird ja nach dem Umstand genannt, dass der Geruch der Löwin das Wild vertreibt, was ja schon nochmal von der Gewichtung her denkwürdig wäre.

Im Licht einer Fackel

Woher kommt die jetzt auf einmal und woher nehmen die beiden das Feuer?

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Also ... das Potential der Geschichte sehe ich in der starken, heldenmutigen Figur von Sanuha. Auch in dem Existentiellen Konflikt zwischen zwei Jägern. Hier könnte ich mir vorstellen, den Kampf noch etwas mehr zu beschreiben. Weil darum geht es. Und wenn es so leicht ist, die Löwin niederzustrecken, dann war es wohl auch nicht so schwer und eben auch nicht so existentiell. Ein anderes Potential sehe ich in der Darstellung davon, wie Sanuha lernt Entscheidungen zu treffen. Das finde ich, hast du schon gut rausgearbeitet.
Wie NGK habe ich auf etwas andere Weise mein Problem mit der (Erziehungs-)Moral der Geschichte. Weil wir es ja von dem Begriff des Konventionellen hatten, muss ich gestehen, durch die Geschichte nochmal etwas verunsichert über den Begriff zu sein. Eben wegen der weiter oben beschriebenen sehr klassischen Erzählhaltung und auch des sehr klassischen Stoffs. Das kannst du also nicht mit konventionell gemeint haben.
Wie dem auch sei. Gut geschrieben und erzählt finde ich das trotzdem.

Grüße

 

Hallo Achillus,

in der Rubrik Jugend hätte ich dich nicht erwartet, da musste ich unbedingt nachschauen.
Erzähltechnisch gefällt mir die Geschichte gut, vor allem, was die Spannung betrifft. Das ist ja deine Stärke. Vielleicht ein wenig pathetisch, z.B. hier:

Sie öffnete die Augen und erstarrte. Im Blick der Löwin gab es keine Wüste. Keine Mine. Keinen Sand, keine Sonne, keinen Taiman. Im Blick der Löwin gab es nur sie, Sanuha.

Beim Inhaltlichen, bzw. bei der (pädagogischen) Botschaft hatte ich so meine Bedenken. Ich habe daher die Kommentare studiert, um zu überprüfen, ob ich bloß meine Vorurteile pflege. Fest steht jedenfalls, dass unsere Auffassungen nicht ganz übereinstimmen. Immerhin billigst du Sanuha zu, dass der Vater sie ernst nimmt in ihrer Rolle als Häuptlingstochter, die Verantwortung übernehmen darf/soll. Verantwortung wofür? Ich denke, es soll die richtige Entscheidung sein. Für den Vater bedeutet dies: Der Stamm muss vorrangig geschützt werden, obwohl die alte Löwin eine Verbündete im Kampf gegen die gierigen Minenbesitzer gewesen ist. Ich hoffe, ich habe das richtig verstanden. In diesem Sinn indoktriniert der Vater seine Tochter, die in seine Fußstapfen treten soll.

Sanuha schaute ihren Vater an. Im goldenen Licht der Fackel wirkten ihre Züge ernst und klar. »Ich bin Sanuha, die Tochter der Häuptlings«, sagte sie. »Ich bin diejenige, die zählt.«

Was aber, lieber Achillus, wenn Sanuha den unterstrichenen Satz später anders interpretiert als vom Vater beabsichtigt? Wenn sie z. B. Wert darauf legt, dass man Versprechen hält? Oder wenn sie aus weiblicher Sicht den Welpenschutz höher einstuft als die Sicht des Vaters, Fressen oder gefressen werden? Wie, wenn der Vater eben doch gelogen hat, was das tote Mädchen am Fluss betrifft?

Das sind schwerwiegende Fragen, die ganz grundsätzliche ethische Normen berühren. Insofern eine anspruchsvolle Sache, die du deiner Zielgruppe anbietest. Ich denke aber, junge Menschen nehmen sich aus einer Vorlesegeschichte heraus, was sie packen können. Das kann natürlich sehr unterschiedlich ausfallen, so meine Erfahrungen an den Vorlesetagen 2018 und 2019.
Vielleicht erlaubst du mir, diesen Text am Vorlesetag 2020 zu verwenden. So oder so, der Text hat mir gefallen, gerade weil er so vielschichtig ist.

freundliche Grüße

 

Hallo linktofink, vielen Dank für das Lesen und Kommentieren meiner Geschichte!

»Ja«, sagte Taiman, »und ich habe dir die Geschichte bereits erzählt

Das fiel mir beim ersten Lesen auf, weil ich denke, dass der letzte Halbsatz weg kann. Ich denke, Kinder wollen sich immer wieder versichern, die gleiche Geschichte mehrfach erzählt bekommen, besonders, wenn es um existenzielle Dinge wie Leben und Tod geht. Gerade deshalb versteht sich das fast von selbst, dass er das schon erzählt hat und sie immer wieder fragt, wie ein Ritual.


Guter Hinweis, denke ich drüber nach.

Sie hat uns vor den Minenarbeitern gerettet.

Da runzelte sich meine Stirn, weil ich denke, in Afrika werden pausenlos Tiere aller Größe und Rasse gewildert und die Minenbetreiber (meist halbkriminelle Weiße) lassen sich von einer alten Löwin in die Flucht schlagen? Das liest sich romantisch verklärt.


In der Vergangenheit gab es durchaus Fälle, in denen Löwen (seltener auch Leoparden) Bauprojekte gestört haben. Das ist also nicht so abwegig. Wichtiger ist aber, dass diese Löwin ein besonderes Exemplar darstellt. (Ansonsten gebe ich Dir in der Sache natürlich recht.)

