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Schmutzige Vergangenheit

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31.10.2003
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Schmutzige Vergangenheit

Schmutzige Vergangenheit


Der Wind war kaum spürbar, als Paul Weller über die kleine Holzbrücke schlenderte, die über dem Bach im Park führte. Zweiunddreißig Grad hatten sie für heute vorausgesagt. Kleinkinder, Alte und Personen mit Atemproblemen sollten nach Möglichkeit Aktivitäten unter freiem Himmel vermeiden.
Extrem hohe Ozonwerte, hatten sie gesagt. So hoch wie seit Jahren nicht mehr, hatten sie gesagt.
Paul nahm die faltigen Hände aus seinen Hosentaschen, legte sie auf das heiße Holz des Brückengeländers und blickte in den Bach. Glitzernde Funken stachen in seine Augen und er musste sie unwillkürlich zusammenkneifen. Trotz seines hohen Alters konnte er immer noch verdammt gut sehen, und Paul war mächtig stolz darauf. Von wegen die Sehkraft nahm ab sechzig proportional ab.

Für einen winzigen Moment verspürte er wieder den leichten Wind, der unter seine Achseln blies. Es tat gut und Paul lächelte. Es war gerade kurz nach Mittag, und der Park war von einer alles einnehmenden Stille geprägt. Hin und wieder zwitscherte ein Vogel, hin und wieder raschelten die Blätter. Es war einfach herrlich.
Paul Weller liebte den Park; er konnte sich nicht erinnern, an welchem Tag er nach dem Beginn seiner Rente nicht hier gewesen war. Hier gab es keine Hektik, keine dröhnende Musik, die die Wände seiner kleinen Wohnung vibrieren ließ; hier gab es keine hupenden Autos, wenn ihn seine alten Beine nicht schnell genug über die Straße trugen, keine Mütter, die sich leise aufregten, wenn er als Rentner die Unverschämtheit besaß und sich noch kurz vor Feierabend in einem Einkaufsladen aufhielt.
Das hier war eine andere Welt, eine ruhige, eine friedliche Welt. Es war seine friedliche Welt.

In einiger Entfernung entdeckte er mehrere Kinder auf einer Wiese; im Schatten hockende Mütter, die miteinander plauderten. Paul würde hingehen und sich ebenfalls dort niederlassen. Er ließ seine Hände wieder in die ausgebeulten Hosentaschen verschwinden und humpelte in Richtung der Wiese. Sein steifes Bein schmerzte heute ein wenig, aber das war er gewohnt. Extreme Hitze oder Kälte bewirkten diese Unannehmlichkeit.

*

„Wir können nicht jeden absetzen, der etwas aus der Reihe tanzt, Herr Gefreiter.“
„Seine Experimente werden immer schlimmer, Obersturmbandführer.“
„Wir haben Krieg!“ Die Stimme des Vorgesetzten wurde lauter.
Der Soldat wollte noch etwas sagen, doch sein Vorgesetzter machte eine schnelle Handbewegung. „Ich habe noch zu tun, Herr Gefreiter.“
Der junge Mann salutierte, drehte sich zur Tür. Dann hielt er inne.
„Es sind Kinder, Obersturmbandführer“, sagte er leise an die Tür gewandt.
„Es sind Judenkinder.“
Der Gefreite verließ den Raum.

*

Paul hatte die große Wiese erreicht. Die warme Rinde eines dünnen Baumes drückte in seinen Rücken. Er spürte, wie die Hände in seinen Taschen zitterten. Die Hitze war wohl doch nicht so harmlos, wie er gedacht hatte. Er hatte das Gefühl, es würde mit jedem Jahr schlimmer. Vielleicht lag es aber einfach nur an seinem Alter. Der Zahn der Zeit nagte seine Knochen blank. Paul grinste, blöder Spruch aber irgendwie stimmte er.
Er stützte sich an dem Baum und ließ sich langsam auf seinen Allerwertesten gleiten. Das steife Bein schob er dabei langsam nach vorn. Jetzt nur nicht das Gleichgewicht verlieren. Das Lachen der Kinder drang zu ihm herüber. Für einen winzigen Moment nahm der Schmerz in seinem Bein beängstigende Ausmaße an. Paul verzog das Gesicht, dann berührte sein Hintern das weiche Gras und er stieß hörbar die Luft aus seinen Lungen. Er schloss die Augen, beobachtete die winzigen, zuckenden Figuren, die vor seinen geschlossenen Lidern tanzten.

Etwas stieß gegen sein Bein, und Paul blickte auf. Er sah einen kleinen Jungen auf ihn zugelaufen kommen. „Entschuldigung“, rief dieser und blieb stehen. Paul nahm den Ball, der neben seinem Bein lag und warf ihn dem Jungen zu. „Danke!“
Dann war er wieder in dem Pulk der Anderen verschwunden. Paul lächelte. Wie gern hatte er früher Fußball gespielt; und, verdammt, er war richtig gut gewesen. Bis der Krieg kam …

*

„Doktor Mengele, darf ich Sie einen Moment sprechen?“
Der Gefreite stand im Türrahmen und blickte auf den gebeugten Rücken des Mannes, der dort an dem Tisch mit den vielen Reagenzgläsern hockte. Er blickte nicht auf.
„Doktor?“
Der Mann in dem weißen Kittel unterbrach seine Arbeit, machte allerdings keinerlei Anstalten, sich seinem Gesprächspartner zuzuwenden.
„Was wünscht er?“
Die Stimme klang irgendwie zu hoch; fast fraulich. Der Körper des Gefreiten zuckte zusammen, jeder Muskel angespannt. Seine rechte Hand fuhr zu seiner Stirn, als ihm einfiel, dass er es hier mit einem Zivilisten zu tun hatte.
Jetzt drehte sich der Doktor um. Sein Blick ließ dem Gefreiten einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Die Augen des Doktors waren kalt, beinahe tot.
„Ich fragte, was er zu wünschen pflegt.“ Der bohrende Blick des Doktors musterte den Soldaten von Kopf bis Fuß.
Der Gefreite fand, dass er in Höhe seines Schrittes zu lange verweilte, doch das konnte er sich auch nur eingebildet haben.
„Er spricht nicht mehr mit mir?“, fragte der Doktor. „Ein Knabe von stattlicher Statur, und es hat ihm die Stimme verschlagen?“
Der Gefreite wollte grinsen, doch es gelang ihm nicht. „Ich hätte Sie gern einen Moment gesprochen, Doktor Mengele.“
„Er spricht doch bereits mit mir.“
Jetzt schaffte der junge Soldat doch ein gequältes Grinsen. „Ja … ja, Sie haben Recht. Ich meine nur, ich hätte gern mit Ihnen über Ihren neuen Mitarbeiter gesprochen.“
Der Doktor runzelte die Stirn.

