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Seelischer Gleichklang

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14.03.2006
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Seelischer Gleichklang

Angelika räkelte sich in ihren Laken. Die Wärme des Erwachens umschmeichelte sie. Sie blinzelte aus dem Fenster und gab wohlige Laute von sich. War das ein schöner Tag. Sie sah, dass die Sonne schien und beobachtete das glitzernde Spiel des Lichts mit den nassglänzenden Blättern. Der Wind wiegte die Äste sacht hin und her und erzeugte kristallenes Geflimmer. Die Blätter flirteten, indem sie sich bogen und leise zu säuseln schienen. Angelika liebte diese Momente am Morgen, in denen sie sich noch halb im Schlaf befand, die Momente, in denen die Träume langsam verblassten und der Tag behutsam Konturen annahm. Wie schön, dass sie heute nicht gleich aufzuspringen brauchte, weil irgendein Termin wartete.

Robert war schon losgegangen, um Brötchen und die Zeitung für das erste gemeinsame Frühstück seit langen Wochen zu besorgen. Er war in der letzten Zeit sehr beschäftigt. Deshalb war sie glücklich über seinen Vorschlag gewesen, heute ausgiebig zu frühstücken. „Wir sollten die Gelegenheit nutzen, miteinander zu reden“, hatte er gesagt.
„Und dann schalten wir das Telefon aus“, hatte sie ihn verheißungsvoll angelächelt.

Was er wohl mit ihr zu besprechen hatte? Eigentlich konnten es nur zwei Dinge sein: Entweder er hatte den Posten bekommen, den er schon lange im Blick hatte oder aber es ging um ihren gemeinsamen Urlaub. Darüber waren sie unterschiedlicher Meinung gewesen, obwohl sie sonst nie stritten. Angelika wollte nicht zum wiederholten Mal in den Süden fahren. Sie wollte Norwegens geheimnisvolle Fjorde kennen lernen. Denn sie hatte kürzlich darüber gelesen und war sehr beeindruckt von den Bildern gewesen.

Sie duschte und stylte sich. Dabei kann ihr Erika in den Sinn, ihre Freundin. Erika schminkte sich nie. Hatte überhaupt keine Idee vom Frau-Sein, legte keinen Wert auf Kleidung, eher auf Bequemlichkeit. „Ich zwinge die Leute, zweimal hinzusehen“, sagte sie immer lächelnd mit einem gewissen Stolz, den Angelika überhaupt nicht verstand. Erika hatte ein markantes Gesicht. Nicht hässlich. Aber ohne Schminke wirkte sie eher hart. Man wurde nicht so leicht auf sie aufmerksam. Und sie war seit langem Single. Angelikas leise Hinweise zu ihrer Verschönerung tat sie ab.

Sie selbst legte eher Wert auf Optik, Duft und Eleganz. Man sollte den Weg zu ihr „erriechen.“ Angelika fand, dass sie aussah, wie eine Stil-Ikone aus den 60-er Jahren. Eine dunkelhaarige Marylin Monroe.

Sie zog ihren japanischen Hausanzug an, ging ins Wohnzimmer und legte eine Jazz-CD ein. Die Wohnung war nun erfüllt von Gesang, Kaffeeduft und Chanel N° 5, Angelikas Lieblingsparfum. Sie öffnete die Tür zur Terrasse, und ließ sich von der frischen Morgenluft umarmen. Dann deckte sie den Tisch mit allerlei Köstlichkeiten.

Zwölf Jahre waren Robert und sie nun zusammen. Sie waren ein eingespieltes Team. Alles lief wie am Schnürchen. „Zwei Seelen im Gleichklang“, erklärte sie Erika. „Jedenfalls fühlt es sich für mich so an. - Du suchst nach dem Falschen“. - „Ich glaube nicht“, antwortete Erika dann immer stereotyp und in sich gekehrt.

Nun musste Robert aber jeden Moment kommen. Ihr Magen rührte sich mit einem leichten Grummeln. Aber sie würde nicht naschen. Sie wollte auf ihn warten. Sie würde nie etwas ohne ihn anfangen. Lässig setzte sie sich auf die Terrasse, umschlang die Knie und ließ den Blick bis zum Waldrand schweifen. Schön war das Leben und es war dazu da, es zu genießen.

Dann ging die Tür auf. Robert kam bepackt mit köstlichen Brötchen herein. „Mmmh, welch ein verführerischer Duft“, sagte sie und küsste ihn in den Nacken. „Es ist alles schon fertig, Herzblatt“, sagte sie scherzend. „Du brauchst dich nur noch hinzusetzen. Ich habe auch den Serano-Schinken gekauft, den du so liebst.“

Das Frühstück war köstlich und der Kaffee weckte all ihre Lebensgeister, aber es verlief seltsam still. Robert schien abwesend und übernächtigt zu sein. Vielleicht hatte er schlecht geschlafen. Sie zündete sich ein Zigarillo an und machte es sich in ihrem Stuhl bequem. „Du wolltest mit mir reden“? lächelte sie.
„Ja“, sagte Robert und sah auf. Er sah sie so ernst an, dass es sie merkwürdig berührte.

