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Sebastian hat Angst vor Schmutz

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20.12.2012
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Sebastian hat Angst vor Schmutz

Sebastian hat Angst vor Schmutz

Sebastian sitzt alleine auf der Bank beim Spielplatz. Die Sonne steht hoch am Himmel. Es ist ein heißer Julitag. Auf dem Spielplatz ist heute nicht viel los. Nur wenige Kinder sitzen unter dem Sonnensegel des Sandkastens und bauen gemeinsam eine Sandburg. Sebastian zappelt mit den Beinen und stöhnt. Den Blick hat er auf den Boden gerichtet. Er hört Schritte. Als er nach oben schaut, steht Frau Meyer aus der Nachbarschaft vor ihm.
„Aber Sebastian, wie siehst du denn aus?“ Sie schaut entsetzt auf die grünen Gummihandschuhe.
„Warum hast du denn einen Schal an und Gummihandschuhe?“
Sebastian hat einen Schal vom Fußballverein Grün-Weiß-Waldbeck über Mund und Nase gebunden. „Mmh, mmpf!“, antwortet er.
„Sebastian“, sagt Frau Meyer, „nimm den Schal ab, so kann ich dich nicht verstehen!“
Langsam zieht Sebastian den Schal nach unten. Sein Blick geht ängstlich nach links und rechts. „Hast du vielleicht einen Hund gesehen?“ Seine Stimme zittert.
„Nein, warum fragst du?“ Frau Meyer blickt Sebastian erstaunt an.
„Weil ich eine Allergie habe!“, erwidert Sebastian.
„Eine Allergie? Gegen was bist du denn allergisch?“, will Frau Meyer wissen.
„Natürlich gegen Hundehaare!“ Sebastian schaut Frau Meyer verständnislos an. „Ich muss mich doch schützen!“
„Jetzt verstehe ich den Schal, aber warum trägst du denn die Gummihandschuhe?“
„Ja weißt du denn nicht, das die ganze Welt voller Schmutz ist und man davon krank wird!“ Sebastian ist empört.
„Aber Sebastian, etwas Schmutz hat noch keinem geschadet!“, meint Frau Meyer.
„Als ich so alt war wie du, habe ich den Apfel gepflückt und dann gegessen; ungewaschen. Mir hat das nicht geschadet, ich bin jetzt weit über 70 Jahre.“
„Ich will das nicht hören, sei still! Das ist ja ekelig!“ Sebastian hält sich die Ohren zu.
„Ist ja gut Sebastian, beruhige dich!“ Frau Meyer denkt nach. „Du hast ein echtes Problem mit Schmutz.“ „Warum sitzt du hier in der Sonne und spielst nicht mit den anderen Kindern im Schatten?“, fragt sie, um ihn abzulenken.
„Weil ich nicht weiß, ob eines der Kinder krank ist! Ich warte, bis alle nach Hause gegangen sind.
Mama sagt, dass es für manche Krankheiten noch keine Impfungen gibt. Sie hat mir verboten mit den Spielsachen der anderen Kindern zu spielen; die sind voll Bakterien, sagt sie.“ Sebastian schaut besorgt. „Von denen kann man sterben! Hast du das nicht gewusst?“
Schweiß läuft ihm über das Gesicht. Frau Meyer sucht in ihrer Handtasche ein Papiertaschentuch. Sie hält es ihm hin. Sebastian zieht den Handschuh aus und greift danach. Aber was ist das!
Er starrt auf seine Hand. Die Haut ist weiß und runzlig. „Ich bin infiziert, ich bin infiziert!“ Verzweifelt schaut er Frau Meyer an. „Jetzt muss ich sterben! Schau doch, meine Hand ist schon ganz tot!“
„Sebastian, das sieht doch nur so aus, weil deine Hand keine Luft bekommen hat.“, erklärt Frau Meyer.
“Nein, du lügst! Ich habe mich infiziert! Du bist Schuld daran! Du und dein Taschentuch!“
Sebastian ist außer sich. Schnell zieht er sich wieder den Schal vor das Gesicht. Dann versucht er den Gummihandschuh über seine feuchte Hand zu ziehen. Es gelingt ihm aber nicht. Wütend wirft er ihn zu Boden. Er schaut Frau Meyer böse an, dann springt er auf und läuft davon.

