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Schumis Papa

Seniors
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24.04.2003
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Schumis Papa

Begeistert klatschen meine Eltern in die Hände und springen vom Sofa auf.
"Schumi ...", beginnt meine Mutter tränengerührt.
"Schumi ist Erster. Er hat das Rennen gewonnen."
Es dauert keine zehn Sekunden, bis das Telefon klingelt.
"Rolf?", fragt mein Vater den Hörer. - "Natürlich haben wir es gesehen. Ja ... ja ... ein tolles Rennen. Kommt a´ gleich vorbei, auf ´en Schumi anstoßen?"
Ich schüttel den Kopf und verkrieche mich auf mein Zimmer.
Warum müssen Sonntage bloß immer so beschissen sein? Warum muss es die Formel 1 überhaupt geben? Wieder kommt die Frage in mir auf, weshalb meine Eltern nicht einfach tödlich verunglücken. Als erstes würde ich dann die Ferrarifahne wegschmeißen, obwohl ich mir sicher bin, dass einer von den beiden einen Vermerk im Testament gemacht hat, dass dieses Ding bei der Beerdigung auf dem Sarg zu liegen hat.
Ich beschließe, zu onanieren. In der hintersten Ecke des Schranks, dort, wo meine Mutter nie hinsieht, warten aberhunderte von Magazinseiten darauf, etwas Feuchtigkeit spendiert zu bekommen.
"Paul", kommt es aus dem Wohnzimmer.
Ich drücke den Schrank wieder zu.
"Paul, watt is, fährste zur Tanke, Diebels holen?"
Ich gehe ins Wohnzimmer. Mein Vater schwitzt aus allen Poren, während meine Mutter hüftschwingend vor dem Fernseher auf das Ende der Werbepause wartet. Dann nämlich kommt die Siegerehrung.
Wie oft ich diesen Satz schon gehört habe.
Dann kommt die Siegerehrung. Dann kommt Schumi. Sekt und halbnackte Weiber.
"Watt issen Paul? Du guckst so bedröppelt ausser Wäsche."
Ohne lange zu überlegen, sage ich: "Wie sehr ich euch doch hasse."
In diesem Augenblick endet die Werbung.
"Da Gerd, es ist soweit. Da kommt die Siegerehrung", brüllt meine Mutter.
Mein Vater schaut nicht gleich zum Fernseher. Kurz noch hält er den Blickkontakt mit mir. Seine Augen werden feucht, und dann läuft eine Träne seine Wange hinab.
Erst jetzt schaut er zum Fernseher. Aber er verhält sich anders, als noch vor einer Minute. Die Freude ist bloß gespielt. Das merke ich sofort.
Mir wird ganz komisch.
"Was ist, soll ich nun zur Tanke fahren?"
"Nee, lass mal gut sein, das mach´ ich schon. Ist ja Sonntag, du hast doch bestimmt auch noch was vor, und so."
"Nee Gerd, du hast doch schon was intus, lass mal den Jungen los", mischt meine Mutter sich ein.
Vater greift nach den Autoschlüsseln und steht auf.
"Ach watt, soviel ist das nicht. Wir können den Jungen nicht immer einspannen, der hat auch was vor."
Als er an mir vorbeigeht, würdigt er mich nicht einen Blickes.

Erinnerungen kommen hoch.
Zuerst die, die ich immer habe.
Ohrfeigen dafür, wenn ich als Kind zu lange bei Freunden zu Besuch war.
Die unzähligen Hausarreste, die folgten, wenn meine Eltern mich beim Rauchen erwischten, oder wenn ich sonstwelchen scheiß gebaut hatte.
Erinnerungen an die Formel 1, die BILD Zeitung, dumpfes diskutieren über Dinge, von denen man keine Ahnung hat.

