- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Schilfgeflüster
Ich habe die Zeit vergessen. Oder sie mich. Aber was spielt das noch für eine Rolle?
Ich bin zu unserem See gefahren. Nun liege ich hier und warte. Worauf eigentlich. Die Sonne ist wie ein klumpiger Stein ins Wasser gestürzt und hat den Himmel rot bespritzt. Meine Gedanken versickern im feuchten Sand. Stille.
Weißt du noch, damals, als wir uns hier das erste Mal sahen? Der Strand war voller Menschen. Das Wasser glänzte silbern im Herbstlicht. In Wirklichkeit warst du es, die schien. Du hieltst dich im Schilf versteckt, am Rand des Sees. Das Spiel hieß „Auf Tauchstation“. Wer entdeckt wird, hat verloren. Ich habe an diesem Tag gewonnen. Aber all das ist lange her. Es sind ferne, glücklichere Tage. Unsere Tage.
Auf der anderen Seite des Ufers gleiten zwei Bäche sanft in den See. Dank ihnen ist er nie leer, haben die Sterne Platz zum Ankern. Nachts, wenn das Wasser wie gelähmt daliegt, dunkel und schwer. Die Dunkelheit ist wie ein treudoofer Hund. Sie folgt dir überallhin. Legt sich auf dich, wenn du schläfst. Bleibt, wenn du schon längst tot bist.
Immer noch Stille. Nur das Schilf raschelt im Wind. Hör genau hin. Es flüstert. Ich spüre meine Hände wieder. Ich weiß jetzt, warum ich hier bin. Ich habe es dir versprochen. Deine Asche segelt aus der Urne, über das Sternenwasser, strandet in den Tiefen der Nacht. Irgendwo da draußen. Es ist kalt. So kalt.