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Schnuppertag
Ihr glaubt also, es wäre einfach, der Tod zu sein, ja? Der Grimme Schnitter. Der Sensenmann. Die letzte Instanz. All die hippen Spitznamen, die man so hat. Nun, nachdem ja jeder von euch hier gerne unser qualifiziertes Ausbildungsprogramm genießen möchte, ist es meine Aufgabe, euch klar zu machen: Jemanden zu töten, das macht man nicht so larifari. Das verändert einen. Komplett. Dafür braucht man Mumm in den Knochen.
Gleich als erstes: Vergesst den ganzen Unsinn. Verabschiedet euch von diesem ganzen Humbug, den die Literatur euch einzubleuen versucht. Muffige Kutten, rostige Sensen, reden in Großbuchstaben, knöcherne Finger mit denen ihr einfach nur die Leute anstippst. Auf die Art macht ihr vielleicht Schmierspuren auf einen Touchscreen, aber für den Job hier ist das nix. Der Tod sein, das bedeutet Arbeit. Harte Arbeit. Ewigen Stress, dauernde Termine, und glaubt ja nicht, dass ihr noch mal Zeit habt, in die Oper oder ins Kino zu gehen. Außer beruflich. Und lesen oder fernsehgucken ist total ausgeschlossen.
Tod zu sein machst Du nicht, das lebst Du.
Ihr würdet mit den Ohren schlackern, wenn ich euch erzählte, wer hier alles schon aufgetaucht ist und mir vorgejammert hat: Bitte, bitte, ich hab kein Geld, kein Essen, nix gelernt, meine Frau hat mich verlassen, mein Auto wurde geklaut, mein Hund verführt und meine Tochter überfahren, bitte lass mich Tod sein - Tod zu sein ist das Einzige, was noch einen Sinn für mich hat.
Das hier ist ein Knochenjob. Jeder Junkie auf Jieper kann sich ne Knarre greifen und seinen Dealer in einer schmierigen Bahnhofstoilette übern Haufen ballern. Das macht ihn zwar zu einer Schlagzeile, aber noch lange nicht zum Tod. Und nur weil ein paar minderwertigkeitskomplexbeladene Möchtegerndespoten den ein oder anderen Völkermord angezettelt haben, sind sie nicht automatisch in der Lage, der Tod zu sein. Als Tod, wisst Ihr, da seid Ihr für den Tod echt vieler Leute verantwortlich. Wirklich viele. Denkt euch mal alle Leute auf einen Haufen, die ihr kennt. Und dann denkt euch noch alle Leute dazu, die ihr nicht kennt. Und dann überlegt euch, dass es da noch ein paar andere Leute gibt, die nicht mal Ihr nicht kennt. Und für jeden Einzelnen von diesen ganzen Leuten seid Ihr verantwortlich. Das ist ein ziemlicher Haufen, und wenn man für den Tod von so furchtbar vielen Leuten verantwortlich ist, kann einen das Gewissen manchmal ganz schön zwacken.
Außerdem passieren in dem Job leider ständig Pannen. Wenn Ihr einen armen Spaziergänger mit Kopfschuss in der verregneten Gasse vergesst, könnt Ihr des Teufels Advokat gleich informieren, dass mal wieder ein Kunstfehlerprozess auf euch zukommt, sobald der Kerl mit der Hirnfunktion einer Selleriestaude im Krankenhaus aufwacht.
Dieser Job ist kein Abenteuer. Kein rumreisen und Leuten auf die Schulter klopfen, kein rumrennen mit kryptischem Gesichtsausdruck und dabei rätselhafte Einzeiler wie Es ist an der Zeit! ablassen. Hier herrscht nackte Bürokratie, und damit Ihr es gleich wisst, das ist auch das einzig nackte hier. Lasst also euer Skelett schön eingepackt – auch hier hat die Rechtsabteilung scharfe Grenzen gesetzt, nachdem es zu einigen Klagen puritanischer Geistlicher kam.
Man hat einen straffen Terminkalender. Disposition und Organisation ist das A und O in diesem Laden. Wenn ihr um 9:03:634 Uhr in Shanghai den Jungen mit dem Hühnerbein im Hals abgeholt habt, lohnt es nicht, um 9:03:635 Uhr in Rochester den Mann mit dem Survival-Messer in der Niere abzuhaken. Da müsst Ihr besser planen.
Und ihr müsst eiskalt sein, Mann. Wirklich eiskalt! Da gibt’s keine Kompromisse und kein Handeln. Tot ist tot, Punkt. In diesem Job ist kein Platz für Weicheier und Kaninchenschmuser. Als Tod ist man entweder knallhart, oder man ist falsch in dem Laden. Das vergessen die Leute einfach. Die denken: Klar, sie haben schon jede Menge böser Buben um die Ecke gebracht, sie haben schon kleine Kinder aufgespießt, haben ihre Hamster in die heiße Bratpfanne geschmissen und zugeguckt, wie den kleinen, knuffigen Pelzkugeln die Beine weggeschmolzen sind. Und trotzdem...
Es gab hier mal ein echtes Problem, als die Zeit gekommen war für ein Entenküken. Der Fall SchnuffiFluff ist ein Klassiker. Da kann der Tod auch mal zweieinhalb Meter groß und von der Statur einer Baggerschaufel sein, wenn so ein piepsender kleiner Daunenknödel vor ihm herzippelt, kriegt er den Job nicht erledigt. Wir haben dem Jungen die Dienstaufsicht soweit den Arsch hochgejagt, dass er heute noch dran knabbert. Unser Geschäft lebt vom Image. Das ist das allerwichtigste. Der Tod hat ein Image. Einen Ruf. Die Leute verlassen sich auf den Tod. Wenn da draußen erst mal bekannt wird, dass hier nur Luschen arbeiten, und dass der Tod nicht das liefert, was er verspricht, dann ist da draußen die Hölle los. Dann herrscht da Mord und Totschlag.
Also, die Moral von SchnuffiFluff ist, dass der Kerl mittlerweile so viele Klagen von uns am Hals hat, dass er sich wünschte, er wäre tot.
Notiert es euch: Organisation, Eiskalt sein, und die Regeln beachten. Darum geht es hier. Wer von euch jetzt noch bereit ist, sich der Herausforderung zu stellen: Dort hinten kann man sich mit Blut eintragen und die Ausbildung beginnen. Eine Tür weiter rechts ist die Umkleide, lasst eure Seele einfach im Spind hängen, bis ihr Feierabend macht.
Aber sagt hinterher nicht, ich hätte euch nicht gewarnt.