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Schwarzbau
Das Haus seines Vaters lag am Fuß eines Hügels, zur Hälfte von einem schmalen Feldgehölz verdeckt. Ein junger Imker aus der Gegend hatte im vergangenen Jahr um Erlaubnis gebeten, seine Beuten dort aufstellen zu dürfen. In der angehenden Dämmerung erkannte er den goldgelben Anstrich der Holzkisten durch das Unterholz schimmern. In der Küche brannte Licht. Er zog ein letztes Mal an der Zigarette, schnippte die Kippe in das Gemüsebeet und trat die Glut mit der Schuhspitze aus.
Die Haustür öffnete sich von innen.
Hab dich schon kommen sehen …
Und, wie stehen die Aktien?, fragte er.
Hast grad noch geraucht, oder? Riech ich doch bis hierhin, verdammt. Wolltest du nicht aufhören?
Ja, tschuldigung.
Da kann ich mir aber auch nichts von kaufen, von deiner Entschuldigung.
Sie standen sich einen Moment lang schweigend gegenüber.
Komm doch erstmal rein.
Auf dem Küchentisch lag ein aufgeschlagener Stadtanzeiger, ungeöffnete Briefe, eine offene Packung Ibuprofen.
Und, willst was trinken? n Kaffee?
Ja, ja, Kaffee geht immer.
Trink ja nich mehr so viel, Tasse, zwei, und was hab ich früher Kaffee gesoffen, das erste und letzte, was ich im Betrieb gemacht hab.
Er nickte.
Komm setz dich, ich mach grad.
Nee, musste nicht extra aufsetzen, keine Umstände wegen mir.
Ach wat, ist doch schnell erledigt.
Er sah kurz auf die Briefe. Was Wichtiges dabei?
Sein Vater zuckte mit der Schulter. Immer derselbe Scheiß, weißte doch. Er löffelte Kaffeepulver in die Maschine. Und bei dir, die Familich?
Alles im Lot.
Ist das Wichtigste, das Wichtigste überhaupt.
Er betrachtete seinen Vater, verfolgte seine langsamen, bedächtigen Bewegungen. Nie wirkte er in Eile, es schien immer, als wisse er genau, was er als nächstes tun würde.
Was liesten da, fragte er und nahm die Zeitung in die Hand. Sport?
Die wollen n Spielkasino neben den OBI bauen, haste das mitbekommen? Sind die eigentlich bekloppt?
Irgendwoher muss die Kohle ja kommen, oder?
Aber ich bitte dich! Hier? Ich kann dir sagen, was da nachher für Typen rumhängen …
Ja, jetzt warts doch erstmal ab.
Geht mich im Grunde ja sowieso nix an, ich hab noch nie auch nur eine Mark verzockt.
Auch nicht früher, wenn de in die Kneipe gegangen bist?
Skat, Schocken, aber immer nur um Bier, nie um Bares.
Bier kostet aber auch Geld.
Das ist was anderes.
Er lachte und legte die Zeitung zurück auf den Tisch. Ich war letztens nochmal beim Charlie in der Bürgerstube, mitm Uwe, paar Feierabendkölsch, ist ja direkt um die Ecke.
Wahrscheinlich immer noch die gleichen Gesichter. Sein Vater machte eine abfällige Handbewegung.
Würd ich so nicht sagen, da sind mittlerweile auch viele junge Leute, also Jüngere, hat mich selbst auch gewundert, war ne gute Mischung.
Gibt ja nix mehr! Früher gabs hier mal knapp zweihundert Kneipen, heute noch drei oder vier!
Was ich damit sagen wollt: Ist nicht alles vor die Hunde.
Nee, nee, hast schon Recht. Ich trink heut nur viel lieber n guten Weißwein, ja? Grauburgunder oder so, da kann man sich Zeit lassen, das stürzt du nicht so runter wie n Kölsch. Was hat der Charlie überhaupt für eins?
Zunft.
Ach du je, da musste dir ja die Nase zuhalten.
Vom Faß gehts.
Nimmst n Schuß Milch, sag wenn Stop.
Bisschen noch - reicht, danke dir.
Sein Vater stellte die Tasse vor ihn auf den Tisch. Und sonst?
Alles beim Alten.
Was Neues von der Firma?