Doch dann kommen plötzlich auch neue Erinnerungen.
Vater, wie er mir zu meinen guten Noten im Studium gratuliert hat, obwohl er immer wollte, dass ich in seine Fußstapfen trete.
Mama, wie sie mir vor zwei Jahren aus der Patsche geholfen hat, als die Sache war, über die später niemand mehr ein Wort verloren hat.
So sehr ich auch suche, nirgends entdecke ich die zwei enttäuscht. Nicht eine einzige gehässige Bemerkung über das, was ich mache. Keine Vorwürfe.

Meine Mutter lacht schrill, als der Korken aus der Flasche fliegt, und Schumi den Sekt in die Menge spritzen lässt.
Ich drehe mich um, gehe zur Wohnungstür, laufe runter auf die Straße.
Neben dem Auto steht Vater.
Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich ihn weinen. Er weint tatsächlich, der alte Koloss.
Ich sollte ihn in den Arm nehmen, aber das geht nicht, das kann ich nicht, das will ich nicht.
Als er sich zu mir umdreht, sagt er: "Lustig machen ja, das habe ich immer gewusst. Aber hassen?"
"Ach Vater, es ist nur ..."
"Ne ne, lass mal. Du hast gesagt, was du gesagt hast. Die Mama und ich, wir sind keine gebildeten Leute. Aber ... Paul ... hassen?"
Er steigt ins Auto und fährt los.
Ich versuche nicht, ihn daran zu hindern.

Man sollte sich nicht darum bemühen, Getanes zu widerrufen.
Ich passe mich der Situation an; bin öfters nett zu ihnen, schaue auch schonmal ein Stück Formel 1 mit.
Nächsten Monat werde ich ausziehen. Vater hat mir die Wohnung über einen Arbeitskollegen besorgt.
Gefreut hat er sich, als ich mich bei ihm dafür bedankt habe.
Es war weniger der Dank selbst, sondern vielmehr das eine Wort, mit dem ich begonnen habe.

Papa.

 

Hallo Kollege,
die Geschichte hat mich ehrlich gesagt ziemlich berührt, da ich die Gefühle und Schuldgefühle des Protagonisten zumindest teilweise nachvollziehen kann. Ich musste auch jeden Sonntag Formel 1 gucken und jedes Mal hat dieser miese Kerl Schuhmacher gewonnen...es war so gähnend langweilig, aber was schreibe ich?
Wie gesagt, hat mich sehr bewegt und auch angeregt nachzudenken über die Art wie man mit seinen Eltern umgeht. Sehr gefallen hat mir der Schluss, wo sich die beiden wieder versöhnen und die Hauptfigur den Frieden mit seinem Vater gemacht zu haben scheint. So ein Ende kann man sich nur wünschen. Also, für mich großes Kino.

Gruß, ImmigrantSun

 

Lieber Cerberus!

Eigentlich eine schöne und versöhnlich klingende Geschichte, jedenfalls aber gut erzählt. :)

Warum schreibe ich »Eigentlich«? Ich habe eine ganze Weile überlegt, was ich zu Deiner Geschichte sagen kann, aber es ist mir ein bisschen zu wenig an Information drin, um mir wirklich eine Meinung über den Protagonisten und seine Eltern bzw. deren Beziehung zueinander bilden zu können.
Ich weiß als Leser nicht, wie sich die Eltern ihrem Sohn gegenüber sonst verhalten - schließlich findet ja nicht jeden Tag ein Formel-1-Rennen statt und die beiden anderen Beispiele (das Gratulieren zu den guten Noten und das Aus-der-Patsche-Helfen) sind auch nicht so geeignet, Einblick in den Alltag zu gewinnen. Besonders das Beispiel mit den Noten ist auch geeignet, Mißachtung darzustellen, fehlende Anerkennung – wenn sie nämlich nur bei so besonderen Anlässen kommt und sonst nicht.
Auch, daß die Eltern nicht so gebildet sind, sagt nichts über ihre menschlichen Qualitäten aus.
So weiß ich am Schluß nicht so recht, ist es mehr ein Verzeihen einer Kleinigkeit, oder ist es mehr ein Verzeihen ständiger Mißachtung und häufigen Ausnützens? Hofft der Protagonist vielleicht, nach seinem Auszug, wenn er nur mehr zu Besuch kommt, die Beachtung zu finden, die er sonst vermißt hat? – Möglichkeiten, die so ein bisschen anklingen, aber nicht direkt herauszulesen sind, meiner Meinung nach. Vielleicht wolltest Du auch mehr sagen »Sie konnten es halt nicht besser« – wie gesagt, es gibt mehrere Möglichkeiten, aber um zu wissen, was Du ausdrücken wolltest, fehlt mir was.