»Du musst mich nicht anlügen, Vater.«

Das passt für mich nicht zu dem Verhältnis von Tochter und Vater, klingt in meinem Ohr zu modern, zu westlich gedacht. So schonungslos, wie der Vater sie mit der Realität konfrontiert, wird er sie nicht anlügen, um sie zu schützen.


Kommt auf meine Liste.

Einerseits finde ich den Schluss gelungen, er fokussiert das Geschehen, findet einen sehr ernsthaften Klang, der nachhallt. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob das Mädchen in der Situation tatsächlich diese Stärke, diese Einsicht und auch diese Härte aufbringen kann. Das birgt in sich die Gefahr, dass das Kind zu sehr als Rolle, fast roboterlike rüberkommt, was sie nicht ist, denn vorher hat sie zu Recht Angst und zittert.

Ich verstehe, was Du meinst. Die Idee ist aber eine Initiation, wie Du sagst, und damit auch eine Transformation zu zeigen. Sanuha am Ende des Textes ist nicht mehr das Mädchen, das sie am Anfang war. Das Problem, dabei möglicherweise in eine Rolle zu rutschen, sehe ich aber auch. Ich hoffe, die Gratwanderung gelingt, jedenfalls für das Empfinden der meisten Leser.

Erzähltechnisch hast du zwei sehr starke und überraschende Wendungen drin, einmal der geschleudert Speer und dann die zufällig entdeckten Welpen. Passt zu und hält die Spannung, weist aber darüber hinaus genau auf die Essenz des Textes: Es geht darum, Entscheidungen zu treffen und sie so zu treffen, wie es für das eigene Überleben notwendig ist.

Ich glaube auch, dass diese Wendungen den Text bereichern. Sanuha wird einerseits eine Bürde zugemutet, etwas, das mit einer Pflicht oder Verantwortung verbunden ist. Andererseits geht es dann aber darum selbständig Entscheidungen zu treffen. Das gefällt mir als Bild sehr gut.

Hab den Text gerne gelesen und denke, dass er für die gedachte Zielgruppe passend aufbereitet ist. Wobei er für mich eine Facette des breiten Spektrums dessen, womit Kinder sich beschäftigen können sollten, besetzt.

Vielen Dank, linktofink, das freut mich sehr.

Gruß Achillus


Wird fortgesetzt ...

 

Erst mal so - weil ich gerade zum Geburtstag abgeholt werd, ja, der lässt sich heute fahren durch die Suppe -, weil ich in meine "Vorredner" reingeschaut habe, denn Deine Geschichte,

lieber Achillus,

ist für mich eine gelungene Jugendgeschichte und Karl May hat nun wahrlich nix damit zu tun und wenn man weiß, unter welchen Bedingungen der mit dem Wolf tanzt entstanden ist (den Roman hab ich nicht gelesen), dann weiß man bei aller Annäherung an die Bedingungen nach dem Bürgerkrieg, dass Costner sich Informationen aus den Reservaten (Pine Ridge z. B.) besorgte und verdutzt schaute, als sich herausstellte, dass seine Informanten zum großen Teil auch nur Vorstellungen Hollywoods, also des amerikanischen Mythos weitergegeben haben.

Später, noch gar nicht so lange her, hab ich die Biografie über Thashunke Witko (gibt mehrere Schreibweisen für „Crazy Horse“), wie sie in und von seiner Familie überliefert wird, abgesehen davon, dass der Wälzer grauenvoll zu lesen ist, spielt auch da die Interpretation der jüngeren Generation die entscheidende Rolle, wie sie auf die letzten Aufstände der sieben Ratsfeuer zurückblicken.

Tatsache ist, dass die „Kindheit“ als Entwicklungsphase erst langsam mit der Reformation in Gang kommt und anerkannt wird, wenn auch in den Ständen, hernach Schichten und Klassen sehr unterschiedlich. Für Preußen sei daran erinnert, dass 1839 die Kinderarbeit nicht aus Mitgefühl und Kinderliebe abgeschafft wurde (zumindest in der Industrie, das „Land“ wehrte sich mannhaft), weil die Industriearbeit zugleich Wehruntauglichkeit den jungen Körpern schenkte. Z. T. konnten die Kleinen nicht mal mehr strammstehn.

Ich nehm mal nur die christlichen Initiationsriten, „Reifeprüfungen“ mit acht kath. und später 14 Jahren (was ja schon für eine Verschiebung jenseits der Pubertät spricht) Prot., was sich bequem auf ursprünglichere Formen vom Mithraskult bis zum Ritterschlag usw. usf. ausweiten lässt.

Die Erzählung ist allemal glaubwürdig, und seit Hatschepsut wissen wir ja, dass auch Frauen mitmischen konnten, selbst wenn sie mit Königsbart dargestellt wird.

So viel oder doch wenig für itzo vom

Friedel

 

Hallo @Achillus

eine gute Geschichte für Kinder und Junggebliebene. Die Atmosphäre erinnert mich an Welskopf-Henrichs Indianergeschichten. Junge Leser können im Vater-Tochter Verhältnis ihre eigene Lebenswelt erkennen und erhalten gleichzeitig Zugang zu einer Kultur, die sich vom gewohnten Umfeld unterscheidet. So ist die Geschichte lehrreich, ohne belehrend zu wirken. Die Thematisierung eines ethischen Konflikts, der nicht einfach zu lösen ist, kann zu einer interessanten Diskussion nach dem Lesen führen.
Mir gefällt vor allem, wie selbstbewusst Du das Mädchen darstellst:

»Das dachte ich mir«, sagte Sanuha. Und dann leise: »Gehen wir.«
Wunderbar, wie sie die Initiative übernimmt.
»Ich bin Sanuha, die Tochter der Häuptlings«, sagte sie. »Ich bin diejenige, die zählt.«
Auch hier beeindruckt ihr starker Wille, auch wenn der Silberrücken in Realität ihr wahrscheinlich die Grenzen zeigen würde.

