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Schuldig?!
Schuldig?!
Drei Becher Kaffee, eine Stunde Verhör. Zwei Aspirin, immer noch Kopfschmerzen. Fünf Yogastunden, immer noch verspannt.
Müde und angeschlagen sitze ich ihm gegenüber. Löchere ihn mit den immer selben Fragen. Hoffe einfach auf ein Geständnis. Weiß, dass es keines geben wird. Kämpfe dagegen an, das alles als sinnlos abzustempeln.
„Hören sie zu, Sie müssen mir glauben, ich wollte es nicht, ich habe ihr gesagt, dass es nicht gut wäre. Sie war doch noch so jung. Viel zu jung. Und so schön.. Sie hat mich angelächelt, mich darum gebeten und ich wollte es nicht…aber…“
„Ganz ruhig, langsam. Noch mal von vorne. Wir haben dieses Bild von ihr bei Ihnen gefunden. War sie schon tot als…“
„Nein.. nicht tot, sie lebte. Aber sie wollte es doch…“
„Sie haben sie also vor ihrem Tod gezeichnet, was haben Sie dann getan?“
„Habe sie nur gemalt, nicht getötet.“
„Aber die Frau lebt nicht mehr und Sie sind der Letzte der sie gesehen hat…“
„Ich weiß. Sie lebte noch als sie von mir weg ging. Ich habe ihr gesagt, dass ich sie noch nicht sehen wollte, aber Sie haben ihre Augen nicht gesehen… sie war sich so sicher…“
„Langsam. Sie kam zu Ihnen und wollte gezeichnet werden und dann hat sie Sie wieder verlassen und lebte. Wohin ging sie?“
„Nach Hause…“
„Und was hat sie dort gemacht?!“
„Die Pistole genommen…“
„Halt! Sie wollen mir jetzt nicht wirklich erzählen sie hätte sich selbst umgebracht?! Das ist doch lächerlich. Wir haben das Bild und Ihre Fingerabdrücke und… das hatten wir doch alles schon…“
„Aber ja doch… Natürlich haben Sie das Bild, ich musste es doch zeichnen und meine Fingerabdrücke sind überall hier… einfach überall… ich wollte das nicht…“
Ich komme einfach nicht weiter. Und das Schlimme ist, dass ich selbst nicht glaube, dass er es war. Dieser alte Mann, der so schwach und harmlos wirkt und mich so verzweifelt ansieht.
„Woher wissen Sie, dass sie sich umgebracht hat, und wie und wo, wenn Sie nicht dabei waren?!“
„Aber ich war doch dabei, ich habe sie nicht dazu gezwungen, ich wollte das nicht, ich wollte es auch nicht sehen, aber ich musste, ich muss immer, ich kann nicht anders. Kann nicht einfach die Augen schließen…“
„Gibt es noch mehr?“
„Viele… viel mehr. Und ich kann nichts dagegen tun.“
Sein Hände verkrampfen sich, er schluckt schwer atmet tief, versucht sich zu beruhigen.
Dann nimmt er den Kugelschreiber und zeichnet schnell und sicher etwas auf sein Blatt. Ich betrachte seine Skizze. Eine Pflanze, nichts spektakuläres. Nur eine dieser unverwüstlichen immergrünen Dinger...
„Es war nicht meine Entscheidung. Es ist nie meine Entscheidung. Ich kann sie nicht lenken, ich konnte dieser Frau nicht mehr helfen, es war schon zu spät.“
Erneut bricht er in Tränen aus. Er fährt sich durch sein dünnes strähniges Haar, legt die Hand über sein Gesicht, reibt sich die roten Augen. Er kommt mir unendlich alt vor. Alt und hoffnungslos. Wie ein Mann, der des Lebens müde ist, der genug gesehen hat, der nichts mehr ertragen kann.
Ich kann es auch nicht mehr ertragen. Immer wieder frage ich ihn dasselbe und weiß, dass nichts dabei rauskommen wird. Mein Kopfweh wird immer stärker, meine Brust schmerzt, doch ich versuche mich zu konzentrieren, auch wenn es schwer fällt.
„Die Schmerzen… das tut mir wirklich leid. Sind sie sehr schlimm?!“
„Woher wissen Sie...?“
Hat man mir das angesehen? Eigentlich bin ich ein Mensch, der sehr gut darin ist, Schmerzen nicht zu zeigen, Müdigkeit zu überspielen. Sein Blick scheint mich zu durchbohren. Traurig wissend mustert er mich. Meine Schmerzen werden stärker und ich sehe ein, dass ich mich nicht mehr konzentrieren kann. Ich lasse meinen Blick schweifen.Jetzt steigt mir die Müdigkeit zu Kopf, ich muss schlafen.
„Ich denke für heute ist es genug. Wir werden morgen weitermachen, wir sollten beide ein wenig schlafen…“
„Ja morgen und übermorgen und immer so weiter. Alle können sich hinlegen, können schlafen und die Augen schließen, niemand wird ihnen Schuld geben, sie können ruhig schlafen. Ich aber muss bleiben. So viele Bilder. Viel zu viele. Aber ich bin nicht Schuld.... Und wenn ich dann heimkomme, dann sehe ich sie mir an. Sie sind alle da, jedes einzelne, keines vergessen, keines verstaubt.“
Er schaut mir in die Augen und ich sehe, dass er nicht aufgeben wird, dass er nicht aufgeben kann. Was auch immer er getan hat, was auch immer er tut. Er wird nicht damit aufhören und das macht mir Angst. Dieser Mann macht mir Angst, er hat etwas so Fremdes an sich.
„Noch zu jung… Sie sind noch so jung. Es tut mir leid! Nicht meine Schuld…!“
„Gehen sie jetzt, der Herr dort wird sie begleiten.“
Er sitzt in der Ecke seiner Zelle, hält den Kugelschreiber in der Hand, schließt kurz die Augen, und beginnt zu zeichnen. Schnell und sicher fliegt der Stift über den Klebezettel. Auf einmal sieht er nicht mehr alt und gebrochen aus. Sein Blick ist ernst, seine Haltung straff. Er sitzt aufrecht und malt. Wieder dieser Schmerz…
Als er den Blick auf das Bild freigibt schaue ich mir ins Gesicht. Ich bin wie erstarrt. Er kommt an die Gitterstäbe und lächelt traurig.
„Es ist das Herz…“