Sebastian kommt völlig außer Atem zu Hause an. Sein Gesicht glüht. Als Frau Steinbeck ihm die Tür öffnet, sinkt er zu Boden.
“Um Gotteswillen Sebastian, was hast du denn?“
„Luft, Luft ich kriege keine Luft!", keucht er.
“Oh Gott, Schatz, komm schnell, unser Sohn erstickt!“, ruft sie ins Treppenhaus.
Sebastian Vater eilt herbei. “ Was ist denn los?“
„Sebastian hat einen schweren Asthmaanfall, wir müssen sofort ins Krankenhaus!“ Sie versucht ihren Sohn hochzuheben.
„Es ist ja kein Wunder, dass er keine Luft bekommt!“ Herr Steinbeck kniet sich neben Sebastian nieder; zieht ihm Schal, Handschuh und Pullover aus. Dann nimmt er Sebastian in den Arm und streichelt ihm über den Kopf. „Ganz ruhig Sebastian, alles wird gut!“

Dr. Martin Frankenberg von der Notaufnahme sitzt mit Sebastians Eltern im Besprechungszimmer. In der Hand hält er einen Untersuchungsbogen. Aufmerksam liest er darin. Als er fertig ist blickt er auf. "Also, Herr und Frau Steinbeck, wir haben Sebastian gründlich untersucht. Bis auf einen leichten Sonnenbrand im oberen Gesichtsbereich, konnten wir nichts feststellen. Ich kenne nur wenige Patienten, die so gesund sind wie ihr Sohn. Ich verschreibe Ihnen eine Salbe die kühlt,damit reiben sie ihm das Gesicht ein! In ein bis zwei Tagen sollte es besser sein.“
„Herr Doktor, Sie müssen sich irren!“ Frau Steinbeck schaut Dr. Frankenberg ungläubig an.
Sie zeigt auf den Bericht in seiner Hand. „Sind Sie sicher, dass das die richtige Krankenakte ist? Schauen Sie nochmal genau nach! Haben Sie auch die richtigen Untersuchungen gemacht? Ich habe im Internet gelesen, das Asthma schwer zu diagnostizieren ist.“
Sie zählt eine Reihe von medizinischen Fachbegriffen und Untersuchungen auf. Herr Steinbeck sieht seine Frau verwundert an.

Als Frau Steinbeck fertig ist, legt Dr. Frankenberg Sebastians Akte auf den Schreibtisch.
„Darf ich Sie nach Ihrem Beruf fragen, Frau Steinbeck?“
„Kindergärtnerin“, antwortet sie überrascht. „Warum fragen Sie nach meinem Beruf, Herr Doktor?“
„Nun, Frau Steinbeck, Sie haben Kindergärtnerin gelernt und wissen welche Spiele für Kinder wichtig sind. Ich bin kein Kindergärtner. Ich weiß nicht, welche Spiele für Kinder sinn- und wertvoll sind. Umgekehrt bedeutet das, Sie sind keine Ärztin, also sagen Sie mir bitte nicht, welche Untersuchungen ich machen muss oder nicht. Ich sage es Ihnen noch einmal, Ihr Sohn ist körperlich vollkommen gesund. Was uns Sorge bereitet ist seine Traurigkeit. Ihr Sohn, Frau Steinbeck ist kein glückliches Kind!“
„Aber ich habe schon so oft über Fehler, die Ärzte machen...“ weiter kommt sie nicht.
„Bärbel jetzt ist es wirklich genug!“ Herr Steinbeck ist verärgert. „Ich vertraue dem Urteil von Dr. Frankenberg eher als deinen Halbwahrheiten aus dem Internet!“ Er dreht sich zu Dr. Frankenberg um. „Sie haben Recht, Sebastian leidet. Bitte, sagen Sie uns, was wir tun müssen, damit Sebastian ein glückliches Kind wird!“

„Sebastian hat Angst vor Schmutz!“, beginnt Dr. Frankenberg. „Das ist sehr ungewöhnlich für einen Jungen seines Alters.“ Bei diesen Worten sieht Frau Steinbeck betroffen zu Boden.
„Er hat die Vorstellung gegen alles und jeden allergisch zu sein! Ihr Sohn hat große Angst zu sterben. Das macht ihn sehr traurig.In Sebastians Welt gibt es nicht mehr viel Freude.“
Frau Steinbeck bricht in Tränen aus.
„Ich mache Ihnen einen Vorschlag“, sagt Dr. Frankenberg versöhnlich, „Um eine Allergie auszuschließen, muss Sebastian einen Allergietest machen. Danach entscheiden wir, wie wir Sebastian am besten helfen können, seine Lebenslust wieder zurückzugewinnen. Ein guter Freund von mir ist Facharzt für Allergien. Wenn Sie möchten, mache ich für Sebastian schnellstmöglich einen Termin.“
„Aber es sind doch Ferien und wir wollen nächste Woche in Urlaub fahren!“, schluchzt Frau Steinbeck.
„Wo soll es denn hingehen?“, will Dr. Frankenberg wissen.
„Wir fahren in die Berge", antwortet Sebastians Vater.
„Das wird ihm gut tun. Berge sind immer ein schönes Urlaubsziel für Kinder. Da kann Sebastian sich austoben und Mut beweisen. Einen Termin bei meinem Kollegen vereinbaren wir dann nach den Ferien." Dr. Frankenberg macht ein zufriedenes Gesicht.