Kinder haben als Protagonisten zwar nicht die Macht, die Handlung zu bestimmen, aber sie können für das einstehen, was sie für richtig halten und damit den Lauf beeinflussen. Das ist eine schönes Vorbild, gerade für junge Leserinnen.

Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, die Tochter zur Heldin einer ganzen Reihe von Geschichten über das Erwachsenwerden auszubauen. Ob es dafür ein Publikum gibt, weiß ich nicht; ich hätte solche Geschichten mit ca. 10 - 14 Jahren gelesen.

Schönen Gruß!
Kellerkind

 

Noch einmal berichtete er, wie sie mit der alten Löwin verhandelt hatten, wie sie versprochen hatten, sie bis zum Tag ihres Todes zu ehren, mit Nahrung zu versorgen.

Zunächst war ich aufgrund des titelgebenden Namens auf Ägyptenkurs, von Sinuhe (dem Ägypter) zu „Sanuha“ wäre nur ein kleiner Schritt,

lieber Achillus,

aber/und man verachte mir nicht das alte Ägypten und seine Bedeutung für die Mutter des Abendlandes (im nördlichen Griechenland wurden auch schon Knochen von Löwen gefunden, Tiere, die einst über drei Kontinente verteilt lebten), aber Dein Ansatz spielt dem Klima angemessen knochentrocken mit der Steinzeit (Ocker, eisenhaltiges Mineral, das für die ersten „Gemälde“ in Höhlen, mutmaßlich dann Tempel verwendet wurde) wie mit der Moderne (der Mine, wiewohl der Bergbau mit der Kupferzeit aufkommt).

Aber auch noch etwas ist wichtig, könnte vielleicht etwas großzügiger dargestellt werden, selbst unter der Bedingung, dass die Geschichte im (christianisierten?) Reservat spielt, Totemismus und Tabu, wenn sich eine Gruppe von Menschen als von einem bestimmten Tier (gelegentlich auch einer Pflanze) verwandt fühlt und vom „Totem“(-Tier) abzustammen vermeint, was auch zu ausgleichenden Handlungen bei jagdbaren Tieren führt.

Wenn einem jedoch der Hausname vom Niederrhein kommt, dann hat der eher was mit Blähungen denn Religion zu tun und dürfte eigentlich gar nicht mitreden.

Dat was

het windje

 

Hallo Nichtgeburtstagskind, vielen Dank für Deine Hinweise zum Text. Wahrscheinlich hast Du mehr Ahnung vom Handwerk des Kindergeschichten-Schreibens als ich. Bei diesem Text lief es so, dass ich nicht von Beginn an geplant hatte, eine Geschichte für Kinder zu schreiben. Vielmehr nahm der Text nach und nach diese Form an.

Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Kinder eindeutigere Erzählstrukturen benötigen. Falls Wieselmaus die Geschichte mal vorliest, was ich eine tolle Idee finde, werden wir ja herausfinden, wie die Kinder reagieren.

Man erfährt erst spät, warum die beiden da sind. Was sie vorhaben. Vielleicht wolltest du die Spannung vergrößern, weil man auch denken könnte, der Vater will die Tochter opfern? Für mich nimmst du dadurch erst Spannung raus, weil man ja gar nicht so richtig mitfiebern kann. Für mich wäre eine klarer Ziel-Hindernis-Struktur passender für diese Altersgruppe.

Tatsächlich erschließt sich der Grund für die Anwesenheit von Taiman und Sanuha erst nach und nach. Doch auch das ist ein Mittel, um Spannung zu erzeugen, denn man kann davon ausgehen, dass der Leser gern wissen möchte, was es damit auf sich hat.

Andersherum würde es aber natürlich auch gehen: Man definiert das Ziel, auf das der Protagonist hinarbeiten soll, und der Leser will gern wissen, ob der Protagonist das schafft. Diese Variante ist sicher eindeutiger und wird von Kinder wahrscheinlich besser verstanden.

Das Ende sehe ich wie Linktofink. Das ist zu hart. Ich kann mir vorstellen, dass die meisten Kinder diese Reaktion nicht verstehen werden. Auch wenn du Sanuha am Ende hart darstellen willst, solltest du erklären, wieso sie zu diesem Entschluss kommt, oder wenigstens ein paar Brotkrumen auslegen. Die Tochter des Häuptlings zu sein, ist mir da zu wenig.

Ich stimme Dir zu, dass Sanuhas Wandlung nicht ohne weiteres nachzuvollziehen ist. Darüber müsste man nachdenken. Es spricht aber eben auch nichts dagegen, dass Erwachsene mit Kindern nach der Lektüre darüber reden.

Ich sehe Sanuha beispielsweise nicht als »hart«. So wie wir Stereotype von Männern und Frauen im Kopf haben, so gibt es diese auch von Kindern. Ein Kind muss eben so und so sein, sonst ist es nicht normal. Sanuha ist aber nicht hart, sie ist klar. Das ist ein Unterschied.

Die Moral von der Geschichte wäre: Man muss bereit sein, für das Allgemeinwohl Opfer zu bringen, auch wenn es dem eigenen Gerechtigkeitsempfinden widerspricht?