Läuft, aber neuer Gebietsleiter nervt. So n junger Typ, frisch von der Uni, tut aber so, als sei er schon ein halbes Jahrhundert dabei.
Deswegen war ich immer selbstständig, mein Junge - da haste keinen, der dir reinsabbelt.
Ja, aber kann ich nich …
Nee, du willst nich, das ist was anderes.
Bei mir fällt um Sechs der Stift und dann scheiß der Hund drauf. Und, dreizehntes Monatsgehalt, sechs Wochen Urlaub, bezahlt!
Ich sag, jeder wie er will, aber … na ja.
Ist ja jetzt auch egal, et is wie et is.
Und? Gut, der Kaffee?
Ja, gut, ja. Trinkst du keinen? Er nahm noch einen Schluck. Der Kaffee war heiß und stark.
Nee, ich mach mir ne Flasche Wein auf. Sein Vater stand auf, ging zum Regal über der Spüle, nahm eine halbvolle Flasche heraus, hielt inne und stellte sie dann wieder zurück.
Wie, jetzt doch nicht?
Hab’s mir anders überlegt. Er setzte sich und schob die Briefumschläge zusammen.
Nochmal was von den Anwälten gehört?
Nix, ist doch alles schon gelaufen.
Ja? Nichts Neues?
Kommst hier raus, den ganzen Weg? Hätteste auch anrufen können.
Nein, sagte er, bin ja nicht nur deswegen hier. Wollt einfach nach dir gucken, darf ich doch, oder?
Sein Vater lachte kurz. Ja, sag schon, kannst ruhig sagen, ändern tut sich da nix mehr dran, da kannst du Gift drauf nehmen.
Und dann? Ich mein …
Junge, ganz ehrlich … kotzen könnt ich. Zweihundertfünfzigtausend hat das hier gekostet, grad mal zwanzig Jahren ist das jetzt her, und ich hab gut und gerne nochmal Hunderttausend reingesteckt mit allem zusammen, Garten, Teich, Balkon … und jetzt?
Ja, aber meinste, die wollen das wirklich abreißen? Das bringt doch keinem was, oder?
Bringen, bringen tut das keinem was, sicherlich nicht, das sagt einem ja schon der gesunde Menschenverstand, den die aber natürlich nicht haben. Oder wie kommt man sonst auf die Idee, ein vollkommen intaktes Haus abreißen zu wollen, die Kiste hier ja seit über siebzig Jahren und würd auch nochmal siebzig stehen! Der Anwalt sagt, kann so oder so. Ich glaubs nicht, dass die noch groß was ändern dran, warum auch? Da sagt der von der Behörde zu mir: Herr Triesch, wenn hier einfach jeder baut, wo er will, tja, dann kommt es zu einer Zersplitterung der Landschaft, die nicht gewollt ist. Sag ich zu dem: Von wem nicht gewollt? Von Ihnen? Wer glaubt er überhaupt, dass er ist? Der König von Deutschland? Außerdem hab nicht ich den Kasten gebaut, sag ich, der steht hier seit dem Krieg. Davon wussten die wahrscheinlich auch die ganze Zeit, steht ja im Grundbuch und auch im Kataster. Da hat er sich dann fein rausgeredet: Der Bebauungsplan einer Gemeinde setzt dafür eben die Grenzen, da könne er persönlich nicht dran machen, fertig, aus der Lack.
Die halten sich halt eben auch nur an Gesetze, was wollen die denn machen? Denkst du, die können machen, was sie wollen?
Sicher können die das, mein Junge. Die Gemeinde kann den beschissenen Bebauungsplan sogar nachträglich noch ändern, wenn die nur wollten, aber einen rechtlichen Anspruch darauf hab ich eben nicht, das ist die Krux. Das heißt also, mein Schicksal liegt in deren Händen …
Wahnsinn … ich meine, hättest du’s nicht verkaufen wollen, wäre das doch gar nicht aufgefallen, oder? Darf man gar nicht drüber nachdenken.