Sebastians Vater redet mit Josef dem Bergführer aus Unterklamm. Sie stehen vor dem Hotel "Bergblick". Josef hat einen grauen Bart. Er trägt braune Lederhosen, ein rot-weiß kariertes Hemd und braune Wanderschuhe. Auf dem Kopf hat er einen grünen Filzhut mit echtem Edelweiß.
Sie unterhalten sich über eine Bergtour. Josef erklärt Herrn Steinbeck die Einzelheiten.

Als Herr Steinbeck zu Sebastian geht, um ihm eine gute Nacht zu wünschen, setzt er sich auf die Bettkante. „Sebastian, mir ist da eine Idee gekommen, wie wäre es, wenn wir beide, nur du und ich, eine Bergtour unternehmen?“
„Aber du kennst dich doch gar nicht in den Bergen aus, Papi! Ist das nicht gefährlich?“
Sebastian schaut skeptisch.
„Ach wo, wir gehen doch mit Josef! Der kennt sich hier in den Bergen bestens aus! Er will mit uns zur Wetterhexe hoch gehen.“ Sebastians Augen fangen zu glänzen an.
„Au ja, Papi, das wird ein Abenteuer und wenn Josef mit uns geht, kann ja auch nichts passieren!“

Herr Steinbeck erzählt später seiner Frau von dem Vorhaben.
„Weißt du, was da alles passieren kann, Thomas?“, erwidert sie ganz entsetzt. „Nein, ich bin dagegen, dass du unseren Sohn so einer Gefahr aussetzen willst!“
„Hast du bereits vergessen, was uns Dr. Frankenberg in der Klinik gesagt hat?“, entgegnet ihr Herr Steinbeck. „Die Berge sind genau das richtige für Sebastian, hat er betont!“
„Vielleicht hast du ja Recht“, antwortet Frau Steinbeck leise, „vielleicht ist die Luft dort oben gut für seine Gesundheit. Ich kann ihm da oben aber nicht helfen!“ ermahnt sie ihren Mann. „Vergiss das nicht! Du bist mit ihm ganz allein!“
Am nächsten Morgen kommen Sebastian doch noch Bedenken.
„Aber, Papi, ich habe doch meine Gummihandschuhe nicht dabei!“
„Die wirst du auch nicht brauchen!“, beruhigt ihn sein Vater.
„Nein, ohne meine Handschuhe gehe ich nicht!“, ruft Sebastian aufgeregt.
Da kommt Sebastians Mutter ihrem Mann helfend entgegen.
„Mein Schatz, ich habe noch ein Paar Baumwollhandschuhe aus dem Wellnessbereich, die sind genau die richtigen für dich!“
Jetzt ist Sebastian beruhigt.