Ich sehe es ein wenig anders. Die Geschichte benennt Qualitäten des Reifungsprozesses eines Menschen. Da ist zum einen das Vertrauen in nahe Menschen, in diesem Fall Taiman. Wenn wir tragfähige Beziehungen zu anderen Menschen aufbauen, sollten wir diesen Beziehungen auch vertrauen. Es wirkt einen Moment lang so, als würde Taiman seine Tochter opfern. Sie muss einfach darauf vertrauen, dass er das nicht tun wird.

Ein weiterer Aspekt besteht darin, die Pflichten, die uns das Leben aufbürdet zu tragen. Man kann nicht wachsen, indem man vor diesen Pflichten davon läuft. Die Geschichte richtet sich damit auch gegen einen falsch verstandenen Individualismus und Authentizitätsglauben. Selbstverwirklichung ist nichts, das wir gegen moralische Ideale anstreben sollten, sondern als ein moralisches Ideal. Und das schließt immer auch das Allgemeinwohl, wie Du schreibst, mit ein.

Und schließlich spricht die Geschichte auch die Emanzipation an. Wir alle stehen oder standen unter dem Einfluss von Autoritäten. Häufig haben solche Autoritäten einen Sinn bzw. eine sinnvolle Funktion. Mit dem Wandel unseres Selbst, mit unserer Reifung verlieren diese Autoritäten dann aber häufig den Sinn und wir müssen bzw. sollten uns von ihnen lösen. Sanuhas Ablösungsprozess ist in dieser Geschichte zu beobachten. Kellerkind hat den Aspekt seinem Kommentar betont. So sehe ich das auch.

Vielen Dank für Deine Hinweise, Nichtgeburtstagskind.

Gruß Achillus


Wird fortgesetzt.

 

Hallo Carlo, vielen Dank für Deine Gedanken zu meinem Text. Du hast die traditionellen Erziehungsmuster angesprochen, die in der Geschichte thematisiert werden und die Frage, wie zeitgemäß eine Häuptlingstochter als Identifikationsfigur heute noch ist.

Ich verwende das Bild des Häuptlings in diesem Zusammenhang als Chiffre für Klarsicht, Tapferkeit und Mut. Die Geschichte versucht ja nicht, Erkenntnisse der Anthropologie eins zu eins umzusetzen. Auch wenn jedem, der sich mit dem Stoff befasst, klar sein muss, dass nicht alle Stammesanführer diesem Bild entsprechen, ist es doch ein berechtigtes Ideal.

Letztlich hingen steinzeitliche Gemeinschaften, die unter Wildnisbedingungen um das Überleben kämpften, von ihren Anführern in besonderer Weise ab. Es ist anzunehmen, dass diese Anführer nach speziellen Kriterien ermittelt und ausgewählt wurden. Ich halte das nicht für ein antiquiertes Bild, auch wenn die moderne Demokratie so natürlich nicht funktioniert.

Sanuha findet im strengen Rahmen einer traditionellen Erziehung ihren persönlichen Standpunkt und damit auch den Ausgangspunkt ihres persönlichen Weges. Das ist für mich viel authentischer, als das, was uns der fragwürdige Individualismus moderner Massenkulturen suggeriert. Es stimmt eben nicht, dass jedem Menschen alle Möglichkeiten offen stehen. Nicht jeder kann Astronaut, Olympiaschwimmer, Scharfschütze oder Finanzminister werden. Wir alle starten mit sehr unterschiedlichem Potenzial in das Leben.

Wenn traditionelle Erziehung nicht bedeutet, auf einen Platz im Universum beschränkt zu werden, sondern auffordert, diesen Platz aktiv zu suchen, dann drückt sich das für mich in dieser Geschichte eben dadurch aus, dass Sanuha ihre eigenen Entscheidungen treffen muss.

Vielen Dank fürs Lesen, Carlo.

Gruß Achillus

Wird fortgesetzt.

 

Hallo Wieselmaus, vielen Dank fürs Lesen und für Deine Hinweise zum Text. Du sprichst Bedenken an, die letztlich die Frage der persönlichen Freiheit im Kontext gesellschaftlicher/ gemeinschaftlicher Verantwortung berühren. Man kann es so formulieren: Gehört der Mensch sich selbst oder gehört er dem Stamm?

Die Beziehung zwischen Individuum und Gemeinschaft war von Beginn der Menschheitsgeschichte an heikel, zumindest konfliktgeladen. Ich glaube, es gehört zu den Aufgaben, die wir im Leben lösen müssen, einen Ausgleich zwischen unseren privaten/ persönlichen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Erfordernissen zu finden.

Heute singen viele Leute das Lied des Neo-Liberalismus: Wenn jeder für sich sorgt, ist für alle gesorgt. Ich halte das für grundfalsch und für die Ursache nahezu aller aktuellen Probleme. In der Geschichte kann Sanuha eine relative Freiheit erlangen, indem sie sich innerhalb der traditionellen Grenzen emanzipiert. Eine absolute Freiheit kann sie nicht erlangen, und das kann auch niemand von uns.

Ich sehe es auch so, wie Du schreibst, dass sich junge Menschen den für sie wichtigen Teil aus der Geschichte herausnehmen können. Und über die Verwendung der Geschichte beim Vorlesetag würde ich mich sehr freuen. Vielen Dank dafür, Wieselmaus.

Gruß Achillus

Wird fortgesetzt.

