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Sein Gesicht

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20.11.2001
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Sein Gesicht

Sie, deren Namen ich keinesfalls nennen darf, kniet auf dem lehmigen Boden ihrer Hütte, und ihre vier größeren Kinder sitzen im Halbkreis vor ihr. Sie versucht, nach außen ruhig zu wirken, um den Kleinen keine zusätzliche Angst zu machen, vor der sie selbst jedoch innerlich überquillt.
Vor ihnen stehen Kartons, jeweils mit einer Schlaufe zum Umhängen.
»Hört mir jetzt bitte gut zu. Geht niemals ohne diesen Karton aus dem Haus, er ist für uns jetzt ganz wichtig. Vergeßt ihn bitte nie, denkt dran. Und jetzt macht ihn mal auf.«
Sie geht der Dreijährigen ein bisschen zur Hand. – Sie muß das noch üben, das muß schneller gehen. So ist sie viel zu langsam...
»Nehmt jetzt die Maske aus der Schachtel heraus und setzt sie euch mal auf.« Sie geht zu jedem einzelnen der vier Kinder und zieht die Bänder so fest, daß seitlich keine Luft hineinkommt. »Versuch mal, Luft zu holen«, fordert sie auf, während sie vorne zu hält. »Gut, die Maske ist dicht.«
So überprüft sie alle vier und auch ihre eigene. Bei der Dreijährigen muß sie die Feststellbänder auf die engste Position stellen. Danach legen alle ihre Masken wieder sorgsam in den Karton und markieren sie, damit sie nicht verwechselt werden können.
Die Mutter schaut besorgt auf ihr Kleines im Tragetuch und schickt die größeren Kinder nach draußen. »... und bleibt immer hier ums Haus, lauft niemals irgendwoanders hin. Wenn es Luftalarm gibt, seid ihr sonst nicht schnell genug wieder daheim.«

Als sie mit ihrem zwei Monate alten Sohn allein ist, nimmt sie ihn aus dem Tuch und legt ihn auf eine Decke. Dann öffnet sie den Karton, den sie für ihn bekommen hat. Entnimmt daraus seine Gasmaske und sieht sie an, sieht sein Gesicht an, wieder die Gasmaske und noch einmal sein kleines, unschuldiges Gesicht...
Er schreit, als sie kurz versucht, ihm dieses Ding aufzusetzen – sie nimmt es gleich wieder weg. Tränen rinnen aus ihren Augen, über ihre Wangen, tropfen von ihrem Kinn und versickern im Lehmboden.

 

Hallo Susi,

Die Geschichte faengt gut an (besonders das "deren Namen ich keinesfalls nennen darf" kommt ausgezeichnet) aber am Ende wuerde ich unbedingt noch basteln. Dass die Gasmaske zu gross fuer das Kind ist, hab ich schon so ab der Haelfte der Geschichte geahnt, insofern hatte der Schluss nicht so den emotionalen Punch, den die Geschichte braucht. Besser die direkte Rede ganz rausschmeissen, und das Ende etwas kuerzen.
Ich wuerde vielleicht schreiben: "Entnimmt daraus seine Gasmaske und sieht sie an, sieht sein Gesicht an, wieder die Gasmaske und wieder sein winziges Gesicht." oder so aehnlich.
So eine kleine Andeutung kann schon den grossen Unterschied machen. Vertrau ruhig dem Leser, er wird den Text schon richtig auffassen. ;)

 

Hallo I3en!

Danke Dir für Deinen schnellen Kommentar! :)

Verstehe ich Dich richtig, daß Du meinst, ich sollte die Geschichte nach "sein (winziges) Gesicht" enden lassen, ohne den ganzen Rest?
Das ist natürlich eine Möglichkeit... Mal sehen, was andere dazu sagen... ;)

Alles liebe,
Susi

 

Servus Susi!