»"Da Gerd, es ist soweit. Da kommt die Siegerehrung", brüllt meine Mutter.«
– würde das Brüllen durch Rufzeichen kenntlich machen

»dumpfes diskutieren über Dinge, von denen man keine Ahnung hat.«
Diskutieren

Alles Liebe,
Susi :)

 

Hallo Cerberus,

mir hat deine Geschichte sehr gut gefallen. Du lässt alles mit wenigen Worten lebendig werden. Die Dialoge sind lebensnah, ohne langweilig zu sein. Obwohl alles so alltäglich ist, was du erzählst, nimmt einen der Text gefangen, weil er genau den Punkt trifft. Ob nun Formel 1, Fußball oder Mallorca-Urlaub, ob nun Bildungsgefälle oder unterschiedliche Weltanschauung - genervt, verächtlich oder wütend ist wohl jedes fast erwachsene Kind mal in Bezug auf die Eltern, und jeder sagt Grobheiten, die nur halb so gemeint sind und trotzdem verletzen.
Das Ende ist versöhnlich, aber auch ein bisschen hoffnungslos - und auch wieder typisch. Man vergößert den Abstand zu den Eltern, um Reibungspunkte zu vermeiden, man lässt im Laufe der Zeit deutlich werden, dass man die Eltern auch schätzt - aber direkt angesprochen und aus der Welt geschafft wird nichts.
Jedenfalls habe ich die Geschichte so interpretiert.
Ein paar Tippfehler sind noch im Text, aber sonst würde ich nichts ändern.

Viele Grüße
Pischa

 

Hallo Cerberus,

schöne Geschichte über die Beziehung zwischen älter werdenden Söhnen und Vätern. Hat mir wirklich gut gefallen, dem Lob der anderen kann ich mich nur anschließen.

Etwas hakelig finde ich den Titel. Klar, dass ein Bezug zur Formel I in der Geschichte ist und sie das Wort Papa hervorhebt, aber das hat nichts mit Schumis Papa zu tun. Meiner Meinung nach wäre zBsp. "Papa, Schumi" oder "Papas Schumi" geeigneter.

Lieben Gruß,
tobbi

 

Tag!

Vielen Dank für eure Kommentare.

Ich muss zugeben, in letzter Zeit zu viele "Schnellschüsse" zu posten. Auch wenn das Credo im großen und ganzen positiv ist, so hätte diese Geschichte schon etwas ausführlicher sein können.
Ich gelobe Besserung.

Grüße

Cerberus

P.S. Beim Titel habe ich mich tatsächlich vertan. Ist mir überhaupt nicht aufgefallen.
Es sollte nämlich wirklich "Papas Schumi" heißen und nicht umgekehrt.

 

Wenn ich den Titel ändern soll, sag Bescheid. Obwohl er in dieser Variante auch irgendwo stimmig wäre, aber in einer anderen Interpretation.

Diese Formeleinsabneigung kann ich persönlich sehr gut verstehen :cool: . Der Stil deiner Geschichte ist schön leise und unaufdringlich, aber mir wären einige weitere HIntergründe noch wichtig gewesen. So wirkt das ganze wie eine unstimmige Mischung aus Momentaufnahme und umfassenderer Geschichte.

Alles andere wurde schon gesagt...
liebe Grüße,
Anea

 

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