*

Irgendwie war heute ein seltsamer Tag. Paul Weller lehnte immer noch mit dem Rücken an der mittlerweile harten Baumrinde, noch immer spielten die Kinder auf der großen Wiese. In Gedanken war er unter ihnen, nahm einen Pass entgegen und verwandelte ihn im Alleingang zum alles entscheidenden Sieg.
Seine Mannschaftskameraden umjubelten ihn, hunderte Arme warfen ihn in die Höhe.
Doch diesmal spürte Paul, dass er nicht dabei war. Diesmal schmerzte sein Bein mehr als sonst, diesmal schien eine unsichtbare Mauer zwischen ihm und den Kindern zu sein. Eine unsichtbare Mauer der Zeit. Paul wurde bewusst wie noch niemals zuvor, dass er nicht mehr dazu gehörte.
Er war alt, uralt. Die neue Zeit, das Jetzt war dort drüben. Unerreichbar und immer weiter entschwindend. Immer weiter von Tag zu Tag.

Für einen Moment verschwamm sein Blick und er wischte mit der faltigen Haut seines Armes über die Augen. Freund Melancholie saß neben ihm, hatte seinen Arm um Pauls Schulter gelegt, drückte ihn fest an sich.
´Du bist alt, Paul. Sieh es doch ein.´
„Ja“, sagte Paul. „Ja, du hast wohl Recht.“
´Vielleicht hättest du damals mehr tun können, alter Mann.´
Paul senkte den Blick.
„Habe ich denn nicht alles versucht?“
Freund Melancholie bohrte seine spitzen Finger in Pauls Schädel. ´Alles?`, kreischte er und bohrte tiefer.
„Ohne mich gäbe es diese Kinder dort drüben doch gar nicht.“
´Oh Paul … armer Paul. Was hast du denn Großes getan?´
Paul begann zu weinen. Würde es irgendwann einmal vorbei sein? Diese Erinnerungen? Diese elendigen Erinnerungen? Irgendwann?
´Wenn du stirbst, alter Mann. Dann ist es vorbei.´
„Also bald“, flüsterte Paul an die Wiese zwischen seinen Beinen gewandt. „Hoffentlich bald …“

*

„Ich höre“, hauchte Mengele mit dieser Frauenstimme.
Der Gefreite zögerte. Für einen Moment wusste er nicht, ob es richtig gewesen war, den Doktor aufzusuchen. Wenn er nun Meldung an den Obersturmbandführer machte?
„Und schon wieder hat es ihm die Stimme verschlagen? Will er nur meine Zeit stehlen?“ Die Augen stießen stechende Blitze hervor. Sie trafen den jungen Soldaten gegen die ungeschützte Brust, nahmen ihm die Luft. „Was will er mir über meinem Mitarbeiter sagen?“
Der Gefreite dachte an das Gespräch, welches er vor ein paar Stunden zwischen dem neuen Mitarbeiter von Doktor Mengele und einem anderen Zivilisten mitangehört hatte.
„Was geschieht eigentlich mit den ganzen Kindern, wenn die Erzeuger eliminiert sind?“, hatte der Zivilist gefragt.
Der Neue hatte nur dagestanden und an seiner Zigarette gesogen.
Der Gefreite hatte hinter einer dichten Pflanze gestanden, die Zigarette fast aufgeraucht. Er hatte die Beiden sehen können. Und ihr Gespräch hatte ihn zutiefst interessiert.
„Was geschieht mit der Brut?“, hatte der Zivilist noch einmal gefragt.
„Der Doktor hat mir freie Hand gegeben.“ Die Stimme des neuen Mitarbeiters von Mengele war leise, und der Gefreite hatte unwillkürlich für einen Moment die Luft angehalten.
„Sollte das meine Frage beantworten?“ Jetzt wurde auch der Zivilist leiser.
„Siehst du die Lampe dort drüben an der Wand?“, hatte der Neue gefragt.
Auch der Gefreite hatte in die gedeutete Richtung geblickt, sah die Lampe, die einen sanften Lichtschleier an die Wand zauberte.
Der Zivilist hatte die Stirn gerunzelt. „Ja und?“
„Sieh dir den Schirm doch einmal genauer an.“
„Er ist sehr schön“, sagte der Zivilist.
Der Neue lächelte, drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher zu seiner Rechten aus. „Es ist mein Werk.“
„Toll.“
„Er ist aus Kinderhaut.“

Der Gefreite tänzelte unsicher von einem Bein auf das andere. Der Doktor war aufgestanden, hatte sich an den großen Tisch gelehnt und blickte den Soldaten an.
Lange würde er nicht mehr warten, das erkannte der Gefreite. Sollte er einfach wieder gehen?
Doktor Mengele blickte auf seine Taschenuhr. „Vielleicht sollten wir den jungen Kollegen, über den er mir berichten will, einfach einmal aufsuchen.“
„Ich habe mitangehört, was er mit den Kindern macht, Doktor.“
Mengele blickte zu Boden.
Der Gefreite wurde nervös.
Dann blickte der Doktor wieder auf, und sein Grinsen ließ den Gefreiten erstarren …