Endlich ist es soweit. Auf das Frühstück müssen sie verzichten. Pünktlich um 6 Uhr fährt Josef mit einem Geländewagen vor. Als er aussteigt, schwenkt er mit einen Stock. „Den hob i extra füa di gschnitzt, gfoit a da?“ Sebastian strahlt über das ganze Gesicht.
„Natürlich gefällt er mir.“ Er kramt in seinem Rucksack und bringt die Baumwollhandschuhe zum Vorschein.
„De brauchst do gor net, so empfindle is der Stock net!“ ruft Josef und lacht.
„Nein, das ist doch wegen meiner Allergie!“, erwidert Sebastian.
„Quatsch, du host do koa Allergie, i hob no nia so an gsundn Buabm gseing! Jetzad müaß ma aba los, sonst schaff ma de Hoamroas nimma!“ Sie fahren bis zur Geierwalli Alm. Hier parkt Josef den Wagen. „ Aba do könn ma nur no z`Fuaß weita!“ Sie schultern ihren Rucksack und gehen los.
„Papa sagt, das es fünf Stunden bis zum Gipfel sind, stimmt das?“, fragt Sebastian.
„Wenn´s Wetta mitspuit!“, antwortet Josef lachend.
Eine Weile wandern sie schweigend nebeneinander.
„Sag mal, Josef, wieso heißt der Berg überhaupt Wetterhexe?“, will Sebastian wissen.
„Vor langa Zeit hot do obm a wundasame Frau glebt. Sie hot do ganz alloa glebt. D´Leit sogn, dass sie Nebe hot macha könna und dass se so mancha Wandera drin verirrt hot und obgstürzt is.“
Sebastian starrt Josef mit offenem Mund an. „Mach da net so vui Gedankn do drüba. Geniaß liaba de scheene Aussicht und de guate Luft do herobm. Mei Großmuatta hot s`kennt. Sie hot oiwei gesogt, wennst krank bist, gäh zur Wettahex, de konn da heifa, de hot füa ois a Kraut!“
Am Himmelskaar machen sie Halt. Sie sind schon über zwei Stunden unterwegs. „Des host guat gmacht, jetzat host da a echte Brotzeit verdient!“, sagt Josef zu Sebastian.
Als sie sich gestärkt haben, machen sie sich wieder auf den Weg. Am Himmel ziehen mittlerweile die ersten dunklen Wolken auf. Josef blickt etwas besorgt nach oben. „Des is net guat, am bestn, mia schicka uns.“ Sebastian schaut ängstlich in den Himmel. Herr Steinbeck spricht leise mit Josef. Dieser runzelt die Stirn und wiegt mit dem Kopf hin und her. Sebastian weiß, dass beide sich Sorgen machen. Als sie kurz unter dem Gipfelkreuz sind hören sie lautes Donnergrollen.
„Des is schlimma wia i denkt hob, des siecht noch am Wettasturz aus!“, sagt Josef zu Sebastians Vater. Sebastian fragt ängstlich: „Was ist ein Wettasturz?“
„Des is a plötzlicha Wettaumschwung, den konn ma schwer vorausseign. So a Wettasturz hot scho vui Wanderer ´s Lebm kost. Mia müassn jetzt auf´n Gipfe nauf und schaun, wias auf da andern Seitn aussiecht. Wenn ma do drobm san, konn i erst sogn, ob mas ins Toi schaffa oda net!“?
Jetzt bekommt es Sebastian richtig mit der Angst zu tun. Obwohl ihm die Beine schwer sind,
legt er noch einmal Tempo zu, um das steilste Stück bis zum Gipfel hinaufzukommen.
Josef schafft es zuerst. Sebastian hört Ihn sagen: „Des haut mi um!“
Panik macht sich in Sebastian breit. Als er am Gipfelkreuz ankommt, sieht er was Josef meint. Am Nordhang der Wetterhexe hängen dicke schwarze Wolken aus denen Blitze zucken. Ein kalter Wind bläst ihnen entgegen und bringt vereinzelte Schneeflocken mit sich.
„Des is wirkle nix Gscheids! Mia ham nur oa Möglichkeit, denn runta kemma mia nimma!“
Josef setzt seinen Rucksack ab und nimmt ein Seil heraus. „Binds eich des um und egal, wos passiert, ihr derfts auf koan Foi steh bleibm!“ Er muss jetzt schreien, um das Tosen des immer stärker werdenden Windes zu übertönen. Der Schnee fällt dichter. Herr Steinbeck nimmt Sebastian an der Hand und redet ihm gut zu: „Wir schaffen das, bestimmt! Wir sind in guten Händen!“

Es wird zunehmend kälter. Sebastian zittert am ganzen Körper. Warum hat sein Vater ihn nur auf diese Tour mitgenommen? Warum nur, hat er zugestimmt? Jetzt muß er bestimmt sterben.
„Mama, hilf mir, ich habe Angst!“, wimmert er leise. Der Wind heult lauter und es wird so dunkel, dass Sebastian nicht mehr als einen Meter weit nach vorne sehen kann. Er schlottert am ganzen Körper und klappert mit den Zähnen. Das einzige was er noch von seinem Vater mitbekommt, ist das Ziehen des Seiles. Auch ihn kann er in der Dunkelheit nicht mehr ausmachen.

