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Schlechtes Timing
Zärtlichkeit, einfach nur Zärtlichkeit. Das war es, was er empfand. Er lag neben ihr und ließ soeben Geschehenes in Zeitlupe passieren. Ihr wunderschöner Körper. Perfectly in shape. Besser hätte er es nicht treffen können. Da war alles, was ihn anturnte, in Vollendung versammelt. Wunderschöne Brüste, zarte Haut und festes Bindegewebe. Idealgewicht plus maximal drei Kilo im Beckenbereich, eine wunderbar duftende Muschi. Eigentlich schon unverschämt geil. So ein Körper ist genehmigungspflichtig. So etwas darf nicht frei rumlaufen. Das ist eine Waffe, scharf geladen, bereit zu vernichten.
Zärtlich, einfach nur zärtlich wollte er sein. Diesen Körper anbeten, ihn liebkosen, schmecken, riechen, fühlen und sehen. Sehen wie seine Hände berühren, wie sein Mund küsst, seine Zunge auf der Haut entlangfährt, sein Schwanz in ihr versinkt. Ein sexuelles Drei-Sterne-Menü. Besser konnte Mann sich nicht fühlen. Immer wieder überkam ihn die Lust, das Verlangen nach ihr. Sie war ein Geschenk und er empfand Dankbarkeit, tiefe Dankbarkeit.
Dieses Gefühl musste raus. Er war so übervoll davon, dass er zu platzen drohte. Es musste raus, er musste es ihr sagen. Jetzt sofort, egal was passiert. "ICH LIEBE DICH!"
Stille, lähmende Stille erfüllte den Raum. Auch vorher war es ruhig gewesen, keiner hatte etwas gesagt, jeder seinen Gedanken nachgehangen. Aber was vorher Ruhe, war jetzt Stille - Totenstille. Kein Laut, nicht mal das Rascheln der Bettwäsche drang an sein Ohr. Mit dem Aussprechen dieses Satzes hat sein Gehör auf Hyperempfang geschaltet. Kommt es? Sagt sie es auch? Höre ich da etwas? Sammelt sie sich? Wagt sie es nicht? Will sie, aber kann nicht? Warum sagt sie nichts?
Er schaut sie an. Sie spürt seinen Blick, wendet den Kopf und blickt ihm lächelnd in die Augen. "Du bist süß." Dabei streichelt sie ihm zärtlich über den Kopf und ergänzt: "Ich hab Dich gern."
Hammerhart, mit voller Wucht trifft es ihn ins Herz. Ein Stich, gut platziert und tief. Sofort blutet es warm aus der Wunde. Ein gräulicher Mix an Gefühlen durchströmt seinen Körper: Verzweiflung, Reue, Scham. Er ist es im Moment nicht nur, nein, er fühlt sich auch so: nackt. Entblößt, schutzlos ausgeliefert. Warum hat er das gesagt, warum konnte er nicht warten?
Er kannte doch die Frauen, war schon lange nicht mehr grün hinter den Ohren. Ein dummer Anfängerfehler. Und so was ihm. Kannte er nicht die feinen Abstufungen? Hatte er nicht schon zur Genüge die Hierarchie der weiblichen Zuneigung kennengelernt? Erst ist man sympathisch, lecker und vielleicht auch interessant. Später süß und jemand, den man gern haben kann. Dann dauert es eine ganze Weile zum Liebhaben und sich bei einem wohl fühlen. Und wenn es dann auch noch im Bett stimmt, Mann nicht zu früh kommt und keinen schlechten Atem hat, dann, ja dann fängt eine Frau irgendwann an zu lieben.
Er wusste es, kannte es nur zu gut. In hunderten von Romanen schon gelesen, immer wieder am eigenen Leib erfahren und von Freunden erzählt bekommen. Das weibliche Timing durfte nicht gestört werden. Lieber es nie eingestehen, als zu früh damit rauskommen. Das war nicht nur unverzeihlich, das war einfach uncool. Und trotzdem passierte ihm das immer wieder. Denn für ihn gab es da keinen Unterschied. Lust, Verlangen, Ästhetik, toller Sex, sich danach auch noch wohlfühlen: das war für ihn Liebe. Flache Hierarchien prägten seine Gefühlswelt. No title, no ranks. Sich nach dem Sex wohlfühlen, nicht weg wollen, immer aufs neue Verlangen empfinden, das war für ihn Liebe. Punkt aus, nicht mehr und nicht weniger. Und wenn sich das irgendwann mal änderte, er anders empfand, dann war es halt keine Liebe mehr. Binär codiert, Ein oder Aus, entweder Liebe oder keine Liebe, so einfach war das bei ihm.
Und jetzt? Er hatte es mal wieder gesagt, unüberlegt und falsch getimed, aus einer Laune heraus. Und das bedeutete: er hatte sie verloren. Er würde es nicht mehr schaffen, die nächste Stufe der emotionalen Karriereleiter zu erklimmen. Anziehen und verschwinden. Das in Erinnerung bewahren, was man geniessen durfte und weg. Es hatte keinen Zweck mehr.
Genau das tat er und sie schaute ihn verwundert an.
"Was ist denn los, warum gehst Du jetzt?"
"Ich glaube, es ist besser so"
"Besser so? Warum?"
"Lass mich einfach. Es tut mir leid."
Sie hört die Tür ins Schloss fallen, seine Schritte im Treppenhaus. Hammerhart, mit voller Wucht trifft es sie ins Herz. Ein Stich, gut platziert und tief. Sofort blutet es warm aus der Wunde.