*

Keine Hilfe!
Dem Obersturmbandführer war es egal, und Mengele steckte ebenfalls mit drin. Allen schien es egal zu sein. Nach dem Gespräch mit dem Doktor war ihm das klar geworden. Jetzt stand er hier neben dem hohen Sicherheitszaun, blickte auf die abgemagerten Körper, die von mehreren seiner Kollegen an ihm vorbeigetrieben wurden. Männer, Frauen. Keine Kinder. Die waren bei Mengeles Neuem. Kinder! Warum schickten sie sie nicht zusammen mit den Erwachsenen in die Waschräume. Das ging wenigstens schnell. Relativ schnell …
Der Gefreite versuchte sich eine Zigarette anzustecken, doch seine Finger zitterten so stark, dass das Holz erlosch, bevor es den Tabak berührte.
Irgendjemand musste etwas tun. Irgendjemand musste diesen Irren stoppen. Ein gigantischer Kloß begann in seinem Magen zu wuchern, wuchs sekundenschnell auf die Größe eines Fußballs heran. Er wollte ihn hinauswürgen, doch er schluckte lediglich.
Er würde ihn aufsuchen. Heute Abend! Und er würde handeln …

*

Die Kinder lachten. Ihr Lachen hallte über die Wiese, drang in jeden Winkel des Parks und verseuchte ihn mit ihrer anhaltenden Fröhlichkeit.
Paul Weller seufzte. Freund Melancholie hatte sich verabschiedet. Vielleicht nur kurz, doch diesen Augenblick würde er genießen.
Was würde aus den Kindern werden? Kämpfer? Verlierer?
Egal, sie würden leben. Die meisten von ihnen; sie würden aufwachsen, Familien gründen, Kinder zeugen. Das Leben war schön.
Und Paul hatte einen Teil dazu beigetragen. Vielleicht nur einen winzigen Teil, aber eben einen Teil. Jetzt konnte er wieder lächeln.
Mühsam stand er auf, ignorierte den Schmerz in dem steifen Bein, wankte kurz, als sein Kreislauf nicht ganz mitspielte. Dann ging er auf die Frauen hinten im Schatten zu. Er würde sich bei den Müttern bedanken. Danke sagen, dafür, dass sie dieser Welt eines der größten Geschenke gemacht hatten, die sich diese Welt vorstellen konnte.
Er steckte die Hände in die Taschen und lächelte …

*

Der Flur war nur spärlich beleuchtet. Der Gefreite hatte die Tür zu Mengeles Folterkammer erreicht. Er sah den Lichtschein, der unter der Tür hindurch seine trügerische Klarheit auf den Flurboden warf.
Der Neue arbeitete also noch. Der Soldat umklammerte den Griff seiner Waffe etwas fester.
Schweiß entstand auf seiner Stirn und hektisch wischte er ihn fort. Nach seiner Tat würden sie ihn hinrichten, doch das war ihm egal. Vielleicht schaffte er es auch zu fliehen. Doch auch das war ihm jetzt egal.
Er würde sich jetzt lediglich um seine Mission kümmern. Und wenn er nur ein Kind retten würde.
Er legte das Ohr an die Tür, vernahm leise Geräusche, die er nicht genau zuordnen konnte. Sollte er anklopfen? Was, wenn Mengele auch da war?
Doch Mengele war ein Fürsprecher der Taten seines Mitarbeiters. Vielleicht hatte er ihn auch dazu animiert. Wenn ja, dann würde er sich um beide kümmern.
Der Gefreite atmete einmal kräftig aus, ließ die Waffe unter seiner Jacke verschwinden und klopfte.
Ein lautes Scheppern antwortete.
Der Gefreite drückte die Tür auf.
Das Licht brannte für einen Moment in seinen Augen, nahm ihm kurz die Sicht. Er hörte das Zuziehen eines Vorhangs.

*

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie so einfach anspreche, meine Damen.“ Paul Weller setzte ein einnehmendes Lächeln auf. Der Schmerz in seinem Bein drückte auf seine Blase.
Er blickte in die Gesichter der Mütter, die ihn erwartungsvoll mit einem Anflug von Mitleid anblickten.
„Sehr schöne Kinderchen haben Sie.“
Die Miene der Frauen veränderte sich nicht.
„Nun“, stotterte Paul, „ich möchte mich nur bei Ihnen bedanken. Mich bedanken für den Reichtum, den sie der Welt beschert haben.“
Jetzt lächelten auch ihre Gesichter. Mitleidig zwar, aber sie lächelten.
„Wollen Sie sich nicht zu uns setzen?“, fragte eine der Frauen.
„Danke, gern.“