 

Hallo @Achillus,

deine sehr ernste Kindergeschichte hat mir aus diversen Gründen nicht so arg gut gefallen.
Zum einen hatte ich Probleme das Alter des Kindes einzusortieren, wobei es mir schnurz sein kann, wie alt Sanuha nun tatsächlich ist, aber du hast eine Schere in meinen Kopf gepackt, weil der Vater mit ihr an der Hand geht, das ist für mich ein untrügliches (dachte ich) Zeichen dafür, dass man es vor Gefahren schützen möchte, die dadurch entstehen, dass das Kind eben frei herumläuft.
In einer Großstadt wäre das z.B. das Überqueren einer gut befahrenen Straße.
In der Savanne weiß ich nicht, was es sein könnte, muss ich auch nicht, es soll mir ja nur aufzeigen, wie klein dieses Kind noch ist. Das ist für mich der entscheidende Hinweis.
Aber dann kommen aus ihrem Mund solche Sätze und ich komme mit dem Alter nicht mehr klar:

»Wir haben keine Nahrung mehr, die wir ihr geben können, nicht wahr?«, sagte das Mädchen.
»Das dachte ich mir«, sagte Sanuha. Und dann leise: »Gehen wir.«
Würde ein Kleinkind nicht sagen: wir haben nichts mehr zu essen für sie? Und würde ein Kleinkind sagen: gehen wir?
Das bezweifele ich.

Gleich zu Beginn ist mir ein Satz überhaupt nicht kindgerecht genug formuliert, nämlich dieser: "Der rote Ocker der Kalib brannte ..."
Ein 10jähriges Kind (mal die Hochbegabten ausgenommen) weiß vermutlich weder was Ocker ist, noch Kalib. Letzteres weiß selbst ich noch nicht einmal.

Ein weiterer Punkt, der mich sehr gestört hat, ist die Tötung der Löwin. Ist in der heutigen Zeit es angemessen, wo wir dabei sind, gerade Löwen auszurotten, darüber dann noch so eine Geschichte zu schreiben? Ist das wirklich zeitangemessen? Was für eine Aussage transportierst du da?
Ich könnte vermutlich noch eher damit leben, wenn du all die Bemühungen geschildert hättest, die vorher angestellt wurden, um die Löwin nicht töten zu müssen. Und dass am Ende leider nur die Erkenntnis übrig bleibt, entweder die Menschen sterben oder die Löwin, weil beide nicht am Leben bleiben können.
Da fehlt mir sehr viel mehr Erzählerisches an Aussichtslosigkeit, so dass auch für ein Kind klar wird, es muss einfach sein.
Aber ganz grundsätzlich halte ich dieses Thema schon irgendwie vom Ansatz her für mittlerweile ein NOGO.

Aber was mich noch viel mehr umtreibt, deine Geschichte nicht gut zu finden, ist die Tatsache, dass hier ein Kind gegen seinen Willen gezwungen wird, sich der Todesgefahr auszuliefern.
Klar, du gibst damit der Löwin ihre Bedeutung und Wichtigkeit, aber was soll das im Kopf deiner kleinen Leser bewirken?
Dass sie zu gehorchen haben, auch wenn sie nicht verstehen, was der Vater möchte? Dass sie am Ende immer vom Vater gerettet werden, egal wie gefährlich es ist?
Was für ein Verhältnis soll der kleine Leser am Ende dieser Geschichte denn zum eigenen Vater entwickeln?
Damit komme ich überhaupt nicht gut klar.

Tut mir leid, dass ich an dieser ansich perfekt erzählten Geschichte inhaltlich nichts Gutes lassen kann.

Lieben Gruß
lakita

 

Hi @Achillus

ich habe gerade Deinen Text gelesen. Da ich Neuling bin, ist mir nicht klar, ob ich erst alle Kommentare zu Deinem Text gelesen haben sollte, bevor ich Dir etwas schreibe. Wenn das eigentlich üblich, dann schreibe mir das einfach :schiel: und wenn sich etwas doppeln sollte, weil ich eben nicht jeden Kommentar gelesen habe; entschuldige bitte :shy:
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»Warum ist sie so böse?«

Warum 'so'? Weg damit.
Wie böse sie ist, klärt sich hoffentlich noch im Verlauf der Geschichte. Das SIE BÖSE ist, reicht vollkommen aus.

Noch einmal berichtete er,

Beim Lesen stolpere ich über das 'berichTETE'.
Beim vorlesen (weiß nicht ob das noch als Vorlese Geschichte für Kinder gedacht wäre) hätte ich da echt Mühe.

'Wieder erzählte er seiner Tochter' - gefiele mir besser

»Ja«, sagte Taiman, »und ich habe dir die Geschichte bereits erzählt.«

Ich kann den Vater nicht einschätzen. Ist er genervt, dass er schon wieder diese Geschichte erzählt? Ist er verliebt in seine Tochter, weil sie sich nach der Spannung sehnt? Er ist für mich nicht greifbar. Hast Du dich dazu entschieden, weil es in der Geschichte um Sanuah geht? Ich würde gerne wissen, wie ihr Vater zu ihr steht, dadurch erfahre ich auch etwas über sie ;)

Taiman schien etwas sagen zu wollen, doch dann schwieg er.

Mir ist hier das 'dann' zuviel. Weg damit.
Ein 'doch er schwieg' reicht aus.

»Ich bin diejenige, die zählt.«

ICH LIEBE DAS ENDE. Wie stark und entschieden sie ist. Well done!