Dann sagte er etwas, dessen Inhalt sie nicht verstand, dass sie aber veranlasste, sich an ihrer Kaffeetasse festzuhalten. Im gleichen Augenblick viel ihr Blick auf ihre Knie. Ihr war, als gehörten sie einer Fremden. Sie bemerkte, wie aus weiter Ferne, dass sie zitterten. Das Zittern griff auf ihre Hände über, sodass sie die Tasse hinstellen musste. Sie bat ihn, kaum hörbar, den Satz noch einmal wiederholen, wobei nun beide Hände sich umklammerten, als versuchten sie, sich gegenseitig Halt zu geben. Er wiederholte den Satz. Sie musste jedes Wort, das er gesprochen hatte, mühsam entschlüsseln. Es war ihr, als hätte er in einer fremden Sprache zu ihr gesprochen.

„Wie lange geht das schon?“, fragte sie mit brüchiger Stimme, nachdem sie mehrfach versucht hatte, zum Sprechen anzusetzen.

Er atmete tief ein, bevor er sprach. „Wir kreisen schon vier Jahre umeinander. Erst vor einigen Wochen haben wir gewagt, uns unsere Liebe einzugestehen“, sagte er entsetzlich klar und deutlich. Und rücksichtslos.

„Vier Jahre?“ Ihr Blick heftete sich an ihn. So, als ob sie ihn das erste Mal mit seiner ganzen Person wahrnehmen könnte. „Vier … Jahre … !“ wiederholte sie, wie ferngesteuert. Warum hatte sie nichts bemerkt? Es hätte ihr irgendetwas auffallen müssen. Die viele Arbeit. Offensichtlich war das gelogen. Und sie hatte ihm immer vertraut. Die ganzen zwölf Jahre.

„Robert“, setzte sie ohne jeden Stolz an „ich möchte mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen“.

Er reagierte mit einem Lidflattern.

Sie musste irgendetwas falsch gemacht haben, irgendetwas übersehen haben. Es musste irgendeine Erklärung geben. Sie musste verstehen. Jetzt, sonst würde sie verrückt werden. Dabei war sie fest davon überzeugt gewesen, dass ihr diese Art von Niederlage nie widerfahren würde. Eine andere Frau. Nein, niemals.

„Kenne ich sie?“ fragte Angelika, nachdem sie all ihren verbliebenen Mut zusammen genommen hatte mit einer Stimme, die einem verängstigten Kind zu gehören schien.

„Es ist Erika“, sagte er gedämpft.

„Erika? - Du meinst … Erika?“

Ihre Kontrolle brach zusammen. Ihre Hände und ihre Knie bebten derart stark, dass ihr Wille nicht mehr dagegen ankam. Sie griff, ohne zu überlegen, wieder nach der leeren Kaffeetasse, um sie umgehend wieder klirrend auf ihren Platz zu stellen.

Billie Holiday war verstummt, die Vögel ebenfalls.

„Aber … Erika ist meine Freundin“, begehrte sie verzweifelt auf. „Warum? Sage mir warum!“
„Ich weiß es nicht“, brachte er hervor und machte eine hilflose Handbewegung. Als sie nicht reagierte, setzte er erneut an und sagte: „Vielleicht, weil ich ein Mann bin und sie eine Frau ist.“

Er hoffte offensichtlich, dass sie mit dieser Einfallslosigkeit zufrieden war.

„Ich bin es also noch nicht einmal wert, dass du mir eine verständliche Erklärung gibst“, fuhr sie plötzlich auf. „Du liebst eine andere Frau, ich soll das schlucken und möglichst nichts fragen. Ich frage mich, mit wem ich die ganze Zeit gelebt habe. Außerdem ist an Erika überhaupt nichts Weibliches“, brach es aus ihr hervor. „Worin besteht ihre Anziehung? In ihren Sneakers? In ihren Jeans? Sie hat einen Busen Marke Plattenbau. Sieht so eine Frau aus, Robert? Warum also?“

Er lächelte ungläubig: „Maße dir nicht an, Dinge zu beurteilen, von denen du nichts verstehst, Angelika. Erika ist durch und durch Frau“.

Eine erdrückende Pause trat ein.

Dann fuhr er fort, als spräche er zu sich selbst: „Manche Menschen sehen es nicht. Ich hätte es auch beinahe nicht bemerkt. Man braucht Zeit. Man muss zweimal hinsehen, um Erikas Weiblichkeit zu entdecken.“

Dann stellte sie die klassische Frage: „Was hat sie, was ich nicht habe?“

Wieder trat eine Pause ein. Eine quälend lange Pause. Offensichtlich hatte Robert sich diese Frage selbst noch nicht gestellt.

„Sie ist nicht berechenbar ... Ständig hält sie mir den Spiegel vor ... Ich mag ihren natürlichen Geruch“ sinnierte er ... Für mich ist es eine Art Seelenverwandtschaft." Möglicherweise kannst du das nicht verstehen.

Dann stand er abprupt auf und ließ sie mit ihrem Schmerz allein.