*

„Wer sind Sie?“
Die Pupillen des Gefreiten hatten sich an das grelle Licht gewöhnt. Er sah den jungen Mann, den er schon vom Lampenschirmgeständnis her kannte. Er stand vor einem schweren Vorhang, sein weißer Kittel war zum größten Teil mit den unterschiedlich intensiven Rottönen geziert, ebenso wie seine Wangen.
Der Gefreite ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Einigen Tische standen zu seiner Linken, auf einem standen niedrige Gefäße mit blutigem Inhalt. Zangen, Sägen, Handbohrer lagen daneben. Der schwere Vorhang hinter dem Rücken von Mengeles Mitarbeiter, sonst war niemand in dem Raum. Der Gefreite zog seine Waffe und richtete sie auf den Mann.
„Was soll das?“ Er wich zurück, stieß gegen das gewellte Tuch.
Der Gefreite meinte, ein wimmerndes Geräusch hinter dem Vorhang zu vernehmen. Er schloss die Tür hinter sich ohne dabei die Waffe von dem Anderen zu lassen.
„Können Sie mir erklären, was Sie wollen?“ Mengeles Mitarbeiter schien etwas gefasster als noch vor wenigen Sekunden. Er trat einen Schritt vor und ließ die Hände in den Taschen verschwinden.
„Die Hände nach oben!“, brüllte der Gefreite.
Der Andere gehorchte.
„Und jetzt gehen Sie zur Seite!“
Das Wimmern hinter dem Vorhang wurde lauter. „Geh von dem Vorhang weg!“
Sein Gegenüber grinste und trat einen Schritt zur Seite.
„Ganz weg da!“, schrie der Gefreite. Sein Herz raste, und er versuchte, das Zittern seiner Hände zu verbergen.
„Es ist alles abgesegnet“, sagte der Mitarbeiter, während er langsam zur Seite ging. „Alles erfolgt mit der Zustimmung von Doktor Mengele.“
Wieder breitete sich der Kloß in seinem Magen aus, und der Gefreite hustete. Er stand kurz davor, seinen Mageninhalt auf den Boden zu befördern. „Mach den Vorhang zur Seite“, keuchte er.
Der Andere grinste wieder. „Das wird schwierig von hier aus.“
„Mach ihn zur Seite!“
Er ging wieder auf den Vorhang zu, grinste breit und riss ihn auf.
Der Gefreite schluckte; der nackte Junge sah ihn mit großen Augen an. Sein Mund bewegte sich, doch kein Laut drang hervor. Die Zähne waren herausgerissen, und das Blut an seinen Lippen war getrocknet.
„Ich habe seine Stimmbänder selektiert“, sagte Mengeles Mitarbeiter.
Der Gefreite hörte ein Wimmern, bis er feststellte, dass es sein eigenes war.
Der Junge, vielleicht zehn oder elf Jahre alt, lag gefesselt auf einem Tisch. Die Haut um sein linkes Bein war entfernt worden, das blanke Fleisch glänzte im grellen Licht des Raumes. Elektroden waren an seinem Penis und seinen Schläfen befestigt, endeten in einem großen Kasten. Seine Augen spiegelten alles Entsetzen dieser Welt wider.

„Es sind doch nur Juden“, sagte der junge Mann. Er hatte wieder die Hände in den Taschen seiner blutverschmierten Hose gesteckt. „Wollen Sie etwa, dass deren Brut uns irgendwann zur Rechenschaft zieht?“
Der Gefreite schloss die Augen, hörte die Worte nur noch aus weiter Ferne. Er spürte noch, wie sich sein Finger krümmte, hörte den dumpfen Knall seiner Waffe, den spitzen Schrei.
Als er die Augen wieder öffnete, sah er den Mann auf dem Boden liegen, seine Hände um sein blutendes Knie gepresst.
„Du hast mir ins Knie geschossen, du Sau!“ Der Typ kreischte. „Oh mein Gott, du hast mir ins Knie geschossen.“
Der Gefreite blickte auf den wimmernden Wurm zu seinen Füßen. Er blickte auf den gefesselten Jungen, und er richtete die Waffe auf den Schädel von Mengeles neuem Mitarbeiter.
Er hörte nicht, wie die Tür hinter seinem Rücken geöffnet wurde, er sah nicht die Waffe, die auf seinen Hinterkopf gerichtet wurde, und er sah nicht das Grinsen von Doktor Mengele, bevor dieser ihm eine Kugel durchs Hirn jagte …

*

Paul Weller stand auf.
„Vielen Dank noch einmal für Ihre Freundlichkeit“, sagte er lächelnd an die Mütter gewand.
Diese lächelten zurück. „Es war uns eine Ehre“, sagte eine von ihnen.
„Nette Kinderchen“, sagte Paul noch einmal, und als er langsam davon humpelte, freute er sich, dass er das Fortbestehen der deutschen Rasse so gut es ging unterstützt hatte.

 

und ich jetzt nach Jahren wieder an eine komme, die auch mal auf stilistische Dinge etc achtet
Davon gibt es aber viele hier ...

Hallo Kawari erstmal.

Herzlichen Dank für deine Kritik. Hat mich sehr gefreut, dass es dir so gefallen hat; auch dass die Pointe rüberkam.

Jetzt habe ich dafür nur ein kleines Problem. Mir fällt beim besten Willen nichts ein zum Kritisieren
Aber du hast doch kritisiert; Kritik muss doch nicht zwangsläufig negativ sein, oder?

Hat mich auf jeden Fall sehr gefreut!

Gruß! Salem

 

Ahoi Salem!

Nun ja; nicht so schlecht. Du hast schon einmal besseres geschrieben, aber es war was nettes für zwischendurch. Also durchaus nicht schlecht. Die Idee gefiel mir gut. Mir gefallen solche Sachen mit Nazivergangenheit. Ich bin mir jetzt zwar nicht sicher, aber ich glaube, es heißt nicht Obersturmbandführer, sondern Obersturmbannführer. In dem Absatz, in dem der Gefreite den Mitarbeiter des Doktors aufsucht wiederholst du ziemlich oft „Wimmern“ und „grinsen“. Vielleicht checkst du das noch einmal durch. Generell dachte ich mir schon, dass der Prot dieser grausliche Mitarbeiter war, ändert aber nichts dran, dass das Ende gelungen ist(Unten aber noch ein Verbesserungsvorschlag). Nur ein paar Anmerkungen:

Hin und wieder zwitscherte ein Vogel, hin und wieder raschelten die Blätter.
Wortwiederholung
In einiger Entfernung entdeckte er mehrer Kinder auf einer Wiese
mehrere
Er schloss die Tür hinter sich ohne dabei die Waffe von dem Anderen zu lassen.
Finde ich ein bisschen ungelenk formuliert. Vielleicht: Er schloss die Tür hinter sich und hielt dabei die Waffe unablässig auf den Anderen gerichtet
„Nette Kinderchen“, sagte Paul noch einmal, und als er langsam davon humpelte, freute er sich, dass er das Fortbestehen der deutschen Rasse so gut es ging unterstützt hatte.
Ich finde, der ganze Satz, also das Ende, würde besser passen, wenn du nicht noch extra darauf hinweist, dass er der ‚Bösewicht’ war. Also den letzten Satz nur mit: „Nette Kinderchen“, sagte Paul noch einmal und humpelte langsam davon.; den Rest kann man sich ja denken

Grüße,
One

 

Hi one,

vielen Dank für deine Kritik. Werde die Verbesserungen später übernehmen, ebenso die Überarbeitung.
Einige Wiederholungen sind allerdings bewusst eingebaut, wie das "hin und wieder". Das mach ich manchmal ganz gern.
Den Rest werde ich noch mal durchschauen. Und bezüglich des letzten Satzes: Hm, mal nachdenken.