Plötzlich wird er mit einem Ruck nach vorne gezogen. Er hört noch einen lauten Knall und dann ist es ganz still. „I hob´s glei!“, ertönt Josefs Stimme aus der Dunkelheit, kurz darauf wird es hell.
Josef hält eine Taschenlampe in der Hand. Graue Steinwände starren Sebastian an.
„Wo sind wir hier?“, fragt er.
„Des is Haus vo da Wettahex!“, erwidert Josef. Er geht in den nächsten Raum. „Zum Glück ham mas bis do her gschafft!“
Sebastian ist da ganz anderer Meinung. Im Haus der Wetterhexe! Jetzt gibt es kein zurück mehr. Jetzt sind sie verloren. Im nächsten Raum steht ein grober alter Holztisch und vier Stühle.
An der gegenüberliegenden Wand befindet sich ein großer Holzschrank. Josef findet zwei Kerzen. Er zündet sie an und stellt sie auf den Tisch. Der Raum wird in ein warmes Licht getaucht.
„Setzts eich an Kamin hi, i mach a Feia, mia müassn de Kleida trockn kriagn!“
In der hinteren Ecke der Küche steht ein Kamin, vor dem Feuerholz liegt. Als Josef das Feuer entzündet hat und Sebastian die Wärme spürt, schwindet seine Angst. Josef holt aus seinem Rucksack einen großen Käse und ein rundes Brot. Den Käse legt er in den Kessel, der über dem Feuer hängt. Als der Käse geschmolzen ist, stellt er den Kessel auf den Tisch und reichte jedem eine Scheibe Brot. Wie bei Heidi und dem Alm Öhi, denkt Sebastian. Als er den ersten Bissen zu sich nimmt fühlt er sich so wohl, wie schon lange nicht mehr. Draußen tobt der Sturm immer härter. „Wia´s ausschaut , müass ma de ganze Nacht do bleibm und im Stroh schlaffa.“
Von der Treppe führt eine schmale Leiter nach oben. Sebastians Vater und Sebastian folgen Josef nach oben. Der Boden liegt voller Stroh.
„Toll, ich wollte schon immer wie die Heidi im Stroh schlafen!“, ruft Sebastian begeistert.
Doch plötzlich versteinert sich sein Gesichtsausdruck.
„Oh nein, ich reagiere doch allergisch auf Stroh!“
„Schmarrn, des is do net so schlimm, wia auf dem koidn Bodn!“, meint Josef.
Aber Sebastian ist nicht zu beruhigen. Er weigert sich wegen seiner Allergie im Stroh zu schlafen. Josef legt eine Decke vor den Kamin.
„So, mei Bua, du schlafst beim Feia und mia genga auffe!“
Als es Schlafenszeit ist, löscht Josef die Kerzen und geht mit Herrn Steinbeck nach oben. Sebastian kuschelt sich in die Decke. Draußen heult der Wind unaufhörlich weiter.
Doch durch das Knistern des Kaminfeuers fühlt Sebastian sich sicher und entspannt.
Seine Augen werden immer schwerer bis er in einen unruhigen Schlaf fällt. Zuerst träumt er, dass Heidi ihm am Wetterkaar mit einem Eiswagen entgegen kommt. Um den Bauch trägt sie einen aufblasbaren Schwimmreif.
„Die Flut macht mir nichts aus!“, ruft sie ihm freundlich zu.
Der Eiswagen verwandelt sich vor Sebastians Augen in ein aufblasbares Bananenboot.
Heidi springt vergnügt auf und saust den Hang hinab. Das einzige was Sebastian noch hört ist:
„Frische Krapfen, wer will frische Krapfen kaufen?“
Sebastian bleibt mit offenem Mund stehen. Das Gras unter seinen Füßen verwandelt sich in eine Rolltreppe, die bis zur Spitze der Wetterhexe hinauf ragt.
„Komm Sebastian, komm!“, hört er eine lockende Stimme. Sie wird immer drängender. „ „Komm Sebastian, komm doch zu mir!“ Sebastian steht schon mit einem Fuß auf der ersten Treppenstufe, als vom Gipfel weiße Gestalten auf ihn zurollen. Es sind Schneemänner mit grünen Gummihandschuhen.
„Kehr um, kehr schnell um Sebastian!“ Schon sind sie vorbei. Sebastian will von der Rolltreppe springen, aber es geht nicht. Seine Füße sind wie festgeklebt.

Die Rolltreppe bewegt sich schneller und quietscht dabei fürchterlich. Das Quietschen wird unerträglich. Für Sebastian ist es nun kein Quietschen mehr sondern das gehässige Lachen einer Frau.
„Das ist die Wetterhexe!“ Sebastian stockt der Atem. „Oh nein, die Wetterhexe, jetzt kommt sie mich holen!“
Kurz vor dem Gipfel rattert die Treppe um eine scharfe Rechtskurve und führt in die Dunkelheit des Berges hinein. Es ist stockdunkel und bitterkalt. Immer tiefer fährt er in den Berg hinein. Er verliert jegliches Zeitgefühl. Und er ist doch so müde. Da sieht er in weiter Ferne ein kleinen Lichtstrahl, der größer wird. Langsam wird es wieder wärmer. Die Fahrt endet in einer riesigen Höhle, die ganz aus Glas zu sein scheint. Sebastian befindet sich im inneren eines riesigen Bergkristalls. Er hört ein sanfte Stimme. „Wer ist da?“
„Ich bin es!“, ruft Sebastian verdutzt. „Sebastian Steinbeck!“
„Ah, Sebastian, ich kenne dich, ich habe schon viel über dich gehört. Es ist gut, das du endlich gekommen bist! Ich habe schon so lange auf dich gewartet. Ich weiß, du bist hierher gekommen um gesund zu werden. Aber hast du auch den Mut dazu, willst du wirklich gesund werden?“ Sebastian blickt auf seinen weißen Handschuhe.
„Ja, die möchte ich loswerden!“, flüstert er und hebt die Hände nach oben.
„Dann musst Du mir vertrauen, Sebastian!“ „Wirst du?“
Sebastian nickt.
„Zieh Deine Handschuhe aus und gehe durch diese Pforte und schau nicht zurück!“
Vor Sebastians Augen erscheint in diesem Moment eine Tür. Sebastian zieht die Handschuhe aus und steckt sie in seine Hosentaschen. Als seine Hand die kalte Klinke berührt, schwingt die Tür von ganz alleine auf. Sebastian nimmt tief Luft und geht über die Schwelle.