Das ist ja das Beste an der Sache. Weißt du, ich will ja nix sagen, aber wenn ich schon unter der Erde gelegen hätt, neben deiner Mutter, und dann war das rausgekommen, na, dann scheiß eben der Hund drauf, hättest du dich zwar wahrscheinlich mit rumschlagen müssen, aber du hättest nix großartig verloren, wäre nur Pustekuchen mitm Erbe gewesen. Aber jetzt … und es ist einfach so, ich werd mit dem Haus nicht mehr fertig, ich brauch was Kleineres, näher bei den Ärzten auch, und das Geld, Junge, das Geld was ich für das Haus gekriegt hätt, das wäre meine Vorsorge gewesen, verstehst du das eigentlich?
Versteh ich, klar. Er nahm noch einen Schluck Kaffee.
Das ist mein Ruin, sagte sein Vater und atmete tief ein. Der Abriss, für den muss ich ja auch noch löhnen, wenn es dann soweit kommt. Dann kann ich mir gleich den Strick nehmen.
Ach, jetzt hör auf, red nicht so.
Tja, oder ich jag die Brücke in die Luft, bis die die wieder aufgebaut haben, lieg ich schon unter der Erde …
Womit denn?
UnkrautEx und Zucker, da bastel ich schon was draus, was ordentlich Bumms hat.
Er sah seinen Vater an, ein schelmisches Grinsen auf seinem Gesicht. Jaja, sagte er und winkte ab. Das ging vielleicht früher noch, wenn du einen auf Unabomber hättest machen wollen.
Wer?
Egal, aber komm ja nicht auf dumme Gedanken!
Ach, sagte sein Vater. Scheiß was drauf. Er stand auf, nahm sich die Flasche Wein und ein Glas und goss ein. Weißt du, das ist so … ich hab dir das, glaube ich, nie erzählt, aber das Haus hier, das war nicht meine Idee.
Wie? Was meinst damit, es war nicht deine Idee?
Na, das, was ich eben damit meine: Dass es nicht meine Idee war.
Du wolltest doch unbedingt raus aus der Stadt … du hast gesagt, wenn das mit dem Geschäft durch ist, dann willst du die ganzen Fressen nicht mehr sehen, das weiß ich noch, als sei es gestern gewesen.
Ja, ja, das kann sein, dass ich das gesagt hab, aber es war so: So weit raus, das war sicher nicht meine Idee, mir hätte schon was Kleineres gereicht, in Birk oder Schreck oder die ganze Ecke da, wo ich noch in Reichweite der Stadt bin … aber nein, deine Mutter meinte, Fachwerk, weiter draußen, Ruhe, Gemüse selber anbauen, den ganzen Öko-Scheiß, und dann Hund und keine Flugzeuge. Das war nicht ich!, und dann kam das hier, und das war’s dann. Aus und vorbei. Ich hatte da gar nichts zu melden.
Moment mal, sagte er. Hast du nicht gesagt: In deinem ersten Leben hättest du mal Schreiner gelernt, und jetzt, endlich!, jetzt kannst du mal so richtig loslegen? Meine Werkstatt hab ich ja zwanzig Jahre nicht mehr gebraucht, so ungefähr, oder? Das würde alles nur einstauben, das ganze geile Werkzeug?
Sein Vater trank einen großen Schluck Wein. Anfangs, sagte er, anfangs war es ja auch so. Hat Spaß gemacht, hier was draus zu machen, aber ich sag dir, wie es ist: Ich hatte mir das schon etwas anders vorgestellt … ich hab nicht mein Geschäft für gutes Geld verkauft für nix. Ich wollte eigentlich was von der Welt sehen, hier, auf so nem Dampfer durch die Fjörde, Feuerland, Safari … das hatten wir uns ja alles vorgenommen. Und dann?
Komm, dir hat doch keiner die Pistole auf die Brust gesetzt. Das ist aber ziemlich unfair von dir, finde ich. Mutter hat ja nicht gesagt, so wird das jetzt gemacht, sonst lass ich mich scheiden, oder so.
Du kanntest deine Mutter schlecht, wenn die was wollte, dann …
Ach, hör auf, du wolltest das doch genauso, konnte dir ja ga nicht schnell genug gehen, da kann ich mich noch gut dran erinnern … bloß raus aus der Stadt, so laut geworden alles, und die ganzen Assis vorm Kaufhof, Drogen, ich will endlich meine Ruhe!, du hattest doch sogar überlegt, eventuell sogar noch deinen Jagdschein zu machen, oder liege ich da falsch?