In dieser kurzen Realsituation wird einem sehr schnell klar gemacht, wie absurd das doch alles ist. Insofern gefällt mir die Geschichte wirklich sehr gut, mehr braucht sie gar nicht.

Der vorletzte Absatz war mir dadurch aber zum Anfang der Geschichte doch zu emotional. Denn gerade das klare Sprechen mit den Kindern, der Moment des nicht Fassen könnens der Maskengröße hätte mit den letzten zwei Zeilen ein passendes Ende gefunden.

Aber man kommt um Emotionen kaum herum in diesen Tagen, nicht wahr?

Lieben Gruß an dich - Eva

 

Ich schließe mich I3en an. Die wörtliche Rede ist so ein bisschen "Holzhammer-mäßig", so erklärend, so dass der Leser es auch auf jeden Fall versteht, das andere ist dezenter und der Schauereffekt meiner Meinung nach dadurch größer.

 

Das mein ich auch, liebe Susi,

man weiß ab einem bestimmten Zeitpunkt um was es geht, der Leser benötigt hier nichts mehr an weiteren Hinweisen, noch nicht einmal, dass es sich um eine Schutzmaske handelt.
Aber ansonsten hast du den Text gut umgesetzt, bist deinem Häferl-Stil treu geblieben. ;)


Sag, kommt da nicht vor "um" ein Komma?
"Sie versucht, nach außen ruhig zu wirken um den Kleinen keine zusätzliche Angst zu machen, mit der sie selbst jedoch innerlich überquillt. "

Du machst mich als Orthogräfin ganz unsicher, denn wenn du es nicht weißt, wer denn? :D


Lieben Gruss
elvira

 

Hallo Häferl,

ja, hat mir auch gefallen. Sehe das ähnlich wie Ben. Ich denke, das macht das Ende "tragischer" (blödes Wort angesichts der Umstände, aber ich denke, du verstehst, was ich meine). Vielleicht solltest du das Kleinste auch erst am Schluß erwähnen.
Am Anfang fehlt irgendwo ein Komma und ich finde, den Dialog mit den Kindern teilweise etwas zu konstruiert.

liebe grüße, Pan

 

Danke Euch allen! :)

Hab jetzt das Ende weggenommen und hoffe, daß es so besser ist. Danke für Eure ehrliche Meinung.

Wegen dem Beistrich frag ich noch criss, bei Beistrichen ist er besser. ;)

Alles liebe,
Susi

 

Hallo Susi!

Hab sie jetzt nochmals gelesen. Echt stark und betroffen machend! Eva

 

Hi Susi,

Finde das Ende jetzt auch viel besser, obwohl ich das weinen nicht unbedingt rausgenommen haette. Kannst ja noch ein bisserl basteln. Der Satz "Bei der Dreijährigen mußte sie die Feststellbänder auf die engste Position stellen" macht jedenfalls schon deutlich genug worum es geht.

Gruss,

I3en

 

Hallo? Was soll mir das sagen? Dass das Leben scheiße ist? Toll, wusste ich schon...

Ich finde die Geschichte weder spannend noch betroffen machend. Die Presse, die Glotze und alle Münder spucken derzeit die gleiche Spucke aus, und man hat da dann doch schon viel Schlimmeres gelesen und gesehen, dass diese kleine Szene nun wirklich nicht mehr vom Hocker reißen kann.

Soll sie nicht? Nun, dann weiß ich aber nicht, was sie soll.

Gerade momentan wird man mit dem Thema so berieselt, dass man sich auf kg.de wenigstens eine etwas andere Art der Darstellung wünscht. Oder sonst wo. Auch egal. Naja, Message mag sitzen, usw. Aber sowohl der Unterhaltungswert, als auch die einfache/einseitige Darstellung machen diesen Text nicht zu etwas Besonderem.

 

Liebe Susi!

Mich hat die Geschichte betroffen gemacht. Wenn ich versuche, mir den Horror, den diese Frau empfinden muss, vorzustellen, kriege ich eine Gänsehaut. Die Art und Weise, wie Du die Geschichte erzählt hast, unterstützt dieses Gefühl. Ich finde die Geschichte gelungen.