Hinter ihm schließt sich die Tür mit einem dumpfen Schlag. Sebastian wird wach. Es ist dunkel und eisiger Wind fährt im durch das Gesicht. Die Kälte durchfährt seinen Körper wie Nadelstiche. Sebastian dreht sich um und blickt auf die Hintertür der Wetterhexe.
„Oh nein, ich bin im Schlaf gewandelt!“, denkt er verzweifelt. „Was mach ich denn jetzt?“
Er rüttelt an der Tür, doch sie bleibt verschlossen. Panik steigt in ihm auf.
„Ich muss zur Vordertür, oder ich werde erfrieren! Papa und Josef können mich bei diesem Sturm nicht hören!“ Vorsichtig tastet er sich an der Hauswand entlang. Er kann nicht einmal seine eigene Hand vor Augen sehen, so dunkel ist es. Da rutscht er auf einer vereisten Stelle aus und stürzt in die Tiefe. Er schlägt mit dem Kopf einen Felsen auf und verliert das Bewusstsein.
Nun hört er die sanfte Stimme der Frau wieder. „Jetzt ist alles gut, Sebastian!“, flüstert sie. Sebastian öffnet die Augen. Verschwommen nimmt er eine Gestalt wahr. Etwas starrt ihn mit leuchtenden Augen an. Er spürt etwas feuchtes im Gesicht.
„Bist du die Wetterhexe?“, will er fragen, doch so weit kommt er nicht. Wieder verliert er das Bewusstsein.

Sebastian wird von dem Rufen seines Vaters und Josefs geweckt. Als er die Augen öffnet ist alles dunkel um ihn herum. Er liegt unter einer flauschigen Decke. Es ist so warm, das er ein wenig schwitzt.
„Peter, Paul, machts Blooz!“ „Des hoabt a guat gmacht!“, hört er Josef rufen.
Die Decke wird in diesen Moment lebendig und teilt sich. Sebastian reibt sich die Augen.
Vor ihm sitzen zwei große Rettungshunde der Bergwacht. Beide lecken ihm freudig über das Gesicht. Sebastian lacht vergnügt. „Das kitzelt!“

Gemeinsam mit der Bergwacht, erreichen sie gegen Mittag das Hotel. Sebastians Mutter läuft mit ausgestreckten Armen auf Sebastian zu.
„Mein armer Junge! Gott sei Dank, da bist Du ja endlich!“
„Wie hast du das nur zulassen können!“ Sie blickt ihren Mann vorwurfsvoll an. „Sebastian hätte alles mögliche passieren können!“
„Komm, mein Junge, bei mir bist du jetzt in Sicherheit!“ Sie will Sebastian in die Arme nehmen.
Er drückt ihre Arme weg.
„Nein, bleib weg!“
Er wirft ihr wütend die Baumwollhandschuhe vor die Füße.
„Die werde ich nie wieder tragen; die brauche ich jetzt nicht mehr!“
„Und damit du es weißt, ich habe die ganze Nacht bei Peter und Paul geschlafen, trotz meiner Allergie und sie haben mir über das ganze Gesicht geleckt! Und ich bin nicht davon gestorben!“
Er dreht sich zu seinen neuen Freunden um und nimmt sie in die Arme. Diese lassen es sich nicht nehmen Sebastian über das Gesicht zu lecken.

Frau Meyer kommt wie jeden Nachmittag am Spielplatz vorbei. Da hört sie einen lautes Kindergeschrei.
„Ih, wie ekelig... igitt, wie kannst Du nur... mach das weg!“
Als sie am Sandkasten ankommt, sieht sie viele Kinder. Sie bilden einen Kreis.
Frau Meyer sucht sich einen Weg zur Mitte. Dort sitzt Sebastian. Über seinen linken Arm kriecht eine dicke rote Schnecke. Sein ganzer Arm ist mit Schneckenschleim bedeckt. Die Kinder schreien, einige machen würgende Geräusche.