 
Zuletzt bearbeitet:

Ich nochmals, wenn ich darf, denn es sieht fast so aus, als hättestu auf den nächsten Beitrag vom Friedel (mhd. „frîdel“, Bedeutung erschließt sich aus den Versen des von der Vogelweide zu „under der linden“) gewartet, der nun geradezu durch einen Artikel im heutigen Zeitmagazin angestiftet wird, sich noch mal einzumischen,

lieber Achillus.

Unter „Stefan Kleins Wissenschaftsgespräche“n findet sich unterm Titel „Polygamie geht in modernen Gesellschaften nicht gut“ (Zeitmagazin Nr. 9 vom 20.02.2020, S. 30 – 36) ein Gespräch mit Joseph Henrich, der die kürzest mögliche Einführung in Anthropologie und nebenbei Ethno- und Soziologie (letzteres nix anderes als ein Ethnologie der modernen Gesellschaft) anhand von Poly- und Monogamie liefert und den "Prozess der Zivilisation" (was nicht ausschließt, auch mal Norbert Elias' Standardwerk über genannten Prozess zu lesen) erklärt.

Was natürlich nicht erwähnt wird (er antwortet ja nicht uns, sondern Stefan Klein) ist, dass die „Generation“ nicht von ungefähr mit 30 Jahren angegeben und gezählt wird, obwohl die durchschnittliche Lebenserwartung oft niedriger war als die, welche uns diese Zahl vorgaukelt. Aber der eigene Nachwuchs – in Deiner Geschichte eben das Mädchen „Sanuha“ - musste so früh wie möglich „flügge“ und in Überlebenstechniken, kurz Kultur als „bearbeiteter“ Natur, eingeübt werden.

Es gab keine besondere „Kindheit“, und damit erklärt sich auch, dass die ältesten Gruppenmitglieder die Führung übernehmen mussten, um auch ihr Wissen neben dem Können weiterzugeben. Nicht umsonst führen dem Namen nach auch in den Hochzivilisationen „Älteste“ das große Wort – ob als Senator oder Presbyter, als Waffenmeister Hildebrand des „Dietrich von Bern“ (historisch Theoderich der Große, dem es gelang, arianische Goten und katholische Bürger Roms eine Generation lang unter seinem Regime zu befrieden und doch scheiterte in dem Bemühen, mit seinem fränkischen Schwager – Katholik – ein Bündnis germanistischer Zungen einzugehen. Da ist halt jeder Großgrundbesitzer sehr eigen ...) Nicht zu vergessen, dass es selbst in der "Neuzeit" das Matriarchat gibt, i. d. R. eigentlich eine Einrichtung bzgl. des Erbrechts, bei den Irokesen sogar so was wie ein Parlament.

Da hat @lakita natürlich Recht, nicht nur wegen der Sprache und dem fehlenden (Hintergrund-) Wissen. Es ist vor allem der technologische Unterschied, den ein 10jähriger selbst als Wölfling nicht erleiden muss. Es kommt immer wieder auf den alten Karl Kraus zurück: Wir sind immer noch die alten Troglodyten, wenn auch auf technisch höherem Niveau.

So, jetzt ist aber genug vom

Friedel

 

Hallo Kellerkind, vielen Dank für Deinen Kommentar zu meiner Geschichte. Hab mich sehr darüber gefreut. Genau wie Du schreibst, ist der Konflikt in dieser Geschichte nicht einfach zu lösen, und das ist eine für junge Menschen wichtige Angelegenheit, denn dass viele Konflikte nicht so einfach zu lösen sind, entspricht eben der Realität.

Häufig geht die Auseinandersetzung mit der Welt mit Verlusten einher, aber es gibt die Art von Pädagogik, die das gern ausblenden möchte. Ich kenne einige Eltern, die ihre Kinder auf eine Weise behüten wollen, die zur Verschleierung der Wirklichkeit führt und früher oder später zwangsläufig zu einem bösen Erwachen führen muss.

Was wären diese Punkte konkret in der Geschichte:

Die Geschichte behauptet, dass sich ein Kind an einem Punkt seiner Entwicklung dem Willen der Eltern widersetzen muss, auch dann, wenn es auf der Beziehungsebene (Liebe, Vertrauen, Verbindung usw.) keine Probleme gibt.

Die Geschichte behauptet, dass ein Kind für das einstehen sollte, was es für richtig hält (wie Du es formulierst). Es wäre bedauerlich, wenn Kinder im modernen Schulsystem zu rückgratlosen, egoistischen Ja-Sagern erzogen würden, die die Welt (wie so mancher Politiker es gern hätte) nur noch aus der Sicht des Konsumenten betrachten können.

Die Geschichte sagt aber auch, dass zu dieser Selbständigkeit und Verantwortung Eigenschaften wie Klarheit, Mut, Tapferkeit und Willenskraft gehören.

Ich könnte mir tatsächlich vorstellen, die Tochter zur Heldin einer ganzen Reihe von Geschichten über das Erwachsenwerden auszubauen. Ob es dafür ein Publikum gibt, weiß ich nicht; ich hätte solche Geschichten mit ca. 10 - 14 Jahren gelesen.

Das ist ein großes Lob und freut mich sehr, Kellerkind. Vielen Dank!

Gruß Achillus


Wird fortgesetzt. Es dauert diesmal mit meinen Antworten, entschuldigt bitte das schleppende Tempo.

 

Hallo Friedrichard, vielen Dank für Deine Worte zu meinem Text. Ich gehe gleich auf beide Kommentare ein.

aber Dein Ansatz spielt dem Klima angemessen knochentrocken mit der Steinzeit (Ocker, eisenhaltiges Mineral, das für die ersten „Gemälde“ in Höhlen, mutmaßlich dann Tempel verwendet wurde) wie mit der Moderne (der Mine, wiewohl der Bergbau mit der Kupferzeit aufkommt).

