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Schönes Wochenende
Vorsichtig drücke ich die schwere Klinke hinunter und öffne die Tür. Nachmittagssonne fällt durch die großen Fenster in das Zimmer; die Terrassentür ist weit geöffnet. Ich lausche. Nichts, nur das Ticken der Wanduhr durchbricht die Stille. Was hatte das laute Poltern eben zu bedeuten? Langsam betrete ich das Zimmer. Einbrecher? Mein Herz rast. Mein Blick geht suchend umher – ich muss mich mit irgend etwas bewaffnen.
Plötzlich höre ich ein Röcheln. Panisch schaue ich in die Richtung, aus der das Geräusch kommt. Oh je, er liegt dort hinten auf dem Boden! Schnell bin ich bei meinem Mann, beuge mich zu ihm hinab. Er ist bleich und hat Schweißperlen auf der Stirn. „Hilf mir“, stößt er kraftlos hervor, „...Schmerzen - in der Brust...“ Sein Atem geht pfeifend. Ein Herzinfarkt, schießt es mir durch den Kopf. Zitternd kniee ich mich neben ihn, nehme seine Hand in meine. So hilflos habe ich Gerhard noch nie gesehen. Tränen schießen mir in die Augen.
„Keine Luft“, röchelt mein Mann. Was soll ich tun? Ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Mein letzter Erste-Hilfe-Kurs liegt Jahre zurück. Wiederbelebungsversuche macht man ja wohl erst bei einem Atemstillstand, aber noch atmet er. Mit fahrigen Fingern öffne ich die Knöpfe seines Oberhemds, um ihm das Luftholen zu erleichtern. Müssen die Beine hoch gelagert werden? Sein Atem wird flacher. Ich bin total kopflos. Wenn er jetzt stirbt ... Bitte, Gerhard, lass mich nicht allein.
Gerhard ....
Kennengelernt habe ich ihn über eine Kontaktanzeige. Finanziell ging es mir gut, ich hatte einen interessanten Beruf, lebte in einem großen Haus, fuhr ein teures Auto, doch es gab viele einsame Stunden, in denen ich mich nach Liebe, Zärtlichkeit und einer Schulter zum Anlehnen sehnte. Ich kann nicht behaupten, dass mir die Männer zu Füßen lagen, sonderlich attraktiv war ich nie, und auch die vielen Diäten, die ich ausprobierte, führten zu keinem wirklichen Erfolg.
Doch dann kam er! Seine blauen Augen haben mich sofort in ihren Bann gezogen und nicht mehr losgelassen. Er war unglaublich charmant und umgarnte mich nach allen Regeln der Kunst. Ich war hin und weg. Mein Traummann, die Liebe meines Lebens, ich schwebte auf Wolke sieben. Er hat mir gezeigt, was es bedeutet, eine Frau zu sein. Als wir heirateten, war ich der glücklichste Mensch der Erde. Ach, Gerhard ...
Bald darauf zeigte er jedoch sein wahres Gesicht, war unausgeglichen und streitsüchtig. Zärtlichkeiten hatte er kaum noch für mich übrig, dabei sehnte ich mich so nach seiner Liebe. Er zeigte mir deutlich, dass er keine Gefühle für mich hegte, sondern mich einzig und allein wegen meines Geldes geheiratet hatte. Seine Seitensprünge hat er anfangs noch vor mir verheimlicht, später war es ihm egal, ob ich etwas merkte oder nicht. Wie habe ich gelitten! Ich saß brav zu Hause und wartete auf seine Rückkehr – wie ein Hund. Mehr als einmal warf ich ihn aus dem Haus, aber wenn er dann wieder vor mir stand, brauchte er mir nur tief in die Augen zu blicken und mit der Hand über meinen Rücken zu streicheln, schon schmolz ich dahin und war wie Wachs in seinen Händen. Ich ließ mich von ihm demütigen, immer und immer wieder!
Lautes Röcheln unterbricht die Gedanken, die wie wild in meinem Kopf herumrasen. Gerhard! Auf seiner Stirn haben sich dicke Schweißtropfen gebildet, ein Stöhnen entfährt seinen Lippen. Aus stahlblauen Augen sieht er mich durchdringend an. Ich muss etwas tun! „Sei ganz ruhig, ich rufe jetzt die Feuerwehr“, flüstere ich. „Du schaffst es!“ Ich hebe meine Hand, um ihm über das Gesicht zu streichen, lasse sie dann aber wieder sinken und stehe hastig auf.
Meine Beine zittern. Wo liegt bloß das Telefon? Da, auf dem Tisch!
Fahrig greife ich zum Apparat, tippe die Nummer ein. Ruhig, ganz ruhig. Ich hole tief Luft, atme ein und aus, ein und aus, schaue dabei auf meinen Mann hinunter. Die Augen sind jetzt geschlossen, sein Gesicht ist kalkweiß, aber der Brustkorb hebt und senkt sich. Ein Freizeichen ertönt, einmal, zweimal, dreimal, viermal. Panik macht sich in mir breit, lässt meine Finger feucht werden. Verdammt, warum nimmt niemand ab? Fünfmal, sechsmal - endlich !
„Hallo, ich bin’s. Steht deine Wochenendeinladung noch? Ich habe mir nämlich gerade überlegt, dass mir etwas Abwechslung ganz gut täte. Wenn es dir passt, fahre ich gleich los und bin dann in 3 Stunden bei dir in Hamburg.“
So, jetzt muss ich schnell ein paar Sachen für das Wochenende packen, dann mache ich mich auf den Weg zu meiner Schwester. Energisch schließe ich die Terrassentür, ziehe die Gardine davor, werfe einen letzten Blick auf Gerhard. Er röchelt immer noch. Vielleicht bleibe ich auch ein oder zwei Tage länger.