Sein Vater schmatzte mit den Lippen und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. Willst du mir jetzt einen reinwürgen, oder was?
Nein, ich will dir keinen reinwürgen, ich sag nur, wie es gewesen ist.
Du kennst aber nur die halbe Wahrheit, sagte sein Vater. Aber du warst ja schon immer gut im Reden, das hast du von deiner Mutter … die Sache ist die, dreißig Jahre lang hab ich die Knochen hingehalten, ich hab das beschissene Geschäft ganz alleine aufgebaut, aus dem Nichts, ich musste keinem Bitte und Danke sagen, und ich hab mich auch nie beschwert, obwohl es nicht immer einfach war … und alles, was ich sage, ist, dass ich immer verzichte habe, ich hab immer auf alles verzichtet, wegen der Familie, und das ist auch vollkommen in Ordnung so, nur hab ich immer gesagt, danach, danach, wenn ich die ganze Scheiße losgeworden bin, wenn finito ist mit Maloche, dann … will ich was von der Welt sehen.
Ja, aber … ich mein, ihr wart doch in Kuba, in Florida, Ägypten, Marokko, wolltest du in 80 Tagen um die Welt, oder wie?
Sein Vater trank einen großen Schluck Wein und fuhr mit der Zeigefingerspitze über den Glasrand. Also, wir haben dir das nie erzählt, weil da auch nichts draus geworden ist, aber eigentlich war der Plan, dass wir uns ein Wohnmobil kaufen, und dann … na ja.
Wohnmobil? Davon höre ich ja das erste Mal.
Ja, genau, Wohnmobil. Wir hatten uns sogar schon welche angeguckt, bei so einem Händler in Troisdorf.
Ach was, ehrlich jetzt?
Ja, wenn ich es dir doch sage, so war’s. Wir wollten damit rumfahren, Costa Brava, Portugal, Bretagne, immer ein halbes Jahr unterwegs sein, aber dann …
Davon wusste ich ja gar nichts.
Musst auch nicht alles wissen, bist ja mein Sohn, nicht mein Beichtvater.
Aber wie habt ihr euch das denn vorgestellt? Halbes Jahr durch die Gegend kutschieren, und dann …
Kleine Wohnung, wär doch alles gegangen. Hätten ja auch nicht viel gebraucht, deine Mutter und ich, wir waren immer genügsam, sind mit wenig ausgekommen. Uns ging es ja darum, was zu sehen.
Hätt ich nie gedacht, dass du so ein Wohnwagentyp bist.
Kein Wohnwagen, sondern Wohnmobil, das ist ein Unterschied. Wohnwagen fahren die Holländer, sagte sein Vater. Aber was ich wollte, war kein Blechei mit Matratze drin, sondern so ein richtig edles Teil, mit allem drum und dran, da hätten wir eben einmal richtig investiert und gut … das wollten wir ja eigentlich auch viel früher gemacht haben, als wir selbst noch jung waren. Nach meiner Umschulung, als ich damit grad fertig war, da hab ich zwei Jahre lang schwarz Fenster und Türen eingebaut, zusammen mit nem alten Kollegen, und da hatten wir das Geld im Grunde schon zusammen.
Ich dachte, du hast nach deiner Umschulung erstmal in dieser Chemiefabrik in Königswinter gearbeitet?
Nein, nein, das war später, du meinst die Emitec, aber die war nicht in Königswinter, sondern in Lohmar, die Firma gibt’s sogar noch.
Und dann, ich mein, was ist passiert?
Du bist passiert.
Wie ich?
Ja, also, muss ich dir das jetzt technisch erklären, wie das genau funktioniert, oder was? Du hast doch selber Kinder, Mensch!
Nein, aber …
Ich sag nicht, dass wir dich nicht gewollt haben, das sag ich ja nicht, nur der Zeitpunkt, der war nicht, na ja, sagen wir mal, nicht ganz so optimal.
Nicht ganz so optimal!… da weiß ich ja gar nicht, was ich jetzt sagen soll? Ihr habt mir doch immer erzählt, ich wäre ein absolutes Wunschkind gewesen … und jetzt haust du so was raus! Da klingt das aber plötzlich ganz anders, eher wie so ein, ja, wie so ein Unfall. Was würdest du denn jetzt an meiner Stelle glauben? Also, ehrlich.