„Was machst du denn, Sebastian?“
„Das ist ja ekelhaft, davon kannst du doch krank werden!“ Frau Meyer ist angewidert.
„Von ein bisschen Schneckenschleim ist noch keiner gestorben!“, antwortet Sebastian.
„Und außerdem, etwas Schmutz hat noch keinem geschadet. Davon ist meine Mama jetzt auch überzeugt. Wollen Sie es auch mal probieren?“
Frau Meyer schaut ihn entsetzt an, dann bricht sie unverhofft in lautes Lachen aus.
Sie setzt sich zu Sebastian auf den Boden und hält ihm ihren linken Arm hin.
„Das will ich schon so lange machen, aber ich habe es mich nie getraut!“, flüstert sie und sieht Sebastian mit glänzenden Augen an.

 
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Liebe Drusilla
Mir hat die Geschichte sehr gut gefallen. Die Sätze im Dialekt haben mir als Schweizerin etwas Mühe bereitet :-). Das einzige was mich stört, dass der Arzt Herr Brinkmann heisst. Da kommt mit die Schwarzwaldklinik in den Sinn und diese hat mit Sebastian nichts zu tun. Ich habe mir überlegt, ob es für Kinder nicht etwas hart ist, die Mutter so hart wegzuweisen, da die Mutter ja geliebt wird. Auf der anderen Seite ist es wohl eine andere Geschichte, wie die Mutter wieder ins Lot kommt.
Auf jeden Fall, mir gefällt sie und ich kann mir gut vorstellen, dass sich das eine oder andere Kind (Auch Erwachsene) sich in dieser Geschichte wiederfinden.
Der Schluss mit Frau Meyer hat mich sehr berührt.
Griessli silea

 

Hallo silea,
Danke für deinen Kommentar! Den Brinkmann werde ich beerdigen und neu erstehen lassen.
Gut das du Schwierigkeiten mit dem Dialekt hast. Das ist original bayerisch von einer Autorin aus München.
Da bin ich mächtig Stolz drauf ☺

Griessli
Drusilla

 

Hallo Drusilla!


Sebastian sitzt alleine auf der Bank beim Spielplatz.
Die Sonne steht hoch am Himmel. Es ist ein heißer Julitag. Auf dem Spielplatz ist heute nicht viel los. Nur wenige Kinder sitzen unter dem Sonnensegel des Sandkastens und bauen gemeinsam eine Sandburg.
Der Einstieg ist ziemlich langweilig.
Sebastian zappelt mit den Beinen und stöhnt. Er sitzt alleine … wäre eine der besseren Alternativen.
So ein Anfang macht sofort neugierig.

Als er nach oben schaut, steht Frau Meyer aus der Nachbarschaft vor ihm. „Aber Sebastian, wie siehst du denn aus?“ Sie schaut entsetzt auf die grünen Gummihandschuhe. „Warum hast du denn einen Schal an und Gummihandschuhe?“ Sebastian hat einen Schal vom Fußballverein Grün-Weiß-Waldbeck über Mund und Nase gebunden. „Mmh, mmpf!“, antwortet er. „Sebastian“, sagt Frau Meyer, „nimm den Schal ab, so kann ich dich nicht verstehen!“
Bei Sprecherwechsel würd ich eine neue Zeile anfangen. Das ist für den Leser übersichtlicher.

„Von denen kann man sterben! Haben Sie das nicht gewusst Frau Meyer?“
„Von denen kann man sterben! Haben Sie das nicht gewusst, Frau Meyer?“

“Oh Gott Schatz, komm schnell, unser Sohn erstickt!“
“Oh Gott, Schatz, komm schnell, unser Sohn erstickt!“
Es sind noch ein paar Kommafehler im Text.

Bitte, sagen Sie uns, was wir tun müsen, damit Sebastian ein glückliches Kind wird!“
müssen

seine Lebenslust wieder zurück zu gewinnen
zurückzugewinnen

Er trägt braune Lederhosen, ein rot weiß kariertes Hemd
ein rot-weiß kariertes Hemd

So a Wettasturz hot scho vui Wanderer ´s Lebm kost.
Ja, so einen Bergführer wünscht man sich! :D

Mir hat die Geschichte gefallen. Der Junge wird durch echte Gefahr von seinen einbildeten Ängsten kuriert. Auch die übervorsichtige Mutter kommt da nicht gegen an.
Ob das im realen Leben auch so einfach geht, weiß ich nicht, aber in der Geschichte wirkt es glaubhaft. Und darauf kommt es an.

Lieben Gruß

Asterix

 

Hallo Asterix,
Danke für die Hilfe!
Ich korrigiere das.
Der Anfang soll die Trostlosigkeit der Situation, in der Sebastian steckt unterstreichen.
Der hat ja auch Langeweile, weil er nicht mit den anderen spielen kann
Finde ich cool, dass dir das langweilig erscheint. Im Nachhinein gefällt mir das sogar sehr gut.
Nochmals Danke für die Kommentare.
Grüße
Drusilla

 

Hallo Drusilla!

