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Schnauze, Arschloch!
Schnauze, Arschloch!
Zwei Menschen, zwei Perspektiven, ein Bett
Tussi. Ja genau, zieh dir den Lippenstift nach. Ja schön, wunderbar, mach ein "Oooh". Gott, siehst du bescheuert aus. Für wen machst du dich denn so hübsch, hm? Du bist doch mindestens fünfundvierzig, was soll denn das Theater? Glaubst du wirklich, dass er scharf auf dich ist? Du kannst mir doch nicht erzählen, dass dein Aufzug irgendwen anturnt. Und die Haare?! Wann warst du denn das letzte mal beim Friseur? Hängt doch alles runter, Mädl. Schau dich nur an! Ist sicher nicht das einzige was runterhängt. Ha! - Schnauze, Arschloch!
Er sagte immer "Schnauze, Arschloch!" zu sich selbst. Er fand es witzig. Das heisst, eigentlich wusste er selbst, dass es nicht witzig war. Ziemlich dämlich im Grunde. Aber was blieb ihm anderes übrig? Hätte er es nicht witzig gefunden, müsste er sich selbst hassen und das wär ihm dann doch zuwider gewesen, so viel wusste er.
Er ließ die Frau aus seinem Rückspiegel gleiten und wandte sich wieder dem Ampelspiel zu.
Grün, na bitte, geht doch. Und weiter. Hallo! Weiter geht's! Gib deine scheiss Hände runter, schalt in den ersten Gang und gib Gas, Mann!
Er hasste es, wenn vor ihm jemand fuhr, der sich händeringend mit seinem Beifahrer unterhielt. Was gab es da nur so viel zu reden? Und vor allem mit den Händen?
Ja was denn?! Gibst du jetzt Gas oder was?! Fahren oder bumsen, beides geht nicht, Alter!
Ihm war die Frau an des Fahrers Seite aufgefallen. Sie lachte. Zumindest wirkte ihre wackelnde Silhouette so auf ihn. Wenn er etwas wirklich hasste, dann Männer, die sich während der Fahrt einen kleinen Flirt mit ihren Begleiterinnen erlaubten. Am liebsten wäre er ihm hinten aufgefahren. Seine Hand schwebte über dem Blinkhebel. Die Lichthupe erschien ihm im Moment sinnlos, sie würde sowieso nicht beachtet werden. Gleichzeitig verrenkte er sich Richtung Lenkrad und stierte in den Aussenspiegel. Da gab's aber momentan auch kein Ausweichen, zu dicht war der Verkehr um diese Zeit. Seine Konzentration war hochgeschnellt, die hetzerischen Gedanken für einen Augenblick ausgeblendet. Seine Augen zuckten wild zwischen Windschutzscheibe, Rück- und Aussenspiegel hin und her. Da - endlich! Eine Lücke machte sich auf. Gut, für jeden anderen war das vielleicht keine, aber ihm reichte es - in jeder Hinsicht.
Aaarschloch!!!
Der Fahrer vor ihm hatte nur kurz zu ihm hinüber gesehen, als sich das harte Quietschen hinter ihm in eine grässliche Fratze verwandelte, die jetzt brüllend und polternd an ihm vorbei zog.
Augenblicklich stemmte sich die zwei Tonnen schwere Karosserie auf die Vorderachse. Es hob ihn nur kurz aus dem Sitz und binnen einer Sekunde stand er wieder still. Rot.
Genervt fischte er sich eine Zigarette aus der Jackentasche und blies den Rauch seines ersten Zuges schräg aus dem leicht geöffneten Seitenfenster. Sein Blick fiel auf das Autoradio, hielt aber seine Hände auf dem Lenkrad. Er hasste Radio. Nichts war unausstehlicher, als dieses allzeit bereite und immer fröhliche Gebrabbel dieser Moderatoren. Im Grunde bereute er den Kauf, denn in den zwölf Jahren, in denen er jetzt Auto fuhr, hatte er nie wirklich Radio gehört. Aber seine Frau mochte es. Sie lauschte gern dem Stadtsender, ließ sich von der Fröhlichkeit der Ansagen und leichten Musik gerne anstecken.