Ja, ich habe einen Teil meiner gedanklichen Arbeit bei dem Text damit verbracht, nach Möglichkeiten zu suchen, die Atmosphäre dieses Ortes möglichst anschaulich widerzugeben, denn in diesem Setting ist die Gefühls-Ebene wichtig, denke ich. Man muss die Wüste spüren, die Sonne auf der Haut, die Trockenheit.

Aber auch noch etwas ist wichtig, könnte vielleicht etwas großzügiger dargestellt werden, selbst unter der Bedingung, dass die Geschichte im (christianisierten?) Reservat spielt, Totemismus und Tabu, wenn sich eine Gruppe von Menschen als von einem bestimmten Tier (gelegentlich auch einer Pflanze) verwandt fühlt und vom „Totem“(-Tier) abzustammen vermeint, was auch zu ausgleichenden Handlungen bei jagdbaren Tieren führt.

Tatsächlich habe ich versucht, eine besondere Form dieser archaischen Mensch-Tier-Beziehung darzustellen, hier einen Pakt zwischen Löwen und Menschen. Dieser Pakt sollte das Problematische im Verhältnis zwischen Mensch und Natur widerspiegeln.

Aber der eigene Nachwuchs – in Deiner Geschichte eben das Mädchen „Sanuha“ - musste so früh wie möglich „flügge“ und in Überlebenstechniken, kurz Kultur als „bearbeiteter“ Natur, eingeübt werden. Es gab keine besondere „Kindheit“ …

Das ist ein interessanter Punkt. Natürlich kann man fragen, was ein europäisches Kind daraus lernen soll, dass ein junges Mädchen, das in einer Jäger- und Sammlerkultur aufwächst, schnell Verantwortung übernehmen muss. Schließlich sind die Verhältnisse hier ganz anders. Das führt zu der Frage, welchen Charakter ein Mensch entwickeln möchte. Ich habe mich das jedenfalls schon als Kind gefragt und könnte mich deshalb sicher mit Sanuha identifizieren.

Vielen Dank, Friedrichard, für Deine Hinweise. Hat mich wie immer sehr gefreut, von Dir zu lesen.

Gruß Achillus

Hallo Lakita, danke für Deinen Kommentar. Du sprichst Punkte der Geschichte an, über die man sicher kontrovers diskutieren kann.

Zum einen hatte ich Probleme das Alter des Kindes einzusortieren, wobei es mir schnurz sein kann, wie alt Sanuha nun tatsächlich ist, aber du hast eine Schere in meinen Kopf gepackt, weil der Vater mit ihr an der Hand geht, das ist für mich ein untrügliches (dachte ich) Zeichen dafür, dass man es vor Gefahren schützen möchte, die dadurch entstehen, dass das Kind eben frei herumläuft.

Ich sehe Sanuha als Mädchen im Alter zwischen 10 und 14 Jahren. Dass Sanuha an der Hand geht ist auch ein Zeichen der Verbundenheit zwischen Vater und Tochter.

Würde ein Kleinkind nicht sagen: wir haben nichts mehr zu essen für sie? Und würde ein Kleinkind sagen: gehen wir?
Das bezweifele ich.

Genau, denn Sanuha ist kein Kleinkind.

Gleich zu Beginn ist mir ein Satz überhaupt nicht kindgerecht genug formuliert, nämlich dieser: "Der rote Ocker der Kalib brannte ..."
Ein 10jähriges Kind (mal die Hochbegabten ausgenommen) weiß vermutlich weder was Ocker ist, noch Kalib. Letzteres weiß selbst ich noch nicht einmal.

Kalib ist der Name eines fiktiven Ortes, in diesem Fall einer Wüste. Und wenn ein Kind nicht weiß, was roter Ocker ist, kann es das bestimmt jemanden fragen. Ich erinnere mich an meine Kindheitsliteratur. Ich habe unheimlich viel gelesen und diese Bücher waren voller Rätsel, voller Dinge, die ich nicht oder erst nach und nach verstanden habe. Und damals gab es keine Suchmaschine, die man einfach fragen konnte. Du solltest Kindern ein bisschen mehr zutrauen.

Ein weiterer Punkt, der mich sehr gestört hat, ist die Tötung der Löwin. Ist in der heutigen Zeit es angemessen, wo wir dabei sind, gerade Löwen auszurotten, darüber dann noch so eine Geschichte zu schreiben?

Das ist ein völliges Missverständnis von Literatur, meiner Ansicht nach. Hören wir auf »Moby Dick« zu lesen, weil da ein Pottwal gejagt wird? Der blaue Marlin, den Hemingways alter Fischer Santiago in einem zähen Kampf tötet, wird heute von Wissenschaftlern als bedrohte Art klassifiziert. Lesen wir unseren Kindern jetzt nicht mehr aus »Der alte Mann und das Meer« vor, weil wir jetzt beginnen, den Wert der Natur anders zu betrachten, als man das bislang in der Menschheitsgeschichte tat?

Das ist natürlich Unsinn. Eine Geschichte ist keine Aufforderung zur Tat. Ein Vorwurf wäre nur dann gerechtfertigt, wenn eine Geschichte unethisches Handeln verherrlicht oder romantisiert. Doch in dieser Geschichte wird ja der Kontext deutlich, dass diese Menschen gezwungen sind, die Löwin zu töten, denn die Raubkatze bedroht das Dorf.