Danke nochmal!

Gruß! Salem

 

Hi Salem,


„Habe ich denn nicht alles versucht?“
Freund Melancholie bohrte seine spitzen Finger in Pauls Schädel. ´Alles?`, kreischte er und bohrte tiefer.
„Ohne mich gäbe es diese Kinder dort drüben doch gar nicht.“
´Oh Paul … armer Paul. Was hast du denn Großes getan?
Paul begann zu weinen. Würde es irgendwann einmal vorbei sein? Diese Erinnerungen? Diese elendigen Erinnerungen? Irgendwann?

Egal, sie würden leben. Die meisten von ihnen; sie würden aufwachsen, Familien gründen, Kinder zeugen. Das Leben war schön.
Und Paul hatte einen Teil dazu beigetragen. Vielleicht nur einen winzigen Teil, aber eben einen Teil. Jetzt konnte er wieder lächeln.

Wie sich Paul sein Leben lang in Selbstvorwürfen und Selbstgerechtigkeit winden mußte: Vielleicht ist diese Strafe genauso hoch wie lebenslanges Einsitzen.

Ich war anfangs erst etwas skeptisch, weil du eine historische Person in eine fiktive (aber gut mögliche) Handlung eingeschlossen hast; aber du hast meinen Nerv getroffen. Sogar die Wechsel taten der Intensität keinen Abbruch.
Die Gesprächszenen fand ich sehr authentisch und die Handlungen aus Pauls Erinnerung heraus gingen mir näher als die mit dem alten Paul - aber das lag wahrscheinlich auch am extremen Inhalt der Vergangenheitsszenen.

Eine gehaltvolle Geschichte in einem sehr guten Erzählstil hast du da geschrieben; lediglich die drei Wiederholungen in den ersten zwei Abschnitten fielen mir störend auf: Ich konnte auch nicht nachempfinden, was du stilistisch damit erreichen wolltest.

Lieber Gruß
ber

 

Hallo salem,

ich muss zugeben, dass mir die Geschichte gut gefallen hat. Auch das Ende fand ich klasse, vor allem weil ich sogar noch vermutet hatte Paul Weller sei der Junge, dem die Haut vom Bein "operiert" worden war. Zwar unsinnig in Bezug darauf, dass er dann ja wegen der fehlenden Stimmbänder nicht reden könnte, aber so hatte ich mir eben das Humpeln erklärt. Hast mich also voll auf dem falschen Fuß erwischt. :D

Freund Melancholie saß neben ihm, hatte seinen Arm um Pauls Schulter gelegt
"Freund Melancholie"... Klasse! :thumbsup:

Allerdings muss ich auch ein wenig nörgeln. Zum einen finde ich, dass du sehr mit Klischees arbeitest. Der Lampenschirm aus Judenhaut ist genauso bekannt, wie die Seife aus den Knochen oder Hochzeitsringe aus Goldzähnen. Hatte eigentlich gehofft, dass du da ein wenig Kreativität mit einfließen lässt. Aber egal. Las sich auch so prima.

Das Einzige, was sich bei mir wirklich gar nicht in den Zusammenhang einfügen will, dass sich Paul selbst Vorwürfe macht (die Szene mit "Freund Melancholie") und dass ihn schlechte Erinnerungen plagen. Du beschreibst ihn uns als einen skrupellosen Kerl, ohne Gewissen.
Durch diese angesprochene Szene führst du den Leser also absichtlich auf eine falsche Fährte, die sich meiner Meinung nach aber überhaupt nicht in den Plot einpassen lässt.

Ansonsten war ich begeistert. Super! :D

Gruß, Zensur

P.S. Zu Kawari: Im Endeffekt klärt das Humpeln auf, wer von den beiden Bösewichten Paul ist, da der Gefreite dem "Neuen" die Kniescheibe zerschießt!

 

Hallo bernadette, hallo zensur.

@bernadette:

Wie sich Paul sein Leben lang in Selbstvorwürfen und Selbstgerechtigkeit winden mußte: Vielleicht ist diese Strafe genauso hoch wie lebenslanges Einsitzen.
Es sollte schon rüberkommen, dass er noch immer diesen inneren Kampf austrägt: Nazi - Mensch. Daher auch die Stimmungsschwankungen (die zensur hier als Irreführung des Lesers tetuliert; obwohl er natürlich auch ein bisschen Recht hat ... :Pfeif: )

Ich war anfangs erst etwas skeptisch, weil du eine historische Person in eine fiktive (aber gut mögliche) Handlung eingeschlossen hast; aber du hast meinen Nerv getroffen. Sogar die Wechsel taten der Intensität keinen Abbruch.
Das hat mir auch die meiste Angst bereitet. Schön, dass es nicht so schlimm war.

Die Gesprächszenen fand ich sehr authentisch und die Handlungen aus Pauls Erinnerung heraus gingen mir näher als die mit dem alten Paul - aber das lag wahrscheinlich auch am extremen Inhalt der Vergangenheitsszenen.
Obwohl die Rückblenden ja nicht aus Pauls Erinnerungen waren. Hoffe, das kam so rüber.

lediglich die drei Wiederholungen in den ersten zwei Abschnitten fielen mir störend auf: Ich konnte auch nicht nachempfinden, was du stilistisch damit erreichen wolltest.
Werde ich nochmal suchen ...

@zensur

vor allem weil ich sogar noch vermutet hatte Paul Weller sei der Junge, dem die Haut vom Bein "operiert" worden war.
Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen, nicht schlecht ...