Hör mal, du musst das mal so sehen, wir waren jung, wir wollten das eben was anders machen als unsere eigenen Eltern … hier, Schrebergarten und Urlaub in der Eifel oder im Sauerland, nee, da hatten wir keinen Bock drauf, und wir hatten ja auch noch keine Verpflichtungen.
Aber dann kam ich, und dann war’s damit auch vorbei, ja? Oder nicht? Willst du das damit sagen? Ich war also dann eine Verpflichtung? Dein Plan war eigentlich ein anderer, aber dann bin ich eben so passiert, und dann ging’s nicht mehr anders. Mitgehangen, mitgefangen?
Sein Vater seufzte. Wir wollten ja so oder so Kinder, du warst nicht ungewollt, nein, darum geht’s doch gar nicht …
Na ja, Kind oder Wohnwagen, beides ging ja offensichtlich nicht …
Wohnmobil …
Ist doch scheißegal jetzt!
Scheißegal isses, da hast du Recht. Spielt jetzt doch sowieso keine Rolle mehr, oder? Oder ändert das was? Ändert doch nix.
Er lehnte sich zurück und atmete tief ein. Neben der Küchenzeile hingen ein paar gerahmte Fotografien, alte Landkarten, Sonnenuntergänge, einsame Strände und Blumenwiesen.
Hör mal, sagte sein Vater. War ne andere Zeit damals, lang vorbei. Nur dass du das verstehst, wenn ich dir das erzähl, so wollten wir das eigentlich machen, und ich hatte das eben nicht vergessen. Bis das Haus hier kam. Und ich hatte ja immer noch Hoffnung, dass das mal was wird, Reisen undsoweiter, hätte ja nichts Großes sein müssen, und auch nicht für ein halbes Jahr weg, aber ein bisschen die Knochen in die Sonne hängen, weißt du, was ich meine? Nur dann wurde deine Mutter krank, und …
Ja, sagte er. Ja, verstehe ich, versteh ich schon.
Dann war das alles vorbei, die ganze Träumerei, und jetzt, jetzt dachte, verkauf die Kiste und mach. Ich hätts zwar nur für mich gemacht, ohne deine Mutter, aber es wär so gewesen, als sei sie mit dabei, ja? Zumindest hab ich mir das so vorgestellt. Aber wie du siehst, er breitete seine Arme aus, kann ich mir das von der Backe schminken.
Er schüttelte den Kopf. Was musste denn für so ein Wohnmobil löhnen?
Achtzig, Neunzig, wenn du ein gutes haben willst.
Scheiße.
Tja, nix ist umsonst.
Sie schwiegen. Sein Vater blickte aus dem Fenster. Draußen war es längst dunkel geworden. Ich wollte das Haus ja auch, so ist es nicht. Aber, du weißt doch wie das ist, wie sowas läuft, wenn man einmal anfängt … und jetzt ist es so, da frag ich mich, was soll ich hier noch?
Weißt du, was ich meine?
Ja, das verstehe ich, klar. Ich weiß nicht, wir haben da noch gar nicht drüber geredet, aber … ich meine, du kannst gerne ne Zeitlang bei uns wohnen, wir haben das große Gästezimmer, mit eigenem Bad … wenn du mal was anderes sehen willst, kannst ja drüber nachdenken, ist erstmal nur ein Angebot.
Hast du etwa noch nicht genug von mir? Sein Vater lachte. Fast zwanzig Jahre unter einem Dach hat dir also noch nicht gereicht, das hätte ich mir ja auch nie träumen lassen … nein, Junge, das ist zwar nett gemeint, wirklich, aber ich bin ein alter Mann, und alte Männer werden wunderlich, das würde nicht lange gut gehen, glaub mir. Ich muss da jetzt durch, komme, was wolle.
Und was machst du, wenn sie dir das Haus doch lassen? Wenn sie eine Ausnahme machen, Wohnrecht auf Lebenszeit oder so was, ein Kompromiss?
Tja, was soll ich dann machen? Dann bleib ich eben hier, bleibt mir ja nix anderes übrig. Verkaufen werden die mich das nicht mehr lassen, das kann ich mir auf keinen Fall vorstellen, da verlieren die doch ihr Gesicht bei. Nee, dann bleibt alles so, wie es ist. Aber, da ist ja das letzte Wort noch nicht drüber gesprochen, bringt also nix, sich den Kopf über so ungelegte Eier zu zerbrechen, oder?