Ja. Ja, ist schon gut! Meine Güte aber auch. Da hat du dein scheiss Radio!
Er drückte den Knopf und im nächsten Moment umhüllte ihn der Klang der derzeitigen Nummer Vier der lokalen Hitparade. Er seufzte. Er nahm noch einen Zug und bog dann schliesslich in die Seitengasse ab.
***
Wie mach ich ihm das nur verständlich? Ich kann das einfach nicht, das ist alles zu viel. Wenn er Margit schon in das Projekt hineinholt, wieso gibt er ihr dann nicht auch den Folder? Will er mich nur testen? Schauen, was ich mir gefallen lasse? Das ist doch keine Art.
Margit war die Neue. Es war ihre Aufgabe gewesen, sie anzulernen und das hatte sie ihrer Meinung nach auch gut gemacht. Binnen zwei Wochen hatte sie Margit das Wichtigste beigebracht, war ständig bemüht, ihr alle Fragen zu beantworten, gleichzeitig aber auch darauf bedacht, ihr eine gewisse Selbständigkeit abzuverlangen. Sie hatte schon genug zu tun mit ihren Projekten. Ihr Chef sah das aber offenbar anders.
Sie legte die Hand auf das Handschuhfach. Sie hatte es sich abgewöhnt "Pass auf!" oder "Nicht so schnell!" zu rufen. Es hatte ihn immer nur verärgert. Das Handschuhfach konnte sie sich aber nicht abgewöhnen, es war einfach ein Reflex. Man konnte sogar schon einen leichten Abdruck ihrer Hand darauf erkennen, was ihn einmal ziemlich fluchen ließ, als er bemerkte, dass er es mit gewöhnlichen Mitteln nicht weg bekam.
Ich geh morgen zu ihm. So kanns einfach nicht weitergehen. Ich lass mir einen Termin für ein Gespräch geben. Er muss mir einfach zuhören. Entweder er stimmt meiner Forderung nach einer Gehaltserhöhung endlich zu oder er gibt Margit ...
Im Vorbeifahren sah sie kurz das kopfschüttelnde Grinsen des Fahrers auf der Nebenspur, der sich gleich wieder seiner Begleiterin zuwandte. Dann hob es sie kurz aus ihrem Sitz und die Hand landete wieder auf dem Ablagefach.
Aus dem Augenwinkel sah sie kurz das Feuerzeug aufflammen und die ersten Rauchschwaden durch sein Seitenfenster abziehen.
"Können wir das Radio aufdrehen?"
Wortlos drückte er den Knopf. Als die ersten Klänge des Poptitels an ihr Ohr drangen, hatte sie sein Seufzen bereits ausgeblendet. Ihr Kopf begann im Takt leicht mitzuschwingen.
***
Sag was, sag doch bitte was. Irgendwas. Ich halt das nicht mehr aus. Warum berührst du mich nicht? Wann hast du mich das letzte mal berührt? Ich will doch nur ...
Du bist so schön.
"Willst du noch was essen?"
"Nein, ich werd mich dann hinlegen. Kommst du auch?"
"Stört's dich, wenn ich noch was lese?"
"Nein, klar, mach nur."
Ich will dich nicht berühren. Ich kann es einfach nicht mehr. Wer bist du? Ich bin hier, siehst du das nicht? Spürst du das nicht? Leg doch einfach nur deine Hand auf meine Brust. Was will ich denn? Was verlang ich denn? Wohin treibst du mich? Wie oft ... was soll ich noch ...?
Du hasst mich. Hasst du mich? Warum treibst du dieses Spiel mit mir? Du kotzt mich an. Leg jetzt deine scheiss Hand auf meine Brust und gib Gas, Mann! Schnauze, Arschloch!
Er legte die Zeitung beiseite. Sie war schon eingeschlafen. Er knipste das Licht aus und schmiegte sich dann sanft an ihre Seite.
"Gute Nacht."
Ich liebe dich.