"Freund Melancholie"... Klasse!
Danke!

Allerdings muss ich auch ein wenig nörgeln. Zum einen finde ich, dass du sehr mit Klischees arbeitest.
Da gebe ich dir Recht; obwohl ich hier lediglich die Grausamkeit darstellen wollte, mit der sich Paul auseinandersetzen muss. Mal sehen, ob ich was anderes einsetze.

Das Einzige, was sich bei mir wirklich gar nicht in den Zusammenhang einfügen will, dass sich Paul selbst Vorwürfe macht (die Szene mit "Freund Melancholie") und dass ihn schlechte Erinnerungen plagen. Du beschreibst ihn uns als einen skrupellosen Kerl, ohne Gewissen.
Durch diese angesprochene Szene führst du den Leser also absichtlich auf eine falsche Fährte, die sich meiner Meinung nach aber überhaupt nicht in den Plot einpassen lässt.
Versuch einer Erklärung siehe oben ... :cool:

Ansonsten war ich begeistert. Super!
Das freut mich. Vielen Dank!

Euch beiden nochmals Danke für eure Mühe.

Gruß! Salem

 

Hi Salem,

ja, was sage ich da noch?

Er wollte ihn hinauswürgen, doch er schluckt lediglich.
schluckte (jedenfalls ist der Rest in Vergangenheit) *g*


Neiiin, das ist natürlich nicht alles. Mir ist es egal, ob alles genau belegt ist. Du hast genug recherchiert, dass deine Geschichte sich so abgespielt haben könnte. Und dein Ende war für mich nur nicht überraschend, weil ich deine Geschichten schon so gut kenne. Darum war mir klar, dass Paul Weller (ein Verbeugung vor dem Musiker?) nicht der Gute sein konnte.
Mir hat die Geschichte atmosphärisch und stilistisch gut gefallen.

Lieben Gruß, sim

 

Olá sim!

Schön von dir zu hören. Freut mich natürlich, dass du nix zu meckern hast ... ;)

Und dein Ende war für mich nur nicht überraschend, weil ich deine Geschichten schon so gut kenne.
Wie? Bin ich soo durchschaubar???


dass Paul Weller (ein Verbeugung vor dem Musiker?)
Ähm... gibts den tatsächlich wirklich? :shy:
Muss gestehen, der Name ist mir nicht bekannt, entsprang meinem kranken ... was auch immer ...


Mir hat die Geschichte atmosphärisch und stilistisch gut gefallen.
Mir steigt die Schamesröte ins Gesicht. Vielen Dank!

Und auch nochmal danke für´s Lesen und Kommentieren!

Gruß! Salem

 

Hahaaaa! Paul Weller kenne ich, auch wenn ich nicht alles Johns kenne! ;)

Hi Salem!

Aua, sage ich nur, ganz dolle aua!

Ich habe keine der anderen Kritiken gelesen, ich denke aber, dass sie - die meisten zumindest - überschwenglich sind. Ich kann sie verstehen.

Das ist eine Geschichte, bei der man ganz dolle auf die Nase fallen kann. Biste nich, zumindest nicht ganz dolle.
Ich finde sie in den meisten Passagen sehr gelungen, echt. Und der letzte Satz hat mich wirklich getroffen. Wie du hier den positiven Protagonisten ins Negative, ins abgrundtief Negative verkehrst, Himmel, mir blieb tatsächlich die Luft weg.

Und mit dem letzten Satz hättest du eine ganz andere Dimension beschreiten können. Doch ein wenig (nicht mehr so sehr wie früher) kommt immer noch der alte Salem durch, der Salem, der alles so gern schwarz/weiß malt, der es sich leicht mit den Gefühlen macht, wenn sie extrem sind. Ein bisschen, wie gesagt.
Ich bin sicher, dass du deine Empfehlung kriegst, und zumindest für deinen Mut - wieder mal - solch ein Eisen anzupacken, verdienst du sie.

Es gibt, in meinen Augen, noch einige Mängel:

...im Schatten hockende Mütter, die miteinander plauderten.

Was hindert dich daran, zu schreiben: ... die Mütter hockten im Schatten und plauderten. ?
Die aktive Version, sie bringt Leben in den Text! Ich finde auch, dass die ersten Abschnitte der Beschreibung des alten Mannes recht statisch sind.


Für einen winzigen Moment nahm der Schmerz in seinem Bein beängstigende Ausmaße an.

Jetzt gibst du uns eine Mitteilung, du informierst uns. Dadurch, dass du aber so eine abgegriffene Wendung benutzt, lässt du uns ganz sicher nicht teilhaben am Schmerz. Vergleiche?

zum alles entscheidenden Sieg

Du meinst sicher das Tor , das alles entscheidet.

Er würde sich jetzt lediglich um seine Mission kümmern.

Das, finde ich, ist der alte Salem.

Die Szene (bezeichnenderweise), in der der Vorhang beiseite geschoben wird, ist gnadenlos spannend. Doch die Beschreibungen danach empfand ich als vollkommen überflüssig. Wenn du uns mitteilen willst, wie sehr das Kind leidet, dann gibt es andere, subtilere Wege.

Aber, wie gesagt, ich bin ein alter Meckerkopp. Hat mir gut gefallen.

Viele Grüße von hier!

 

Schmutzige ...

Hi Salem,

da hatte ich mir schon Gedanken gemacht, wie Paul es wohl schafft, sich und die Kinder zu befreien, doch dann kommt der Schuß ins Bein.
Da war für mich klar, dass Paul es nicht schaffen würde :( und dein viel zu wenig leidender Prot, der Kinderschänder ist.