Nein, hast Recht, bringt nix.
Ich weiß nicht, aber manchmal denke ich, dass alles hat was damit zu tun, hier, früher, als ich den Betrieb noch hatte, sagte sein Vater.
Was genau meinst du?
Dass das zu einem zurückkommt … ich mein, ich hab so vielen Leuten was verkauft, was die eigentlich gar nicht wirklich brauchten … ich hab mal ner alten Frau einen neuen Fernseher von Loewe verkauft, richtiges nobles Teil, obwohl ich wusste, dass die bald stirbt, aber ich dachte mir einfach, wenn ich es nicht nehme, nimmt es eben ein anderer. Am Ende gehts doch sowieso immer nur um die verdammte Kohle, sehen wir ja jetzt. Aber das war kein Einzelfall, das hab ich reihenweise so gemacht. Ich musste das machen, versteht du das? Die Kohe musste doch irgendwoher kommen, alle wollen nur essen, Junge. So ist das Leben. Und dann holst du es dir eben von der Oma, die bald ins Gras beißt, scheiß der Hund drauf.
Hasten schlechtes Gewissen auf einmal? Das waren aber immerhin alles erwachsene Menschen, die hätten jederzeit Nein sagen können, oder nicht?
Ja, sagte sein Vater. Das stimmt, das stimmt schon, aber trotzdem. Seitdem deine Mutter nicht mehr ist, denk ich da irgendwie anders darüber, ich weiß nicht. Da kommt einem das einfach bisschen schäbig vor, Vielleicht werd ich auch einfach nur alt.
Und du glaubst, jetzt kommt das alles zurück?
Vielleicht.
Das nennt man Karma.
Ja?
Ja.
Dann scheiß auf Karma.
Sie lachten.
Sein Vater trank das Glas Wein leer und goss nach. Oder ich brenn die Bude einfach ab und leb von Bürgergeld. Soll sich doch die beschissene Regierung um mich kümmern! Mein Leben lang geschuftet, immer pünktlich meine Steuern gezahlt, nie was von denen verlangt, und jetzt lassen die Schweine mich einfach hängen.
Noch ist ja gar nix entschieden, abwarten.
Tut mir leid, sagte sein Vater, und auf einmal wurde seine Stimme ganz ruhig und leise. Das hätt ich nicht sagen dürfen, nein, das war falsch von mir. Tut mir leid, ich entschuldige mich, ja? Natürlich warst du ein Wunschkind, verdammte Scheiße, was hab ich dir da nur erzählt? Das wollte ich so ja nie sagen, das musst du mir glauben, das musst du mir einfach glauben. Nicht, dass du jetzt denkst … ach, Scheiße. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist. Tut mir auf jeden Fall leid, ja?
Er nickte schweigend. Er sah seinem Vater an, dass es ihm ernst war, dass er aufrichtig war.
Erzähl mir mal mehr von dem Wohnwagen, sagte er, das interessiert mich.
Wohnmobil, antwortete sein Vater und stand auf. Ich hab noch ein paar Prospekte, wart mal, hol ich grad.
Später, als er wieder zu seinem Wagen zurückging, fühlte er sich leicht und unbeschwert, als wäre ihm ein lange gehegtes Geheimnis offenbart worden. Er blickte zurück auf das Haus, den Schwarzbau, in dem sein Vater noch lebte, leben musste. Seine Mutter hatte dieses Haus geliebt, die Nähe zum Wald und die Abgeschiedenheit, das Intime, die Ruhe und Zweisamkeit. Sie schien an diesem Ort glücklich gewesen zu sein. Er startete den Motor und dachte darüber nach, wie sich ein Wohnmobil fahren lässt; in dem Prospekt sahen sie groß und schwer aus, nicht einfach zu manövrieren. Er hatte noch nie in einem Wohnmobil gesessen, sich nie dafür interessiert. Er wollte auch über andere Dinge nachdenken, über die Worte seines Vaters, aber er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Er fuhr weiter in die Dunkelheit, das Fenster geöffnet, den Blick nach vorne gerichtet.