Aber was mich noch viel mehr umtreibt, deine Geschichte nicht gut zu finden, ist die Tatsache, dass hier ein Kind gegen seinen Willen gezwungen wird, sich der Todesgefahr auszuliefern.

Ja, das ist die gleiche moralisierende Einstellung, wie auch im Fall der Löwentötung. Tatsache ist doch, dass 99 Prozent der Menschheitsgeschichte in Verhältnissen ablief, die wir uns anders wünschen würden. Genau genommen sind auch die gegenwärtigen sozialen Verhältnisse weltweit alles andere als zufriedenstellend.

Geschichten greifen diese Tatsachen auf und lassen ihre Figuren in eben solchen Verhältnissen spielen. Eine Geschichte, die von einer Stammeskultur handelt, ist nun einmal keine Geschichte in der wir antiautoritäre Erziehungsmodelle antreffen werden.

Wenn wir Ideologiekritik betreiben, sollten wir fragen, welche Lösungsstrategien eine Geschichte dem Leser anempfiehlt. Wie löst Sanuha ihren Konflikt? Ich kann daran nichts finden, dass unpassend wäre.

Vielen Dank, Lakita, wünsche Dir ein schönes Wochenende.

Gruß Achillus


Wird fortgesetzt ...

 

Hallo @Achillus

Ist das eine Kindergeschichte? Klar drängt sich diese Frage auf :D Und ich hatte beim Lesen auch diese Frage. Aber mit einem Satz hattest Du mich:

Du solltest Kindern ein bisschen mehr zutrauen.
Jawoll !!! Und das muss ich mir selber auch sagen! (bin schon gespannt, wann ich meinen Lütten allein zur Schule laufen lasse!)
Also aus meiner Sicht ein ganz klarer Punktsieg für Dich: Das ist ne Kindergeschichte! :)

Sanuha umklammerte die Hand ihres Vaters und starrte hinüber zur Diamantenmine, deren verfallene Gebäude lange Schatten in den Sand der Wüste zeichneten.
Ich finde den ersten Satz sehr gelungen, weil er sooo viel über das Setting verrät, ohne in langen Ausschweifungen zu enden.
»Ich bin Sanuha, die Tochter der Häuptlings«, sagte sie. »Ich bin diejenige, die zählt.«
Da ist die Erziehung wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen :rotfl:

Ich hab es gern gelesen
Gruß
pantoholli

 

Hallo NiPaKo, vielen Dank für Deinen Kommentar zu meiner Geschichte. Ich finde die Idee spannend, den Vater mehr zu beleuchten. Vielleicht würde das auch einigen Bedenken entgegenkommen, die Lakita formuliert hat. Mal schauen. Schön, dass Dir das Ende gefällt. Ich finde auch, dass das wichtig für die Charakterisierung von Sanuha ist.

Gruß Achillus


Hallo Friedrichard, danke für Deine Ergänzung.

Es gab keine besondere „Kindheit“, und damit erklärt sich auch, dass die ältesten Gruppenmitglieder die Führung übernehmen mussten, um auch ihr Wissen neben dem Können weiterzugeben.

Ich denke, es ist uns beinahe unmöglich, archaisch lebende Menschengruppen zu betrachten, ohne unsere Vorstellungen von Moral und/ oder Sitte zu übertragen. Das gilt selbstverständlich sowohl für das Lesen als auch das Schreiben einer Geschichte dieses Themas.

Dass Sanuha eine völlig andere Kindheit hat, als wir sie kennen, sollte einleuchten. Die spannende Frage ist aber: Was sagt uns das? Welche Bedeutung hat das für zivilisierte Menschen wie uns? Insbesondere für Kinder?

Wichtig könnte sein, dass Kinder die Regeln einer Gesellschaft als menschengemacht verstehen, begreifen, dass es dafür Gründe gibt, die nicht immer über alle Zweifel erhaben sind. Je vielfältiger das Bild ist, dass sich der Mensch vom Menschen macht, desto besser, scheint mir.

Wünsche Dir eine gute Woche, Friedrichard!

Gruß Achillus


Hallo Pantoholli, vielen Dank für Deine Gedanken zu meiner Geschichte.

»Ich bin Sanuha, die Tochter der Häuptlings«, sagte sie. »Ich bin diejenige, die zählt.« - Da ist die Erziehung wohl etwas über das Ziel hinausgeschossen.

Ich finde das ist wirklich ein interessanter Punkt. Wie vermitteln wir Kindern Selbstbewusstsein und bewahren sie vor Selbstüberschätzung? Letztlich liegt die eigentliche Arbeit an diesen Erkenntnisprozessen bei den Kindern selbst, aber die Erwachsenen können sie unterstützen.

Ich finde es z.B. sehr wichtig, dass sich Kinder in Bereichen üben, die sie immer wieder mit ihren eigenen Irrtümern konfrontieren. So erinnere ich mich daran, dass mein Trainer im Bogenschießen enormen Einfluss auf meine Entwicklung in der Kindheit hatte. Gerade Schießtraining (egal ob Bogen, Armbrust oder Feuerwaffen) konfrontiert uns immer wieder mit unserer eigenen Fehlbarkeit, stellt unsere Selbstsicherheit immer wieder in Frage. Andererseits zeigt so ein Training aber auch, wie wir unser Potenzial entwickeln können.

Sanuha in meiner Geschichte geht durch diese Art von Training. Und das Erlebnis mit der Löwin ist ein besonderer Moment, ein Moment des Erwachens. Sie emanzipiert sich, verschmilzt mit ihrer Rolle als zukünftige Führerin des Stammes.

Pantoholli, ich wünsche Dir eine gute Woche!

Gruß Achillus

 

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