Mag sein, dass man nichts dabei empfindet, wenn man generell der Meinung ist, dass das Leben scheiße ist. Wenn ich aber davon ausgehe, dass diese Frau mit ihren Kindern glücklich war, auch innerhalb ihres einfachen und sicherlich beschwerlichen Lebens, bevor die Gefahr auftrat, denke ich, dass nicht ihr Leben scheiße ist, sondern die Situation, in die sie gebracht wurde - von wem auch immer.

Der neue, verkürzte Schluss passt in meinen Augen. Ich hatte den ersten Schluss nur grob überflogen, aber die wörtliche Rede war fürs Verständnis nicht nötig, denke ich.

Sie versucht, nach außen ruhig zu wirken um den Kleinen keine zusätzliche Angst zu machen
Vor "zu" kann man ein Komma setzen, wenn man die Satzgliederung deutlich machen will. Da der Satz etwas länger ist, hätte ich den Beistrich hier im Zweifelsfall gesetzt. ;) (Danke für die Blumen :D)

Liebe Grüße :kuss:
Christian

 

Sie versucht, nach außen ruhig zu wirken um den Kleinen keine zusätzliche Angst zu machen

aber vor "um" gehört doch auf jeden fall ein komma, oder net?

 

Gemäß der alten Rechtschreibung war das Komma vor "um ... zu" zwingend vorgeschrieben.
Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass uns das in der Schule auch eingebleut wurde. :D

In den neuen Rechtschreiberegeln findet sich dieser Passus nicht mehr. Deshalb gehe ich davon aus, dass es freigestellt ist. Aber wie gesagt, vor "um ... zu" würde ich in jedem Fall ein Komma setzen.

 

Hi Häferl,

hat mir ganz gut gefallen. Da ich die "Urversion" nicht kenne, kann ich zu den bisherigen Stellungnahmen diesbezüglich nichts sagen. So jedenfalls find ich die Geschichte stimmig und in sich schlüssig.

Allerdings: Sie ist mir fast einen Hauch zu kurz. Klar - sie sagt alles aus, was sie aussagen will, mehr braucht's anscheinend nicht, aber es ist halt eine von diesen 15-Minuten-Geschichten, die man liest und bald wieder vergessen haben wird (so tragisch sie inhaltlich auch sein mag).
(Nichts gegen 15-min-Stories, hab ja selbst die eine oder andere im Petto, aber deshalb kenn ich auch die Problematik damit.)

Soll aber eigentlich keine Kritik sein.

Was ich aber nicht verstehe, ist der Nebensatz: "deren Namen ich keinesfalls nennen darf". Warum nicht? Wer ist der Erzähler und in welcher Beziehung steht er zu der Frau, dass er das nicht darf?

Und: "... um den Kleinen keine zusätzliche Angst zu machen, mit der sie selbst jedoch innerlich überquillt."
Quillt man nicht vor Angst über?

Grüße
Visualizer

 

Hehe, meine ich aber nicht, Christian. Entdecke meine Polemik...

Naja, habe meinen Standpunkt klar gemacht, denke ich.

 

Ich gestehe Häferl zu diese Geschichte, als "Ventil" geschrieben zu haben (wenn es denn so ist). Für mich als Leser hingegen - und da stimme ich Zaza zu - ist die Ausbeute eher gering: Nichts neues, und den unangenehmen Nachgeschmack von Bild, EXPLOSIV und RTL2 im Mund.

 

Es gibt sicherlich eine Reizüberflutung, die uns abgestumpft hat. Trotzdem können solche „kleinen Episoden“ – zumindest bei mir noch – Betroffenheit auslösen, weil sie einen Denkanstoss bilden.
Sicherlich gibt es gerade zur Zeit sehr viele Denkanstösse, aber das war einer, der mich auch erreicht hat – in all der Flut.
In der jetzigen Form sehe ich keine Effektheischerei im Text, insofern drängt sich mir der Vergleich zu BILD, EXPLOSIV und Konsorten nicht auf.