Obwohl es mittlerweile ziemlich warm geworden war, waren Angelikas Füße und Hände eiskalt. Ihr Kopf sackte auf ihre üppige Brust und eine Träne tropfte auf eine blassrosa Rose ihres kostbaren Hausmantels. Ein Hauch Chanel N° 5 stieg auf.

 

Hi momarai,

technisch ist die Geschichte bis auf ein paar zu vernachlässigende Dinge gut. Im Aufbau ist sie für mein Gefühl aber leider etwas ungeschickt, da man durch den Titel ohnehin weiß, das mit dem Frühstück die Trennung kommt und mit der Einführung von Erika auch weiß, worin die bittere Wahrheit besteht.
Man liest dann nur noch weiter, um sich bestätigt zu sehen.
Robert und Erika geben vom Profil her wenig her, aber das ist bei der Perspektive verständlich, deine Protagonistin hat ein Stück zu viel Selbstgefälligkeit. Mir ging es bei ihrer Bewertung von Erika schon vorher so, dass ich für das, was kommen musste auch eine gewisse Schadenfreude verspürt habe.
Glück schafft halt Neider.

Lieben Gruß, sim

 

Hallo momarai,

tja, muss zugeben, dass ich zunächst etwas zerknirscht war, nachdem ich Deine Geschichte fertiggelesen hatte. Der Grund: habe vor ein paar Tagen eine ganz ähnliche Geschichte geschrieben, die ich dann hier posten wollte. Damit werde ich ein jetzt ein Weilchen zuwarten. Man will den potentiellen Lesern ja nicht immer die gleiche oder zumindest ähnliche Thematik präsentieren, grumpfh! :wein:

Zur Geschichte: Finde Sie sprachlich sehr lebendig und gut gelungen. Die Sache mit dem vorhersehbaren Ende hat mich irgendwie nicht so gestört. Auch ich muss zugeben, dass ich mit der Protagonistin wenig biss null Mitleid verspürt habe. Vielleicht sind die beiden Charaktere der Frauen etwas zu gegensätzlich geraten; sind ja immerhin (noch:dozey: ) Freundinnen; nur so ein Gedanke.

Den letzten Satz finde ich genial! Trifft genau meinen skurillen Humor und die Art, wie man meines Erachtens eine Kurzgeschichte beenden sollte: Mit einem kurzen, prägnanten Satz.

(Nicht mehr zerknirschtes) Chapeau!

Literarischer Gruss aus Zürich
palerider

 

Hallo momarai,

ohne Pathos, mit gut getroffenen Beschreibungen baust du deine Geschichte auf. Dies hier ist besonders gelungen:

„Die Blätter flirteten, indem sie sich bogen und leise säuselten. Angelika liebte diese Momente am Morgen, in denen sie sich noch halb im Schlaf befand, die Momente, in denen die Träume langsam verblassten und der Tag behutsam Konturen annahm. Wie schön, dass sie heute nicht gleich aufzuspringen brauchte, weil irgendein Termin wartete.“

Das Ganze lässt sich schön lesen, leider weiß man, woraus die Geschichte hinausläuft. Das Folgende empfand ich als zu dick aufgetragen - wäre Erika nicht die `Schuldige´ gewesen, hätte ich es als passender verbucht.

„dass anderen Frauen das passierte. Erika vielleicht“

Der Schluss ist gut getroffen, ein gutes Bild, dieser flüchtige Hauch …


Kleinigkeiten:

„Angelikas leise Winks zu ihrer Verschönerung tat sie ab.“

- Heißt es nicht Winke? Angelikas leise Winks klingt etwas steif.


„Sie griff, ohne zu überlegen, wieder nach der leeren Kaffeetasse, um sie umgehend wieder klirrend auf ihren Platz zu stellen.“

- Sie nimmt die Tasse nicht „um“ (also mit der Intension) sie wieder abzustellen.

L G,


tschüß Woltochinon

 
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Hallo Sim,
danke für deine Anregung mit dem Titel. Ich bin ohnehin noch dabei, etwas zu überarbeiten. Könntest du vielleicht noch konkretisieren, was genau im Aufbau störend war? Oder war es lediglich im Zusammenhang mit dem Titel. Würde mich freuen,wenn du noch einmal antworten würdet.
Gruß momarei

Hallo Palerinder,
danke für deine positive Kritik. Die Hauptdarstellerin sollte auch so rüberkommen, als wäre sie in sich selbst verliebt. Ich habe selbst angefangen, sie zu hassen und habe es ihr richtig gegönnt, dass sie jetzt mal Zeit zum Nachdenken bekommt ... Aber ein bisschen werde ich noch daran feilen.
Ich warte jetzt mal ab, wann deine Geschichte kommt. Verrätst du mir schon mal den Titel? ;)
Viele Grüße
momarei

Hallo Woltochinon,
danke für deine ausführliche Kritik. Du bist jetzt schon der dritte Leser, der Vorhersehbarkeit bescheinigt. Der Anfang ist wohl etwas zu lang, zu ausführlich und zu dick aufgetragen. Das riecht nach Überarbeitung.
Viele Grüße
momarei

 

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