Nein, für mich kam es nicht so rüber, dass Freund Melancholie, ihm Reue bescherte. Höchstens darüber, dass er nicht noch mehr Judenkinder vernichten konnte.
Hättest du deinem Prot nicht noch eine teufliche Bestie an seine Seite schreiben können, die ihm von Jahr zu Jahr, auf sich steigernde schmerzhafte Weise, immer deutlicher macht, wo er mal landen wird, nämlich in der tiefsten Hölle? :baddevil:
Natürlich so geschickt geschrieben, dass der Leser erst zum Schluß weiß, was gemeint ist :D

Paul Weller lehnte immer noch mit dem Rücken an der mittlerweile harten Baumrinde,
war sie vorher weich? Aber man weiß schon was du meinst ;)

Was mich auch noch etwas gestört hat, sind die vielen hatte, die bei einem Erinnerungsabsatz drin sind.

Ansonsten eine schrecklich bedrückende Geschichte, die du sehr gut in Gegenwart und Vergangenheit gesetzt hast.
Und in der du klar machst, dass es Menschen gibt, die so böse sind, dass sie ihr Handeln als gut sehen. (Man darf nicht darüber nachdenken.)

Eine Geschichte, die im Kopf bleibt, obwohl man sie gerne daraus vertreiben möchte.

ganz lieben Gruß, coleratio

 

Hi Salem, ich noch mal.

Nach meinem Lob, von dem ich auch nichts zurücknehme, möchte ich dir bevor ich die hinzugekommenen Kritiken lese noch ein paar Fragen mitteilen, die ich gestern nacht mit ins Bett genommen habe.
Für deine "Pointe" war es natürlich wichtig, das zu umgehen, aber ich fragte mich, wie dein Protagonist wohl die lange Zeit nach dem Krieg verbracht hat. Wie konnte er so alt werden? Keine Hinweise auf die Nürnberger Prozesse, keine Hinweise auf eine eventuelle rechtzeitige Flucht. Eines von beiden erschiene mir wahrscheinlich, wenn er so nah an Mengele gearbeitet hat. Auch wenn es sich bei deinem Prot um eine fiktive Person handelt, waren die engen Mitarbeiter Mengeles natürlich namentlich bekannt, es gab weltweite Fahndungsbefehle mit Steckbriefen. Dein Schluss kann nur durch die Ausblendung der Historie so erschreckend und überraschend funktionieren. Aber wie gesagt, beim Lesen hat mich das alles nicht gestört. Da war ich in deiner Geschichte drin. Erst beim weiteren Nachdenken kamen diese Gedanken. Und vielleicht war dir ja auch die Entstehung dieser Fragen im Leser wichtig. Immerhin gab und gibt es auch eine Menge deutscher Kriegsverbrecher, die aus unterschiedlichen Gründen nie belangt worden sind. Entweder, weil sie nicht gefunden wurden oder weil sie den Alliierten in der Forschung von Nutzen sein konnten.

Lieben Gruß noch mal, sim

 

Nun, Salem, obwohl ich deine Geschichten nicht kenne, kam ich nicht auf den Gedanken, Paul wäre der Gefreiter, als dieser auf den Gedanken kam, jemanden zu erschießen. Eine Frage nur: Koennte eine Zivilperson einen (deutschen) Soldaten einfach so ohne Gericht durch einen Kopfschuss töten? Und noch etwas: Die Wachen bei den Konzentrationslagern hatten sich freiwillig für die Arbeit gemeldet. Ich denke nicht, dass sensibele Leute dies machen würden, vor allem wenn ich an die Beschreibungen von tatsächlichen KZ-Wächtern denke.

Gruß, General Midi

 

Hi Salem

Ich finde deine Geschichte wirklich sehr gelungen. Stilistisch, sprachlich und inhaltlich ist sie so überzeugend, dass ich sie einfach zu Ende lesen musste, obwohl ich dieses Thema sonst eher meide.
Sehr ansprechend und gelungen finde ich vor allem die kleinen, verstreuten Hinweise. Die Angewohnheit deines Prot, "die Hände in den hosentaschen verschwinden" zu lassen u.ä. Andeutungen haben mich zwar während des Lesens aufhorchen lassen, haben aber trotzdem nicht zuviel vorweg verraten.

Gruß
DieNymphe

 
Zuletzt bearbeitet:

Lieber Salem!

Auf die Geschichte bezogen gehe ich noch näher ein, wenn Du sie überarbeitet hast, da Du ja schon eine Menge Meinungen und Tips bekommen hast. Wir sind ja keine Wiederkäuer. ;)

Blackwood schrieb:
Diesen Horror zu beschreiben braucht es indes keine Geschichte, denn kein Erzähler würde mehr Schrecken wecken können, als die gut dokumentierten Tatsachen.
Jedoch denke ich nicht, daß es Dir rein um die Beschreibung dieses Horrors ging - da würde ich auf jeden Fall großzügig kürzen.

Vielmehr glaube ich, daß es Dir genau darum ging:

sim schrieb:
Auch wenn es sich bei deinem Prot um eine fiktive Person handelt, waren die engen Mitarbeiter Mengeles natürlich namentlich bekannt, es gab weltweite Fahndungsbefehle mit Steckbriefen. ... Immerhin gab und gibt es auch eine Menge deutscher Kriegsverbrecher, die aus unterschiedlichen Gründen nie belangt worden sind. Entweder, weil sie nicht gefunden wurden oder weil sie den Alliierten in der Forschung von Nutzen sein konnten.
Aufzuzeigen, daß sie noch immer unter uns sind, und teilweise sogar in Machtpositionen. Die Kriegsverbrecherprozesse waren bloß Valium fürs Volk. - Dahingehend würde ich die Geschichte dann auch ausbauen. Was hat Paul Weller in der Zeit nach dem Krieg gemacht?