Die Zeilenumbrüche hast du eingebaut, das ist schön, was du noch tun müsstest, ist klarzustellen, wann wer was sagt.

Beispiel:
„Er hat die Vorstellung gegen alles und jeden allergisch zu sein!“
„Ihr Sohn hat große Angst zu sterben.“
„Das macht ihn sehr traurig.“ „In Sebastians Welt gibt es nicht mehr viel Freude.“
=> Sagt das nicht alles der Arzt? Dann keine Zeilenumbrüche, und vor allem: Keine Anführungszeichen inmitten der wörtlichen Rede! Nur am Anfang und am Ende.

Inhaltlich gefällt mir der Text übrigens.

Grüße,
Chris

 

Hallo Chris,

meine Lebensgefährtin hat mir dafür auch schon die Rote Karte gegeben.
Ich mach ja schon was ihr wollt!

Grüße
Volker

 

Hej Drusilla,

Beim Lesen mitgeschrieben:

„Sebastian“, sagt Frau Meyer, „nimm den Schal ab, so kann ich dich nicht verstehen!“
Kleinigkeit, aber mich stört dieser Befehlston von Frau Meyer. Mit welchem Recht darf sie das so einfach von Sebastian fordern?
Wirkt auf mich seiner unpassenden Kleidung zum Trotz zu übergriffig und macht für mich das Verhältnis in dem sie zueinander stehen nicht deutlich.

„Aber Sebastian, etwas Schmutz hat noch keinem geschadet!“, meint Frau Meyer.
Auch hier hat die Nennung des Namens für mich etwas Schulmeisterliches.
Für mich macht es ihre scheinbare Sorge um Sebastian einfach etwas weniger glaubwürdig.

Sebastian kommt völlig außer Atem zu Hause an. Sein Gesicht glüht. Als Frau Steinbeck ihm die Tür öffnet, sinkt er zu Boden.
“Um Gotteswillen Sebastian, was hast du denn?“
„Luft, Luft ich kriege keine Luft!", keucht er.
“Oh Gott, Schatz, komm schnell, unser Sohn erstickt!“, ruft sie ins Treppenhaus.
Sebastian Vater eilt herbei. “ Was ist denn los?“
„Sebastian hat einen schweren Asthmaanfall, wir müssen sofort ins Krankenhaus!“ Sie versucht ihren Sohn hochzuheben.
„Es ist ja kein Wunder, dass er keine Luft bekommt!“ Herr Steinbeck kniet sich neben Sebastian nieder; zieht ihm Schal, Handschuh und Pullover aus. Dann nimmt er Sebastian in den Arm und streichelt ihm über den Kopf. „Ganz ruhig Sebastian, alles wird gut!“
Diese kurze Szene in Kombination mit dem vorher Gesagten suggeriert, dass die Mutter an allem schuld ist. Mal sehen, wie es weiter geht ...

„Kindergärtnerin“, antwortet sie überrascht.
Herrje, das ist mir jetzt zu dick aufgetragen. Alles Übel der Welt kommt von zuerst den Müttern und gleich danach von den Kindergärtnerinnen.
Schon klar. :dozey:

Den Rest hab ich nur noch überflogen. Spannendes Thema, aber die Umsetzung find ich einfach nur ärgerlich. Die psychotische Mutter ist ein einziges Klischee und mir als Erklärung für Sebastians Probleme viel zu dürftig.

Ich gehe davon aus, dass Du die Geschichte für ältere Kinder konzipiert hast, die mit etwas mehr Tiefgang bestimmt besser zurecht kommen würden.

Noch aufgefallen:

„Nun, Frau Steinbeck, Sie haben Kindergärtnerin gelernt
Hier und im Weiteren müsstest Du die Anrede groß schreiben.

„Das ist ja ekelhaft, davon kannst du doch krank werden!“ Frau Meyer ist angewidert.
Das ist immerhin eine nette Schlussszene. Mir fällt hier auf, dass ich ziemlich schwimme, was ihr Alter betrifft. Dieses Auf-den-Boden-setzen macht es mir schwer, sie mit dem Bild, was am Anfang der Geschichte in meinem Kopf entsteht, zusammenzubringen.

Gruß
Ane

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Ane,

Danke für dein Kommentar. Mit Frau Meyer muss ich dir Recht geben. Frau Meyer ist eine ältere Frau, die seine Großmutter sein könnte. Sie kommt aus einer anderen Generation. Ich werde das hervorheben. Ansonsten finde ich deine Kritik nicht angebracht, da du dir nicht einmal die Mühe gemacht hast die Geschichte vollständig zu lesen.

 

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