Die Tatsache, dass dort in einer bestimmten Art und Weise berichtet wird, kann doch nicht bedeuten, dass wir Eindrücke, die wir haben, nicht mehr in Geschichtenform verarbeiten dürfen. Und aus meiner Sicht ist es unmöglich, jedes Mal das Rad neu zu erfinden.

Wenn ich die Geschichte geschrieben hätte, hätte sie mit dem Weinen oder den Tränen der Frau geendet, was mir vielleicht auch den Vorwurf eingebracht hätte, wie ein Reporter noch auf die Tränendrüse zu drücken. Aber für mich wäre es ein passender Schluss gewesen. :)

 

So, hab jetzt nochmal mit Euren Anregungen herumgebessert. Danke! :)

@Zaza, daß das Leben scheiße ist, wollte ich keinesfalls sagen. Vielmehr, wie scheiße doch Krieg ist (der für mich kein natürlicher Bestandteil des Lebens ist).
Klar, sieht man zur Zeit viel im Fernsehen und man ist ohnehin schon gesättigt mit Kriegsberichterstattung. Aber mir ging es um die Dinge im Kleinen, nicht um Anzahl und Reichweiten von Raketen und wieviel Mann wo stationiert sind. Für den einzelnen Menschen reicht eine Bombe (egal, ob A, B, oder C oder was weiß ich), die ihn trifft und wenn sie ihn nicht trifft, ist die Angst und die Zerstörung alleine auch schon genug.

Das Schlimmste an diesem Krieg ist doch, daß es viele Unschuldige aus der Zivilbevölkerung trifft und treffen wird. Und da ganz besonders die Kleinsten, weil sie auf fremden Schutz angewiesen sind.
Es war ein kurzer Ausschnitt gestern auf ORF2, da zeigten sie Leute, die, mit diesen Schachteln über die Schulter gehängt, auf der Straße gingen. Dazu sagten sie, daß darin Gasmasken sind und daß diese jetzt für die Bevölkerung lebensnotwendig sind. Danach kam gleich das nächste Thema, wie sie das immer machen, damit man sich ja nicht zu lange mit einem Thema auseinandersetzt. Ich wollte aber nicht so schnell wegschauen und habe versucht, mir vorzustellen, wie man denn einem Säugling eine Gasmaske aufsetzt - so entstand meine Geschichte.

@Batch, klar kannst Du sagen, sie ist aus der Emotion heraus, als "Ventil" geschrieben. - Ja, sie ist aus der Emotion heraus geschrieben!

Ich denke mir: Ja, genau jetzt muß man solche Geschichten schreiben, da die Emotionen da sind. Wer kann schon in Friedenszeiten diese Emotionen so aufbringen, wie jetzt?
Aber dann, wenn hoffentlich (!) wieder einmal längere Zeit Frieden ist und im Fernsehen nur mehr lustige Talkshows laufen, wird es meine Geschichte immer noch geben. Und dann wird sie vielleicht irgendjemandem wieder bewußt machen, wie wichtig es ist, den Frieden zu erhalten. Das vergißt man nämlich oft, wenn es einem gut geht.

@Euch allen Danke fürs Lesen und Eure Verbesserungsvorschläge! :)

Alles liebe,
Susi

 

Hallo häferl,

für mich eindringlich genug geschildert. Stelle mir vor, wie die mutter im ernstfall dem/der kleinen eine nicht sitzende gasmaske aufzusetzen versucht und dann ihrem kind beim sterben zusieht. grässlich!
Daher: gefällt mir sehr gut.
@batch: weiss nich welche bild-ausgabe du liest, aber so was in der form habe ich dort noch nie gelesen…

cu
bigmica

 

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