Auf spiegelgrund.at findest Du zum Beispiel den Fall des Dr. Heinrich Gross, der niemals verurteilt wurde, sondern seine Karriere sogar als meistbeschäftigter Gerichtspsychiater Österreichs fortsetzte. Auch, daß er von einem Häftling erkannt wurde, konnte ihn bis heute nicht ins Gefängnis bringen - mittlerweile ist er angeblich verhandlungsunfähig, weil er sich an nichts mehr erinnern kann... Die Gehirne der Kinder, mit denen er bis vor wenigen Jahren weiterexperimentiert hat, wurden erst 2002 begraben.
- Die Geschichte in diese Richtung weiter auszubauen, fände ich interessanter, als das Grauen, das tatsächlich von Zeitzeugen besser erzählt wird, darzustellen. Auch ein Patient eines Pflegeheimes hat vor ein oder zwei Jahren einen Arzt oder Pfleger vom Spiegelgund (finde den Fall grad nicht) wiedererkannt - ist doch nett, wenn man vorm Sterben dann noch einmal den Peiniger der Kindheit wiedersehen darf... Und es gibt bestimmt noch andere, die bisher eben niemand wiedererkannt hat (die sich aber vielleicht davor fürchten...?), oder die wohl auch nicht mehr erkannt werden, weil sie eh schon in Pension sind und zum Beispiel auf Kinderspielplätzen spazieren gehen.
Ach ja: Blackwood erwähnt das Grinsen, die Mütter hingegen lächeln mir zuviel. ;)

Bin gespannt auf Deine Überarbeitung. :)

Liebe Grüße,
Susi :)

 

Hallo Hanniball, coleratio, Blackwood, sim nochmal, General Midi, DieNymphe und Häferl.

WOW, ich bin hin und weg. Sehr konstruktive Kritiken, die mir aufgezeigt haben, dass es die Geschichte wert ist, sie zu überarbeiten. Und zwar richtig zu überarbeiten.

Danach werde ich auch im Einzelnen auf eure wirklich ausführlichen Kommentare eingehen. Ganz kurz vielleicht schon einmal: Intention der Geschichte war zum einen, die von Häferl erkannte Darstellung, dass diese "Leute" immer noch unter uns sind.
Zum anderen die Herausforderung, eine fiktive Geschichte zu schreiben mit realen Personen.

Ich will einmal versuchen, anhand eurer Hilfen, mehr ins Detail zu gehen. Keine Angst, ich meine, was das Charakterliche und Atmosphärische angeht (irgendwann schaff ich das, Blackwood und Hanniball, versprochen!).

Auch will ich versuchen, die von sim genannten offenen Fragen zumindest teilweise zu klären.
Kann aber ein bisschen Dauern; viel Stress, das übliche halt. Vielleicht gehts aber auch schnell. Ich fühl mich nämlich herausgefordert, und wenn sich ein Salem herausgefordert fühlt, ... :naughty:

Ganz, ganz lieben Gruß und danke für eure Mühe! Salem

 

Hallo Salem

Da ich jetzt die ganzen Kritiken bereits gelesen habe, traue ich mich schon gar nicht mehr, zu diesem Text überhaupt noch etwas zu schreiben.

Ich tu es trotzdem, denn ich habe deine Geschichte ja schliesslich gelesen.

Ein wahrlich heisses Eisen. Aber warum nicht, du bist es weder plakativ noch abgedroschen angegangen und mir hat sie gefallen. Aber...

Ich war ehrlich überrascht und verblüfft, als sich herausstellte, dass Paul Weller zum Schluss der Gehilfe und nicht der Gefreite war. Das hat mir gefallen.

Doch dann wunderte ich mich, dass das so gut funktioniert hatte und versuchte die versteckten Hinweise zu ergründen, die ich anscheinend überlesen habe.
Doch die waren eher bescheiden eingestreut, vielmehr hast du ganz bewusst nur die "halbe" Wahrheit erzählt und zum Teil dick aufgetragen, um den Leser genau auf diese Schiene zu lenken.

Der Abschnitt, wo "sein schlechtes Gewissen" als Freund Melancholie zu ihm spricht, ist genau auf den Gefreiten zugeschnitten. Bis zum "Habe ich denn nicht alles versucht?" könnte man ja noch annehmen, dass Weller der verpassten Chancen nachtrauert, aber als er dann was von den elenden Erinnerungen vorjammert, das kaufe ich ihm nicht ab. Dass da so etwas wie Hilflosigkeit mitschwingen soll, wird hier bewusst irreführend eingesetzt.

Aber wie gesagt, bei mir hat es ja auf Anhieb funktioniert.
Ok, habe halt auch schon lange nichts mehr von dir gelesen.
Muss ich nachholen. ;)

LG./

 

Eine Abmerkung noch von mir:

Der Sturmbandführer ist ein Sturmbannführer!

Grüße
:D

 

hi salem!!!

na, ich kann jetzt sagen auf ein neues, da ich heute bereits einmal von einer Kritik an deiner Geschichte aufs übelste abgehalten wurde... :

Paul grinste, blöder Spruch aber irgendwie stimmte er.
Spruch, aber

Paul begann zu weinen. Würde es irgendwann einmal vorbei sein? Diese Erinnerungen? Diese elendigen Erinnerungen? Irgendwann?
´Wenn du stirbst, alter Mann. Dann ist es vorbei.´
„Also bald“, flüsterte Paul an die Wiese zwischen seinen Beinen gewandt. „Hoffentlich bald …“
Sehr schön hast du hier die tragische Stimmung eingefangen.

Und wenn er nur ein Kind retten würde.
ein einziges Kind würde mir hier besser gefallen

Oh mein Gott, du hast mir ins Knie geschossen.“
Sorry, aber das klingt in dieser Situation in meinen Ohren einfach furchtbar. So emotionslos. Vor allem dieses Oh mein Gott.

Salem, ich kann bloß sagen: Voll erwischt! Ich hätte damit rechnen sollen, dass es sich nicht um den Gefreiten handelt, sondern um den "Assistenten". Hab ich aber nicht.
Von dem her, war ich also überrascht.

Mir persönlich sagte jedoch das Thema nicht so zu, was aber einfach daran liegt, dass mir solche Dinge immer sehr nahe gehen. Den Schockeffekt hast du demnach bei mir erreicht.

Bleibt nichts zu sagen, außer: Schön geschrieben, überraschend und hat mich gut (auf die eine oder andere Weise) unterhalten.

Liebe Grüße,
Tama

 

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